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Veröffentlicht am 16.05.2021

Eine junge Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

Viktor
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Judith Fanto erzählt in ihrem Roman „Viktor“ eine Familiengeschichte, die an ihre eigene angelehnt ist. In Wien lebt 1914 die gutbürgerliche Familie Rosenbaum: Großeltern, Eltern und die Kinder Viktor, ...

Judith Fanto erzählt in ihrem Roman „Viktor“ eine Familiengeschichte, die an ihre eigene angelehnt ist. In Wien lebt 1914 die gutbürgerliche Familie Rosenbaum: Großeltern, Eltern und die Kinder Viktor, Felix und Laura. Zunächst geht es ihnen gut. Nur der unkonventionelle Viktor schlägt mit seinen vielen Frauengeschichten und nicht immer ganz legalen Geschäftsideen aus der Art. Dann ändern sich die Zeiten. Antisemitismus und Verfolgung nehmen zu, und viele Juden wandern aus, einige gerade noch rechtzeitig. Viktors Bruder mit Frau und Kind fliehen mit Hilfe der katholischen Kirche nach Holland. Auf der zweiten Zeitebene beginnt die junge Geertje in den 90er Jahren in Nimwegen ein Jurastudium. Sie macht ihren Eltern und ihrer Großmutter seit langem den Vorwurf, dass sie die jüdische Vergangenheit ihrer Familie leugnen und alle Ereignisse im Zusammenhang mit der Schoah totschweigen. Geertje nimmt den Namen Judith an, nimmt Kontakt zur jüdischen Gemeinde auf und will eventuell ein jüdisches Leben führen. Sie stellt Nachforschungen an, um das Schicksal ihrer Vorfahren aufzuklären. So erfährt der Leser kapitelweise wechselnd von der Vergangenheit und Gegenwart, wobei über die Gegenwart aus Judiths Perspektive berichtet wird.
Der Roman liest sich sehr gut. Er macht noch einmal deutlich, wie furchtbar die Naziverbrechen waren und wie schuldig sich die Überlebenden fühlten, weil sie das Grauen überlebt hatten. Keiner kommt jemals über dieses Trauma hinweg. Auch wenn man die geschichtlichen Daten und Fakten kennt, ist dies ein sehr empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 16.05.2021

Wer war´s?

Eine perfekte Ehe
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In Kimberly McCreights Roman „Eine perfekte Ehe“ bekommt die Anwältin Lizzie Kitsakis eines Tages einen Anruf von einem Bekannten, der sie bittet, ihn in einem Strafprozess zu vertreten. Lizzie hat Zach ...

In Kimberly McCreights Roman „Eine perfekte Ehe“ bekommt die Anwältin Lizzie Kitsakis eines Tages einen Anruf von einem Bekannten, der sie bittet, ihn in einem Strafprozess zu vertreten. Lizzie hat Zach Grayson seit dem Studium nicht mehr gesehen und lehnt zunächst ab, weil sie auf Wirtschaftsrecht spezialisiert ist. Man verdächtigt Zach, seine Frau Amanda ermordet zu haben und hält ihn im Gefängnis Rikers Island fest – ohne die Möglichkeit, auf Kaution frei zu kommen. Lizzie übernimmt den Fall schließlich doch, weil sie Zach für unschuldig hält. Sie stellt eigene Nachforschungen an, weil für die Polizei der Schuldige zweifelsfrei feststeht. Der Leser entdeckt mit ihr nicht nur neue Spuren und andere Verdächtige, sondern erlebt auch Amandas letzte Tage vor der berüchtigten Party mit, nach der sie in ihrem Haus umgebracht wurde. Eine Gruppe von gutsituierten Eltern feiert bei einem Ehepaar einmal im Jahr eine ausgelassene Party, während ihre Kinder sich im Ferienlager aufhalten. Dort gibt es im Obergeschoss des Hauses Gelegenheit zum unverbindlichen Partnertausch. Außerdem findet Lizzie Amandas Tagebücher und erfährt so über so manche dunkle Seite in ihrem Leben, u.a. dass ein unbekannter Stalker sie ständig beobachtete und verfolgte, so dass Amanda unter Albträumen und Halluzinationen litt. Lizzie schaut auch hinter die Fassaden der anderen Ehen und muss feststellen, dass es überall Probleme gibt genauso wie in ihrer eigenen. Es ergibt sich ein verworrenes Bild mit mehreren Verdächtigen und zahlreichen falschen Fährten. Nichts ist, wie es scheint, und der Leser wartet gespannt auf die überraschende Auflösung.
Der Roman ist eine Mischung aus Justizdrama inklusive Vernehmungsprotokollen und Gerichtsverhandlungen und häuslichen Dramen vorwiegend in der Gesellschaftsschicht der Reichen und Schönen. Die Geschichte ist nicht uninteressant, konnte mich aber nicht durchweg fesseln.

Veröffentlicht am 24.01.2021

Wie viel Gewalt verträgt die Liebe?

Hingabe
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Bénédicte Belpois` Debütroman „Hingabe“ (Originaltitel: „Suiza“) erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das eines Tages aus einem Heim in der Schweiz flieht, weil es das Meer sehen will und in einem ...

Bénédicte Belpois` Debütroman „Hingabe“ (Originaltitel: „Suiza“) erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das eines Tages aus einem Heim in der Schweiz flieht, weil es das Meer sehen will und in einem entlegenen Dorf in Galizien landet. Das Mädchen nennt sich Suiza (spanisch für Schweiz). Suiza hat eine lange Reise per Anhalter hinter sich und wird von der Frau, die sie ausgehungert und verdreckt auf ihrem Grundstück findet, an den Kneipenbesitzer Alvaro weitervermittelt. Alvaro nutzt ihre Arbeitskraft aus, nimmt aber wie selbstverständlich auch andere Dienste in Anspruch. Suiza gilt als dumm und wehrt sich nicht. Sie sieht naiv und kindlich aus, verfügt aber über eine außergewöhnliche Anziehungskraft auf Männer. So verfällt ihr auch der reiche Bauer Tomás López Gabarre, als er sie zum ersten Mal bei Alvaro sieht. Vor aller Augen macht Tomás seinen Besitzanspruch geltend und nimmt Suiza mit. Am Anfang sind ihre Begegnungen von einer befremdlichen Mischung aus Sex und Gewalt bestimmt. Erst allmählich entwickelt sich eine Liebesbeziehung, in der auch Suiza als Person eine Rolle spielt. Auch bei Tomás gibt es Altlasten, die einer solchen Beziehung im Weg stehen. Tomás ist mit knapp 39 Jahren nach fünf Jahren Ehe seit sechzehn Jahren Witwer. Er ist ein grobschlächtiger, nicht empathiefähiger Mann, der nichts über die Liebe weiß und nur mit Prostituierten zurechtkommt. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine Liebesbeziehung, zumal Tomás gleich zu Beginn von seiner Krebsdiagnose erfährt und weiß, dass seine Tage gezählt sind. Die beiden Partner bewegen sich allmählich aufeinander zu, vor allem weil Tomás Ratschläge für den Umgang mit Suiza von seiner Amme Agustina, seinen Helfern Ramón und dem gesellschaftlich ausgegrenzten schwulen Lope sowie dem Ladenbesitzer Luis erhält. Im Laufe der Geschichte wird alles besser, weil Suiza und vor allem Tomás sich verändern, aber kann das ein gutes Ende nehmen, wenn sich zugleich Tomás Gesundheitszustand unaufhaltsam verschlechtert?
Belpois erzählt eine Geschichte von Sex und Liebe, von Besitzansprüchen und Gewalt inklusive Vergewaltigungen, wobei der Anteil von Gewalt in dieser Beziehung ebenso irritierend ist wie die Tatsache, dass Frauen „genommen“ oder weitergereicht werden, ohne dass man sie groß nach ihrer Meinung fragt. Der Roman ist beeindruckend in seiner sprachlichen Qualität und Zeichnung all seiner Figuren. Er hat mir gut gefallen, auch wenn ich auf dieses Ende nicht vorbereitet war.

Veröffentlicht am 03.01.2021

Unsere Berufung ist der Ausdruck unserer Identität

Miss Bensons Reise
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Im Mittelpunkt von “Miss Bensons Reise“ steht die anfangs, d.h. im Jahr 1914 - 10jährige Margery Benson. Durch Erzählungen und Abbildungen weckt Margerys Vater das Interesse seiner Tochter für Käfer, speziell ...

Im Mittelpunkt von “Miss Bensons Reise“ steht die anfangs, d.h. im Jahr 1914 - 10jährige Margery Benson. Durch Erzählungen und Abbildungen weckt Margerys Vater das Interesse seiner Tochter für Käfer, speziell für diesen goldenen in Neukaledonien. Im Laufe der Jahre gerät der Plan einer Reise dorthin in Vergessenheit. Sie hat einen Insektenforscher kennengelernt und viel von ihm gelernt. Ihre Liebe zu dem deutlich älteren Mann wird jedoch nicht erwidert. Er hat sie lediglich als kostenlose Arbeitskraft ausgenutzt. Margery arbeitet viele Jahre als Hauswirtschaftslehrerin, bis sie eines Tages so von ihren Schülerinnen gedemütigt wird, dass sich an ihren alten Traum erinnert und eine Expedition nach Neukaledonien vorbereitet. Alles muss sehr schnell gehen, und sie engagiert die schwatzhafte, scheinbar völlig ungeeignete Enid Pretty als ihre Assistentin. Das geschieht Anfang der 50er Jahre.
Im Mittelpunkt des Romans steht die Beschreibung der ungewöhnlichen Reise mit zahllosen Komplikationen und Gefahren. Zwischen den Frauen wächst allmählich eine tiefe Freundschaft. Sie können sich aufeinander verlassen und helfen einander in der Not. Beide sind traumatisiert – Margery durch ihre freudlose Kindheit bei zwei strengen Schwestern des Vaters, der sich nach dem Tod seiner vier Söhne umgebracht hat, Enid durch eine Serie von Fehlgeburten und den bisher unerfüllten Kinderwunsch. Margery ahnt, dass Enid Geheimnisse vor ihr verbirgt, eventuell sogar eine kriminelle Vergangenheit, vor der sie auf der Flucht ist. Eine weiterer „Schatten“ bedroht die Frauen in der Person des als Assistent abgelehnten Mr. Mundic. Er ist von seinem Kriegstrauma und der aus der Gefangenschaft resultierenden Krankheit schwer gezeichnet und gerät häufig völlig außer Kontrolle. Mundic folgt den Frauen ungesehen auf ihrer Expedition und wartet auf den Moment, in dem er die Führung übernehmen kann.
Die Enthüllung von Geheimnissen und der ungewisse Erfolg des riskanten Unternehmens sorgt für Spannung und macht den Reiseroman in der Tradition großer Vorbilder – z.B. Jules Vernes “In 80 Tagen um die Erde“ – zu einer interessanten Lektüre. Beeindruckend sind hier vor allem die Schilderungen der Natur im Südpazifik. Den Leser berührt die Freundschaft der Frauen und Margerys Entdeckung ihrer eigenen Stärke. Ein Ausblick auf die 80er Jahre zeigt, dass Margery wiederum zu einer Inspiration für eine andere Frau wird. Es geht nicht alles gut aus in dieser Geschichte, aber es gibt einen Silberstreif am Horizont. Mir hat dieses Buch gut gefallen.

Veröffentlicht am 31.12.2020

Ein Mädchen verschwindet

Das Vermächtnis
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In “Das Vermächtnis“, dem neuen Roman von Daniel Silva wird ein 12jähriges Mädchen trotz bewaffneter Bodyguards und gepanzerter Limousine in Genf entführt, wo es eine Privatschule besucht. Wie sich herausstellt, ...

In “Das Vermächtnis“, dem neuen Roman von Daniel Silva wird ein 12jähriges Mädchen trotz bewaffneter Bodyguards und gepanzerter Limousine in Genf entführt, wo es eine Privatschule besucht. Wie sich herausstellt, handelt es sich um die Tochter von Khalid bin Muhammed, dem Kronprinzen von Saudi Arabien. Dieser engagiert Gabriel Allon, den Chef des israelischen Geheimdienstes, der hier zum 19. Mal in Erscheinung tritt. Ihm steht die Kuratorin Sarah Bancroft vom MOMA in New York zur Seite, eine ehemalige CIA-Agentin, die dem Leser ebenfalls aus früheren Romanen bekannt ist. Sie ist im Roman keine sympathische Figur und gerät selbst in höchste Bedrängnis.

Der Roman erzählt eine wilde Geschichte mit vielen Nebenschauplätzen und vielen Toten. Es gibt zahlreiche Anspielungen auf real existierende Prominente wie den aktuellen Kronprinzen von Saudi Arabien, Trump und Putin. Eine gewisse Rolle spielt auch ein Gemälde, das vielleicht ein echter da Vinci ist, vielleicht aber auch nicht. Etwas befremdlich ist die Darstellung der Rolle von Frauen in der Welt der Spione. Sie haben andere Aufgaben, können mit den männlichen Helden nicht mithalten. “Das Vermächtnis“ ist vielleicht nicht Silvas stärkster Roman, aber ich fand ihn spannend und fühlte mich gut unterhalten.