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Veröffentlicht am 14.12.2020

Ein neuer, sehr persönlicher Fall für den Metzger

Die Djurkovic und ihr Metzger
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INHALT
Endlich will der Metzger mit seiner Danjela Djurkovic den langersehnten Bund fürs Leben schließen. Nur leider: Bei der Trauung ist es plötzlich vorbei mit der Romantik. Vor der versammelten Hochzeitsgesellschaft ...

INHALT
Endlich will der Metzger mit seiner Danjela Djurkovic den langersehnten Bund fürs Leben schließen. Nur leider: Bei der Trauung ist es plötzlich vorbei mit der Romantik. Vor der versammelten Hochzeitsgesellschaft lässt die Braut ihren Willibald Adrian eiskalt stehen und verschwindet spurlos. Mit einem fremden Mann. Dafür tauchen reihenweise Tote auf...
Seine verzweifelte Suche führt den Metzger mitten hinein in die erbarmungslosen Machenschaften eines Familienclans und stellt ihn vor die Frage: Ist seine Beinahe-Ehefrau wirklich, wer sie zu sein vorgab?

(Quelle: Haymon Verlag )

MEINE MEINUNG
Nach 4-jähriger Pause hat der gebürtiger Wiener und österreichische Bestseller-Autor Thomas Raab beschlossen seine Kult-Krimireihe rund um seinen außergewöhnlichen Krimi-Helden Möbelrestaurator Willibald Adrian Metzger fortzusetzen. „Die Djurkovic und ihr Metzger“ lautet der Titel des bereits achten Bands, der sich sicherlich auch für „Metzger-Neueinsteiger“ ohne Vorkenntnisse der vorangegangenen Fälle der Krimireihe problemlos lesen lässt.
Der Autor sorgt mit seinem unverwechselbaren Schreibstil wieder für ein sehr kurzweiliges Lesevergnügen, der aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen wird. Sein genialer Wortwitz und schwarzer, bitterböser Humor zusammen mit vielen urkomischen, bisweilen recht schrägen Szenen und seinen schillernden, liebevoll gezeichneten Charakteren konnten mich bestens unterhalten. Da ist es auch nicht weiter schlimm, wenn einige Episoden etwas in Klamaukhafte oder Groteske abgleiten.
Mit einem gigantischen Feuerwerk an zahllosen skurrilen Ideen und verschiedensten originellen Handlungssträngen scheint sich Thomas Raab in seinem neusten Krimi ausgetobt zu haben. Zudem geht es in erstaunlich blutrünstig und brutal zu, was jedoch zu der diesmal behandelten Thematik rund um die skrupellosen Machenschaften von albanischen Familienclans angemessen und durchaus glaubhaft und authentisch erscheint.
Wie der Titel des Krimis bereits andeutet liegt der Schwerpunkt der facettenreichen Geschichte diesmal auf Danjela, Metzgers langjährige, faszinierende Lebensgefährtin und zukünftige Ehefrau, und den höchst erstaunlichen Enthüllungen um ihre Vergangenheit, die schrittweise ihre wahre Identität offenbaren.
Raab macht uns Lesern den Einstieg in den Fall wahrlich nicht einfach, denn ein chaotisch anmutendes Nebeneinander von zunächst zusammenhanglosen, rasch wechselnden Handlungssequenzen und eingeschobenen rätselhaften Funkprotokollen sorgt für viel Verwirrung. Erst allmählich beginnt man die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Handlungssträngen zu erahnen und kann die sich überschlagenden Ereignisse besser einordnen. Willibalds Nachforschungen und die verzweifelte Suche nach seiner verschwundenen Braut halten so manche unerwartete Wendung für uns bereit und mit den sich kumulierenden Verwicklungen steigt auch die Spannungskurve. Mit sehr nachdenklich stimmenden Szenen und der subtil eingeflochtenen Gesellschaftskritik gewinnt der Fall zunehmend an Tiefe. Nach und nach offenbart sich dem Leser ein ziemlich verschachtelter und brutaler Fall, der bisweilen so gar nicht zu unserem eher bedächtigen, etwas melancholischen Willibald passen mag.
Neben seiner ungewöhnlichen, sehr liebenswerten Hauptfigur Metzger mangelt es auch nicht an etlichen skurrilen Nebenfiguren, die Raab mit ihren Macken und verschrobenen Eigenheiten hervorragend skizziert hat. Hervorragend gelungen ist Raab auch die bedrückende Hintergrundgeschichte seiner Protagonistin Danjela, die uns zunächst in einem völlig anderen Licht erscheint, nachdem sie den guten Metzger vor der geladenen Gästeschar am Traualtar stehen lässt.
Insgesamt hat Raab allerdings einen sehr herausfordernden, recht anstrengend zu lesenden Erzählstil für seinen Fall gewählt, in den man sich erst einlesen muss und bei dem viele Details sich leider erst zum Ende hin erschließen. Nach dem überraschenden Ausklang der Geschichte darf man gespannt sein, wie es für Metzger und seine Danjela weitergehen wird.

FAZIT
Ein sehr ungewöhnlicher und verschachtelter Kriminalfall mit hohem Unterhaltungswert, viel Sprach- und Wortwitz und natürlich dem unverwechselbaren Willibald Adrian Metzger!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.12.2020

Fesselnde, tiefgründige Familiengeschichte zur BLACK LIVES MATTER-Thematik

Die verschwindende Hälfte
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INHALT
Mallard, ein kleiner Ort im ländlichen Louisiana. Seine Bewohner blicken mit Stolz auf eine lange Tradition und Geschichte, und vor allem auf ihre Kinder, die von Generation zu Generation hellhäutiger ...

INHALT
Mallard, ein kleiner Ort im ländlichen Louisiana. Seine Bewohner blicken mit Stolz auf eine lange Tradition und Geschichte, und vor allem auf ihre Kinder, die von Generation zu Generation hellhäutiger zu werden scheinen. Hier werden in den 1950ern Stella und Desiree geboren, Zwillingsschwestern von ganz unterschiedlichem Wesen. Aber in einem sind sie sich einig: An diesem Ort sehen sie keine Zukunft für sich.
In New Orleans, wohin sie flüchten, trennen sich ihre Wege. Denn Stella tritt unbemerkt durch eine den weißen Amerikanern vorbehaltene Tür - und schlägt sie kurzerhand hinter sich zu. Desiree dagegen heiratet den dunkelhäutigsten Mann, den sie finden kann. Und Jahrzehnte müssen vergehen, bis zu einem unwahrscheinlichen Wiedersehen.

(Quelle: Rowohlt Buchverlag)


MEINE MEINUNG
Die US-amerikanische Autorin Brit Bennett gilt als eine der wichtigsten jungen Stimmen der US-amerikanischen Literatur und wird als würdige Nachfolgerin der Literaturnobelpreisträgerin und literarischen Grand Dame Toni Morrison gehandelt. In ihrem neuesten Roman «Die verschwindende Hälfte» erzählt sie eine bewegende, Generationen umspannende Familiengeschichte, in der die Emanzipation von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht eine tragende Rolle spielt. Hierin nimmt sich Brit Bennett zahlreicher wichtiger Themen an, die sich mit alltäglichem Rassismus, Diskriminierung und Gewalt gegen Afroamerikaner auseinandersetzen, aber sich auch eingehend mit Fragen der Besinnung auf die eigenen Wurzeln, der Identitätssuche, Lebenslügen und dem Umgang mit Transsexualität beschäftigen.
Obwohl der Roman in den USA derzeit als das Buch zur "Black-Lives-Matter"–Bewegung gilt, geht es der Autorin doch um viel mehr als nur um eine literarische Aufarbeitung von eingefahrenen Vorurteilen, alltäglicher Ausgrenzung und Gewalt gegen die afroamerikanische Bevölkerung in den USA und deren Folgen auf das Zusammenleben der unterschiedlichen Ethnien.
Ihren Anfang nimmt die Familiengeschichte im fiktiven Südstaatenstädtchen Mallard im ländlich geprägten Louisiana in den 1950ger Jahren und führt uns bis in die 1990ger Jahre hinein.
Im Mittelpunkt des vielschichtig angelegten Romans stehen die Zwillingsschwestern Stella und Desiree, die in Mallard in einer afroamerikanischen Community aufwuchsen, die sehr auf ihre außergewöhnliche Hellhäutigkeit bedacht war. Im Alter von 16 Jahren verschwinden die beiden über Nacht aus der Stadt sind, um die Enge und Perspektivlosigkeit hinter sich zu lassen und in New Orleans ein neues Leben zu beginnen, doch trennen sich ihre Schicksalswege schon bald. Während Stella ihre Herkunft verleugnet, sich von ihrer Vergangenheit und familiären Wurzeln abwendet, um einen reichen Weißen Mann zu heiraten und als Weiße mit ihrer weißen Tochter Kennedy unter den Privilegierten in Los Angeles zu leben, heiratet Desiree einen tiefschwarzen Mann und bekommt mit ihm eine ebenfalls sehr dunkelhäutige Tochter, Jude. Mit ihr flüchtet Desiree schließlich vor ihrem gewalttätigen Mann zurück nach Mallard.
Auf sehr faszinierende Weise beleuchtet die Autorin in unterschiedlichen Episoden die miteinander verwobenen Schicksale ihrer sehr vielschichtig angelegten Frauencharaktere, gewährt Generationen übergreifende Einblicke und wechselt immer wieder zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen. So folgen wir den verschlungenen Lebenswegen der beiden Schwestern, erhalten aufschlussreiche Einblicke in ihr Seelenleben und erfahren schließlich immer mehr über ihre Bemühungen einen Platz in der Gesellschaft und in ihren so gegensätzlichen Lebenswelten zu finden. Sehr einfühlsam und anschaulich beschreibt Bennett, welchen Preis die beiden Zwillinge für ihre folgenschweren Lebensentscheidungen zu zahlen haben. Äußerst eindrücklich fand ich die Schilderungen von Stellas aufgewühltem Innenleben, ihrer permanenten Angst vor Enttarnung ihrer Lebenslüge, dem ständigen innerlichen Abwägen, der Einsamkeit und ihrem unbedingten Willen zur Assimilation bis hin zur Selbstverleugnung. Geschickt thematisiert die Autorin in ihrer tiefgründigen Geschichte auch den allgegenwärtigen Schmerz und die innere Zerrissenheit von Zwillingen, seine „andere Hälfte“ zu verlieren.
Im Laufe der fesselnden Handlung verfolgen zudem auch das bewegende Schicksal ihrer Töchter Jude und Kennedy, die sich zufällig begegnen, und das fragile Lügengeflecht ihrer Mütter ins Wanken bringen. Ihnen gelingt es schließlich die familiären Brüche, ambivalente Denkmuster, alte Vorbehalte und Klassenunterschiede zu überwinden, um ein neues Miteinander daraus erwachsen zu lassen. Ein überaus schöner, versöhnlich stimmender Ausklang!

FAZIT
Eine bewegende, vielschichtig angelegte und mitreißend erzählte Familiengeschichte über die Emanzipation von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht sowie über das Leben als „Falsche Weiße“.
Sehr lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.11.2020

Fesselndes Katz-und-Maus-Spiel

Baskische Tragödie
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INHALT
An den Stränden des Aquitaine werden massenhaft Pakete angespült, gefüllt mit reinstem Kokain. Ein kleines Kind probiert davon – und fällt ins Koma. Commissaire Luc Verlain ermittelt in dem Fall, ...

INHALT
An den Stränden des Aquitaine werden massenhaft Pakete angespült, gefüllt mit reinstem Kokain. Ein kleines Kind probiert davon – und fällt ins Koma. Commissaire Luc Verlain ermittelt in dem Fall, bis ihn eine geheimnisvolle Nachricht aus dem Baskenland erreicht.
Luc macht sich auf den Weg gen Süden und findet sich plötzlich auf der anderen Seite wieder. Er wird verhaftet, ausgerechnet wegen des Verdachts auf Drogenschmuggel – und wegen dringendem Mordverdacht. Wer spielt dem Commissaire böse mit? Nach seiner Flucht vor der Polizei über die spanische Grenze hat Luc keine Wahl: Er muss das Spiel eines altbekannten Psychopathen mitspielen. So beginnt in den engen Gassen San Sebastiáns und auf dem stürmischen Atlantik eine teuflische Schnitzeljagd. Um den Plan des Mannes zu durchkreuzen, der um jeden Preis Rache nehmen will, muss Luc alles auf eine Karte setzen.
(Quelle: Hoffmann & Campe Verlag )

MEINE MEINUNG
Der neue Krimi „Baskische Tragödie“ von Alexander Oetker ist bereits der 4. Band seiner beliebten, im französischen Aquitaine angesiedelten Krimireihe um den sympathischen Ermittler Luc Verlain.
Oetker ist ein sehr packender, temporeicher Krimi mit viel französischem Flair gelungen, der uns diesmal aber von der Aquitaine wegführt und uns auf eine nervenaufreibende Jagd durch Südfrankreich bis ins Baskenland mitnimmt. Die gelungene Mischung aus interessanten Einblicken in das Privatleben der lebensechten Charaktere und stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen mit historischen, kulturellen und den obligatorischen kulinarischen Ausflügen, die diesen Aquitaine-Krimis eine besondere Note, hat mich wieder gut unterhalten können, aber auch der überaus clever angelegte Kriminalfall hat mich von Beginn an fesseln können.
In seinem vierten und bisher persönlichsten Fall wird Commissaire Luc Verlain ganz unvermittelt von seiner Vergangenheit eingeholt und durch eine mysteriöse Botschaft in eine fatale Falle gelockt. Unversehens wird aus dem ermittelnden Jäger ein gnadenlos Gejagter, dem Drogenschmuggel, Entführung und Mord zur Last gelegt werden. Erst schrittweise wird klar, dass sich ein beängstigend mächtiger Drahtzieher an ihm rächen will und sich ein perfides Katz- und Mausspiel für ihn ausgedacht hat.
Oetker hat für seinen Regionalkrimi einen rasanten, wendungsreichen und recht verzwickten Plot entworfen, der sich mit seiner cleveren Schnitzeljagd hervorragend zum Mitfiebern und Miträtseln eignet. Auch wenn ich anfangs über einige Verwicklungen ungläubig den Kopf schütteln musste, so durchschaute ich langsam die Zusammenhänge, und verfolgte gebannt die Ereignisse um Luc bis zum fesselnden Finale und dramatischen Showdown. Hervorragend hat mir auch die überraschende Auflösung gefallen, die der Autor für uns bereit hält.
Mit Luc Verlain hat der Autor einen faszinierenden, tiefgründig angelegten und sympathischen Charakter geschaffen, der sehr lebensecht wirkt. Als aufrichtiger, professionell agierender Ermittler, der auch im Privatleben ein sehr umsichtiger und empathischer Mann ist, bangt man von Beginn an um sein Schicksal. Auch sein Ermittler-Team stellt eine sehr interessante Mischung aus sehr eigenwilligen, Charakteren dar, die für so manche Überraschung gut sind.
Ich bin schon sehr gespannt, in welchem fesselnden Fall Luc Verlain demnächst ermitteln wird, und freue mich schon auf eine Fortsetzung dieser sehr unterhaltsamen Krimi-Reihe!

FAZIT
Ein spannender und rasanter Krimi mit viel französischem Flair, einem Ausflug ins faszinierende Baskenland und einem sehr persönlichen Fall für Luc Verlain!

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Veröffentlicht am 16.11.2020

Ergreifende Familiengeschichte

Was uns verbindet
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INHALT
Nachdem Jaya als vielgereiste Tochter eines indischen Diplomaten Ende der 80er-Jahre den amerikanischen Banker Keith Olander in einem Londoner Pub kennenlernt, geht alles ganz schnell: Sie kaufen ...

INHALT
Nachdem Jaya als vielgereiste Tochter eines indischen Diplomaten Ende der 80er-Jahre den amerikanischen Banker Keith Olander in einem Londoner Pub kennenlernt, geht alles ganz schnell: Sie kaufen ein Haus in einem Vorort, heiraten und bekommen zwei Kinder, Karina und Prem. Alles scheint perfekt, bis an einem Nachmittag ihr Glück durch einen tragischen Unfall unwiderruflich zerstört wird…
(Quelle: Kiepenheuer & Witsch)

MEINE MEINUNG
In ihrem jüngsten Roman »Was uns verbindet« erzählt die kanadische Bestsellerautorin Shilpi Somaya Gowd die ergreifende Geschichte einer Familie, die durch eine unerwartete Tragödie ihren Zusammenhalt verliert und auseinanderbricht. Es ist zugleich aber auch eine anrührende und fesselnde Coming-of-age Geschichte, die sehr zum Nachdenken anregt.
Äußerst einfühlsam und anschaulich zeigt die Autorin auf, welche einschneidenden Veränderungen ein derartiger Schicksalsschlag nach sich zieht, wie jeder einzelne mit Schmerz, Trauer und Schuldgefühlen umgeht und ganz individuell versucht mit dem schmerzvollen Verlust umzugehen. Gekonnt und voller Empathie zeichnet die Autorin das facettenreiche Portrait einer zerbrochenen Familie in einem tragischen Ausnahmezustand, lässt uns teilhaben an ihren leidvollen Erfahrungen und ihrem langen Weg zurück in den Alltag und in eine hoffnungsvolle Zukunft, die schließlich auch die Familie wieder zusammenfinden lässt.
Aus drei verschiedenen Perspektiven begleiten wir die individuelle, aufwühlende Reise von Jaya, Keith und ihrer Teenager-Tochter Karina mit all ihren Tiefen, Abgründen und Kämpfen mit ihren inneren Dämonen aber auch ihren hilfreichen Erkenntnissen auf ihrem Weg aus der schmerzvollen Lebenskrise. Zudem erleben wir in einer weiteren Perspektive die Gedanken und Einschätzungen von Prem, der aus einem fernen Ort das weitere Schicksal seiner Familie verfolgt.
Rasch ist man von der eindringlichen und aufwühlenden Geschichte gefesselt und verfolgt gebannt das beklemmende Schicksal der verschiedenen Charaktere und ihrem verzweifelten Ringen um Normalität und neuem Halt im Leben. Sehr differenziert und authentisch hat die Autorin ihre Figuren ausgearbeitet. Auch ihre schrittweise Entwicklung zeigt sie sehr glaubwürdig auf. Während Jaya völlig aus der Realität abdriftet und Trost in der Spiritualität findet, konzentriert sich Keith auf seine Karriere. Die eigentliche Hauptfigur des Romans ist die junge Karina, deren Schicksal sehr berührt und zu Herzen geht. Sehr ergreifend und empathisch schildert die Autorin, die verschiedenen leidvollen Stationen in ihrem weiteren Leben, ihre schweren Schuldgefühle, Einsamkeit und ihre Suche nach Geborgenheit, Zugehörigkeit, Liebe und Trost, die sie auf Abwege führt und ihr weitere herbe Enttäuschungen beschert. Sehr nachdrücklich bringt die Autorin uns Karinas Kampf gegen ihre inneren Dämonen näher, konfrontiert uns mit den dunklen Abgründen ihrer instabilen Psyche und lässt uns aber schließlich auch an ihrem wachsenden Selbstvertrauen teilhaben und dem Wiederentdecken ihrer eigenen Stärke.
Die Autorin beendet ihren aufwühlenden, sehr nachdenklich stimmenden Roman mit einem bewegenden und hoffnungsvollen Ausklang.

FAZIT
Ein eindringlich geschriebener, bewegender Roman mit einer aufwühlenden Familiengeschichte. Sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 15.11.2020

Unterhaltsame Fortsetzung und kenntnisreiches Sittengemälde

Fräulein Gold: Scheunenkinder
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INHALT
1923: Die Berliner Hebamme Hulda Gold wird zu einer Geburt ins Scheunenviertel nach Mitte gerufen. Obwohl die jüdische Familie dort nach ihren ganz eigenen, strengen Regeln lebt, gewinnt Hulda ...

INHALT
1923: Die Berliner Hebamme Hulda Gold wird zu einer Geburt ins Scheunenviertel nach Mitte gerufen. Obwohl die jüdische Familie dort nach ihren ganz eigenen, strengen Regeln lebt, gewinnt Hulda das Vertrauen der jungen Mutter. Und als das Neugeborene nach wenigen Tagen verschwindet, wird sie unvermittelt in die rätselhafte Suche nach ihm verstrickt. Wie kann ein Kind in dieser engen Gemeinschaft einfach so verlorengehen? Je hartnäckiger Hulda den Spuren folgt, desto stärker stößt sie auf Widerstand, denn die Bewohner des Viertels haben ihre gut gehüteten Geheimnisse.
Bald zeigt sich, dass die Berliner Polizei zur gleichen Zeit nach Kinderhändlern fahndet, und Hulda ahnt einen Zusammenhang. Kann Kommissar Karl North ihr helfen, das Neugeborene zu finden? Doch dann entlädt sich im Scheunenviertel der Judenhass in einem Pogrom, und Hulda selbst gerät in höchste Gefahr.
(Quelle: Rowohlt)
MEINE MEINUNG
Nach dem gelungenen Auftakt der großartigen historischen Roman-Trilogie rund um die Berliner Hebamme Hulda Gold hat die deutsche Autorin Anne Stern mit „Fräulein Gold-Scheunenkinder“ einen nicht weniger faszinierenden zweiten Teil vorgelegt. Diese spannende und lehrreiche historische Saga, die vor der schillernd ambivalenten Kulisse der 1920er Jahre in Berlin angesiedelt ist, hat mich wieder von Beginn an in ihren Bann gezogen.
Auch wenn es diesmal keinen richtigen Kriminalfall gibt, bei dem Hulda und ihr Freund Kommissar Karl North gemeinsam ermitteln, konnte mich die Autorin mit dem hervorragend recherchierten, zeitgeschichtlichen Hintergrund und ihrer dichten Milieuzeichnung sehr fesseln. Sehr facettenreich kreist die Geschichte um die Thematik Verschwinden und Vergessen und so ist es auch an Hulda sich mit ihrer eigenen Familiengeschichte und ihren jüdischen Wurzeln auseinanderzusetzen.
Die unterhaltsame wie fesselnde Geschichte um die aufgeweckte, selbstbewusste Hauptfigur Hulda Gold, deren Arbeit als Hebamme sie diesmal ins ärmliche Berliner Scheunenviertel führt, hat mir erneut sehr gut gefallen. Das spurlose Verschwinden des von ihr entbundenen Neugeborenen lässt Hulda keine Ruhe und so beginnt sie, eigene Nachforschungen anzustellen. Die streng geheimen Ermittlungen ihres Freunds Kommissar North scheinen sich um skrupellose Kindermakler zu drehen, denen das Verschwinden und die Ermordung zahlreicher Kinder zur Last gelegt wird.
Dank des lebendigen, sehr bildhaften Schreibstils fällt es nicht schwer, in die historische Vergangenheit des für Deutschland sehr dunklen Jahres 1923 einzutauchen. Gekonnt entführt uns Stern in die damalige Hauptstadt der Weimarer Republik Berlin, die sich gerade auf dem Höhepunkt der Inflation in einer gewaltigen Krise befindet. Allgegenwärtig sind die Auswirkungen des gnadenlosen Wertverfalls des Gelds sichtbar, eine aufgeheizte Stimmung herrscht in der Bevölkerung angesichts der Wucherpreise, Mangelversorgung, der immer weiter um sich greifenden Not, bitterer Armut und beständigem Hunger nicht nur bei den armen Leuten.
Stern vermittelt insgesamt ein sehr stimmiges, authentisches und recht düsteres Bild der damaligen Zeit. Atmosphärisch dicht portraitiert Stern das bedrückende Alltagsleben in all seinen Facetten, lässt uns hautnah am Schicksal der Bevölkerung teilhaben und gibt uns darüber hinaus erschreckende Einblicke in die um sich greifende radikale Stimmung, die als Sündenbock die Juden verantwortlich macht. So haben wir unmittelbar Anteil an einem historisch verbürgten Ereignis, das sich im November 1923 im Scheunenviertel ereignete - dem gewalttätigen Pogrom gegen die Ost-Juden dieses Elendsviertels, angezettelt von der rechten Völkischen, unterstützt von Teilen der Polizei sowie von der damaligen Pressen bagatellisiert und verfälscht dargestellt. Sehr eingehend hat Stern auch die chaotischen Zustände im damaligen Berliner Scheunenviertel recherchiert und äußerst lebendig und anschaulich mit ihrer Handlung verwoben. In ihrem ausführlichen Nachwort geht die Autorin auf die bewegte Geschichte des heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Scheunenviertels ein. Faszinierend ist insbesondere das bunte Gemisch der unterschiedlichsten, nebeneinander lebenden Kulturen, unter anderem war das Scheunenviertel auch ein Refugium der Ost-Juden, und einzigartig ihr ausgeprägter Gemeinschaftssinn.
Huldas Ermittlungen führen uns zu den abgründigen Seiten der Gesellschaft, dorthin wo Elend, Armut, Prostitution, Alkoholismus und Verbrechen allgegenwärtig sind. Nach einigen unvorhersehbaren Wendungen kommt die Auflösung des Falls fast schon etwas zu unspektakulär daher.
Die Geschichte lebt neben der lebendig eingefangenen, zeitgeschichtlichen Kulisse vor allem von seinen vielschichtig angelegten Figuren. Die verschiedenen Charaktere sind allesamt detailliert und liebevoll ausgearbeitet, so dass sie sehr lebensnah wirken. Hervorragend gefallen hat mir vor allem die sympathische, clevere und selbstbewusste Hulda, die als ledige, berufstätige Hebamme und mit ihren fortschrittlichen Einstellungen ihrer Zeit weit voraus ist. Sie ist eine sehr mitfühlende, hilfsbereite Frau, die sich nicht nur für ihre Freunde einsetzt, sich durchzusetzen weiß und aber sich auch so manches Mal in Schwierigkeiten bringt.
Ihr Freund Kommissar Karl North bleibt weiterhin eine recht rätselhafte und unnahbare Figur. Ein schwieriger Charakter, der oft mit seiner Herkunft und Vergangenheit hadert, aber durchaus sympathisch mit seine Ecken und Kanten ist. Die Beziehung zwischen den beiden hat sich zwar intensiviert, doch gleichen ihre Begegnungen einer emotionalen Achterbahnfahrt mit ungewissem Ausgang. Auch die vielen Nebenfiguren angefangen von Huldas guten Freund Bert, dem liebenswerten Zeitungsverkäufer vom Winterfeldtplatz in Schöneberg über Huldas neugierige, aber erstaunlich patente Vermieterin bis hin zur faszinierenden Apothekerin Jette Langhans – sie alle sind sehr warmherzig und facettenreich ausgearbeitet sind, so dass man sie bald in sein Herz schließt und sich schon auf ein baldiges Wiedersehen freut.
FAZIT
Eine gelungene Fortsetzung der neuen Hebammen-Saga mit einer historisch fundiertem Hintergrund, atmosphärisch dichtem Berliner Lokalkolorit und lebendigen, sympathischen Charakteren!
Eine fesselnde Zeitreise ins Berlin der 1920ger Jahre und lehrreiche Geschichtsstunde!

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