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Veröffentlicht am 06.01.2021

Schwankend zwischen Faszination und Zweifel

Vor mir nichts als Meer – Meine langsame Rückkehr vom Rande des Abgrunds
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Zuerst muss ich eine Triggerwarnung aussprechen. Wer durch Themen wie häusliche Gewalt, Fehlgeburten, Rassismus und Diskriminierung getriggert wird, sollte sich gut überlegen, das Buch zu lesen.

Die ...

Zuerst muss ich eine Triggerwarnung aussprechen. Wer durch Themen wie häusliche Gewalt, Fehlgeburten, Rassismus und Diskriminierung getriggert wird, sollte sich gut überlegen, das Buch zu lesen.

Die erste Hälfte des Buches ist schwer zu ertragen. Die Autorin, die aus ihrem Leben erzählt, zieht mit ihrem Mann von London auf eine Insel. Sie kaufen ein Croft und versuchen sich dort ein neues, selbstbestimmtes und autarkes Leben aufzubauen. Womit sie nicht gerechnet hatten, waren die Anfeindungen der alteingesessenen Inselbewohner, die Übergriffe (besonders auf Tamsin) und die Wut, auf die sie treffen. Zudem kommen noch viele Hindernisse (fehlender Strom, Wasser, die Kälte und das karge kraftraubende Leben). Es läuft nicht so, wie sie es sich vorgestellt haben, sie verlieren Zeit und Geld. Die Unzufriedenheit ihres Mannes wird immer größer, die Aggressionen auch und eines Tages eskaliert es.

Tasmin kämpft allein weiter, stürzt und steht wieder auf, wird diskriminiert, belästigt und angefeindet, findet nur schwer Kontakt zu den Einheimischen und verliert zudem ihre engste Vertraute auf der Insel.

Das Buch zerrt an dem Lesenden. Es will die volle Aufmerksamkeit und überschüttet den Leser:innen mit so vielen traurigen, erschreckenden und düsteren Geschehnissen, dass man zwischendurch etwas Luft braucht. Einfach mal durchschnaufen muss.

Gefühlt war das ganze Buch nass, kalt, traurig und kräftzehrend. Und doch hat es mir gefallen. Ich bewundere die Kraft und die Zähheit der Autorin. Ihren Willen sich durchzusetzen und die Insel zu ihrer Heimat, ihrem Zuhause zu machen. Ich konnte oft nicht nachvollziehen, warum sie bleibt, warum sie sich diese Angst, Wut, Strapazen und die Feindseligkeit der Anderen antut. Ist die Insel wirklich so einnehmend, so schön, dass es sich lohnt, Blätter von Bäumen zu essen, damit man überlebt?

Ich schwankte immer zwischen Faszination und Zweifel und konnte doch das Buch nicht weglegen. Es ist ihre Geschichte, ihr Leben und man kann nur den Hut ziehen, dass sie sich durchgesetzt hat.

Im übrigen werden keine Jahreszahlen genannt, aber nach 14 Jahren auf der Insel versucht sie sich mit ihrem größten Widersacher (der sie auch angegriffen und bedrängt hat) auf einen labilen Frieden zu einigen. Daran sieht man, dass die Autorin wirklich ausdauernd und zäh ist.

Veröffentlicht am 03.01.2021

Eine ruhige ansprechende Geschichte mit französischen Flair.

Ein Winter voller Blumen
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Paris - nass, kalt und im Winter. Keine schöne Kulisse für die Romantik und die Liebe, aber Monsieur Matin stolpert in einen Blumenladen, der alles grau verschwinden lässt. Vielleicht liegt es eher an ...

Paris - nass, kalt und im Winter. Keine schöne Kulisse für die Romantik und die Liebe, aber Monsieur Matin stolpert in einen Blumenladen, der alles grau verschwinden lässt. Vielleicht liegt es eher an Mademoiselle Fleur als an ihren exotischen Pflanzen, aber von nun an wird er etwas zum Träumen haben.

Fleurs de Fleur kämpft jedoch um das Überleben. Der Laden ist klein und wirft zu wenig für die hohen Pariser Ladenmieten ab. Dazu kommt noch, dass die Ladenbesitzerin zu gutmütig ist. Sie kommt immer mehr in Schwierigkeiten und Geldnot, so dass sie am Ende mit dem Rücken an der Wand steht. Doch sie hat die Rechnung ohne Mathilde Fréjus, ihre grummelige und energische Teilzeitmitarbeiterin, gemacht.

Und Monsieur Matin? Er kämpft ebenfalls. Mit sich, seinen Tagträumen, seiner zu großen Schüchternheit und seinem Chef. Er, der jede Reklamation im Hotel elegant in den Griff bekommt, scheitert an seiner zurückhaltenden und leicht zerstreuten Art, wenn es um Mademoiselle Fleur geht.

Das Buch ist eine schöne leichte Geschichte, mit ein paar traurigen Elementen, wo man am Anfang schon weiß, wie es ausgehen wird. Aber auf den Weg dahin trifft man charmante und sympathische Charaktere, mit denen man lacht, flucht und trauert. Eine ruhige ansprechende Geschichte mit französischen Flair.

  • Einzelne Kategorien
  • Erzählstil
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.12.2020

Very british

Middle England
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Der Brexit ist gerade wieder in aller Munde und noch immer weiß man nicht, was wird passieren in den nächsten Jahren? Welche Probleme kommen noch hinzu? Ist die Bevölkerung wirklich mit dem Brexit einverstanden? ...

Der Brexit ist gerade wieder in aller Munde und noch immer weiß man nicht, was wird passieren in den nächsten Jahren? Welche Probleme kommen noch hinzu? Ist die Bevölkerung wirklich mit dem Brexit einverstanden? Es bleibt spannend.

Wer noch einmal nachlesen möchte, wie es begann, aber auf das Wälzen von Zeitungen und auf das Sachbuch nicht zurückgreifen will, nimmt das Buch von Jonathan Coe. Hier bekommt man eine feine Satire auf die britische Gesellschaft. Coe lässt nicht nur die Politik und die Presse über das Referendum diskutieren, sondern bohrt seine Finger auch in die anderen Wunden. Rebellion der Jugend, Rassismus, Aggressionen gegen alles, was anderer Meinung ist. Und immer stellt sich die Frage: Wie weit darf man gehen?

Der Ausbruch, der Umbruch und die Veränderungen werden von Jonathan Coe anhand verschiedener Familien bzw. Personen beschrieben. Er erzählt deren Geschichte, die sich mit den verschiedenen Themen auseinandersetzen müssen. Im Laufe des Buches werden ihre Leben auf interessante Art und Weise miteinander verknüpft. Der britische Humor springt dem Lesenden auf fast jeder Seite entgegen. Man sollte sich einfach darauf einlassen und die kleinen bösen Seitenhiebe aufnehmen. Vieles wird deutlicher, klarer und erschreckender, wenn man die Hintergründe etwas kennt. Einiges reißt der Autor nur an und überlässt es dem Lesenden, sind weiter darüber zu informieren, aber der Stachel ist gesetzt.

Ich habe mich sehr gut amüsiert, manches Mal herzlich gelacht, oft den Kopf geschüttelt und gestaunt. Das wird nicht mein letztes Buch von Jonathan Coe sein.

Veröffentlicht am 23.12.2020

Familiengeschichte aus Hamburg

Hotel Savoy
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Ich mag diese Coverbilder nicht, obwohl dieses sich schon von den gängigen Covern, Frauen mit Rücken zum Leser vor Gebäude, abweicht. Aus meiner Sicht suggeriert das Cover einen anderen Inhalt als der ...

Ich mag diese Coverbilder nicht, obwohl dieses sich schon von den gängigen Covern, Frauen mit Rücken zum Leser vor Gebäude, abweicht. Aus meiner Sicht suggeriert das Cover einen anderen Inhalt als der Leser:in dann darin finden wird.

Josephine lebt auf dem Land bei ihrer Tante und den Heidschnucken und hat so den zweiten Weltkrieg überlebt. Doch dann kommt ein Brief aus Hamburg, dass sie nun mit 21 Jahren die Erbin des Hotel Savoy sein wird. Sie reist nach Hamburg und stellt sich ihren Erinnerungen, ihren Ängsten und vor allem der Vergangenheit.

Karsten Flohr blättert ganz langsam die verkrusteten Schichten ab und lässt so die Machenschaften der Nazis wieder sichtbar werden. Er zeigt, wie und wo (hohe Ämter) sich die Mitläufer:innen und die Täter:innen in der noch jungen BRD eingerichtet. Aber nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land ist viel Unrecht geschehen, wo die Menschen, auch vor Angst, weggeschaut haben. Josephine will diesen Zustand nicht akzeptieren. Sie will erfahren, wo ihr Vater und ihre Mutter geblieben sind und wer ihr Leben zerstört hat.

Es geht vordergründig um die Aufarbeitung der Vergangenheit und weniger um das Hotelleben, um den Glanz und die Prominenz, sondern um die Menschen im Hotel. Der Autor beschreibt vieles recht sachlich, manchmal schon fast zu nüchtern, aber trotzdem spürt man die Wut, die Trauer und die Zuneigung der Charaktere.

Und natürlich muss auch in diesem Buch die Hoffnung bleiben und auch das Gute darf gewinnen.

Veröffentlicht am 20.12.2020

Sehr unterhaltsam, etwas skurril und gut gelesen

Bullenbrüder: Tote haben kalte Füße
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Ach, mit den Bullenbrüdern auf Verbrecherjagd zu gehen, kann nur Spaß machen. Es ist kein klassischer Krimi mit düsteren Charakteren, riesigen Blutlachen, wilden Schießereien und rasanten Verfolgungsjagden. ...

Ach, mit den Bullenbrüdern auf Verbrecherjagd zu gehen, kann nur Spaß machen. Es ist kein klassischer Krimi mit düsteren Charakteren, riesigen Blutlachen, wilden Schießereien und rasanten Verfolgungsjagden. Wenn man dies will, müssten Charlie und Anita die Geschichte verlassen und das wäre wirklich schade. Denn beide bringen das Leben und die Arbeit von Holger Brinks so schön durcheinander und sein Nervenkostüm immer an seine Grenzen. Da ist man tatsächlich froh, nur Zuhörer:in zu sein.

Die Geschichte ist einfach gestrickt und man ahnt, was passieren wird, aber durch die vielen kleinen Unterbrechungen durch familiäre Katastrophen, bleibt es spannend und unterhaltsam. Ich habe mich köstlich über die ausufernden Hochzeitswünsche von Mutter Anita und ihrem Rodrigo amüsiert und wie die Mutter ihre Söhne in den Wahnsinn treibt. Von ihrem aktiven Sexleben, welches sie im Haus ihres Sohnes nachgeht, rede ich lieber nicht.

Es gibt Szenen, die will man auf keinen Fall mal live und in Farbe erleben und niemand kann sie so gut und bildlich vorlesen, wie Christoph Maria Herbst. Er ist, aus meiner Sicht, einer der besten Hörbuchsprecher (neben Achim Buch und Torben Kessler). Er schafft es den Charakteren unverwechselbare Stimmen zu geben, so dass sofort das Kopfkino startet und das Bild des Charakters sich erstellt. Ich gebe zu, dass ich immer auf den Einsatz der kaugummischmatzenden Kollegin von Holger Brinks gewartet habe. Großes Kino, wie Christoph M. Herbst sie darstellt. Ich hoffe, dass sie einmal einen größeren Part bekommt.

Ach so, der Fall oder die Fälle werden schon aufgeklärt. Ordnung muss sein.