Profilbild von Zauberberggast

Zauberberggast

Lesejury Star
offline

Zauberberggast ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Zauberberggast über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.02.2021

Metafiktional, historisch, gegenwärtig spannend

Die dritte Frau
0

"Die dritte Frau" ist ein Roman über das Schreiben eines Romans und damit metafiktional sowie selbstreferentiell. Während wir also lesen, wie der vorliegende Roman vermeintlich entstanden ist, ...

"Die dritte Frau" ist ein Roman über das Schreiben eines Romans und damit metafiktional sowie selbstreferentiell. Während wir also lesen, wie der vorliegende Roman vermeintlich entstanden ist, lesen wir ihn, also quasi das “fertige” Produkt. Ich mag solche metatextuellen, postmodernen Spielchen sehr gerne.

Alles fing damit an, dass der Autor und Übersetzer Wolfram Fleischhauer in den 1990er Jahren einen Roman namens "Die Purpurlinie" schrieb. In diesem geht es um das mysteriöse Gemälde "Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern", gemalt 1594 von einem anonymen Künstler. Der historische Sachverhalt ist komplex, aber auf dem Bild sind zwei Mätressen des französischen Königs Henri IV dargestellt, die wohl um den französischen Thron betrogen wurden, da der König nicht eine der beiden, sondern Maria de Medici heiratete. Fleischhauer versuchte damals in seinem postmodernen Text die Geheimnisse um das historische Bild und die Fragen rund um den plötzlichen Tod von Gabrielle d’Estrées (wurde sie von den Medici vergiftet?) zu entschlüsseln, was aber wohl nur bedingt gelang. Am Ende blieben Fragen offen. Ohne dass Fleischhauers Name in "Die dritte Frau" fallen würde, ist der Ich-Erzähler ganz eindeutig mit seinem realen Autor und dem Autor der "Purpurlinie" gleichzusetzen. Wie viele tatsächliche Übereinstimmungen es zwischen ihm und seiner fiktionalen Stimme gibt und ob die Handlung dieses Romans völlig erfunden ist (wovon ich ausgehe) oder sich an der Realität in einigen Punkten anlehnt (z.B. Vorsatz einer Fortsetzung von “Die Purpurlinie”) weiß allerdings nur Wolfram Fleischhauer selbst. Jedenfalls bringt ein Brief eines Nachfahren der linken Frau auf dem Gemälde den Ich-Erzähler dazu, sich noch einmal mit seinem Erstlingswerk, das vor den Zeiten des Internets entstanden ist, auseinanderzusetzen. Was er bei seinen Nachforschungen in Südfrankreich bzw. Paris erlebt, ist dann hauptsächlich Gegenstand der Handlung.

Wir nehmen hautnah teil am Schaffensprozess des Autors und Ich-Erzählers sowie an seinem inneren Kampf mit Schreibblockade und Selbstzweifeln. Wir erfahren, wie viel Arbeit es bedeutet, einen historischen Roman zu schreiben: Quellenstudium, hier mit der besonderen Schwierigkeit des Dechiffrierens von Codes in einer alten Version der Fremdsprache. Vor Zeiten des Internets, als die “Purpurlinie” entstand, war natürlich alles noch viel schwieriger.
Meta und augenzwinkernd ist auch die Tatsache, dass die Agentin eben keinen historischen Roman will - der sei, wie sie sagt, tot - sondern einen typischen Mystery-Thriller im Stile Dan Browns, in der ein Gelehrter in der Gegenwartshandlung an einem geschichtsträchtigen Ort einem tödlichen Komplott bzw. historischem Rätsel auf die Schliche kommt. Der Autor belächelt dieses Denken seiner Autorin als zu marktorientiert und schreibt dann eben auch keinen “Dan Brown”, obwohl man bei mancher Szenerie bzw. Plot-Twist an den Erschaffer von Robert Langdon denken könnte.

Man lernt in diesem Roman außerdem viel über die Mechanismen der Buchbranche. Dass Bestseller andere, weniger gut laufende Bücher mitfinanzieren kann man sich ja denken, aber welchen "Wert" ein Autor für einen Verlag hat und mit welchen Algorithmen er sich berechnen lässt, bleibt dem gemeinen Leser - und oft genug auch dem Autor selbst - ein Rätsel. Hier kommen die Agenten ins Spiel, die enorm wichtig für die Arbeit und Sichtbarkeit von Autoren sind. Die Literaturagentin des Ich-Erzählers, Moran, spielt eine zentrale Rolle im Roman. Sie ist für die Vermarktung und den schnöden Mammon zuständig, ohne die auch ein Schriftsteller seine Projekte nicht verwirklichen kann.

Von der französischen Geschichte des späten 16. Jahrhunderts habe ich nur eine rudimentäre Ahnung und den Erstling des Autors "Die Purpurline", auf den immer wieder Bezug genommen wird, habe ich nicht gelesen. Dennoch wurden die damaligen Verwicklungen gut und nicht zu ausführlich erklärt, so dass es langweilen würde. Allerdings sollte man als potenzielle/r LeserIn schon ein wenig Interesse an historischen Vorgängen aufbringen, die sich im aristokratischen Milieu abgespielt haben.

Mir hat der Roman als metatextuelles Experiment sehr gut gefallen, allerdings muss man sich darauf einstellen, dass erneut ein offenes Ende beim Leser kein finales Gefühl der Befriedigung hinterlassen wird.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.02.2021

Multiperspektivisches Regionaldrama

Unter Wasser Nacht
0

Zwei schon seit vielen Jahren befreundete junge Familien teilen sich im niedersächsischen Wendland ein Grundstück, auf dem ihre beiden Häuser stehen und eine gemeinsame Scheune: Sophie und Thies, Inga ...

Zwei schon seit vielen Jahren befreundete junge Familien teilen sich im niedersächsischen Wendland ein Grundstück, auf dem ihre beiden Häuser stehen und eine gemeinsame Scheune: Sophie und Thies, Inga und Bodo. Sie ziehen ihre Kinder Aaron, Lasse und Jella groß und kämpfen gemeinsam gegen Atomkraft und den Standort Gorleben. Dann stirbt der zehnjährige Aaron, das einzige Kind von Sophie und Thies, in der nahegelegenen Elbe. Für die eine Familie geht alles weiter wie bisher, das Leben der anderen ist zerstört. Das vermeintlich perfekte Leben von Bodo, Inga und ihren Kindern wird für Sophie und Thies zum unerträglichen Schaubild ihres eigenen zerstörten Glücks. Die friedliche Koexistenz der beiden Familien steht auf dem Spiel - und dann taucht auch noch die geheimnisvolle Fremde Mara im Dorf auf.

Die Handlung des Romans spielt 13 Monate nach dem tragischen Tod Aarons in der Elbe. Die einstmals befreundeten Ehepaare sind sich untereinander fremd geworden und auch intern kriselt es, zumindest zwischen Sophie und Thies. Die beiden kommen mit dem schweren Verlust nicht zurecht und versuchen ihn auf unterschiedliche Weise zu kompensieren. Nach und nach kommt ans Licht, dass Aaron ein sehr aggressives, schwieriges Kind war und Sophie und Thies mit ihrem Latein was den Umgang mit ihm betrifft, am Ende waren, als Aaron den Unfall hatte. Hauff beschreibt die Hilflosigkeit von Eltern, deren Kind nicht nur nicht den Idealvorstellungen entspricht, sondern auch noch vehement subversiv und aggressiv agiert und sich entgegen den gesellschaftlichen Normen und Gepflogenheiten verhält. Die Verzweiflung war sehr nachvollziehbar und eindringlich beschrieben, allerdings hat mich die Auflösung und Aufarbeitung des Themas dann etwas enttäuscht zurückgelassen. Die Geschichte um Mara drängt sich nämlich zum Ende hin in den Vordergrund, obwohl das Verschwinden Aarons meines Erachtens im Mittelpunkt stehen sollte.

Das Geschehen wird aus der Sicht von sechs verschiedenen Personen geschildert. Will man konsequent multiperspektivisch erzählen, muss man die einzelnen Point-of-View-Stimmen sehr akzentuieren, damit der Leser gut differenzieren kann. Hier ist dies meines Erachtens sehr gut umgesetzt worden und es hat dem Roman letztlich auch 4 Sterne eingebracht. Kristina Hauff versteht es ausgezeichnet, die angespannte Dynamik zwischen den Figuren spürbar werden zu lassen. Der Leser ist ständig auf der Hut und gespannt zu erfahren, welcher brodelnde Vulkan als nächstes eruptiert. Es ist spannend wie ein Krimi in die Gedankenwelt der einzelnen Personen abzutauchen und ihre Vorurteile und Verdächtigungen ungefiltert vermittelt zu bekommen.

Ein Plus ist dann auch noch die besonders atmosphärische Schreibweise, die das mir bislang sowohl in Natura als auch in der Fiktion unbekannte Wendland lebendig werden ließ. Auf fast jeder Seite wird ein Stück Flora und Fauna dieses idyllischen Landstrichs beschrieben.

Meine Hauptkritik betrifft die Unstimmigkeiten und Fehler im Text. Am Anfang heißt es auf Seite 53 über den Abend, an dem Aaron verschwand, es wäre "viel zu warm für Mitte April" gewesen, weswegen Sophie und Thies das erste Mal im Jahr im Freien zu Abend gegessen haben. Später wird dann gesagt es wäre der 3. April gewesen, was ja eher Anfang April ist (siehe S. 155). Auf S. 202 heißt es dann über den Tag des Verschwindens: "Der Wind blies zu kalt für Anfang April." Also da war es dann Anfang April und kalt und nicht wie Sophie vorne sagt Mitte April und warm. Auch verschwand Ulrich wohl eher zu seinen Hausbesetzerfreunden als zu seinen "Hausbesitzerfreunden" (S. 228). Fehlerhafter bzw. holpriger Satzbau ist mir hier aufgefallen: "[...]für die Erziehung zuständig war, die Strenge sein musste", S. 230. An diesen Stellen hat meines Erachtens das Lektorat nicht richtig funktioniert. Ich habe aber das Gefühl dass mir noch einige andere Ausrutscher entgangen sind. Es hat mich außerdem gestört dass nie gesagt wird, wie alt genau Sophie ist, obwohl es eigentlich relevant ist. Es wird nur gesagt sie sei ein paar Jahre jünger als Mara (49), aber sie könnte im Gegensatz zu ihr noch Kinder bekommen. Man könnte ja auch einfach schreiben, wie alt sie denn tatsächlich ist.

Ansonsten ist "Unter Wasser Nacht" ein gut konstruierter, spannender Roman über eine trügerische Idylle und die unsichtbaren Päckchen, die wir alle auf dem Rücken tragen, den ich mir auch gut als TV-Drama vorstellen könnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.02.2021

Düsterer Roman mit starken Naturbeschreibungen

Tiger
0

Raubkatzen faszinieren seit jeher den Menschen. Auch einige Künstler und Schriftsteller konnten sich der Faszination, die die erhabenen Jäger ausstrahlen, nicht entziehen und setzten ihnen mit ihren Bildern ...

Raubkatzen faszinieren seit jeher den Menschen. Auch einige Künstler und Schriftsteller konnten sich der Faszination, die die erhabenen Jäger ausstrahlen, nicht entziehen und setzten ihnen mit ihren Bildern und Worten ein Denkmal. Man denke nur an den eckigen gelben Tiger von Franz Marc, Rainer Maria Rilkes Gedicht "Der Panther" oder an Giuseppe Tomasi di Lampedusas einzigen Roman "Der Leopard", in dem der gepunkteten Raubkatze aber als Wappentier des Fürsten nur eine symbolische Rolle zuteil wird. Nun also Polly Clarks "Tiger", ein wilder Roman über das gespaltene Verhältnis zwischen Mensch und Tier, zwischen Kultur und Natur. Es geht für mich vor allem darum, welchen Preis der Mensch zahlen muss, wenn er sich ganz auf die Natur und die Gefahren, die in ihr lauern, einlassen möchte bzw. muss.
Der Roman besteht aus mehreren Erzählsträngen, in der das Geschehen aus der Perspektive von verschieden Protagonisten wiedergegeben wird. Sie alle haben etwas mit den Amur-Tigern aus der Sibirischen Taiga zu tun, die die eigentlichen “Stars” dieses “Natur-Romans” sind. "Tiger" ist wie das titelgebende Tier: anmutig, roh, archaisch, ernst und "in your face".
Die erste Protagonistin ist die englische Primatenforscherin Dr. Frieda Bloom. Die Biografie der jungen Frau Anfang dreißig ist geprägt von Brüchen und Schicksalsschlägen. Weil sie Drogen zur Bekämpfung ihrer zahlreichen Traumata nimmt, verliert sie ihren Job an einem Londoner Forschungsinstitut. Sie bekommt eine neue Chance an einem Privatzoo in Devon, wo sie ihre Nemesis in Form des Zoogründer-Sohnes Gabriel trifft. Die Begegnung mit dem Tiger Luna ist der Mittelpunkt der Geschichte, die abrupt endet und erst zum Ende des Romans wieder aufgegriffen wird. Ich fand Friedas Verhalten teilweise sehr befremdlich. Ich weiß nicht ob ihre Denkweise der einer drogenabhängigen Person entspricht, aber sie kommt für eine promovierte Biologin stellenweise sehr naiv und fatalistisch rüber. Überhaupt ist die Geschichte, die hier erzählt wird, sehr destruktiv und negativ, aber ohne dass sie mich berührt hätte.
Ganz anders hingegen die zweite Geschichte rund um Tomas, die durchaus Potenzial zur Einfühlung durch de Leser hat. Abgeschieden von der Zivilisation lebt der 41-jährige Jäger ein karges Dasein in den Wäldern der russischen Taiga. Zusammen mit seinem Vater Iwan, anderen Jägern und Holzfällern lebt er in einem Camp bzw. Naturreservat am Rande des Wades. Er und seine Kollegen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Tiger der russischen Taiga vor Wilderern zu schützen und erhoffen sich durch ihr Engagement das Prädikat “Tigerreservat” und dadurch Unterstützung vom russischen Staat zu bekommen. Tomas hat eine schwierige Beziehung zu seinem narzisstischen Vater Iwan. Tomas' Mutter starb, als er 10 war, von seinem Vater Iwan wurde er verprügelt und mit Verachtung gestraft, wenn ihm etwas missfiel. Nichtsdestotrotz verschaffte Tomas seinem damals arbeitslosen Vater eine Position in seinem Waldarbeiter-Lager, wo dieser schnell zum Chef aufsteigt. Immer wieder reflektiert Iwan, ganz allein in der Natur, seine eigene Vergangenheit, die ihn belastende Familienlosigkeit, das toxische Verhältnis zu seinem Vater und die gescheiterte Beziehung zu seiner großen Liebe Marta. Auch ihn wird eine Begegnung mit einem Tiger - und einem Menschen - aus der Bahn werfen.
Der dritte Teil kommt sehr märchenhaft daher. Es war einmal eine sibirische Indigene aus dem Volk der Udehe namens Edit, die verließ das Dorf, in das sie zugezogen war und ihren Alkoholkranken Mann Wasili und zog mit ihrer kleinen Tochter Sina in eine Hütte in den Wäldern. Dort sahen die beiden jahrelang keine Menschenseele, sie lebten von den Früchten und Tieren des Waldes. Bis sie eines Tages beschlossen, ihr Eremitendasein zu beenden und dabei auf einen Tiger und seine Jungen trafen, deren Sicht im vierten Teil des Romans aufgenommen wird.
Alle drei Handlungsstränge mit den menschlichen Protagonisten sind ziemlich starker Tobak und für meinen Geschmack viel zu dramatisch. Man könnte meinen die Autorin hat alles, was es an Leid und Elend in einem Menschenleben geben kann, in ihren Roman gepackt und an ihre Protagonisten ausgeteilt: Drogensucht, toxische Beziehungen, Narzissmus, rohe Gewalt, unberechenbare Natur, Depression, Abtreibung, Alkoholismus, Vergewaltigung, Hunger, Krankheit und Tod. Nicht mal ein bisschen, ein kleines bisschen Leichtigkeit oder Positivität ist in all dem zu finden. Erst am Ende, dort, wo alle Erzählstränge zusammenlaufen, darf der Leser/die Leserin aufatmen: Ein Licht am Ende des langen dunklen Tunnels.
In Clarks Prosa blitzen zuweilen sehr poetische Momente auf. Wie sie die Erhabenheit der Natur beschreibt ist ihre große Stärke. Man merkt, dass die Autorin eigentlich Lyrikerin ist und im dichterischen Schreiben mehr zu Hause als in der Roman-Schriftstellerei. Sie kann Momentaufnahmen sprachlich einfangen und sie wie in einem Gemälde oder Foto festhalten. Weil die lyrischen Momente mit ihren starken Naturbeschreibungen über die Schwächen im Plot, die erzählerische Überdramatisierung und das gelegentlich angewandte Pathos hinwegtrösten und man wirklich viel über die Amur-Tiger und ihren bedrohten Lebensraum in der sibirischen Taiga erfährt, bekommt der Roman als Gesamtpaket von mir noch knappe 4 Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.01.2021

Ratgeber für "unsichere" Eltern

Der Elternkompass
0

Nachdem ich neulich bereits “Mein Familienkompass” von Nora Imlau gelesen und für sehr gut befunden habe, musste ich natürlich den vom Titel recht ähnlichen “Elternkompass” von Nicola Schmidt ...

Nachdem ich neulich bereits “Mein Familienkompass” von Nora Imlau gelesen und für sehr gut befunden habe, musste ich natürlich den vom Titel recht ähnlichen “Elternkompass” von Nicola Schmidt ins Auge fassen. Die beiden Autorinnen kennen und schätzen sich und haben sich bereits in einem Gespräch in den sozialen Medien zu ihren jeweiligen “Kompassen” geäußert. Ob man beide braucht bzw. gelesen haben muss? Diese Frage habe ich mir gestellt und ich kann sagen: Ja, sicherlich haben beide Bücher ihre Berechtigung - allerdings mit Einschränkungen.
In “Der Elternkompass” geht es Nicola Schmidt vor allem darum, Eltern ihre Unsicherheit zu nehmen angesichts der Fülle von Informationen, die auf sie einprasseln. Bei der “Erziehung” eines Kindes wollen alle mitreden: Kita/Kindergarten/Schule, Großeltern, die Eltern der anderen Kinder, die Medien, die Wissenschaft. Wie soll man sich als Eltern selbst eine Meinung bilden? Die Autorin ist der Meinung, man solle mit mehr Gelassenheit an das Projekt Elternsein herangehen und gerne - wenn schon - wissenschaftliche Daten und Fakten zur Absicherung bei Unsicherheiten heranziehen. Ansonsten hilft der Bauch und der gesunde Menschenverstand.
Zunächst geht Schmidt auf die Basis der Elternschaft ein, nämlich die "Achtsamkeit". Wir sollen unseren Kindern eine von Respekt und gegenseitigen Verständnis geprägte Kindheit ermöglichen. Darauf fußt ein funktionierendes Eltern-Kind-Miteinander.
Schmidt nimmt dann den/die Leserin an die Hand und geht die Eltern-Werdung von Anfang an durch: Von Schwangerschaft/Stillzeit über Kleinkindalter bis zur Grundschule. Weiter in der Entwicklung des Kindes geht sie nicht, was etwas schade ist.
Schmidt nimmt die Fragen, die sich vermutlich alle Eltern stellen und versucht sie möglichst wissenschaftlich unterfüttert zu beantworten. Wirkt sich Stillen wirklich auf den IQ meines Kindes und seine spätere Berufswahl aus? Ist Loben zurecht in Verruf geraten oder kommt es einfach auf das "Wie" an? Schmidt schaut sich die Studien an und kommt zu einem Ergebnis, das in den meisten Fällen eine Tendenz darstellt: eher ja oder eher nein. Dem Buch ist dementsprechend auch ein langes Literatur- und Quellenverzeichnis angefügt. Wer möchte kann sich also eingehender mit dem Thema beschäftigen, das ihn gerade interessiert.
Dies ist ein Ratgeber, den die Zielgruppe wahrscheinlich nur punktuell konsumieren wird, anstatt ihn von vorne bis hinten durchzuarbeiten. Die frischgebackenen Eltern eines Neugeborenen werden nicht die Zeit und Muße dazu haben nachzulesen, wie ich Grundschulkindern friedliche Konfliktlösung nahebringe. Umgekehrt werden sich die Eltern, die bereits mit dem letzten Kind durch die Autonomiephase durch sind, nicht noch mal mit Baby's Schlaf beschäftigen wollen.
Trotz aller postulierten Wissenschaftlichkeit ist mir der Ratgeber in manchen Dingen dennoch zu subjektiv gefärbt. Man kann zu vielen Themen ganz klar die persönliche Meinung der Autorin durchhören. In dieser Beziehung hat mir "Mein Familienkompass" von Nora Imlau ein klein wenig besser gefallen, denn der hat schon im Titel die subjektive Komponente und dennoch wird die Wissenschaft auch immer wieder herangezogen.
Dennoch ist dies ein guter Ratgeber für alle Eltern, die sich bei vielem unsicher sind und wollen, dass ihnen die Angst genommen wird. Ich empfehle bei Interesse die Anschaffung direkt in der Schwangerschaft bzw. Babyzeit.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
Veröffentlicht am 16.01.2021

Königliche Unterhaltung

Das Windsor-Komplott
0

Ältere englische Damen stehen ja spätestens seit Agatha Christies legendärer Jane Marple und der Autorin selbst gerne mal im Verdacht, die perfekten Krimi-Ermittlerinnen zu sein. Nun gesellt ...

Ältere englische Damen stehen ja spätestens seit Agatha Christies legendärer Jane Marple und der Autorin selbst gerne mal im Verdacht, die perfekten Krimi-Ermittlerinnen zu sein. Nun gesellt sich zu dieser illustren Runde auch noch die wahrscheinlich berühmteste ältere englische Dame der Welt hinzu: Queen Elizabeth II. höchstpersönlich. Die Idee, die Queen zur Protagonistin eines Cosy-Krimis zu machen finde ich einfach wunderbar, zudem beschäftige ich mich ganz gern mit den Royals und deswegen durfte ich mir “Das Windsor Komplott” natürlich nicht entgehen lassen.

Die Handlung des Romans beginnt im April 2016, den die Monarchin in ihrem geliebten Schloss Windsor verbringt, wohin sie sich traditionell jedes Jahr für einen Monat im Frühling zurückzieht. Nach einer Abendgesellschaft, zu der zahlreiche Gäste geladen sind, wird ein junger russischer Pianist tot in seinem Gästezimmer auf dem Schloss aufgefunden. Der MI5 stellt fest, dass der junge Mann ermordet wurde und wittert eine russische Verschwörung. Die Monarchin, die gerade kurz vor ihrem 90. Geburtstag steht, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, mit der Hilfe ihrer toughen neuen Privatsekretärin Rozie: Wer wollte den jungen attraktiven Maksim Brodsky töten und: hat die russische Mafia etwas damit zu tun oder war es doch ganz anders?

Obwohl das Setting mit Schloss Windsor nicht urenglischer oder aristokratischer sein könnte, ist die Handlung des Krimis doch recht modern und erinnert eher an einen Spionageroman als an einen Landhauskrimi von Agatha Christie. Durch die Perspektive der Königshaus-Angestellten Rozie, und natürlich die der Queen selbst, fühlt man sich auch etwas an die TV-Serie "Downton Abbey" erinnert: Man bekommt sowohl die "Upstairs"-Perspektive der Adeligen als auch die "Downstairs"-Seite des Personals präsentiert.

SJ Bennett zeichnet die Queen als sehr menschlichen, klugen Charakter, mit einem wachen Blick und viel Empathie für die Probleme anderer. Überhaupt nicht abgehoben oder weltfremd, sondern interessiert und sehr sympathisch. Ihre immer noch andauernde Verliebtheit in Prinz Philipp, der unverblümt die Dinge beim Namen zu nennen pflegt, ist zudem sehr rührend und romantisch.

Die bezaubernden Corgis und Dorgis (bitte googeln) auf den Zwischenkapitel-Seiten, sind ein niedliches optisches Gimmick und passen natürlich perfekt, da die Vorliebe der Queen für diese Hunderasse(n) auch im Roman thematisiert wird.

Die Handlung war mir, wie bei einem klassischen Agenten-Roman, stellenweise etwas zu verworren. Ich hatte teilweise Probleme, die Perspektiven und Personen (nicht die realen, sondern die fiktiven) auseinander zu halten. Wer hat jetzt was mit wem gemacht und wieso?

Dennoch ein unterhaltsamer Cosy-Krimi mit ermittelnder Queen, der viele Einblicke ins Leben
der berühmten Monarchin bietet und dennoch der Vorstellungskraft Raum lässt. Teil 2 soll auf Deutsch im Januar 2022 erscheinen. In diesem Sinne also: God save the Queen!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere