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Veröffentlicht am 16.02.2021

Eine Frau geht (und findet) ihren Weg...

Lotte Lenya und das Lied des Lebens
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Eva Neiss hat mit ihrem Debütroman „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ (Untertitel: „Die Frau, die Kurt Weill und Bertolt Brecht ihre Stimme schenkte“) eine interessante und auch spannende Roman-Biografie ...

Eva Neiss hat mit ihrem Debütroman „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ (Untertitel: „Die Frau, die Kurt Weill und Bertolt Brecht ihre Stimme schenkte“) eine interessante und auch spannende Roman-Biografie geschrieben. Es ist durchgängig im Präsens geschrieben, dadurch fiel es mir sehr leicht, mich als anwesende Teilnehmerin des Geschehens zu fühlen – quasi den Protagonisten über die Schulter zu schauen.
Der Prolog und der Epilog beschreiben einen Besuch Lottes bei Brecht in Ost-Berlin m Jahr 1955. Sie möchte seine Einwilligung für eine Schallplatte mit „Weills Liedern“ (und mit Brechts Texten), denn „sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit all ihrer Kraft zu verhindern, dass er in den Augen der Welt an Bedeutung verlieren sollte, bloß weil er selbst sie nicht mehr sehen konnte.“ (S.8)
Zwischen dem Prolog und dem Epilog erfahren wir gegliedert in zwei Akte und diverse Szenen Lottes Leben in der Zeit von Sommer 1924 bis September 1935, zwischendurch kleine Rückblicke auf Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauers traumatische Kindheit in Wien (und den tragischen Grund für ihren Künstlernamen Lotte Lenja - später Lenya). So erleben wir z.B. das erste Zusammentreffen von Lotte mit Kurt Weill, wie sie gemeinsam Brecht kennenlernen, die Entstehungsgeschichte „Der Dreigroschenoper“, die Proben - und bangen gemeinsam mit den Protagonisten, ob es tatsächlich zur Premiere kommen wird – oder ob alles im Chaos versinkt... und lesen viele weitere Informationen, die mir neu waren, u.a. was Lion Feuchtwanger zur „Dreigroschenoper“ beigetragen hat…
Aber die Autorin beschreibt auch präzise das Zeitgeschehen: das erst schleichende, später immer rasanter werdende Erstarken der Nationalsozialisten, z.B. bei der Premiere von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ lässt sie Lotte denken: „Ob diese Braunhemden jemals begreifen werden, dass ihre mahagonifarbenen Uniformen ihn zu dem Namen der abscheulichen Stadt inspiriert haben?... Also hat sie das Gefühl nicht getrogen, dass mit ihnen etwas Bösartiges in den Saal gekrochen war.“ (S.175) Dies ist natürlich umso bitterer, da Kurt Weill Jude war...
Das Ehepaar Weill entfremdet sich, Lotte findet einen Liebhaber, reicht die Scheidung ein, bleibt ihrem Mann aber verbunden, so dass sie Teile seines Vermögens rettet, als er vor einer drohenden Inhaftierung schnell nach Frankreich flüchten muss. Wir erfahren dies aus Lottes Perspektive, Weill und Brecht sind „Randfiguren“... Lotte bemerkt aber bald, dass sie ohne „Kurtchen“ nicht leben kann, dass er ihre „Heimat“ ist – und so endet das Buch vor dem Epilog mit der Ankunft des Paares 1935 in New York.
Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen, das ist sicherlich den vielen neuen Informationen geschuldet, aber auch dem unaufgeregten Schreibstil, der sachlich (ohne jemals ins Kitschige abzugleiten!) mit menschlicher Wärme und stets respektvoll über Lotte Lenya berichtet.
Es ist eine Roman-Biografie: klar, wir wissen nicht, ob Lotte Lenya tatsächlich so gedacht hat, aber mir reicht, dass sie so gedacht haben k ö n n t e ! Von Vorteil – dass schreibt die Autorin selbst in ihrem Nachwort – war: „...meine Protagonistin hat sich in zahlreichen Interviews freimütig zu ihrem Leben geäußert, deshalb bilde ich mir ein, dass ich ein Stück weit in ihre Haut schlüpfen konnte.“ (S.328)
Ich hoffe sehr, dass Eva Neiss noch viele Bücher schreiben wird, denn ich habe dieses Buch mit sehr großem Genuss gelesen und kann es wirklich wärmstens weiterempfehlen - und ich bin sicher, dass ich es dieses Jahr noch einige Mal verschenken werde!

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Veröffentlicht am 31.10.2020

Martha steht ihre Frau, in Hamburg Anfang des 20. Jahrhunderts...

Die Hafenschwester (2)
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„Die Hafenschwester – Als wir wieder Hoffnung hatten“ ist der 2. Band einer Trilogie von Melanie Metzenthin. Band 3 wird wohl im September 2021 erscheinen. Man kann diese Bände sicherlich auch einzeln ...

„Die Hafenschwester – Als wir wieder Hoffnung hatten“ ist der 2. Band einer Trilogie von Melanie Metzenthin. Band 3 wird wohl im September 2021 erscheinen. Man kann diese Bände sicherlich auch einzeln lesen, es gibt genügend Rückblenden. Mir hat es aber sehr gut gefallen, die verschiedenen Entwicklungsschritte der Protagonisten mitzuerleben.
Ich war sofort wieder in der Geschichte, eigentlich so, als ob man gute Bekannte wieder trifft, die man länger nicht gesehen hat...
Es beginnt 1913, Martha und Paul sind verheiratet und haben drei Kinder, Ihre Wohnung ist fortschrittlich mit Gasherd in der Küche und eigenem Badezimmer mit Badeofen und Spültoilette (Marthas Vater fragte, ob es nicht unhygienisch sei, die Toilette direkt in der Wohnung zu haben). Martha arbeitet noch immer ehrenamtlich als Hafenschwester, da Paul gut verdient. Das größte Ereignis dieses Jahres ist für die Familie ein Besuch in den USA bei Marthas Freundin Milli. Milli ist durch ihren Mann gut situiert und schenkt ihnen eine Reise mit dem damals größten Passagierschiff der Welt. Ich habe die „Neue Welt“ durch die Augen von Martha, Paul und den Kindern erlebt und konnte ihre Faszination nachvollziehen. Nach der Rückkehr folgt bald der 1. Weltkrieg, zu dem Paul auch eingezogen wird, obwohl er fast zu alt ist. Ich habe während dieser Zeit an den Nöten und Sorgen teilgenommen, den Hunger gespürt und war erschrocken über Pauls Verwundung. Das Buch endet Advent 1918 mit einer Feier bei Martha mit ihrer Familie und ihren Freunden, dort wird das „Wahlrecht für alle Deutschen“ (S. 481) gefeiert.
Durch Marthas chinesischer Schwägerin erfahren wir viel über die chinesische Kultur und über das Schicksal chinesischer Frauen in der damaligen Zeit.
Die Autorin hat mich sehr gekonnt in die damalige Zeit „gebeamt“, ich konnte mir alles sehr gut vorstellen. Gut, ich bin selbst Hamburgerin, dadurch war mir vieles bekannt, aber das Hamburg eine relativ große chinesische Gemeinde hatte und dass es in Hamburg einen riesigen HH (Helmut Haase) - Vergnügungspark gab, war auch mir vollkommen neu. Aber Melanie Metzenthin lässt uns -quasi nebenbei - tief in die damalige Zeit eintauchen. Durch das Buch werden wir angeregt über die Situation der Frauen damals (z.B. muss Paul Marthas Arbeitsvertrag unterschreiben!), Prostitution und weibliche Homosexualität nachzudenken. Und Martha und Paul sind politische Menschen, deshalb erfahren wir z.B. auch Hintergründe und Erklärungen zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Last but not least nehmen wir auch teil an den Neuerungen in der Medizin, hier besonders in der plastischen Chirurgie.
Fünf Jahre lang habe ich Familie Studt, ihre Angehörigen und Freunde in ihrem normalen Alltagsleben begleitet, mit allen Höhen und Tiefen, habe mit ihnen gelitten, gezittert, gebangt – aber mich ihnen auch gefreut und das eine oder andere Mal geschmunzelt!
Ich finde man merkt deutlich, dass Frau Metzenthin ihre Charaktere gernhat, sie gestaltet sie alle liebevoll und gibt ihnen eine Persönlichkeit, die ich als Leserin sofort nachempfinden kann. Und sie hat wirklich ausgezeichnet recherchiert, so dass „Geschichte“ (politisch oder medizinisch) verständlich wird, so dass auch ich den einen oder anderen „Aha“-Effekt hatte.
Ich kann hier wirklich eine ausgesprochene Leseempfehlung aussprechen und mir die Wartezeit bis zum Erscheinen des 3. Bandes mit anderen Büchern der Autorin „versüßen“!

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Veröffentlicht am 28.10.2020

Ein Aushilfsweihnachtmann mischt auf...

Tage voller Weihnachtszauber
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Anja Marschall war mir bisher als Autorin von (sehr guten) historischen Krimis und als Übersetzerin von Mary Elizabeth Braddon bekannt. Nun hat sie sich an ein neues Genre gewagt: Das Buch „Tage voller ...

Anja Marschall war mir bisher als Autorin von (sehr guten) historischen Krimis und als Übersetzerin von Mary Elizabeth Braddon bekannt. Nun hat sie sich an ein neues Genre gewagt: Das Buch „Tage voller Weihnachtszauber“ hat eine wahrhaft „zauberhafte“ Weihnachtsmärchen-Krimi Handlung!
Eigentlich möchte ich über den Inhalt möglichst wenig erzählen: Lena wurde vor fünf Jahren als frischgeborener Säugling vor dem Kinderheim St. Emmaus „abgelegt“. Trotz Bemühungen hat man weder den Namen ihrer Eltern noch ihr richtiges Geburtsdatum herausbekommen. Lena hat deshalb nur einen Wunsch an den Weihnachtsmann: sie möchte zu ihrer leiblichen Mutter! Doch dieses Jahr muss die Heimleiterin, Henriette Jonas, einen Ersatz-Weihnachtsmann engagieren – schon allein die Suche gestaltet sich schwierig, aber letztendlich wird sie fündig… Nur dumm: eigentlich will Manni, ein Altrocker, der mit seiner Ratte Beethoven auf einem Schrottplatz lebt, kein Weihnachtsmann sein, sein Ziel ist ein vollkommen anderes… Im weiteren Verlauf lernen wir weitere liebenswerte und – na ja – auch einige nicht so liebenswerte Menschen kennen… Und wir machen die Bekanntschaft mit Renate…
Mich hat die Geschichte regelrecht gefesselt – nachdem ich anfangs etwas schwer reingekommen bin. Nein, es lag nicht an der Geschichte, sondern: wer liest im Oktober schon eine Weihnachtsgeschichte? Aber nachdem ich meine persönlichen Prinzipien (keine Weihnachtssüßigkeiten vor Ende November!) gebrochen hatte, ausgerüstet mit einer Packung Spekulatius, konnte ich das Buch kaum noch aus der Hand legen…
Der Schreibstil ist flott, locker-flockig-leicht (aber das ist bei der Autorin keine große Überraschung), die verschiedenen Charaktere sorgsam ausgearbeitet, das Kopfkino springt schnell an, sogar ein Schneegestöber konnte ich mir bildhaft vorstellen.
Es ist eine nachdenkliche, magische (eben „zauberhaft“), amüsante (an vielen Stellen habe ich geschmunzelt und gelächelt), rührende (feuchte Augen inkl.) – aber an keiner Stelle kitschige Geschichte! Spannende und aufregende Momente (da kann Frau Marschall nicht verleugnen, dass sie aus der „Krimi-Ecke“ kommt) gibt es natürlich auch! Klar, man ahnt schnell, wie es ausgehen könnte, aber das mindert nicht den Charme des Buches!
Ich hätte die Personen gern weiter begleitet, ich würde wissen wollen, was weiter mit ihnen geschieht – vielleicht schreibt Frau Marschall eine Fortsetzungs-Weihnachtsgeschichte? Ich war jedenfalls richtig traurig, als ich das Buch beendet hatte – es war für mich wie ein kleiner, schöner Kurzurlaub vom grauen (Corona dominierten) Alltag!
Aus diesem Grund gibt es von mir eine ausdrückliche Leseempfehlung für dieses „verzaubernde“ Buch!

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Veröffentlicht am 16.10.2020

Immer wieder erschütternd...

Bis wir uns wiedersehen
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Die Engländerin Catherine Bailey hat für ihr Buch „Bis wir uns wiedersehen“ sehr eng mit Fey von Hassell und ihren Söhnen Corrado und Roberto zusammengearbeitet. Der Untertitel des Buches lautet: „Eine ...

Die Engländerin Catherine Bailey hat für ihr Buch „Bis wir uns wiedersehen“ sehr eng mit Fey von Hassell und ihren Söhnen Corrado und Roberto zusammengearbeitet. Der Untertitel des Buches lautet: „Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen“. Auf dem hinteren Cover steht: „Ein Geschichtskrimi allererster Güte – aber mit Happy End“. Ich bin mir nicht sicher, ob es an diesen Aussagen gelegen hat: ich hatte vollkommen andere Erwartungen an diese Geschichte…
Aber – obwohl ich unter anderen Voraussetzungen mit dem Lesen begonnen habe, hat mich dieses Buch und sein Inhalt sehr schnell in seinen Bann gezogen und mich regelrecht gefesselt.
Fey von Hassell (verheiratete Pirzio-Biroli) lebt 1944 mit ihren 3 und 2 Jahre alten Söhnen in dem von Deutschen besetzten Norditalien, ihr Mann in dem von Alliierten besetzten Rom. Am 8.9.1944 wird ihr Vater, Ulrich von Hassell, vom Volksgerichtshof im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20.Juli 1944 zum Tode verurteilt, 2 Stunden später wurde das Urteil vollstreckt.
Wiederum nur einen Tag später wird Fey in Sippenhaft genommen (ich persönlich habe immer beim Schreiben des Wortes „Sippenhaft“ große Bedenken, aber es scheint durchaus ein gängiger Begriff zu sein...), ihre beiden Söhne unter dem Namen „Vorhof“ in ein Waisenhaus gebracht. Für Fey beginnt eine Odyssee durch die deutschen KZs, da besonders Reichsinnenminister Heinrich Himmler die Angehörigen der deutschen Widerstandskämpfer als Art „Faustpfand“ für Waffenstillstandsverhandlungen und seine eigene mögliche Inhaftierung durch die Alliierten benutzen wollte. Aber das ahnten natürlich Fey und die anderen Sippenhäftlinge nicht, sondern sie hatten neben Hunger, Krankheit, Kälte immer ihren möglichen Tod vor Augen. Wobei ich aber auch unbedingt erwähnen möchte, dass es den Sippenhäftlingen im Vergleich zu den anderen KZ-Häftlingen relativ „gut“ ging!
Catherine Bailey hat es vortrefflich verstanden, die Geschichte von Fey mit der allgemeinen Situation in dieser Kriegsendphase zu verknüpfen, die Stimmung präzise einzufangen und prägnant zu beschreiben. So erfahren wir z.B. detailliert über die diversen Attentatsversuche auf Hitler (ich wusste bisher nicht, dass es soo viele waren!) und die Lage im von Deutschen besetzten Norditalien. Sie berichtet über die Verhältnisse und Umständen in den verschiedenen deutschen KZs, wie sie die „normalen“ Häftlinge erleiden mussten. Ich hatte gedacht, ich würde schon alle Gräueltaten der Nationalsozialisten und ihrer Schergen kennen, aber leider: weit gefehlt! Da war ich der Autorin sehr dankbar über ihren distanziert-kühlen und protokollähnlichen Schreibstil! Bei diesen Kapiteln musste ich zwischendurch immer mal wieder Pausen einlegen – z.T. einige Tage lang, um das Gelesene zu verarbeiten. Am 30.4.1945 wurden Fey und die weiteren 140 Sonder- und Sippenhäftlinge durch US-Truppen in Südtirol befreit (die SS-Männer, die den Transport bewachten, hatten den Befehl, die Gefangenen im Zweifelsfall zu erschießen), die Liste der SS-Geiseln liest sich wie ein Who-is-Who des deutschen Widerstands...
Nun begann die Suche der Eltern nach ihren Söhnen. Fey und ihr Mann Detalmo hielten sich in Italien auf und durften nicht nach Deutschland einreisen. Feys Mutter, Ilse von Hassell, schaffte es mit großem Einsatz unter dramatischen Umständen (und mit ganz viel Glück!), die Kinder zu finden – 14 Tage, bevor sie zur Adoption freigegeben werden sollten (das auf dem hinteren Cover versprochene Happy End)!
Ein abschließender Epilog rundet die Geschichte perfekt ab, ebenso helfen die verschiedenen Landkarten, sich zu orientieren. Auch Fotos ergänzen die Handlung. 34 Seiten Anmerkungen und ein sehr ausführliches Personenregister zeigen die intensive Recherchearbeit zu diesem Buch, Chapeau, Mrs. Bailey!
Ein sehr empfehlenswertes, ein eindrückliches, ein ganz besonderes Buch, das mir bestimmt im Gedächtnis bleiben wird und dem ich unbedingt eine große Leserzahl wünsche!

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Veröffentlicht am 08.10.2020

Der treue Johannes...

Der Getreue des Herzogs
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Johanna von Wild hat in ihrem historischen Roman „Der Getreue des Herzogs“ die Lebensgeschichte des Herzog Ulrich von Württemberg (1487 – 1550) aufgezeichnet, dies sehr spannend mit fiktiven Personen verwoben, ...

Johanna von Wild hat in ihrem historischen Roman „Der Getreue des Herzogs“ die Lebensgeschichte des Herzog Ulrich von Württemberg (1487 – 1550) aufgezeichnet, dies sehr spannend mit fiktiven Personen verwoben, so dass ich regelrecht durch die Geschichte „geflogen“ bin.
Aber gleich vornweg: ich werde kein Fan (oder im heutigen Sprachgebrauch: follower) von Ulrich werden, wie schon hinten auf dem Cover steht: „Verschwender, Mörder, Reformator“. Ja, diese Eigenschaften kommen in dem Roman gut heraus… nur seine Umsetzung der Reformation hat mir Respekt abgewonnen: er war der „erste protestantische Fürst seines Territoriums, er führte im ganzen Land die Reformation ein.“ (Wikipedia) Ansonsten bin ich heilfroh, dass ich zu seiner Zeit nicht in Württemberg gelebt habe (aber war es anderswo besser?)
Aber die Autorin hat Ulrich keineswegs „schöngeredet“, sondern zeigt ihn mit all seinen Schwächen. Ihm zur Seite – gewissermaßen als Gegenpol – hat sie Johannes gestellt, sein (fiktiver) bester Freund, der ihm das ganze Leben treu zur Seite steht (na ja, fast das ganze Leben, in seiner Egomanie lässt ihn Ulrich zwischendurch mal einkerkern…). Zwischendurch stellt Johannes sogar sein persönliches Glück zurück, um weiter seinem Freund zu Diensten zu sein. Natürlich dankt es Ulrich ihm nicht, sondern behandelt ihn weiterhin „schofelig“.
Die Autorin lässt die damalige Zeit vor unseren Augen entstehen: wir nehmen teil an den exzessiven Gelagen in der Dürnitz (Speise- und Gemeinschaftsraum in mittelalterlichen Burgen), schütteln den Kopf über Ulrichs Verschwendungssucht, leiden mit der armen Bevölkerung, sympathisieren mit dem „Armen Konrad“ (Bündnis von Bürgern, die gegen Ulrich aufbegehren), sind gerührt, als die Bevölkerung in der Kirche das erste Kirchenlied in deutscher Sprache hört (von Luther geschrieben) und ziehen mit Ulrich in diverse Schlachten, die eigentlich unnötig wären. Auch bei dem erwähnten Mord sind wir Augenzeugen. Ja, wir sind wirklich mittendrin…Durch den lebhaften und fesselnden Schreibstil werden wir mühelos in die Zeit zurückversetzt, das Kopfkino produziert sofort die passenden Bilder!
Man merkt deutlich, dass die Recherchearbeit intensiv und aufwendig war, in den „Anmerkungen zum Buch“ erklärt Frau von Wild einige Details, eine Zeittafel runden die historisch belegten Fakten ab. Ich habe durch dieses Buch viel über einen Teilaspekt der deutschen Geschichte gelernt und er wird mir sehr präsent bleiben.
Ich kenne von der Autorin bereits „Die Erleuchtung der Welt“ (über Mechthild von der Pfalz, Ulrichs Großmutter) und muss gestehen, dass mir „Die Erleuchtung“ etwas besser gefallen hat, aber das mag 1) daran liegen, dass ich dort mehr Identifikationsfiguren gefunden habe und 2) Ulrich absolut kein Sympathieträger ist! Aber trotzdem hat mich Ulrichs Leben in seinen Bann gezogen – und das ist das Werk von Johanna von Wild – Chapeau!
Und genau deshalb kann ich auch eine uneingeschränkte Leseempfehlung für diesen historischen Roman aussprechen: interessant und faszinierend ist das Leben von Herzog Ulrich von Württemberg auf jeden Fall (auch wenn er – pardon – ein Ekelpaket war)!

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