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Veröffentlicht am 18.12.2020

Zerfaserte Geschichte

Bergsalz
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Bergsalz sollte eine Geschichte über eine Graswurzelbewegung sein. Das war der Roman zu Beginn auch und startete recht verheißungsvoll. Aber ganz schnell wurde aus der Story ein didaktisch ausgerichteter, ...

Bergsalz sollte eine Geschichte über eine Graswurzelbewegung sein. Das war der Roman zu Beginn auch und startete recht verheißungsvoll. Aber ganz schnell wurde aus der Story ein didaktisch ausgerichteter, "visionärer" Flüchtlingsbericht, darauf folgte der Lebensbericht einer jungen Frau mit Bindungsängsten, danach kam eine Geschichte über einen entwurzelten Mann aus dem Norden Englands, gepaart mit einem gewollt humoristischen Einblick in die Kleinstadtpolitik und schließlich eine obskure religiöse Erweckungsgeschichte. Dazu gab es noch "historische" Einschübe zum Bauernaufstand. Und das alles auf knapp 200 Seiten...

Zumindest der Beginn der Geschichte ist ganz nett und passt eigentlich gut in die Adventszeit mit ihrem aufkeimenden Gefühl der Nächstenliebe. Bei "nett" bleibt es aber leider und, wie man meinem kurzen Inhaltsabriss entnehmen kann, tut sich dieser Roman äußerst schwer mit seiner Handlung, denn irgendwie hängt jeder Handlungsstrang in der Luft, alles bleibt unvollendet. Dazu ist die Herangehensweise des Textes an sein Thema sehr konservativ, vorhersehbar und leider auch recht uninteressant. Die Art und Weise wie hier um Zusammenhalt und Gemeinschaft gerade im Flüchtlingsteil geworben wird, ist mir einfach zu platt - das passt eher in ein Kinderbuch. Eine so offen didaktische Funktion in einen Erwachsenenroman einzubinden, erscheint mir sehr unangebracht. Die in der Renaissance angesiedelten Teile lassen sich nur mit sehr viel gutem Willen an das heutige Geschehen binden und die schließlich etablierte Verbindung kann überhaupt nicht überzeugen, im Gegenteil: man muss sich fragen, ob das überhaupt eine Verbindung ist. Das ist schon sehr weit hergeholt. Am Ende erfolgt dann noch ein ziemlich unsäglicher, leider auch unfreiwillig komischer, religiöser Teil.

Der Schreibstil ist recht umständlich. Unzählige Erläuterungen zum Wind und Wiederholungen in der sowieso spärlichen Innensicht der Figuren verlängern und verlangsamen das Lesen unnötig. Vieles soll poetisch klingen, das funktioniert aber nur selten und in Wahrheit verbergen sich hinter dem zeitweise lyrischen Charakter der Sprache nur leere Füllsätze ohne Bedeutung, wodurch das Problem der Handlungsstringenz auf 200 Seiten verschärft wird. Die teilweise künstlich anspruchsvolle Sprache wird auch nicht durchgängig gehalten, sondern wechselt sich mit einem Stil ab, der Namen nur in Verbindung mit Artikeln verwendet. Darüber hinaus gibt es unzählige Sätze, die über mindestens 14 Zeilen gehen und an die 100 Wörter aufweisen. Meist fragt man sich ratlos am Ende eines Satzes, wie er nochmal begonnenen hat. Zumindest korrespondiert der Stil was dies anbelangt mit der Inhaltsebene - da fragt man sich am Ende auch, wie es nochmal angefangen hat.

Ich hätte mir dringend eine tiefere und komplexere Figurenzeichnung gewünscht, stattdessen ist fast jede Figur austauschbar und es hat den Anschein, als interessiere sich der Text nicht für seine Figuren. Es gibt zahlreiche Figuren, die mal für ein paar Sätze inklusive angerissener Vita auftauchen und dann für immer verschwinden, aber auch wesentlichere Figuren, an die sich der Roman plötzlich ausufernd erinnert.

Insgesamt passt in diesem Buch kaum etwas zusammen - viel verschenktes Potenzial lässt den Eindruck entstehen, dass wir es hier mit einem Roman zu tun haben, der selbst nicht weiß, was er will und deshalb die Lust am Erzählen verliert.

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