Profilbild von StefanieFreigericht

StefanieFreigericht

Lesejury Star
offline

StefanieFreigericht ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit StefanieFreigericht über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.06.2017

„…immer ist im Zuhören die Frage enthalten: Was soll man verstehen, was will man verstehen, und was wird man nie verstehen, will es aber bestätigt bekommen.“

Gehen, ging, gegangen
0

„…immer ist im Zuhören die Frage enthalten: Was soll man verstehen, was will man verstehen, und was wird man nie verstehen, will es aber bestätigt bekommen.“

Ich wollte das Buch unbedingt toll finden ...

„…immer ist im Zuhören die Frage enthalten: Was soll man verstehen, was will man verstehen, und was wird man nie verstehen, will es aber bestätigt bekommen.“

Ich wollte das Buch unbedingt toll finden angesichts des wichtigen aktuellen Themas – doch leider gelang mir das immer nur im steten Wechsel mit ziemlichem Genervtsein. Worum es geht? Rentner Richard redet mit Flüchtlingen, so der Grundplot dieses Buches. Man könnte noch ergänzen: und verlässt seine Komfortzone oder und erweitert seinen Horizont, aber das liegt vielleicht schon im Auge des Betrachters bzw. Lesers.

Ohne Leserunde hätte ich wohl nicht durchgehalten, ich war zwischen Gegensätzen auf der Skala zerrissen. Da ist zum einen die Sprache, oft wunderbar treffend: S. 174 „Sich vom Wünschen zu verabschieden, ist am Alter wahrscheinlich das, was man am schwersten lernt.“ oder „…immer ist im Zuhören die Frage enthalten: Was soll man verstehen, was will man verstehen, und was wird man nie verstehen, will es aber bestätigt bekommen.“ S. 95 (ich hoffe dabei nicht, dass DAS mein Problem ist?!). Auf der anderen Seite sind da verschachtelte Sätze und das Stilmittel der häufigen Wiederholungen, die teils schlicht nerven, hier zu „Freude“: „Die Freude an dem, was am richtigen Platz ist, was nicht verlorengeht, was auf die richtige Weise gehandhabt wird und nicht verschwendet, die Freude an dem, was gelingt, ohne ein anderes am Gelingen zu hindern, ist, so sieht er das, in Wahrheit die Freude an einer Ordnung, die nicht von ihm errichtet, sondern von ihm nur gefunden werden muss, die außer ihm liegt, und ihn gerade deshalb verbindet mit dem, was wächst, fliegt oder gleitet, ihn dafür zwar von manchen Menschen entfernt, aber das ist ihm gleich.“ S. 25

Und dann ist da, viel wichtiger, das Thema, zum einen Flüchtlinge, zum anderen aber wohl auch das Altern, die Auseinandersetzung mit der DDR/deren Ende und, etwas diffuser vielleicht, so etwas wie Ziele, Lebensgrundsätze. Die Leserunde rettete mir hier ein wenig den Zusammenhang, alles sind Wendepunkte, dennoch: Mir gerät das Ganze zu überladen – schon sprachlich, dann in der Ausweitung des Haupt-Themas um weitere, zuletzt beim eigentlichen Thema selbst. Ja, natürlich ist das Thema Flucht manifest, relevant und drängend, wobei Erpenbeck ihr Buch bereits VOR der Kulmination 2015 geschrieben hatte. Aber VOR ALLEM durch die Ereignisse seit 2015 finde ich ihr Buch schlicht zu wenig, zu theoretisch: sie erzählt brilliant-einfühlsam von Kriegsflüchtlingen – aber nichts an „Widerhaken“ sonst in der Geschichte: keine Einwände bei Richards Freunden (von einem idiotischen Spruch abgesehen), nur lauter sympathische Flüchtlinge (von einem eher angedeuteten Ereignis abgesehen), selbst die Behörden sind vielleicht teils hilflos, aber ebenfalls irgendwie farblos nett (abgesehen von Überforderungen, Bürokratie). Realistisch?

Die Erzählung selbst stellt die nacherzählten Flucht- und Heimatgeschichten dar, den Kampf im Behördendschungel in Deutschland. Das hat Stärken, so wenn Richard den Bezug sieht zwischen griechischer Mythologie und der Historie Libyens, oder bei der grandiosen Gegenüberstellung von Richards Einkaufszettel mit einer Art Wunschzettel der Flüchtlinge je nach Herkunftsland. Und dann liefert Autorin Erpenbeck Fakten, die man eher in einem Sachbuch erwarten würde, einer der Presserezensenten spricht hier von einem „Tatsachenroman“ (FAZ 27.08.2015). Für mich ist der Bruch zum Rest zu stark.

Woran soll ich mich da als Leser reiben? Es wird reichlich viel erklärt, fast vorgegeben durch die Autorin – da bleibt wenig, dass ich mir selbst zusammen-lesen kann (Gegenbeispiel eines aktuellen Jugendbuchs, "The Hate U Give", ein schwarzer Teenager wird von einem Polizisten in den USA erschossen: hier wird der Leser durch verschiedene Phasen geschoben von rein der Sicht seiner Jugendfreundin als unbeteiligter Zeugin, über seine Drogendeals – war er selbst mitschuldig? – bis hin dazu, was denn das bitte rechtfertigen dürfe).

Wie auch hier die Flüchtlinge, fühlte sich wohl schon jeder genervt von deutschen Verwaltungen, jedoch fehlen mir im Buch Ideen für Alternativen zu den bemängelten Behördenprozessen. Es gibt „nur“ Opfer von Kriegshandlungen als Flüchtlinge, keine Frauen, keine alleinreisenden Jugendlichen, keine Opfer sexueller Gewalt – niemanden, der kriminell ist oder radikal auf beiden Seiten. Natürlich werden gerade die letzteren beiden gerne instrumentalisiert, doch wiederum ist mir insgesamt die Darstellung da zu wenig. Und: ALLES wird nicht in einem Buch erfassbar sein, aber doch vielleicht "mehr".

Für mich erfasst "Exit West" das Thema besser, demnächst auch in deutscher Übersetzung
https://www.lesejury.de/mohsin-hamid/buecher/exit-west/9783832198688?tab=reviews&s=1&o=0#review_51217

Veröffentlicht am 23.02.2021

24981

Deutsches Haus
0

Die Handlung findet statt von Dezember 1963 bis Dezember 1964.
Die junge Eva Bruhns aus Frankfurt hat einen Freund, der sich am 3. Adventssonntag ihrer Familie vorstellen will. Es gibt die ältere dickliche ...

Die Handlung findet statt von Dezember 1963 bis Dezember 1964.
Die junge Eva Bruhns aus Frankfurt hat einen Freund, der sich am 3. Adventssonntag ihrer Familie vorstellen will. Es gibt die ältere dickliche und dauer-essende Schwester Annegret, Säuglingsschwester im Stadtkrankenhaus, 28, den kleinen Bruder Stefan, sowie die Eltern Ludwig und Edith. Sie betreiben das „Deutsche Haus“ in der Berger Straße, der Vater ist dort Koch. Mit ihrem Fast-Verlobten hat Eva das große Los gezogen, denn Jürgen Schoormann soll der Nachfolger seines Vaters für dessen erfolgreichen Versandhandel werden. Doch Jürgen ist zögerlich, häufig distanziert und hoffnungslos konservativ: Die Frau habe sich unterzuordnen, punktum. Doch bislang arbeitet die als Dolmetscherin für Polnisch ausgebildete Eva für eine Agentur und wurde gerade für einen wichtigen Gerichtsprozess angefordert. Dieser stößt auf wenig Gegenliebe bei Jürgen oder ihren Eltern und auch nicht in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung.

Der Roman bezieht sich auf die in Frankfurt durchgeführten ersten Auschwitzprozesse https://de.wikipedia.org/wiki/Auschwitzprozesse


Jetzt kommt mein Dilemma: das Thema ist wichtig. Meiner Erfahrung nach wissen die Menschen mehr über die Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus als über den Umgang damit in der Zeit danach. Umso wichtiger finde ich bei beidem einen angemessenen Umgang. Ja, das Buch geht respektvoll mit dem Thema um und findet in der anfangs naiven jungen Frau eine Sympathieträgerin, die den Leser durch das Buch führt. Es gibt aber sonst sowohl positive als auch negative Aspekte:

Negativ fand ich einen großen Anteil an schlichtem Kitsch. „Eva spürte, wie ihr ein Tropfen Schweiß über die Mitte des Rückens bis in die Poritze lief.“ S. 86 fand ich noch fast komisch. Die Satzstruktur vermittelt teils gewollte Dramatik: „Am Fenster in der ersten Etage über dem Schriftzug , über den Buchstaben , stand eine hellbraune Gestalt und sah auf Eva hinab. Ihre Mutter. Sie schien unbewegt, aber Eva hatte den Eindruck, als nehme sie Abschied. Eva drehte ihr schnell den Rücken zu. Sie schluckte. Das fehlte noch. Jetzt weinen.“ S. 8 Hatte die Autorin Atemlosigkeit beim Schreiben?
Komplett unsinnig fand ich den Nebenplot mit dem Todesengel und nur in Ansätzen hilfreich weitere Nebenplots wie die wahre Geschichte von David oder die Erlebnisse von Schoormann Senior. Wer eine evangelische Familie begleitet in deren Sicht, sollte auch nicht von „Evangelen“ sprechen. Ansonsten waren die vorbereitenden Hinweise etwas dick aufgetragen; da wurde mit dem ganzen Zaun gewunken: Der Mutter wird vom Brandgeruch immer schlecht, sowohl Eva als auch ihr Vater gehen nicht gerne zum Friseur (warum überhaupt der Vater?) oder ganz zu Beginn wird bereits auf S. 22 gesagt, dass der Vater lügt, wenn er behaupt in einer Feldküche an der Westfront gewesen zu sein. Das ist das Niveau von Groschenromanen. Und wie Eva überhaupt dazu kommt, ausgerechnet Polnisch als Dolmetscherin zu lernen, ist auch aus der Sicht ihres fünfjährigen Ich nicht wirklich einleuchtend. Und warum bitte bitte bitte dieses an Trivialität nicht zu übertreffende Ende?

Dann aber kommen Stellen, die sind so richtig gut getroffen. Das Kleinbürgertum, die Spießigkeit gegenüber Ausländern und das Dilemma der Nachgeborenen kommen authentisch rüber. Die Anzeige, die von der Mutter gestellt wurde, hat mich überrascht. Die Reaktion von Jaschinsky darüber, was Eva von ihm will, stellvertretend für die Deutschen, trifft genau: „Trost. Sie wollen, dass wir sie trösten.“ Die Erkenntnis von Eva ist stark, dass es ihr nicht zusteht, dass sie kein Recht hat auf ihr Selbstmitleid. Wäre doch nur der Rest auf diesem starken Niveau geblieben.

Was mache ich jetzt damit? Thema und die wenigen, aber starken Glanzlichter: 5 Sterne plus. Der Groschenroman-Anteil – keine 3 Sterne.

3 Sterne insgesamt. Ich habe einfach schon gelungenere Romane, selbst gelungenere Krimis, zum Thema gelesen.

https://www.auschwitz-prozess.de/

https://www.spiegel.de/geschichte/stadtgeschichte-a-949057.html#fotostrecke-f1839d31-0001-0002-0000-000000108867

Bild 14 zeigt den Gerichtssaal mit dem oft erwähnten Bild

Veröffentlicht am 09.02.2021

Zombie

Herzgrab
0

Elena Gerink, 32, Privatdetektivin in Wien, soll den verschwundenen Vater der 21jährigen italienischen Kunststudentin Monica suchen. Der berühmte Maler Salvatore Del Vecchio verschwand vor einem Jahr, ...

Elena Gerink, 32, Privatdetektivin in Wien, soll den verschwundenen Vater der 21jährigen italienischen Kunststudentin Monica suchen. Der berühmte Maler Salvatore Del Vecchio verschwand vor einem Jahr, kurz nach dem tödlichen Reitunfall von Monicas Mutter Isabella. In einem Abschiedsbrief kündigte er ein vermutlich letztes Gemälde an – das steht jetzt zugunsten von Monica in einem Wiener Auktionshaus zur Versteigerung.
Gleichzeitig bekommt Peter Gerink, 36, beim Bundeskriminalamt den Auftrag, die verschwundene österreichische Staatsbürgerin Teresa Del Vecchio, gebürtige Italienerin, zu suchen. Ja richtig – gleiche Namen: Elena und Peter sind Eheleute, Teresa ist Monicas Tante und Salvatores Schwester. Die Tante verschwand vom Familiensitz in der Toskana, als sie dort zu einer Trauerfeier für ihre beiden Brüder zu Besuch war. Etwas viele Todesfälle in einer Familie?

Was anfängt, als sei man in einer Folge von „Der Pate“ gelandet, entwickelt sich zwischen Österreich und der Toskana zu einer gefährlichen Jagd zwischen besessenen Künstlern und Kunstsammlern, Liebe, Eifersucht und Hass.

Ich liebe Andreas Grubers Maarten S. Sneijder/Sabine Nemez – Reihe und wurde auch hier nicht von seinem Schreibstil und seinen Personenzeichnungen enttäuscht. Der Einzelband ist jedoch etwas „zahmer“ – Gräueltaten finden abgeschwächter statt, dem „gewetzten Messer“ darf der Leser nur einmal live bei der Tat beiwohnen. Die Taten sind dennoch sehr grausam und reichlich gestört mit einem gewissen Ekel-Faktor und eher nichts für sensible Gemüter, gerade beim Kopfkino, sobald man den Umfang der Tat begreift.

Wie immer in letzter Zeit finde ich jedoch nicht alles ganz rund: ich versuche jetzt nicht zu spoilern:
- Teresa passt als Opfer für mich nicht wirklich zum Motiv für die Tat – sie war zum Tatzeitpunkt ein Außenseiter
- Überhaupt nicht nachvollziehbar fand ich, warum Isabella nicht gegangen war – das Buch ist von 2013, der mögliche Auslöser liegt 20 Jahr davor. Das ist kein Jahr, in dem eine Frau in Europa hätte gezögert haben müssen, gerade bei der finanziellen Sicherheit.
- Wo in aller Welt dürfen Privatpersonen (Elena) so in Ermittlungen einbezogen werden, geben Karrieristen (Lisa) so freigiebig in einem nachvollziehbaren Umfeld (ihre Schwester) Tipps?
- Die Helfershelfer bei der Tat finde ich nicht plausibel – da scheint ein Sadist ganz gerne sein eigenes Süppchen zu kochen mit seinem Skalpell und macht eher, was er gerade will
- Und dann gibt es die Situation, dass es beinahe zu einem echten Fehlgriff beim Opfer gekommen wäre (im Keller des Kellers), als eine Frau dort landete, deren Wohl für die Tat mit auslösend war – die hätte also dort nie gelandet sein dürfen, dann wäre nämlich die Auflösung des Falles eher sinnlos gewesen!

Und die sehr verknüpften einzelnen Handlungsstränge, da waren mir die Sprünge nach zu kurzer Zeit. Das ist aber Geschmackssache. Dass es immer noch eine Wendung gab, gefiel mir hingegen.

Uff. Leider nicht einmal mehr 4 Sterne, nur 3. Ich hasse es einfach, bis nach Mitternacht zu lesen und dann vom Showdown her sofort zu wissen „aber was wäre jetzt gewesen, wenn im Keller unter dem Keller“…

Hier steht noch der noch ungelesene „Rachewinter“.

  • Einzelne Kategorien
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.01.2021

Absolut nicht für heutige Kinder - eher historisch interessant

Professors Zwillinge / Professors Zwillinge Bubi und Mädi
1

„Bubi und Mädi sind Zwillinge. Wißt ihr, was das ist?“ So beginnt das erste Kapitel des ersten Bandes von insgesamt fünf Bänden.

Ausnahmsweise nehme ich hier einen Teil meines Fazits vorweg:
Dem 1923 ...

„Bubi und Mädi sind Zwillinge. Wißt ihr, was das ist?“ So beginnt das erste Kapitel des ersten Bandes von insgesamt fünf Bänden.

Ausnahmsweise nehme ich hier einen Teil meines Fazits vorweg:
Dem 1923 veröffentlichten Buch merkt man das Alter an. Die Rollenbilder wirken doch arg traditionell – wenn auch nicht gleich zu Beginn des Buches. Zur damaligen Zeit dürften sich nicht wirklich sehr viele jüngere Kinder in dem Lebensstil der Protagonisten wiedergefunden haben – aber vermutlich doch jene, deren Eltern sich den Erwerb von Büchern leisten konnten: Das Milieu ist das gehobene Bildungsbürgertum, es gibt ein Kindermädchen, eine Köchin.

Bubi und Mädi sind Zwillinge und einander innig zugetan. Die Kleinen wachsen wohlbehütet auf im Berlin zwischen den beiden Weltkriegen, wo Vater Paul Winter als Professor an der Sternwarte beschäftigt ist. Die Namen für die Kleinen sind der Herkunft der Mutter aus Süddeutschland geschuldet als „Allgemeinbegriff“ für einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen; eigentlich heißen die beiden Herbert und Suse und werden am ersten November fünf Jahre alt werden.
Die Eltern der Mutter „Fränzl“ leben in Freiburg. Auch Opapa ist Professor, die „große Omama“ wird im Verlauf der Geschichte mit allen den fünfzigsten Geburtstag feiern. Des Vaters Mutter ist wohl Witwe, die „kleine Omama“ wohnt in Berlin mit Hund Prinz. Beide Berliner Haushalte haben Telefone! Zum Haushalt der Familie gehören noch Kinderfrau „Frau Annchen“, die mit beiden Kindern in einem Raum schläft, und Köchin Fräulein Minna (für die Kleinen „Minnachen“). Das Buch begleitet die Kleinkinder durch Sommertage voller Spiele und häufigem Unfug, sogar eine große Reise mit einigen persönlichen Reifungserlebnissen werden sie unternehmen.

Uff. Vorweg, bei uns wurden fast alle Bücher meiner Mutter und ihrer Mutter aufgehoben, und fielen so zwingend irgendwann auch in die Hände meiner Büchersucht. Dazu gehörte auch die „Nesthäkchen“-Reihe von Else Ury, die auch Autorin dieser unbekannteren Reihe war – wenn ich mich richtig erinnere, bekam ich die Zwillinge-Bände selbst, als sie vermutlich in den späten Siebzigern/frühen Achtzigern als Sonderausgabe unserer lokalen Zeitung im Angebot waren. Die meisten Ury-Romane gehören wie beispielsweise auch „Der Trotzkopf“ von Emmy von Rhoden oder die „Pucki“-Reihe von Magda Trott zu den „Backfisch-Romanen“ mit einem sehr traditionellen Mädchen- und Familienbild und begleiten häufig die erwünschte Reifung von durchaus eigenständigen, ambitionierten, auch trotzigen jungen Mädchen in die gesellschaftlichen Normen der Zeit, meist in Ehe mündend unter Aufgabe eigener Ambitionen.

Insofern: ich würde dieses Buch keinem heutigen Kind schenken; es ist eher historisch interessant. Dazu später.

Positiv fällt zu Beginn gar kein Klischee auf: Bubi und Mädi tragen identische Spielkittel, haben die gleichen Kurzhaarfrisuren und spielen gemeinsam. Bubi wünscht sich gar das Schleifchen, das Mädi gelegentlich ins Haar gebunden wird, und spielt gerne mit ihrem Puppenwagen – wenn auch in wilder Fahrt. Mädi hingegen mag Bubis Schaukelpferd „Braunchen“ lieber als ihre Puppen oder deren Wagen, und beide Kinder sind recht wehrhaft gegenüber anderen in der Sandkiste.

Was mich eher nervt, ist die extrem Kleinkind-hafte Sprache: „Mutti sagt, wir sind gansch gleich alt, darum sind wir Schwillinge.“ (Mädi) oder oder „Ich war son groß, wie Mädi noch so klein war, darum muß ich doch viel mehr alt sein.“ (Bubi) – diese wird bis zum Ende durchgehalten und dürfte selbst-lesenden Kinder schlicht nicht mehr genügen. Dazu werden auch die Spielzeuge oder Tiere als Handelnde gesehen, so dass sich die Puppen häufig über die Vernachlässigung durch Mädi beschweren oder Bubi eine Traumreise durch das Fernrohr des Vaters unternimmt. Dazu passt auch die direkte Ansprache durch die Autorin wie im ersten Satz – allenthalben eher für Kinder im Vorschulalter zum Vorlesen. Früher.

Wenn man das genannte ignoriert und weiterliest, kommt man aber über weitere Stolpersteine: ich habe aufgehört zu zählen, wie oft der 4-jährige Bubi nicht weint, weil ein Mann das halt nicht tut. Und dass Mädi die schüchternere von beiden ist, passt sicher auch ins Bild. Wer Kleinkinder kennt, wird sich auch wundern, dass der gleichaltrige Junge der sprachgewandtere von beiden ist; aber natürlich kann das in Einzelfällen sein. Ein Besserwisser, der seine Schwester oft belehrt, und dafür nie getadelt wird, ist er allemal. Die Rute steckt hinter dem Spiegel – und wird auch benutzt, für beide; sicherlich entsprechend der damaligen Gepflogenheiten – und durchaus von der Autorin als erzieherische Warnung an die kleinen Leser formuliert (z.B. „Aber Bubi bekommt vom Vater mit einem anderen Stöckchen Hiebe. Der läuft in seinem Leben nicht wieder davon!“). Insgesamt scheint gerade auch der Vater eher liebevoll-amüsiert auf den Unfug der Kleinen zu reagieren.

Womit ich mich dann komplett schwertue, sind die Begebenheiten auf der Reise in den Schwarzwald. Bei einem einzigen Ausflug im Schwarzwald kommt es zur Begegnung mit den Geschistern „Hansl“ und „Gretl“ (aber ja doch). Gretls Vorbild im fürsorglichen Umgang mit ihrer Puppe sowie die Verachtung von Hansl dafür, dass Bubi doch tatsächlich mit Puppen spielt, sorgen dafür, dass die Kinder bei ihrer Rückkehr brav rollenkonform werden. Und heute regen sich manche Menschen über Bücher auf mit Trans-Kindern oder Kindern mit zwei Vätern…Immerhin, der Stil ist durchgängig angenehm mit viel Humor und Witz.

Else Ury wurde 1877 in eine wohlhabende Familie geboren. In der wilhelmischen Zeit und in der Weimarer Republik gelang es ihr, mit ihren Büchern eine hohe Bekanntheit und einen eigenen Wohlstand zu erwerben, zu einer Zeit, in der es in ihrer Heimat Berlin noch nicht einmal ein einziges Mädchengymnasium gab. Ungeachtet der zu dieser Zeit für eine Frau ungewöhnlichen Verfolgung eigener Talente und Interessen und des Einkommens aus eigener Kraft blieb in ihrem Werk das Frauenbild erhalten, dessen höchste Erfüllung die Ehe und Mutterschaft sind. Der Band „Nesthäkchen und der Weltkrieg“ (Erster Weltkrieg) war gar wegen des Patriotismus und der Verharmlosung des Krieges nach 1945 auf dem Index der Alliierten. Insgesamt propagierte Urys Werk eine Haltung, die auch nach der Machtergreifung Hitlers viele Anhänger in Deutschland fand. Else Ury wurde am 13. Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Sie war Jüdin.


Meine Sternebewertung ist als "neutral" zu verstehen. Ein Buch seiner Zeit, damals sicher eher teils fortschrittlich (der liebevolle Vater), aber definitiv kein heutiges Kinderbuch.

Veröffentlicht am 15.09.2020

Cozy-Krimi um Mops „Holmes“ als Ermittler (und ein paar Menschen)

Mopsfluch
0

Mops Holmes darf mit seinen Eltern seinFrauchen Marlene zu ihrer Schwester nach Frankreich begleiten, denn deren heißgeliebter wertvoller Zuchtstier ist spurlos verschwunden.
Als menschliche Verstärkung ...

Mops Holmes darf mit seinen Eltern seinFrauchen Marlene zu ihrer Schwester nach Frankreich begleiten, denn deren heißgeliebter wertvoller Zuchtstier ist spurlos verschwunden.
Als menschliche Verstärkung fahren Frauchens beste Freundin Jackie und deren Lebensgefährte mit, Detektiv Waterson.
Waterson und Holmes haben zusammen bereits vorher ermittelt – ich kannte keinen der anderen Fälle vorher und auch, wenn darauf gelegentlich angespielt wird, war das kein Problem bei der Lektüre.

Da Holmes ein Mops ist, „spricht“ er in Worten nur mit anderen Tieren – bei Menschen bellt er zustimmend oder versucht auf andere Art, sie auf etwas aufmerksam zu machen. Selbst bei den Tieren hilft diese Fähigkeit jedoch nicht immer, wie er anhand der Herde des Zuchtstiers feststellen darf: „Nach etwa einer halben Stunde hatte ich mir ein Bild vom Täter machen können: Er war groß-klein, blond-braun-schwarzhaarig, dick-dünn und fuhr ein blau-grün-schwarz-rotes Auto. Super, Kühe taugten als Zeugen etwa soviel wie Menschen.“ S 43.

Bald jedoch überschlagen sich in dem einsamen Ort die Ereignisse: auf dem Zaun des benachbarten Hotels hängt eine Leiche (blutiger wird es nicht, Details beschränken sich darauf, dass dem Dorfpolizisten schlecht wird; daher Einordnung als „Cozy-Krimi“), das Telefon fällt aus, es gibt Ressentiments gegen die Deutschen und zu allem Übel verschwindet plötzlich noch Holmes' Mama Nelly.

Sabotiert jemand das Hotel? Kam der Tote auf den Zaun durch Mord oder Selbstmord? Was bedeuten die seltsamen Gerüche im Hotelzimmer des Toten? Und wo ist der Stier, wo ist Holmes‘ Mama?

Ich hatte mir eine leichte Lektüre versprochen mit niedlichen Akteuren und nur eher „hygienischem“, wenig brutalen Verbrechen und genau das bekommen (sieht man einmal vom Geruch im Kuhstall ab oder der Tatsache, dass natürlich nur ganz böse Menschen einen Mops ängstigen würden). Gut gelöst fand ich, dass die Tiere ausschließlich untereinander sprechen können und mit den Menschen eher so interagieren, wie man das als Tierbesitzer gerne empfindet („ich war mit dem Hund draußen und wir haben uns unterhalten“). Ja, das ist sehr vermenschlicht und niedlich (und passend für die entsprechende Stimmung als Leser). Somit hätte ich 4 von 5 Punkten gegeben, wäre ich nicht wirklich reichlich genervt gewesen von den vielen Fehlern in meiner Ausgabe, beim nervigen „Francois“ statt „François“ angefangen über oft mehrfache Wortwiederholungen innerhalb weniger Sätze bis hin zu weiterem an Patzern ; auch Sprache/Satzbau waren mir teils zu einfach (das allein hätte aber immer noch 4 Punkte bedeutet). Das wäre jedoch für mich kein generelles Argument gegen die Autorin, wie auch die Leseprobe vom ersten Band (im Anhang) belegt.