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Veröffentlicht am 14.03.2021

In gewissem Maß spannend, aber auch enttäuschend

Der Solist
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REZENSION – Mit seinem neuen Krimi „Der Solist“, im Januar beim Rowohlt Verlag erschienen, startet Jan Seghers (63) eine neue Buchreihe um den nach Berlin versetzten BKA-Ermittler Neuhaus. Seghers kennt ...

REZENSION – Mit seinem neuen Krimi „Der Solist“, im Januar beim Rowohlt Verlag erschienen, startet Jan Seghers (63) eine neue Buchreihe um den nach Berlin versetzten BKA-Ermittler Neuhaus. Seghers kennt man durch die seine „Robert Marthaler“-Krimis. Dass der „Solist“ Neuhaus keinen Vornamen hat, ist nicht der einzige Unterschied zum Frankfurter Kommissar.
Im Auftaktroman „Der Solist“ geht es um tagesaktuelle Themen wie islamistischer Terror in Deutschland, Ausländerhass, Rechtsextremismus und ihm nahestehende Parteien, für die bei Seghers „Die Aufrechten“ stehen. Die Handlung setzt im September 2017 ein, nur wenige Monate nach dem Terroranschlag von Anis Amri auf dem Berliner Breitscheidplatz (19. Dezember). Als ein jüdischer Aktivist offensichtlich Opfer eines islamistischen Kommandos Anis Amri geworden ist, tritt die kürzlich gegründete Terrorabwehreinheit SETA unter Leitung von Günther Jeschke in Aktion. BKA-Ermittler Neuhaus, der dieser Elite-Einheit zugeteilt ist, arbeitet allerdings selbstständig und ist ausschließlich dem BKA-Präsidenten verantwortlich. Unterstützt wird er von der jungen deutsch-türkischen Kollegin Suna-Marie, einer waschechten Berlinerin. Kaum hat Neuhaus seine Ermittlungen aufgenommen, gibt es ein zweites Mordopfer des Amri-Kommandos – eine bekannte muslimische Anwältin.
Positiv anzumerken ist, dass das Buch schnörkellos geschrieben ist. Die Handlung geht in raschem Tempo voran. Der Roman liest sich deshalb leicht, ist auch spannend, verliert aber noch vor dem Ende an Dramatik. Das Buch ist eine willkommene Feierabend-Lektüre. Doch leider überwiegen die negativen Punkte: Vor allem die personelle Zusammenstellung dämpfte bald meine zunächst abwartende Begeisterung beim Lesen. Den einsamen, eigenbrödlerischen Kommissar und dessen junge engagierte Kollegin kenne ich ebenso wie den findigen Computer-Nerd Naresh Khan, in Deutschland geborener Sohn von Einwanderern, der später zum Team hinzustößt, kenne ich nur zu gut aus den ebenfalls in Berlin spielenden und aktuelle Themen aufgreifende „Eugen de Bodt“-Thrillern von Christian von Ditfurth, die literarisch aber auf einem viel höheren Niveau angesiedelt sind.
Störend empfand ich auch, dass im Gegensatz zur Kollegin Suna-Marie, die vom Autor interessant, sympathisch und vielschichtig charakterisiert wird, der eigentliche Protagonist Neuhaus noch ziemlich „blass“ daherkommt. Vielleicht will der Autor seine Hauptfigur erst in den Folgebänden aufbauen? Enttäuscht hat mich dann aber schließlich eine Schlüsselszene, da durch sie ziemlich frühzeitig deutlich wurde, wer hinter den Berliner Mordanschlägen steckt.
Im Gegensatz zu anderen Rezensenten, die den Roman als einen spannenden Auftakt einer neuen Krimi-Reihe loben, kann ich mich diesem Urteil überhaupt nicht anschließen. Ich finde den Roman recht einfach, ohne großen literarischen Anspruch und „mit der heißen Nadel gestrickt“. Es scheint, als wollte der Autor die oben genannten Themen – vor allem eines, das ich hier bewusst ausgelassen habe – schnell noch verarbeiten, solange sie aktuell sind. Ob sich eine Buchreihe wirklich lohnt, muss Jan Seghers noch beweisen.

Veröffentlicht am 14.01.2021

Gut lesbar, aber nur mäßig spannend

Vergeltung
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REZENSION – Der Name des britischen Schriftstellers Robert Harris (63) verspricht üblicherweise Spannung. Doch sein im November auf Deutsch veröffentlichter Roman „Vergeltung“ erreicht leider nicht jenes ...

REZENSION – Der Name des britischen Schriftstellers Robert Harris (63) verspricht üblicherweise Spannung. Doch sein im November auf Deutsch veröffentlichter Roman „Vergeltung“ erreicht leider nicht jenes Niveau, das wir von seinen Bestsellern „Vaterland“ (1992), „Enigma“ (1995) oder zuletzt „München“ (2017) gewohnt sind. Zwar widmet sich der Autor auch in seinem neuen Roman wieder einem bedeutenden Kapitel des Zweiten Weltkriegs, doch plätschert die Rahmenhandlung um den deutschen Ingenieur Dr. Rudi Graf und die britische Offizierin Kay Caton-Walsh, die der Autor um das eigentliche Thema des Einsatzes der deutschen Vergeltungswaffe V2 gesponnen hat, nur mäßig dahin und gewinnt erst ab Mitte des Buches etwas mehr an Dramatik.
Wir befinden uns im November 1944, nur sechs Monate vor Kriegsende. Das Deutsche Reich scheint besiegt, die Alliierten sind auf dem Vormarsch. Doch Hitler setzt alles auf seine „Wunderwaffe“, die von Wernher von Braun und seinen Ingenieuren in Peenemünde gebaute V2-Rakete – V wie Vergeltung. Rudi Graf, ein Freund Brauns seit Jugendzeiten, ist verantwortlicher Ingenieur im besetzten Holland, wo aus den Wäldern bei Scheveningen die ballistischen Flugkörper täglich von mobilen Abschussrampen in Richtung London gestartet werden. Die britischen Aufklärer können die in Überschallgeschwindigkeit fliegenden Raketen nicht orten, weshalb Kay Caton-Walsh und andere Soldatinnen des Frauenhilfsdienstes der Air Force im befreiten Belgien abgesetzt werden, um aus dortiger Nähe zur holländischen Grenze den Raketenstart zu beobachten, die Standorte der mobilen Startplätze zu berechnen und sie durch britische Bomber zerstören zu lassen.
Auch in „Vergeltung“ verbindet Robert Harris historisches Geschehen und real existierende Personen wie den deutschen Raketenbauer Wernher von Braun (1912-1977) und SS-General Hans Kammler (1901-1945) mit fiktiven Helden seines Romans, dessen Handlung zeitlich parallel und kapitelweise im Wechsel deren Geschichte erzählt. Zusätzlich erfahren wir aus Rudi Grafs Erinnerungen episodenhaft die Entwicklung des Raketenbaues seit 1928.
Wie Robert Harris im Nachwort schreibt, hat er sein Buch in den Wochen des ersten Corona-Lockdowns verfasst. Dies mag ein Grund sein, weshalb der Roman etwas lustlos aus Fakten und Fiktion zusammengeschrieben scheint. „Vergeltung“ lässt vor allem deshalb Spannung vermissen, da man hierzulande vielleicht genauer über Wernher von Braun und die V2 informiert ist, als es britische Leser sein mögen, weshalb diese Abschnitte des Romans eher langweilen. Bleibt die eigentliche Handlung um Rudi Graf und Kay Caton-Walsh. Doch deren Charaktere bleiben blass und wirken mit dem desillusionierten deutschen Ingenieur und der einsatzfreudigen britischen Offizierin, die zur Verteidigung ihrer Heimat „mit Rechenschieber und Logarithmentafeln“ gegen Deutschland kämpft, leider allzu klischeehaft. Da sind doch die Charaktere des von der Raumfahrt besessenen opportunistischen Wernher von Braun und des fanatischen SS-Generals Kammler, die beide im Roman nur als Randfiguren auftreten, wesentlich interessanter.
Robert Harris vermag mit seinem Roman kaum zu fesseln, wirkt die Handlung doch gelegentlich sogar unglaubwürdig. Wenn zum Beispiel Wernher von Braun als uniformierter SS-Sturmbannführer seinen unter Sabotageverdacht stehenden Freund Graf aus dem Verhör der SS befreit und ihn zurück nach Deutschland nimmt, als wäre der Verdächtige dort vor den Fängen der SS sicher. So bleibt „Vergeltung“ ein nur mäßig spannender, aber noch gut lesbarer Roman über ein interessantes Kapitel des Zweiten Weltkriegs. Mehr aber auch nicht.

Veröffentlicht am 12.11.2020

Leichte Krimi-Kost zum Feierabend

Maigret im Haus der Unruhe
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REZENSION – Neunzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien 2019 im Schweizer Kampa-Verlag und nun auch im Hamburger Atlantik-Verlag erstmals eine Übersetzung des Kriminalromans „Maigret im Haus der ...

REZENSION – Neunzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erschien 2019 im Schweizer Kampa-Verlag und nun auch im Hamburger Atlantik-Verlag erstmals eine Übersetzung des Kriminalromans „Maigret im Haus der Unruhe“. Es ist nach neuesten Erkenntnissen der erste Roman von Georges Simenon (1903-1989) um seinen Pariser Kommissar Jules Maigret, der den belgischen Schriftsteller weltbekannt machte und in 75 Romanen sowie 28 Erzählungen als Hauptfigur in mehr als 40 Jahren begleitete.
Fast noch spannender als dieser Krimi ist die Geschichte seiner Wiederentdeckung. Denn bisher galt, wie Verleger Daniel Kampa in seinem lesenswerten 20-seitigen Nachwort berichtet, der 1931 veröffentlichte Krimi „Maigret und Pietr der Lette“ als Auftakt der Maigret-Reihe. Doch ist, wie man heute weiß, die Figur Maigrets älter, zumal schon in frühen Romanen des jungen Simenon verschiedentlich Ermittler auftraten, gelegentlich sogar mit Namen Maigret. Doch erst 1929 ließ der damals 26-jährige Autor bei seinem Versuch, sich vom Groschenroman-Schreiber zu einem seriösen Schriftsteller zu wandeln, in drei Romanen seinen Kommissar zur Hauptfigur heranreifen, bis endlich im vierten, dem Krimi „Maigret im Haus der Unruhe“, Maigret seinen endgültigen Charakter hatte. Simenons Kommissar war nun ein Mann mittleren Alters mit stämmiger Figur, mit Melone, Mantel und unverzichtbarer Pfeife, der sich durch unerschütterliche Ruhe, Einfühlungsvermögen und seinem Verständnis für die Täter auszeichnete. Maigret war zum „Schicksalsflicker“ geworden, wie Simenon seinen Protagonisten nannte. Dieser vierte Roman aus dem Jahr 1929, der im Frühjahr 1930 in einer französischen Zeitung abgedruckt wurde, kam erst 1932 unter dem Pseudonym Georges Sim als Buch in den Handel, also ein Jahr nach „Maigret und Pietr der Lette“.
Worum geht es nun in diesem mit 90-jähriger Verspätung erstmals übersetzten Maigret-Roman? Während seines Nachtdienstes bekommt der Kommissar den Besuch einer jungen Frau. Sie bezichtigt sich, einen Mann erstochen zu haben. Als Maigret nach kurzem Telefonat im Nebenzimmer in sein Büro zurückkommt, ist sie verschwunden. Doch Maigret findet sie in einem Mehrfamilienhaus im Pariser Vorort Montreuil, wohin er am nächsten Morgen gerufen wird: Einer der Bewohner wurde ermordet. Die Ermittlungen sind schwierig, denn hinter ihrer bürgerlichen Fassade scheinen alle etwas zu verbergen.
Wir Leser stehen an den folgenden Tagen an Maigrets Seite bei den Vernehmungen, folgen ihm durch die Pariser Straßen auf der Suche nach dem Mörder. Verdächtige gibt es viele, der Fall ist verzwickt. Sogar Maigret weiß nicht, wie er damit umgehen und die darin verwickelten Personen einschätzen soll. Natürlich gelingt ihm trotz eines großen Verwirrspiels am Ende die Aufklärung. Doch darin findet Maigret keine Genugtuung. Schon in diesem ersten Krimi empfindet Simenons Kommissar Mitleid mit Täter und Opfern: „Er war missmutig. Er stand beim Ofen, die Hände auf dem Rücken, wie es seine Art war.“
Dieser nun nach 90 Jahren als erster Maigret-Krimi wiederentdeckte Roman ist literarisch nicht unbedingt anspruchsvoll. Aber er ist ein spannender Unterhaltungsroman und mit seinen nur 200 Seiten in großer Schrift bestens als Lektüre zum Feierabend geeignet. Für alle Freunde und Sammler der weltberühmten Krimireihe ist „Maigret im Haus der Unruhe“ allerdings eine unverzichtbare Ergänzung im Bücherregal.

Veröffentlicht am 04.09.2019

Enttäuschend - wie ein besserer Groschenroman

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
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REZENSION – Mit Spannung durfte man das neue Buch des Schweizer Schriftstellers Joël Dicker (34) erwarten. Immerhin war „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ (2012) ein mit dem Prix Goncourt prämierter ...

REZENSION – Mit Spannung durfte man das neue Buch des Schweizer Schriftstellers Joël Dicker (34) erwarten. Immerhin war „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ (2012) ein mit dem Prix Goncourt prämierter Weltbestseller. Auch „Die Geschichte der Baltimores“ (2016) wurde millionenfach verkauft. Doch Dickers neuester Roman „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ ist eine Enttäuschung.
Dabei beginnt die Geschichte um den Polizisten Jesse Rosenberg, der gerade mit Lobeshymnen aus dem Polizeidienst verabschiedet wurde, und seinen Kollegen Derek Scott recht vielversprechend: Während der Feier zu seiner Verabschiedung aus dem Polizeidienst wird Rosenberg von der Journalistin Stephanie Mailer auf seinen erste, 20 Jahre zurückliegenden Fall angesprochen, mit dessen Lösung einst die steile Karriere Rosenbergs ihren Anfang nahm. Damals sei, so behauptet Mailer nun, der falsche Mann als Täter verdächtigt und bei der Verhaftung erschossen worden. Im Sommer 1994 hatte ein Massenmord das kleine Städtchen Orphea nur wenige Tage vor der Premiere eines Theaterfestivals erschüttert. Die Familie des Bürgermeisters war im eigenen Haus erschossen worden, außerdem vor dem Haus eine Joggerin, die zufällig auf den Täter traf, als dieser des Bürgermeisters Haus verließ. Die beiden jungen Polizisten Rosenberg und Scott ermitteln und lösen den Fall. Hat sich Rosenberg damals geirrt? Als er, bei seiner Ehre gepackt, den alten Fall nun wieder aufnimmt und erneut mit Mailer Kontakt aufnehmen will, ist die Journalistin spurlos verschwunden. Tage später findet man ihr Auto, danach auch ihre Leiche.
Nun kann die Geschichte endlich losgehen, denkt der Leser und erwartet eine spannende Kriminalhandlung. Doch Dickers Roman enttäuscht gleich auf doppelte Weise: Einerseits schleppt sich die Handlung endlos dahin, ohne dass große Spannung aufkommt. Viele Randfiguren werden zudem in die Handlung aufgenommen, ohne dass deren Notwendigkeit ersichtlich ist. Damit verbunden gibt es parallele Handlungsstränge, die der Charakterisierung dieser Figuren dienen mögen, aber nichts zum Kern der Geschichte beitragen.
Andererseits fehlt nicht nur den handelnden Figuren die charakterliche Schärfe – sie sind mal fade, mal übertrieben, mal klischeehaft gezeichnet –, sondern auch sprachlich ist der Roman flach. Allzu simple Dialoge wirken stellenweise sogar lächerlich, weshalb man hin und wieder zum Abbruch der Lektüre neigt. Störend ist zudem der ständige Wechsel der Erzähler, was zusätzlich zum Wechsel zwischen den zwei Zeitebenen nicht für Spannung, sondern eher für Verwirrung sorgt.
Mehrmals habe ich meinen Entschluss, die Lektüre nun doch endlich abzubrechen, um ein paar Seiten verschoben – immer in der Hoffnung, der Roman könne sich in Dramatik und Spannung doch wohl noch steigern. Aber die Handlung zieht sich langatmig und spannungslos dahin, was man – leider erst im Rückblick – eigentlich schon vorher an seiner Überlänge von 670 Seiten hätte erkennen können. Joël Dickers neuester Roman „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ eignet sich vielleicht als anspruchslose Feierabend-Lektüre, unterscheidet sich aber stilistisch nicht allzu sehr von einem besseren Groschenroman.

Veröffentlicht am 15.01.2022

Nette Unterhaltung ohne literarische Nachhaltigkeit

Paul Temple und der Fall Max Lorraine
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REZENSION – Wohl nur die Älteren unter uns erinnern sich noch an die mehrteiligen TV-Krimis „Das Halstuch“ oder „Tim Frazer“, die in den 1960er Jahren mit einer heute unvorstellbaren Einschaltquote bis ...

REZENSION – Wohl nur die Älteren unter uns erinnern sich noch an die mehrteiligen TV-Krimis „Das Halstuch“ oder „Tim Frazer“, die in den 1960er Jahren mit einer heute unvorstellbaren Einschaltquote bis zu 93 Prozent den Begriff „Straßenfeger“ prägten. Diese und weitere TV-Krimiserien jener Zeit waren nach den später zu Romanen umgeschriebenen Büchern des britischen Schriftstellers Francis Durbridge (1912-1998) gedreht worden. In den 1970er Jahren folgten die 52 TV-Episoden „Paul Temple“, in denen der gleichnamige Kriminalschriftsteller mit Unterstützung der Journalistin Steve Trent, die später seine Ehefrau wird, als Privatdetektiv ermittelt.
Heute ist der in den 1950er bis 1970er Jahren erfolgreiche Francis Durbridge weitgehend vergessen, weshalb der Österreicher Georg Pagitz, der schon durch einige Aufsätze sich als Durbridge-Kenner ausgewiesen hat, den britischen Kriminalschriftsteller wieder in Erinnerung zu rufen versucht. Nach dem von ihm 2018 herausgegebenen Band „Paul Temple. Die verschollenen Fälle“ mit 20 von ihm übersetzten, vorher auf Deutsch noch unveröffentlichten Kurzgeschichten erschien nun im Dezember wieder beim Pidax Film- & Hörspielverlag mit „Paul Temple und der Fall Max Lorraine“ ein weiterer von Pagitz übersetzter, ebenfalls bisher nicht auf Deutsch veröffentlichter Durbridge-Krimi aus dem Jahr 1938. Das besondere an der Wiederentdeckung ist, dass dieser erste Fall aus der Paul-Temple-Krimireihe zugleich das Romandebüt des späteren Bestseller-Autors war, der bis dahin relativ erfolglos Lustspiele und Hörspiele verfasst hatte. Auch dieser erste Roman war erst nach Ablauf seiner zuvor im selben Jahr auf BBC gesendeten und unerwartet erfolgreichen Hörspielreihe als „Buch zum Thriller“ geschrieben worden, wobei sich der mehr auf Dialoge spezialisierte Durbridge für seine Romanfassung noch einen Ghostwriter zur Unterstützung geholt hatte.
Diese und andere überaus interessanten literaturhistorischen Hinweise erfährt man im Vorwort des Durbridge-Sohnes Nicholas sowie in den Vor- und Nachbemerkungen des Übersetzers, die in ihrer Ausführlichkeit den eigentlichen Reiz und literarischen Wert des Buches ausmachen. Denn der Kriminalroman allein entspricht keinesfalls den Ansprüchen heutiger Krimi-Leser. Deutlich sind Anleihen bei Edgar Wallace festzustellen wie unterirdische Geheimgänge, Falltüren oder sich unerwartet öffnende Wandverkleidungen, auf die wir von Georg Pagitz im Begleittext hingewiesen werden. Es ist unverkennbar, dass Durbridge in seinem 1938 erschienenen Debütkrimi sein sechs Jahre zuvor verstorbenes Vorbild Wallace stilistisch nachzuahmen versuchte.
Worum geht es nun in „Paul Temple und der Fall Max Lorraine“? Eine unheimliche Serie von Juwelen-Diebstählen hält Scotland Yard in Atem. Die Bande schreckt sogar vor Mord nicht zurück. Die Polizei tappt völlig im Dunkeln, weshalb die Presse fordert, endlich den bekannten Schriftsteller Paul Temple einzuschalten, der schon in einem früheren Fall seine Fähigkeit als Ermittler bewiesen hatte. Als der ermittelnde Superintendent Gerald Harvey in einem heruntergekommenen Gasthof erschossen wird, beginnt Paul Temple seine Ermittlung und findet heraus, dass Kopf der Bande ein gewisser „Diamantenfürst“ Max Lorraine ist.
„Ich glaube, dass dies mein bisher größter Beitrag zur Unterhaltungsliteratur werden wird, Ja, bei Timothy, dessen bin ich mir sicher“, ist Hobby-Ermittler und Autor Paul Temple von seiner Arbeit überzeugt. Ob auch Durbridge Ähnliches über seinen Debütroman gedacht hat? Aus heutiger Sicht muss Widerspruch erlaubt sein: Nicht nur stilistisch ist manches am Roman zu bemängeln, sondern die Handlung strotzt nur so von unglaubwürdigen Zufällen. Um sich bei der Lektüre den Spaß nicht zu verderben, ist empfehlenswert, nicht jede Einzelheit oder unerwartete Wendung zu hinterfragen, sondern sie so hinzunehmen, wie sie ist. Dies gilt auch für den unrealistischen Schluss. Sei's drum! Was bleibt also vom Romandebüt des damals erfolgreichen Francis Durbridge? Paul Temples erster Fall ist gewiss ein literaturhistorisch interessantes Erinnerungsstück, das man zur Entspannung lesen kann. Aber mindestens aus heutiger Sicht hat der Kriminalroman gewiss keinen nachhaltigen literarischen Wert. Ob er wohl deshalb noch nie ins Deutsche übersetzt wurde?