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Veröffentlicht am 04.07.2021

Ein Weg zur mentalen Entschleunigung

Kybalion - Die 7 hermetischen Gesetze
1

Wer lange Strecken seines Lebensweges im weitesten Sinne meditativ zurücklegt, so wie ich es auf meinen zahlreichen langen Bahnfahrten erlebe, dessen Geist und dessen Sinne docken irgendwann an Gedankensysteme ...

Wer lange Strecken seines Lebensweges im weitesten Sinne meditativ zurücklegt, so wie ich es auf meinen zahlreichen langen Bahnfahrten erlebe, dessen Geist und dessen Sinne docken irgendwann an Gedankensysteme an, die als, zumindest irgendwie, spirituell bezeichnet werden können. Wenn die Landschaft scheinbar gleichmütig vorüberzieht, entflieht oftmals der Geist in Sphären, wo er sich an existenziellen Fragen stößt und reibt. Meistens an der existenziellen Frage an sich: Worin liegt eigentlich der Sinn menschlichen Seins, menschlichen Lebens, unserer Existenz auf diesem Planeten?

Antworten können einem entweder zufliegen (was sicher nicht den Normalfall darstellt) oder man kann sie aus einem gedrucktem Kompendium extrahieren. Mir ist ein solches in die Hände gefallen. Obwohl ich nie zuvor etwas von William Walker Atkinson gehört habe, griff ich zu, denn zur Hermetik und ihren Gesetzen wollte ich (nach der Lektüre einiger belletristischer Werke, die Bezug zu dieser Lehre nehmen) einfach mehr wissen. Und außerdem hoffte ich Sinnfragen des Lebens klären zu können.

Kybalion – Die 7 hermetischen Gesetze. Es sind derer tatsächlich sieben. (Und mir schwirrte noch immer der Begriff vom Pentium Hermeticum im Kopf herum.) Was also hat es auf sich mit der heiligen Zahl 7? Es sind sieben universale Prinzipien, die Hermes Trismegistos (der Namensgeber dieser spirituellen Richtung) der Menschheit übermittelt hat. Prinzipien der Geistigkeit, der Entsprechung, der Schwingung, der Polarität, des Rhythmus, der Kausalität und des Geschlechts. Und wie es aussieht, scheinen es Mysterien im eigentlichen Sinne nicht zu sein, eher sind das die Grundbausteine unseres Seins. Aber Atkinson wäre kein spiritueller Meister würde er es bei einer nüchternen, rationalen Argumentation belassen. Nein, er bleibt seinem Anliegen treu und schildert die interessante Lehre aus konsequent spiritueller Sicht, jedoch ohne jede Spur verengter religiöser Dogmatik.

Und so sollte man das Büchlein auch rezipieren: Sich in Kontemplation versenken, aufklappen, reinlesen, zuklappen, nachdenken. Und ab und zu aus dem Fenster schauen, die Unendlichkeit der himmlischen Sphären auf sich wirken lassen, alles in kosmischen Zusammenhängen sehen.

Und allmählich werden sich Antworten auf all die existenziellen Fragen formen, die der suchende Geist aufgeworfen hat. Alles fließt, nichts ruht, alles schwingt. Und das All ist Geist, wie oben, so unten. Wie innen, so außen.

Ist das die Essenz des Lebens? Ich glaube, dass ich weiter darüber nachdenken muss. Mit stillem Blick aus dem Fenster. Auf Bäume, Häuser, Himmel und Menschen. Am Zielbahnhof habe ich das Büchlein erst aus der Tasche gezogen, einen Augenblick gezögert … und es dann wieder versenkt. Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen. Ich muss es nochmals lesen und wieder lesen …

… und empfehlen: Leute lest dieses kleine Kompendium spiritueller Weisheiten, es entschleunigt und tut gar nicht weh. Geschrieben in entgegenkommender Einfachheit. Weit mehr als ein simpler Esoterik-Ratgeber. Was für ein Werk!

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Veröffentlicht am 26.05.2021

… Oder ist der Weg das Ziel?

Wanderfieber
1

Manchmal fällt mir ein Büchlein in die Hand, das so gar nichts mit meinen üblichen literarischen Interessen gemein hat und das mich dennoch, oder trotzdem, fesselt. Normalerweise geht es rasant zu in den ...

Manchmal fällt mir ein Büchlein in die Hand, das so gar nichts mit meinen üblichen literarischen Interessen gemein hat und das mich dennoch, oder trotzdem, fesselt. Normalerweise geht es rasant zu in den Geschichten, die ich verschlinge, da wird auch mal die Welt aus den Angeln gehoben oder eine neue Menschenrasse gezüchtet, meistens hetzt der Autor durch die Story, dass der Leser kaum hinterherkommt.

Nicht so bei Christian Zimmermann, da schrumpft die Geschwindigkeit auf die Schrittfolge des Wandersmannes und gleichzeitig gewinnt die räumliche Ausdehnung existenzielle Ausmaße: 3392 Kilometer von Flumenthal in der Schweiz nach Moskau im Herzen Rußlands. Wer, so wie ich, meistens mit dem Zug durchs Land rauscht, sehnt sich manchmal, wenn die Landschaft beinah unscharf am luftdichten Fenster vorbeirast, nach genau jener Entschleunigung, mit der der Autor auf Reisen geht und sich dabei seinen Weg selbst erarbeitet, der Landschaft und den Elementen direkt ausgesetzt. Land, Kultur und die Menschen, die den jeweiligen Raum bewohnen: Die Begegnungen sind authentisch und unmittelbar und manchmal unvermittelt und voller Überraschungen.

So etwas wie eine Ursehnsucht wird in mir geweckt und die Erinnerungen an einen Klassiker, den ich in jüngeren Jahren mit Interesse gelesen habe und den ich, in den Tag träumend, auf seiner Wanderschaft vor über 200 Jahren begleitet habe, stiegen in mir hoch als ich Zimmermanns Büchlein in den Händen hielt: Johann Gottfried Seumes „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“. Aber auch der Reisebericht eines Stern-Reporters (dessen Name mir entfallen ist) und den mir Lilly mal zugesteckt hatte, fiel mir wieder ein. Alle haben sie sich zu Fuß auf die Reise begeben und ihnen allen wurde diese Erfahrung zu einer existenzieller, zu einer, die das Leben neu geerdet hat.

Und ich sitze im ICE, der pfeilschnell dahinfliegt, und lese, wie ein Schritt vor den anderen gesetzt wird und Christian Zimmermann seinen auf den Namen Mrs. Molly getauften Einkaufswagen vor sich her- und immer weiter Richtung Osten schiebt. Einhundertelf Tage ist er unterwegs und mit jedem neuen Tag erlebt er, wie sich die Welt jeweils ein Stückchen ändert, auch wenn es scheint, als ob sie stillsteht. Je weiter er sich seinem Ziele nähert, desto menschlicher scheint es zu werden, irgendwie verändert allmählich die Landschaft den Volkscharakter. Oder ist es die Weite, die zunimmt, je mehr man die kompakten Siedlungsgebiete Mitteleuropas hinter sich lässt?

Nein, dieser Bericht liefert keine herkömmlich „Spannung“, hier gibt es keine „Action“, keinen „Thrill“ und dennoch ist es eine wunderbare Lektüre, die ich allen, die in ihrem Leben ein wenig Luft holen und wenigstens kurz verharren möchten, wärmstens empfehlen kann. Ich habe mich während der 300 km Eisenbahnfahrt darangemacht und die 3392 km Fußmarsch innerhalb der Fahrtzeit geschafft. Nun muss ich nur noch endlich selbst Schusters Rappen satteln. Werde ich es schaffen? Vor meinem Auge tauchen die Ziele ganz verschwommen aus dem Nebel der Imagination: Syrakus, Moskau … Oder ist der Weg das Ziel?

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Veröffentlicht am 19.04.2021

Absolut genialer Trash!

Stahlfront 2029 – Band 1: Terrorstaat
1

Ich scheue nicht davor zurück, es gleich zu Beginn meiner Ausführungen zu gestehen: Ich bin begeistert! Begeistert vor allem über die klare, eindeutige, unverschleierte Sprache, mit der der alltägliche ...

Ich scheue nicht davor zurück, es gleich zu Beginn meiner Ausführungen zu gestehen: Ich bin begeistert! Begeistert vor allem über die klare, eindeutige, unverschleierte Sprache, mit der der alltägliche Wahnsinn unserer Epoche, das debile, degenerierte Dasein eines Zeitalters entwerteter Werte und falscher Propheten geschildert wird. Alles, was heutzutage von einer sich moralisch gerierenden Kaste als „politisch korrekt“ deklariert wird, „dekonstruiert“ das Autorenduo mit schwungvoller Feder, ohne Rücksicht auf Denk- und Sprechverbote, mit einer geradezu frivolen Lust an der Provokation. Wunderbar preziös, mit gekonntem Griff in die Wundertüte literarischer Klischees beschreiben die Autoren eine geisteskranke gesellschaftliche Realität, die uns in allernächster Zukunft droht. Das Genre des Trivialromans ersteht in neuer Blüte! Das ist genau die Sorte Trash, die in der Lage ist, adäquat den real existierenden Trash unseres Daseins zu beschreiben! Eine „echte Satire“ nennen die Autoren die Beschreibung der heutigen bundesdeutschen Verhältnisse, der sie die „Wirkung einer Monstrosität“ attestieren. So kann man es auch auch sehen!

Und sämtlicher geistiger Unrat unserer Zeit wird gleich zu Beginn aufgelistet: Alles, was Multikulti-, Klima- und Genderwahnsinnige zu bieten haben – gespeist aus Schuld und Scham und Selbsthass. Genau die Art von debiler Anklage, die ein geistig gestörtes Mädchen mit mongoloiden, „von einem Impfschaden gekennzeichneten Gesichtszügen“ der Welt entgegenschleudert.

Mit Greta Thunbergs Ankunft in New York 2019 setzt dieser Roman dann auch ein. Ihre öffentliche Selbstverbrennung mit Napalm stellt auch im Jahre 2029 noch ein Rätsel dar. Martin Falkenhayn, ein kritischer Online-Journalist, verlässt sein Refugium im Wald und macht sich auf die Suche nach den Hintergründen. Seine Ex-Freundin Maidie, eine ehemalige Prostituierte, die mit dem metrosexuell anmutenden Lysander liiert ist, dient ihm als Informantin. Vom beinahe vollständig islamisierten Berliner Stadtteil Neukölln aus, in dem die Scharia über dem Bürgerlichen Gesetzbuch steht, nimmt die spannende Story ihren Lauf. Alles, was das Klischee verlangt, wird auch geboten, vom V-Mann bis zur genmanipulierten Friedenstaube, die die graue Berliner Stadttaube bereits vollständig verdrängt hat.

Mehr möchte ich nicht verraten, es ist alles wirklich so köstlich, dass ich während meiner Bahnfahrt mehrfach unkontrolliert ins Lachen ausgebrochen bin. Allein schon wegen der überbordenden, skurril überspitzten Einfälle, die wahrscheinlich nicht mehr weit von der uns zu erwartenden Realität entfernt sein dürften. Richtig gut die islamisch gekleideten, Einkaufstaschen tragenden, „Eltrome“ genannten Begleitroboter im Schlepptau ihrer in Burkas gewandeten Besitzerinnen beim Schlendern über den Basar auf dem Herrmannplatz. Oder das Angebot genderneutraler Mode. Und dann tauchte auch noch der Name Moholy-Nagy auf! Das Comeback der Bauhaus-Moderne – diesmal als „intelligente Schnittstelle zwischen Nutzer und dem weltumspannenden Datennetzwerk“. Von der Welt „Smart Collect“ genannt, vom Deutschen „Army“ getauft, weil es um den Arm getragen wird! Genial. Bei letzterem wurde ich mal wieder an den „Minuteman-Algorithmus“ erinnert. Da kam die Autorin auf eine ähnliche Analogie – Whatspay – und von Schnittstellen zwischen Nutzer und dem weltumspannenden Datennetzwerk war da ebenfalls zentral die Rede.

Das Buch ist als Band 1 einer neuen Stahlfront-Serie ausgewiesen. Mit der alten Stahlfront hat es nichts zu tun und leider habe ich auch keinen Folgeband entdecken können. Hoffen wir mal, das die Fortsetzung dennoch bald erscheint.

Leute, unbedingt lesen, wenn ihr gegen die Verhältnisse auflachen wollt.

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Anregende Unterhaltung und Erkenntnisgewinn

Das Tristmon-Projekt
1

Vor meiner nächsten Bahnfahrt durch die verschneite Landschaft musste ich mich für ein Begleitbuch entscheiden. Gerlind schob mir zwei interessant aussehende Bände zu. Nach einem Blick auf die Verlagsangaben ...

Vor meiner nächsten Bahnfahrt durch die verschneite Landschaft musste ich mich für ein Begleitbuch entscheiden. Gerlind schob mir zwei interessant aussehende Bände zu. Nach einem Blick auf die Verlagsangaben griff ich nach dem „Tristmon-Projekt“ von Viktoria und Sebastian Hug. „Books on Demand – BoD“ – nach dem Glücksgriff mit dem „Minuteman-Algorithmus“ gab es für mich keine weiteren Zweifel. Und, ich sage das vorab, ich wurde nicht enttäuscht. Der Verlag der Selbstverleger scheint eine Fundgrube für Literaturentdeckungen zu sein!

Die von der ersten Zeile an spannende Geschichte enthält alle Zutaten, die sowohl anregende Unterhaltung als auch Erkenntnisgewinn versprechen. Wie jede gute Literatur zitiert sie in der Figurenzeichnung und Erzählführung große Vorbilder und integriert mit leichter Hand universell bewährte Versatzstücke aus dem Fundus von History, Fantasy und Mystery.

Nummer 349 z.B.: Yan Pavel, der zu Zwangsarbeit verurteilte Grubenarbeiter, ließ mich sofort an Nummer D-503 aus Samjatins „Wir“ denken. Und da schweifte der Gedankengang weiter zum erst vor kurzem gelesenen „Minuteman-Algorithmus“ ab. Der Arzt, der auf Verlangen des Grubendirektors, Nummer 349 aufgrund der scheinbar unheilbaren Verletzungen nach der Gasexplosion im Schacht, abschreibt, ist scheinbar menschlicher als der sadistische Ariosoph Dr. Lomer (der D-503 direkt zitiert), die Situation, die das Autorenduo mit großer stilistischer Kunstfertigkeit beschreibt, nicht weniger beklemmend.

Dem Grubenunglück, in dessen Folge Nummer 349 schwerste Verletzungen davonträgt, hat er andererseits seine Freiheit zu verdanken. Und die führt ihn auf eine versteckte Forschungsstation im Gebirge (!), in der der geniale Wissenschaftler (!) Richmut-Tristmon im Regierungsauftrag an einem Geheimprojekt arbeitet. Soviel sei verraten: Es geht nicht nur um Krieg und Frieden, sondern auch um Dämonen, die Liebe und jede Menge philosophischer Reflexionen zu universellen Fragen der Menschheitsgeschichte.

Alles so kunstfertig fein ziseliert beschrieben, dass beim Lesen ein Sog entsteht, der das ganze Sein des Lesers förmlich in die Geschichte hineinzieht. Nach dem Lesen brauchte ich ein paar Momente, um mich in meiner eigenen Wirklichkeit wiederzufinden. Und trotz der mentalen Realisierung der an mir vorbeirauschenden weißen Landschaft, blieb ich noch bis zum Zielbahnhof in der phantastischen Welt von Nummer 349 stecken.

Wie könnte man das Genre beschreiben? Am ehesten als eine gelungene Kompilation bester Elemente aus History, Fantasy und Mystery. Stilistisch und intellektuell auf hohem Niveau, so dass Spannung und Erkenntnisgewinn von der ersten bis zur letzten Seite garantiert sind. Immer wieder erstaunt die überraschende Handlungsführung.

Und gibt es kritikwürdiges zu vermelden? Kleinigkeiten, die dem insgesamt positiven Eindruck nicht das Geringste anhaben können. Eigentlich fällt mir nur die etwas seltsam anmutende Schreibweise der Namen ein. Wer schreibt schon Yan Pavel mit „Y“? (Karol Wojtyla z.B. war Jan Pawel) Andererseits passen zur Fantasy-Welt auch solcherart gestaltete Fantasienamen.

Ach ja, da gab es noch etwas: Nicht „Ihrer Majestät des Kaisers“ muss es heißen, sondern „Seiner …“

Am Ziel habe ich einen Moment gezögert. Sollte ich das Buch wirklich liegenlassen? Oder nicht besser nochmals lesen, da es so gut war? Nein, ich habe es auf bewährte Weise platziert, damit diese wunderbare Erzählung weitere Leser findet.

P.S. Danke auch an Rosecarie, die hier in der Lesejury als erste auf meine Anmerkungen aufmerksam geworden ist. Und die als Motto Nietzsche zitiert: Ein Buch, das man liebt, darf man nicht leihen, sondern muss es besitzen.

Ich weiß nicht recht. Muss man wirklich alles besitzen? Ein gelesenes Buch hinterlässt ja seinen Inhalt im Gedächtnis, im Gefühl. Und wenn es gut war, dann soll, ja dann muss man es weitertragen. Deshalb lasse ich meine Bücher zirkulieren, damit sie ihren weiteren Weg vom Schicksal geleitet finden.

P.S. 2: Nietzsche gehört auch zu Dr. Lomers Lektüre.

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Veröffentlicht am 08.02.2021

Ein Algorithmus, der süchtig macht

Der Minuteman-Algorithmus
2

Da habe ich aber einen Schreck bekommen: Meine Rezension gelöscht? Nein, hier geht es um die Neuauflage des „Minuteman-Algorithmus“, meine Anmerkungen stehen unter der ersten. Natürlich ist es erfreulich, ...

Da habe ich aber einen Schreck bekommen: Meine Rezension gelöscht? Nein, hier geht es um die Neuauflage des „Minuteman-Algorithmus“, meine Anmerkungen stehen unter der ersten. Natürlich ist es erfreulich, dass die Autorin dieses lesenswerten Büchleins erfolgreich ist, nur finde ich es seltsam, dass die Meinungen dazu nicht unter dem Titel gebündelt veröffentlicht werden.
Da ich meine Bücher nicht behalte, sondern zirkulieren lasse, weiß ich im Nachhinein gar nicht, welche Auflage ich gelesen habe. Deshalb scheint es mir gerechtfertigt, ein paar Gedanken zur Nachlese unterzubringen. Wer Interesse hat, meinen mehr spontanen, allgemeinen Eindruck zu diesem Buch nachzulesen, der möge unter der ersten Auflage schauen.

Die Autorin Derya Yalimcan erweist sich als wache, kundige Beobachterin unserer in gewissen Maße endzeitlichen gesellschaftlichen Entwicklung, die sie in die nächste und nahe Zukunft extrapoliert, die Düsteres verheißt. Auffällig ist, dass alles irgendwie mit der Zahl 5 verbunden ist. Es sind fünf Kinder aus dem Waisenhaus, die von nicht konkret genannten Mächten auserkoren werden, um die fünf Phasen einer menschenfeindlichen Agenda umzusetzen: Desinformation, Denationalisierung, Desozialisation, Dehumanisierung, Depopulation. Einer Agenda, die im Ergebnis zu einem „Great Reset“ des Homo sapiens führt. Als Wegweiser auf dem jahrzehntelangen Wege zur Umsetzung dieses Programms dient das sogenannte Pentium Hermeticum, eine okkulte Handlungsanleitung aus Theurgie, Heiliger Geometrie, Mythologie, Astrologie und Alchemie, die sich die Protagonisten hart erarbeiten müssen.

Beo und Elise Rosso, Vivi, Vinka und Eugenie, die körperlich, geistig oder aufgrund der Hautfarbe minderbemittelten bzw. ausgegrenzten Außenseiter aus dem Fürsorgeheim, die „Mutanten“, wie sie von den anderen Kindern genannt werden, verpfänden ihre Seelen übersinnlichen Mächten und erleben in der Folge einen atemberaubenden Aufstieg. Nicht nur die körperlichen Handicaps schwinden, sie entwickeln überdurchschnittliche Intelligenz und steigen auf in die Schaltstellen der globalen, und in der Folge, extraterrestrischen Umprogrammierung, bis sie, als Kulmination der Neuausrichtung der Menschheit, zu Prototypen einer modifizierten und optimierten Menschenrasse werden.

Doch so hoch sie auch steigen, sie sind nicht die eigentlichen Bestimmer, eher machen sie den Eindruck von Getriebenen. Über ihnen existiert noch etwas. Was es genau ist, wer es genau ist, verrät die Autorin nicht. Es werden allerlei geheimnisvolle Begriffe in die Runde geworfen. Mal ist es der Egregor, mal das Zikkurat. Dann wirkt im Hintergrund der scheinbar omnipräsente Algorithmer. Oder ist es eine von aller humanen Basis losgelöste, selbsttätig agierende Form der Künstlichen Intelligenz? Und ist diese wesensgleich mit dem, was als übersinnlich bezeichnet wird?

Doch es gibt einen kleinen Prozentsatz der Menschheitsbevölkerung, der sich der aus Verführung und Hypnose resultierenden Neigung zur seelischen Versklavung widersetzt, die Digiparia. Digiparia sind Menschen, die ihr Leben bewusst außerhalb der technologischen Entwicklung leben und damit für die Umprogrammierer unangreifbar werden. Es sind nur wenige, und deshalb werden sie von den dunklen Mächten in Ruhe gelassen, sie sind wohl einfach zu unwichtig. Dennoch werden sie es sein, die das Erbe der Menschheit bewahren. Sie gibt es in allen Kulturen, allen Religionen, auf allen Kontinenten. Die Autorin schildert sie episodisch mit viel Wärme und zeichnet dabei einen Gegenentwurf, der die unterschiedlichen Ansätze auf der Ebene des Humanismus vereint.

Wie nun in dieser Reise durch einen durchaus möglichen Verlauf der Geschichte die verschiedenen Charaktere (es sind ihrer sehr viele und man muss wach bleiben, um den Überblick zu behalten) mit den Widrigkeiten, Gegebenheiten und Ereignissen umgehen, liest sich hochinteressant und spannend. Shannon, Morrison, Swetlana, der Prophet Elias, der geheimnisvolle, an Jesus erinnernde Fremde, Bojana durchschreiten die mühevollen Wege der Erkenntnis, und jemand, dessen Name nicht genannt wird, hat all das aufgeschrieben, obwohl er sich nicht bewusst ist, ob das Geschehen wahr ist oder nur geträumt.
In einem aufgeweichten Manuskript öffnet sich der Buchhändlerin und gescheiterten Religionswissenschaftlerin Kimberly Morrigain dieses unglaubliche Geschehen, das sie uns Lesern dann in der vorliegenden Form übergibt. Sind also Derya und Kimberly ein- und dieselbe Person?

Das Buch kann ich wärmstens empfehlen. Ich habe es während einer Bahnfahrt durchgelesen. Es lässt mich aber bis jetzt nicht los. Irgendwie geistert der Algorithmus noch immer in meinem Kopf.

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