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Veröffentlicht am 13.01.2021

Ein alltagstaugliches Jahreszeiten-Kochbuch

Greenfeast: Herbst / Winter
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Mein „Erstkontakt“ mit Nigel Slater liegt schon viele Jahre zurück. Bei einem England-Besuch stolperte ich in der Wochenendausgabe des „Observer“ (mittlerweile dem „Guardian“ angeschlossen) über seine ...

Mein „Erstkontakt“ mit Nigel Slater liegt schon viele Jahre zurück. Bei einem England-Besuch stolperte ich in der Wochenendausgabe des „Observer“ (mittlerweile dem „Guardian“ angeschlossen) über seine Kolumne, in der er nicht nur Rezepte veröffentlichte sondern auch noch seine emotionale Verbundenheit mit diesen Gerichten beschrieb. Seine Artikel lese ich noch immer, freue mich aber auch darüber, dass es die Rezepte in deutscher Übersetzung seit einigen Jahren gesammelt in seinen Kochbüchern gibt. Dabei sieht man, dass diese Rezeptsammlungen auch ein Stück weit die Veränderungen widerspiegeln, die das Koch- und Essverhalten im Lauf der Jahre durchlaufen hat.

Für all diejenigen, die wie Nigel Slater weniger Fleisch auf dem Teller möchten, bieten die beiden Greenfeast-Bücher jede Menge Anregungen. Während in dem ersten Band „Frühjahr/Sommer“ die Erzeugnisse des Gartens eher „leicht“ verarbeitet werden, stehen in dem vorliegenden “Greenfeast Herbst/Winter“ herzhafte und wärmende Suppen, Kuchen oder Eintöpfe mit kohlenhydratreichen Zutaten auf dem Speiseplan, die oft unter Zuhilfenahme des Backofens zubereitet werden und allesamt vegetarisch sind.

Die Einteilung startet mit dem Grundrezepte für das klassische englische Porridge und einer dunklen, vielseitig einsetzbaren Gemüsebrühe. Danach folgen die Kapitel „Aus der Pfanne“, „Auf Toast“, „Im Ofen“, „Auf dem Teller“, „Mit einer Kruste“, „Mit dem Schöpflöffel“, „Auf dem Herd“ und „Zum Nachtisch“, meist für zwei Esser, einige aber auch für 4 Personen ausgelegt. Eine Unterteilung, die sich bei der Suche nach einem Rezept eher zur Inspiration als zu einem konkreten Anlass eignet.

Die Zutaten sind weitestgehend in jedem Supermarkt erhältlich, selbst Tahin oder die frischen Kräuter gibt es mittlerweile beim Discounter, und außerdem gibt es sehr oft Hinweise zu Ersatzmöglichkeiten. Und auch wenn manche Kombinationen auf den ersten Blick exotisch erscheinen mögen, schlussendlich überzeugt deren Zusammenspiel auf der Zunge. Die Zubereitung der Gerichte ist detailliert beschrieben, unkompliziert und deshalb auch von unerfahrenen Hobbyköchen zu leisten. Nicht zu vergessen, der zeitliche Aufwand ist überschaubar, stundenlange Vorbereitungen sind nicht erforderlich. Und damit man sich eine Vorstellung davon machen kann, was einem erwartet, gibt es zu jedem Rezept ein ehrliches Foto ohne Effekthascherei.

Ein alltagstaugliches Jahreszeiten-Kochbuch mit durchgängig vegetarischen Rezepten, die die Geschmacksvielfalt und den Genuss in den Mittelpunkt stellen.

Veröffentlicht am 06.01.2021

Ganz großes Kino, Mrs Rowling

Böses Blut
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Wir schreiben das Jahr 2014. Vierzig Jahre ist es her, seit die Mutter, Ehefrau und Ärztin Margot Bamborough spurlos verschwunden ist. Es gibt keinen Hinweis auf ihren Verbleib, und auch ihre Leiche ist ...

Wir schreiben das Jahr 2014. Vierzig Jahre ist es her, seit die Mutter, Ehefrau und Ärztin Margot Bamborough spurlos verschwunden ist. Es gibt keinen Hinweis auf ihren Verbleib, und auch ihre Leiche ist seither nicht aufgetaucht. Eine Ungewissheit, die quälend für die Hinterbliebenen ist. Ihre Tochter, damals gerade ein Jahr alt, spricht Cormoran Strike in einem Pub während seines Familienbesuches in Cornwall an und bittet ihn, sich den Fall nochmals anzuschauen. Eher zögernd nimmt er den Auftrag an und beginnt gemeinsam mit Robin Ellacott diesem Cold Case neu aufzurollen.

Es gestaltet sich schwierig, denn es gibt kaum brauchbares Material, auf das die beiden Privatdetektive zurückgreifen können. Der damals für diesen Fall verantwortliche Ermittler hatte offenbar massiv mit psychischen Problemen zu kämpfen. Heillos überfordert verstieg er sich in astrologischen Hirngespinsten, seine Notizen wirr und kaum aussagekräftig. Die damaligen Zeugen müssen erneut befragt werden, ihre Aussagen sind widersprüchlich und helfen auf den ersten Blick auch nicht weiter. Strike und Ellacott müssen bei Null anfangen, und der Leser begleitet sie bei jedem Schritt, 1200 Seiten bis zur Auflösung.

Wer nun glaubt, das wäre eine geschwätzige Story mit vielen Längen, irrt, denn hier zeigt sich einmal mehr die Qualität, die Rowlings Schreiben ausmacht. Sie kreiert in diesem überaus komplexen Plot ein spannendes Szenario mit unglaublich vielen Handlungssträngen sowie erwarteten und unerwarteten Wendungen (höchst interessanten Personen, Familiengeschichten, zeitgeschichtlichen Kommentaren und nicht zuletzt die Beziehung der beiden sympathischen Protagonisten), das den Leser tief in das Strike/Ellacott-Universum eintauchen und zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen lässt. Der Leser nimmt an den Ermittlungen teil, verfolgt Spuren, verwirft seine Schlüsse, verzweifelt an der Vielzahl der Möglichkeiten und wartet gespannt auf die Entlarvung des Täters. So und nicht anders muss ein spannender Kriminalroman sein. Ganz großes Kino, Mrs Rowling!

Veröffentlicht am 20.12.2020

Historischer Kriminalroman mit Mehrwert

Lange Nacht (Darktown 3)
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Thomas Mullens Darktown-Trilogie ist mit dem abschließenden Band „Lange Nacht“ im Jahr 1956 angekommen. Es brodelt in Atlanta, nicht zuletzt, weil sich mittlerweile eine Bürgerrechtsbewegung formiert hat, ...

Thomas Mullens Darktown-Trilogie ist mit dem abschließenden Band „Lange Nacht“ im Jahr 1956 angekommen. Es brodelt in Atlanta, nicht zuletzt, weil sich mittlerweile eine Bürgerrechtsbewegung formiert hat, angeführt von einem charismatischen jungen Pastor, Martin Luther King, der dazu aufruft, mit gewaltfreien Mitteln das Ende der Rassentrennung herbeizuführen. Zwar können die Aktivisten erste kleine Erfolge verbuchen, doch prinzipiell hat sich an der Lage der Schwarzen in den Südstaaten nicht verändert. Noch immer müssen sie sich tagtäglich mit Vorurteilen auseinandersetzen, werden in ihren Möglichkeiten eingeschränkt.

Die Protagonisten sind aus den vorherigen Bänden bekannt: Joe McInnis, seit acht Jahren Leiter von Atlantas „Negro Police“, der einzige Weiße in der Truppe. Lucius Boggs, Sohn eines Predigers und seit Beginn Teil von McInnis‘ Team, und Tommy Smith, mittlerweile aus dem Dienst ausgeschieden und nun Polizeireporter bei der Atlanta Daily Times, der einzigen schwarzen Tageszeitung Amerikas. Als er Bishop, seinen Chef, tödlich verletzt im Büro auffindet, alarmiert er McInnis, den einzigen Polizisten, dem er traut, denn er ist sich dessen sicher, dass allein schon die Hautfarbe reicht, um verdächtigt zu werden. Dass er damit richtig liegt, zeigt sich spätestens dann, als sich das FBI in die Ermittlungen einmischt. Offenbar war Bishop einer brisanten Story auf der Spur, deren Enthüllung mit aller Macht verhindert werden sollte. Und plötzlich sind nicht nur Bundesagenten sondern auch korrupte Schnüffler und politische Gruppierungen aus den verschiedensten Gründen an dem Fall interessiert...weiter in den Kommentaren

„Lange Nacht“ ist mehr als ein historischer Kriminalroman. Natürlich ist dieser Blick zurück ein Stück Zeitgeschichte, aber gleichzeitig auch eine aktuelle gesellschaftspolitische Bestandsaufnahme des amerikanischen Alltags. Und das betrifft nicht nur die Südstaaten, was einmal mehr die jüngsten Ereignisse in den USA beweisen. America the beautiful und Land of the Free ? Das gilt offenbar nur für diejenigen, die eine weiße Hautfarbe haben. Alle anderen haben mit einer Realität zu kämpfen, in der Diskriminierung, Behördenwillkür und Polizeibrutalität an der Tagesordnung sind. Mullens Trilogie zeigt uns in erschreckender Weise die moralische Verkommenheit eines Landes, das durch tief verwurzelten Rassismus geprägt ist, inklusive der dazugehörigen politischen Interessen und Einflussnahmen. Und das hat sich seit 1948 bis heute kaum verändert.

Veröffentlicht am 08.12.2020

Ein uneingeschränktes Lesevergnügen

Real Tigers
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Gleich zu Beginn ein Geständnis: Ich bin kein Fan von Spionagethrillern. Deshalb wundere ich mich darüber, dass mir Mick Herrons Reihe mit Jason Lamb und seinen „Slow Horses“ solch großen Spaß macht, ich ...

Gleich zu Beginn ein Geständnis: Ich bin kein Fan von Spionagethrillern. Deshalb wundere ich mich darüber, dass mir Mick Herrons Reihe mit Jason Lamb und seinen „Slow Horses“ solch großen Spaß macht, ich das Erscheinen der nachfolgenden Bände kaum erwarten kann und sie deshalb auch im Original lese.

Die Kenntnis der beiden Vorgänger ist nicht zwingend erforderlich, um dieses Buch genießen zu können, deshalb hier nur eine kurze Zusammenfassung: Die „Slow Horses“ sind ein Team von ehemaligen Agenten des MI5, die entweder bei ihren Einsätzen gravierende Fehler gemacht haben oder wegen persönlicher Probleme für den britischen Geheimdienst nicht mehr tragbar sind. Entlassen kann man sie nicht, also wurden sie weit ab vom Schuss im „Slough House“, deshalb auch „Slow Horses“, untergebracht und verbringen dort ihre Tage mit langweiligen und völlig überflüssigen Routinearbeiten. Die Leitung hat Jackson Lamb, ein unkultivierter, nicht teamfähiger Ehemaliger mit üblen Manieren, aber einem messerscharfen Verstand. Soweit zu den Rahmenbedingungen.

Nach den „Dead Lions“ bekommen es die Slow Horses nun mit „Real Tigers“ zu tun, die ihre Krallen ausfahren und die Macht sowohl im Geheimdienst als auch im Land an sich reißen wollen. Zum einen sind da Ingrid Tearney, noch Leiterin des MI5, und Diana „Lady Di“ Taverner, die diese mit hinterhältiger Höflichkeit von ihrem Posten verdrängen möchte, zum anderen Peter Judd, der neue Innenminister, der in Downing Street 10 einziehen möchte. Ein machiavelistischer Strippenzieher, dessen Charakterisierung jedem Vergleich mit Boris Johnson standhält.

Und was hat das mit den Slow Horses zu tun? Nun, Catherine, trockene Alkoholikerin und diejenige aus Slough House, die Lamb am nächsten ist, wird von einem ehemaligen Weggefährten entführt. Einer ihrer Kollegen erhält den Auftrag, ein geheimes Dossier im Austausch für Catherine zu beschaffen, was allerdings in einem Desaster endet. Aber Lamb wäre nicht der schlaue Fuchs, der er zweifelsfrei ist, wenn er die Manipulationen seines Teams und die Hintergründe nicht durchschauen würde.

Das Buch ist eine gelungene Mischung aus spannendem Spionagethriller und ätzender Satire, das nicht mit gelungenen Seitenhieben auf die britischen Politiker geizt. Die Personen sind allesamt außergewöhnlich, interessant und stimmig charakterisiert, obwohl man keine davon zum Freund haben möchte. Außerdem kann Herron mit Sprache umgehen, seine Formulierungen sind treffend und intelligent, und auch das macht nicht nur „Real Tigers“ sondern die gesamte Reihe zu einem uneingeschränkten Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 04.12.2020

Ein großes Lesevergnügen

60 Kilo Sonnenschein
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Hallgrímur Helgasons „60 Kilo Sonnenschein“ ist eine höchst vergnügliche Mischung aus Schelmenroman, Coming of Age-Geschichte und historischem Epos. Er beginnt an einem Heiligabend, die zeitliche Einordnung ...

Hallgrímur Helgasons „60 Kilo Sonnenschein“ ist eine höchst vergnügliche Mischung aus Schelmenroman, Coming of Age-Geschichte und historischem Epos. Er beginnt an einem Heiligabend, die zeitliche Einordnung lässt Ende19. /Anfang 20. Jahrhundert vermuten, verortet ist er an einem einsam gelegenen Fjord.

Ein Bauer ist auf dem Heimweg, kämpft sich durch einen Schneesturm und findet bei seiner Ankunft den Hof unter Schneemassen begraben. Frau und Tochter sind tot, Gestur, der uneheliche Sohn, hat wie durch ein Wunder überlebt. Ohne Frau und bettelarm beschließt der Bauer, das Kind wegzugeben. Und so beginnt Gesturs Odysee, auf der wir ihn begleiten und so Einblicke in die isländische Gesellschaft und das Denken der damaligen Zeit erhalten, das von Unwissenheit geprägt ist.

So wie Gestur erwachsen wird und sich verändert, so verändert sich auch seine isländische Heimat, macht die ersten zögerlichen Schritte hin zu einer modernen Gesellschaft. Dreh- und Angelpunkt ist der Heringsfang, sind die ausländischen Schiffe, die in den Fjord kommen und die weite Welt auf die verschlafene Insel bringen. Und es sind nicht nur die in Island bis dato unbekannten Waren sondern auch die neuen Ideen und Werte, die urplötzlich Einzug in das Denken und Handeln der Inselbewohner halten und die wirtschaftliche und kulturelle Isolation aufbrechen.

Unvergessliche Personen in inflationärer Zahl fordern durchaus die Aufmerksamkeit der Leserin/des Lesers, aber dennoch kommt man nie in Versuchung, den Roman zur Seite zu legen, und das ist mit Sicherheit den schriftstellerischen Fähigkeiten dieses routinierten Autors geschuldet. Er mag zwar hier und da sehr ins Detail gehen, erzählt dabei aber so anschaulich und vor allem humorvoll, dass selbst in den tragischen Momenten noch jede Menge absurdes Potenzial steckt. Eine gelungene Mischung, die aus diesem umfangreichen Roman ein großes Lesevergnügen macht.