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Veröffentlicht am 02.10.2020

Eine entwaffnend realistische, ehrliche und charmante Coming-of-Age-Geschichte!

In meinem Kopf klangs irgendwie besser
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Kennt ihr diese Bücher, die von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, nicht besonders außergewöhnlich wären, aber beim Lesen dennoch einen Effekt haben, der sich schwer beschreiben lässt? "In meinem ...

Kennt ihr diese Bücher, die von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, nicht besonders außergewöhnlich wären, aber beim Lesen dennoch einen Effekt haben, der sich schwer beschreiben lässt? "In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ist ein sympathisches, grundehrliches Jugendbuch voller skurriler Situationen, Gedanken und Gefühlen, die wir, wenn wir ehrlich sind alle mal gehabt haben.


"Jeder weiß, dass man nächtlichen Gefühlen nicht wirklich trauen kann - und je später der Abend, desto unzuverlässiger sind sie. Alles, was man nach 22 Uhr empfindet, ist schon eher fragwürdig, und alles nach Mitternacht kann man dann getrost vergessen."


Die Gestaltung des dünnen Büchleins ist eigentlich nicht besonders spektakulär: pastellige Wasserfarben, eine Denkblase mit dem Titel und zwei verliebte Köpfe. Dennoch passt sie ganz wunderbar zu dieser zaghaften, verkopften, schüchternen und doch wundervoll direkten Geschichte. Auch der Titel, der eine direkte Übersetzung des Originals "It Sounded Better In My Head" ist, passt perfekt und beschreibt mein ganzes Leben ganz gut . Ebenfalls positiv zu erwähnen sind die irrwitzigen Kapitelüberschriften (so etwas wie "Irgendetwas Unanständiges auf einer Parkbank..." oder "Die Wahrheit oder so was Ähnliches"), die von einer dunklen Sprechblase mit der Kapitelnummer begleitet werden. Zwar gefällt mir das blaue Originalcover mit den Strichzeichnungen der beiden Protagonisten besser als das deutsche mit den Fotos - insgesamt gibt es aber einen deutlichen Daumen hoch für die Gestaltung.


Erster Satz: "Es ist Weihnachten, wir sind gerade mit unserem alljährlichen Scrabble-Spiel nach dem Mittagessen fertig (mit Bonuspunkten für Worte, die irgendwie mit Weihnachten zu tun haben), als Dad sagt, wir müssten reden."


Mit 270 Seiten ist "In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ein dünnes Büchlein und dementsprechend dünn ist auch die Handlung, die aber ausreicht, um Natalies komplette Welt auf den Kopf zu stellen. Ihre Eltern wollen sich trennen? Sie wird auf ihre erste Party eingeladen? Sie kommt dem großen Bruder ihres besten Freundes an Silvester näher? Der eigentliche Plot kommt mit nicht viel Neuem oder Bemerkenswertem daher, vielmehr sind es die kleinen Momente dazwischen, die ans Herz gehen und ins Schwarze treffen. Die stillen Momente, inneren Monologe, seltsamen Gedanken und treffende Gefühlsbeschreibungen der Protagonistin, die auch den Leser mit viel Charme und Witz in ein Gefühlschaos stürzen und dafür sorgen, dass die bekannten Zutaten und banalen Alltagssituationen nicht ins Gewicht fallen. Ein kleines Beispiel gefällig?


"Alex gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, zum ersten Mal in meinem Leben begehrt und wirklich gesehen zu werden. Was natürlich problematisch ist, weil ich mich ja erst mal selbst lieben und akzeptieren soll. Diese Botschaft ist mir schließlich jahrelang über alle nur denkbaren Empfangskanäle eingehämmert worden: Nie im Leben darfst du dein Selbstbewusstsein von einem Typen abhängig machen. Das würde sämtlichen feministischen Grundsätzen widersprechen, von denen ich je gehört habe, jeder Lektion, die mir an meiner fortschrittlichen Mädchenschule beigebracht wurde, jeder positiven Ermächtigungsbotschaft, die jemals irgendwer auf Instagram geteilt hat. Eine Frau muss nicht gerettet werden, sie rettet sich selbst. Sei die Heldin deiner eigenen Geschichte. Sei Katniss, nicht Bella. Obwohl ich mich mit Bellas Abhängigkeit immer viel besser identifizieren konnte, als mit Katniss mentaler Stärke. Aber alle, die immer sagen, man solle sich selbst lieben, haben leider keinen Tipp dafür, wie man damit klarkommt, wenn andere einem "hässliche Schlampe" hinterherbrüllen, oder wie man das Gefühl überwindet, dass gute Tage nur dann gut sind, wenn man möglichst viel von sich verstecken kann, und wie man sich begehrenswert fühlen soll, wenn einen noch nie jemand begehrt hat. Allein bin ich in dieser Frage noch nicht weitergekommen, aber Alex gibt mir das Gefühl, der Lösung schon ein bisschen näher zu sein.
Außerdem hat er einfach tolles Haar."


Egal ob über Akne, Partygespräche, das erste Mal, Schwitzflecken, Perioden-Auslauf-Ängste oder Zukunftsplanung - Nina Kenwood schreibt so abgeklärt, nüchtern, routiniert, dabei aber mit so viel Herz und Treffsicherheit, dass es kaum zu glauben ist, dass wir hier ihr Romandebüt vorliegen haben. Klar, der Roman ist jetzt vielleicht nicht das spektakulärste Werk der Weltliteratur, dafür aber sehr nahegehend und persönlich und schafft das, was jedes gute Jugendbuch erreichen sollte: es wird zu einer persönlichen Erfahrung, es spricht zum Leser, es lässt Natalies Gefühle und Gedanken zu den eigenen werden. Nina Kenwood lässt ihre Figuren all das durchleben, denken und fühlen, was wir alle auch schonmal durchgemacht haben und so werden wir und die Protagonisten Verbündete gegen die Unwägbarkeiten des Erwachsenwerdens. Mit klaren, ehrlichen Worten trifft sie immer wieder den richtigen Ton, sodass selbst peinliche Szenen eher lustig als zum Fremdschämen sind. Spritzige Dialoge, messerscharfe Beobachtungen, wohlüberlegte Textnachrichten und die ein oder andere verrückte Aktion machen diese Geschichte zu einem abwechslungsreichen Leseerlebnis.


"Jetzt im Moment ist eigentlich die beste Phase - bevor ich enttäuscht werden kann, bevor ich rausfinde, dass Alex sich kein Stück für mich interessiert, bevor ich irgendwas vermasseln kann. Hier und jetzt ist noch alles möglich."


Am beeindruckendsten ist aber das Charakterporträt der Protagonistin, mit der ich so sehr identifiziert habe wie schon seit Langem nicht mehr. Natalie trinkt nichts, geht nicht auf Partys und weiß nicht, wie man außerhalb ihres Bekanntenkreises eine Konversation startet. Sie hat Angst vor ihrer Zukunft, keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und wer sie eigentlich sein will. Sie ist ungeküsst, Jungfrau, hatte noch nie eine romantische Beziehung und Angst davor, nicht begehrenswert zu sein. Also ja, sie ist sozial unbeholfen, unsicher und unerfahren. Sie ist also ... ein ganz normaler Teenager. Sie ist du, sie ist ich, sie ist das Mädchen von Nebenan, deine Schwester oder deine beste Freundin. Alles, was sie beschäftigt sind typische Coming-Of-Age-Themen, all ihre Unsicherheiten werden aber so lebhaft und eindrücklich geschildert, dass sich auch ältere LeserInnen in Natalies Gedanken und Bemühungen wiederfinden werden. Eigentlich finde ich Highschool-Geschichten mittlerweile ein bisschen anstrengend, da ich ihnen in gewissermaßen entwachsen bin, hier hat die Autorin aber so viele Komplexe, Fragen, Gefühle und Gedanken verpackt, die mich auch beschäftigt haben/noch beschäftigen, sodass ich mit Natalie nur mitfühlen konnte.


"Er sagt, für ihn wärs okay."
Okay. Was für ein mieses kleines Wort. Okay ist das Gegenteil von Begeisterung, von verborgener Leidenschaft, okay ist nicht mal der Versuch, Begeisterung zu verstecken. Okay ist pure Gleichgültigkeit. Okay ist okay. Mir wäre alles lieber gewesen als ein Okay."


Auch ihre Gedanken bezüglich ihrer neuen Beziehung zu Alex waren so... wahr. Der Zwiespalt zwischen der Sucht nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, die der Einsicht gegenübersteht, dass sie ihren Selbstwert nicht so von der Zuwendung einer anderen Person abhängig machen sollte. Ihre inneren Monologe sind sarkastisch, von leiser Intelligenz und einzigartig absurd. Ihr innerer Aufruhr schmerzhaft treffsicher und sensibel dargestellt. Ihre Weltsicht realistisch, ehrlich und manchmal etwas zynisch. Ihr Porträt der ersten Liebe süß zwar, aber ohne Zuckerguss, Regenbögen und Einhörner. Und wie alle guten Geschichten endet ihr Weg... offen.


"Ich liebe sie beide so sehr, dass es total widersinnig ist, über ihr Glück auch nur im Geringsten unglücklich zu sein. Aber ich bin es nun mal, denn sie brauchen meine Liebe jetzt nicht mehr so sehr wie ich ihre, und das tut einfach weh."





Fazit:


"In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ist eine entwaffnend realistische, ehrliche und charmante Coming-of-Age-Geschichte voller skurriler Situationen, Gedanken und Gefühlen, die wir, wenn wir ehrlich sind, alle schonmal mal gehabt haben. Das große Identifikationspotential der jugendlichen Protagonistin, der treffsichere Schreibstil und die humorvoll angesprochenen Probleme des Erwachsenwerdens machen diesen Jugendroman zu einem persönlichen und nahegehenden Erlebnis.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.10.2020

Eine entwaffnend realistische, ehrliche und charmante Coming-of-Age-Geschichte!

In meinem Kopf klangs irgendwie besser
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Kennt ihr diese Bücher, die von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, nicht besonders außergewöhnlich wären, aber beim Lesen dennoch einen Effekt haben, der sich schwer beschreiben lässt? "In meinem ...

Kennt ihr diese Bücher, die von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, nicht besonders außergewöhnlich wären, aber beim Lesen dennoch einen Effekt haben, der sich schwer beschreiben lässt? "In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ist ein sympathisches, grundehrliches Jugendbuch voller skurriler Situationen, Gedanken und Gefühlen, die wir, wenn wir ehrlich sind alle mal gehabt haben.


"Jeder weiß, dass man nächtlichen Gefühlen nicht wirklich trauen kann - und je später der Abend, desto unzuverlässiger sind sie. Alles, was man nach 22 Uhr empfindet, ist schon eher fragwürdig, und alles nach Mitternacht kann man dann getrost vergessen."


Die Gestaltung des dünnen Büchleins ist eigentlich nicht besonders spektakulär: pastellige Wasserfarben, eine Denkblase mit dem Titel und zwei verliebte Köpfe. Dennoch passt sie ganz wunderbar zu dieser zaghaften, verkopften, schüchternen und doch wundervoll direkten Geschichte. Auch der Titel, der eine direkte Übersetzung des Originals "It Sounded Better In My Head" ist, passt perfekt und beschreibt mein ganzes Leben ganz gut . Ebenfalls positiv zu erwähnen sind die irrwitzigen Kapitelüberschriften (so etwas wie "Irgendetwas Unanständiges auf einer Parkbank..." oder "Die Wahrheit oder so was Ähnliches"), die von einer dunklen Sprechblase mit der Kapitelnummer begleitet werden. Zwar gefällt mir das blaue Originalcover mit den Strichzeichnungen der beiden Protagonisten besser als das deutsche mit den Fotos - insgesamt gibt es aber einen deutlichen Daumen hoch für die Gestaltung.


Erster Satz: "Es ist Weihnachten, wir sind gerade mit unserem alljährlichen Scrabble-Spiel nach dem Mittagessen fertig (mit Bonuspunkten für Worte, die irgendwie mit Weihnachten zu tun haben), als Dad sagt, wir müssten reden."


Mit 270 Seiten ist "In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ein dünnes Büchlein und dementsprechend dünn ist auch die Handlung, die aber ausreicht, um Natalies komplette Welt auf den Kopf zu stellen. Ihre Eltern wollen sich trennen? Sie wird auf ihre erste Party eingeladen? Sie kommt dem großen Bruder ihres besten Freundes an Silvester näher? Der eigentliche Plot kommt mit nicht viel Neuem oder Bemerkenswertem daher, vielmehr sind es die kleinen Momente dazwischen, die ans Herz gehen und ins Schwarze treffen. Die stillen Momente, inneren Monologe, seltsamen Gedanken und treffende Gefühlsbeschreibungen der Protagonistin, die auch den Leser mit viel Charme und Witz in ein Gefühlschaos stürzen und dafür sorgen, dass die bekannten Zutaten und banalen Alltagssituationen nicht ins Gewicht fallen. Ein kleines Beispiel gefällig?


"Alex gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, zum ersten Mal in meinem Leben begehrt und wirklich gesehen zu werden. Was natürlich problematisch ist, weil ich mich ja erst mal selbst lieben und akzeptieren soll. Diese Botschaft ist mir schließlich jahrelang über alle nur denkbaren Empfangskanäle eingehämmert worden: Nie im Leben darfst du dein Selbstbewusstsein von einem Typen abhängig machen. Das würde sämtlichen feministischen Grundsätzen widersprechen, von denen ich je gehört habe, jeder Lektion, die mir an meiner fortschrittlichen Mädchenschule beigebracht wurde, jeder positiven Ermächtigungsbotschaft, die jemals irgendwer auf Instagram geteilt hat. Eine Frau muss nicht gerettet werden, sie rettet sich selbst. Sei die Heldin deiner eigenen Geschichte. Sei Katniss, nicht Bella. Obwohl ich mich mit Bellas Abhängigkeit immer viel besser identifizieren konnte, als mit Katniss mentaler Stärke. Aber alle, die immer sagen, man solle sich selbst lieben, haben leider keinen Tipp dafür, wie man damit klarkommt, wenn andere einem "hässliche Schlampe" hinterherbrüllen, oder wie man das Gefühl überwindet, dass gute Tage nur dann gut sind, wenn man möglichst viel von sich verstecken kann, und wie man sich begehrenswert fühlen soll, wenn einen noch nie jemand begehrt hat. Allein bin ich in dieser Frage noch nicht weitergekommen, aber Alex gibt mir das Gefühl, der Lösung schon ein bisschen näher zu sein.
Außerdem hat er einfach tolles Haar."


Egal ob über Akne, Partygespräche, das erste Mal, Schwitzflecken, Perioden-Auslauf-Ängste oder Zukunftsplanung - Nina Kenwood schreibt so abgeklärt, nüchtern, routiniert, dabei aber mit so viel Herz und Treffsicherheit, dass es kaum zu glauben ist, dass wir hier ihr Romandebüt vorliegen haben. Klar, der Roman ist jetzt vielleicht nicht das spektakulärste Werk der Weltliteratur, dafür aber sehr nahegehend und persönlich und schafft das, was jedes gute Jugendbuch erreichen sollte: es wird zu einer persönlichen Erfahrung, es spricht zum Leser, es lässt Natalies Gefühle und Gedanken zu den eigenen werden. Nina Kenwood lässt ihre Figuren all das durchleben, denken und fühlen, was wir alle auch schonmal durchgemacht haben und so werden wir und die Protagonisten Verbündete gegen die Unwägbarkeiten des Erwachsenwerdens. Mit klaren, ehrlichen Worten trifft sie immer wieder den richtigen Ton, sodass selbst peinliche Szenen eher lustig als zum Fremdschämen sind. Spritzige Dialoge, messerscharfe Beobachtungen, wohlüberlegte Textnachrichten und die ein oder andere verrückte Aktion machen diese Geschichte zu einem abwechslungsreichen Leseerlebnis.


"Jetzt im Moment ist eigentlich die beste Phase - bevor ich enttäuscht werden kann, bevor ich rausfinde, dass Alex sich kein Stück für mich interessiert, bevor ich irgendwas vermasseln kann. Hier und jetzt ist noch alles möglich."


Am beeindruckendsten ist aber das Charakterporträt der Protagonistin, mit der ich so sehr identifiziert habe wie schon seit Langem nicht mehr. Natalie trinkt nichts, geht nicht auf Partys und weiß nicht, wie man außerhalb ihres Bekanntenkreises eine Konversation startet. Sie hat Angst vor ihrer Zukunft, keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und wer sie eigentlich sein will. Sie ist ungeküsst, Jungfrau, hatte noch nie eine romantische Beziehung und Angst davor, nicht begehrenswert zu sein. Also ja, sie ist sozial unbeholfen, unsicher und unerfahren. Sie ist also ... ein ganz normaler Teenager. Sie ist du, sie ist ich, sie ist das Mädchen von Nebenan, deine Schwester oder deine beste Freundin. Alles, was sie beschäftigt sind typische Coming-Of-Age-Themen, all ihre Unsicherheiten werden aber so lebhaft und eindrücklich geschildert, dass sich auch ältere LeserInnen in Natalies Gedanken und Bemühungen wiederfinden werden. Eigentlich finde ich Highschool-Geschichten mittlerweile ein bisschen anstrengend, da ich ihnen in gewissermaßen entwachsen bin, hier hat die Autorin aber so viele Komplexe, Fragen, Gefühle und Gedanken verpackt, die mich auch beschäftigt haben/noch beschäftigen, sodass ich mit Natalie nur mitfühlen konnte.


"Er sagt, für ihn wärs okay."
Okay. Was für ein mieses kleines Wort. Okay ist das Gegenteil von Begeisterung, von verborgener Leidenschaft, okay ist nicht mal der Versuch, Begeisterung zu verstecken. Okay ist pure Gleichgültigkeit. Okay ist okay. Mir wäre alles lieber gewesen als ein Okay."


Auch ihre Gedanken bezüglich ihrer neuen Beziehung zu Alex waren so... wahr. Der Zwiespalt zwischen der Sucht nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, die der Einsicht gegenübersteht, dass sie ihren Selbstwert nicht so von der Zuwendung einer anderen Person abhängig machen sollte. Ihre inneren Monologe sind sarkastisch, von leiser Intelligenz und einzigartig absurd. Ihr innerer Aufruhr schmerzhaft treffsicher und sensibel dargestellt. Ihre Weltsicht realistisch, ehrlich und manchmal etwas zynisch. Ihr Porträt der ersten Liebe süß zwar, aber ohne Zuckerguss, Regenbögen und Einhörner. Und wie alle guten Geschichten endet ihr Weg... offen.


"Ich liebe sie beide so sehr, dass es total widersinnig ist, über ihr Glück auch nur im Geringsten unglücklich zu sein. Aber ich bin es nun mal, denn sie brauchen meine Liebe jetzt nicht mehr so sehr wie ich ihre, und das tut einfach weh."





Fazit:


"In meinem Kopf klangs irgendwie besser" ist eine entwaffnend realistische, ehrliche und charmante Coming-of-Age-Geschichte voller skurriler Situationen, Gedanken und Gefühlen, die wir, wenn wir ehrlich sind, alle schonmal mal gehabt haben. Das große Identifikationspotential der jugendlichen Protagonistin, der treffsichere Schreibstil und die humorvoll angesprochenen Probleme des Erwachsenwerdens machen diesen Jugendroman zu einem persönlichen und nahegehenden Erlebnis.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

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Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

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