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Veröffentlicht am 06.03.2021

"Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." (Wilhelm von Humboldt)

Stay away from Gretchen
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Der bekannte Nachrichtensprecher Tim Monderath lebt gern als Single in Köln und genießt sein Leben mitsamt allen Freiheiten, die es zu bieten hat. Einzig die zunehmende Verwirrtheit seiner 84-jährigen ...

Der bekannte Nachrichtensprecher Tim Monderath lebt gern als Single in Köln und genießt sein Leben mitsamt allen Freiheiten, die es zu bieten hat. Einzig die zunehmende Verwirrtheit seiner 84-jährigen Mutter Greta macht ihm Sorgen, denn die alte Dame vergisst immer mehr die Gegenwart. Als sich ihr Zustand weiter verschlechtert, bleibt Tim nichts anderes übrig, als sich mehr um Greta zu kümmern. Alte Fotos und Briefe aus der Vergangenheit lassen ihn nach und nach die Geschichte seiner Mutter erfahren, die in dem ostpreußischen Eylau ihre Kindheit verbracht hat, um dann im Zweiten Weltkrieg vor den Russen zu fliehen und nach Heidelberg kam. Beim Anblick eines Fotos von einem Mädchen dunkler Hautfarbe allerdings bringt Greta zum Verstummen und gibt Tom Rätsel auf. Was hat es mit dem Kind auf sich und was hat seine Mutter damit zu tun?
Susanne Abel hat mit „Stay away from Gretchen“ einen sehr empathischen und gefühlvollen Roman vorgelegt, der gleich mehrere diffizile Themen (wie Demenz, Krieg, Rassismus und Flucht) beinhaltet und gleichzeitig ein Frauenschicksal anhand geschichtlicher Ereignisse Revue passieren lässt. Der flüssige, bildgewaltige und einfühlsame Erzählstil lässt den Leser abwechselnd mal Tom wie einen Schatten in der Gegenwart folgen, um sein Umfeld und sein Leben kennenzulernen, führt ihn aber auch durch eine Reise in die Vergangenheit in Gretas Lebenslauf hinein, wo er ihre Erlebnisse und das ihrer Familie aus erster Hand miterlebt. Während sich Tom mit der Verwirrtheit seiner Mutter beschäftigen muss, die sich als Demenz herausstellt, erfährt er Dinge über Greta, von denen er bisher nichts wusste. Alte Geheimnisse drängen an die Oberfläche, die aufgrund der geschichtlichen Gegebenheiten lange verschüttet blieben und ihre Hüter gezeichnet haben. Die Autorin versteht es wunderbar, Gretas Geschichte mit historischen Fakten zu verweben, so dass der Leser mit ihr nicht nur die harten Zeit der Flucht aus Ostpreußen miterlebt, sondern auch in den Heidelberger Schwarzmarkt eintaucht und Gretas bittersüße Liebe zu einem farbigen GI hautnah miterlebt. Aber auch die Flüchtlingsbewegung im Jahr findet ihren Platz in dieser Geschichte und lässt die Handlung so sehr lebendig wirken. Gerade Toms Bemühungen um seine Mutter und der Austausch zwischen den beiden, wenn Greta klare Momente hat, sind unheimlich nahbar beschrieben und schicken den Leser durch ein wahres Wechselbad der Gefühle. Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass die Autorin aus einem Schatz an eigenen Erfahrungen schöpfen konnte.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt. Mit ihren sehr glaubwürdigen menschlichen Eigenheiten wachsen sie dem Leser schnell ans Herz, der sich gut in sie hineinversetzen und mit beiden Seiten fühlen kann. Tim ist beruflich erfolgreich, führt ein ausgefülltes Leben, wobei ihm Ungebundenheit und Freiheit unheimlich wichtig sind. Die Gebrechlichkeit seiner Mutter passt nicht in sein Konzept, doch muss er sich um sie kümmern. Was erst eher unwillig aussieht und ihn eher hartherzig wirken lässt, entpuppt sich nicht nur als Angst vor Lebensveränderungen, sondern auch vor Verlust. Mehr und mehr kümmert er sich fürsorglich und liebevoll um Greta, taucht in ihr Leben ein, erfährt mehr über seine eigenen Wurzeln und vor allem über den Schmerz, den Greta all die Jahre verdrängt hat. Greta hat so viele Schicksalsschläge ertragen müssen, dass ihr Vergessen eine Art Flucht vor den vergangenen Dingen ist. Auch Gretas Großeltern spielen eine wichtige Rolle in dieser Geschichte.
„Stay away from Gretchen“ ist ein wunderbarer Schicksalsroman, der mit vergangener Historie und gesellschaftlichen Normen eng verknüpft ist. Authentisch, berührend und vor allem großartig erzählt, klingt dieser tiefgründige Roman noch lange nach der letzten Seite nach. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 27.02.2021

Swinging Sixties am Starnberger See

Die Wunderfrauen
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60er Jahre Starnberg. Die Nachkriegsjahre sind vorbei, in Deutschland hat das Wirtschaftswunder Einzug gehalten. Der Lebensmittelladen von Luise Dahlmann brummt, denn sie verliert die Wünsche ihrer Kunden ...

60er Jahre Starnberg. Die Nachkriegsjahre sind vorbei, in Deutschland hat das Wirtschaftswunder Einzug gehalten. Der Lebensmittelladen von Luise Dahlmann brummt, denn sie verliert die Wünsche ihrer Kunden nie aus den Augen. Neben der vielen Arbeit denkt Luise immer wieder über Veränderungen und neue Konzepte nach, um sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Helga Löw, Luises ehemalige Freundin, ist inzwischen studierte Frauenärztin und kommt mit ihrem Sohn David zurück nach Starnberg, um dort eine Stelle in der Seeklinik anzutreten. Marie Brandstetter ist inzwischen dreifache Mutter und kämpft auf dem Hof in Leutstetten allein an allen Fronten. Annabel von Thaler hat ihr zweites Kind bekommen, Töchterchen Marlene kam allerdings mit einer Fehlbildung zur Welt, was Annabel in eine Krise stürzt. Während jede Frau ihre Päckchen zu tragen hat und sie sich gegenseitig zu stützen suchen, beginnt in Deutschland die Zeit der Swinging Sixties…
Stephanie Schuster lädt den Leser mit „Von allem nur das Beste“ ihrer historischen Trilogie um die Wunderfrauen Luise, Marie, Helga und Annabel ein, sich erneut unter die Damen zu mischen und diese einen weiteren Lebensabschnitt zu begleiten. Der flüssig-leichte, bildhafte und fesselnde Erzählstil lässt den Leser in die Seiten abtauchen, wo er durch einen vielversprechenden Prolog schon vor ein Rätsel gestellt wird, das sich im Verlauf der Geschichte auflösen wird und schon einmal die Spannung schürt. Durch abwechselnde Perspektiven findet sich der Leser immer wieder an der Seite einer der Frauen wieder, um ihre derzeitige Lebenslage und ihren Alltag aufzuschnappen sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen zu den anderen mitzuerleben. Die Autorin lässt auch neue technische Errungenschaften (z.B. eine Waschmaschine), die medizinische Entwicklung und den gesellschaftspolitischen Umbruch in Deutschland sehr gut in ihre Handlung miteinfließen. Themen wie Geburtenkontrolle durch die Pille, die Contergan-Fälle, Rock’n’Roll sowie die Hippiebewegung in Berlin spiegeln den Zeitgeist von damals wunderbar wieder, aber auch die Beschreibungen des Lebensmittelladens, der Seeklinik sowie der Landschaft fangen die damals herrschende Atmosphäre sehr gut ein.
Die Charaktere sind facettenreich und realitätsnah gestaltet, haben sich weiterentwickelt und umgarnen den Leser mit ihrer Lebendigkeit, der sich gern wieder interessiert an ihre Fersen heftet um mit ihnen die wilden 60er zu erleben. Luise ist die geborene Verkäuferin und ein Arbeitstier, ständig mit neuen Ideen und aufmerksam um ihre Kunden und ihre Tochter bemüht. Sie besitzt ein großes Herz und kümmert sich auch liebevoll um andere. Marie ist 24 Stunden für andere da, dabei fehlt ihr immer öfter die Zeit für sich selbst. Annabel hilft Luise im Laden, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Die Geburt ihrer Tochter lässt sie hadern und führt auch zu Problemen in ihrer Ehe. Helga ist eine für ihre Zeit sehr fortschrittliche Ärztin, die sich damit allerdings nicht überall Freunde macht.
„Von allem nur das Beste“ ist eine sehr unterhaltsame und kurzweilige Fortsetzung. Das Wiedersehen mit den vier Wunderfrauen ist herrlich, ebenso der Streifzug durch die Sechziger Jahre. Die Autorin zieht hier gekonnt alle Register und bietet dem Leser nicht nur Liebe, Schicksalsschläge und Freundschaft an, sondern auch einen sehr gut recherchierten historischen Hintergrund, so dass der Leser eine tolle Zeitreise antritt, während er die Lebenswege der Frauen begleitet. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.02.2021

"Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können." (George Elliot)

Lebenssekunden
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50er Jahre. Als die aus einer Kassler Künstlerfamilie stammende 15-jährige Angelika Stein ohne Abschluss von der Schule fliegt, glaubt sie im ersten Moment, ihre Träume einer Fotografinnen-Karriere begraben ...

50er Jahre. Als die aus einer Kassler Künstlerfamilie stammende 15-jährige Angelika Stein ohne Abschluss von der Schule fliegt, glaubt sie im ersten Moment, ihre Träume einer Fotografinnen-Karriere begraben zu müssen. Doch das Schicksal scheint es gut mit ihr zu meinen, denn ein erst kürzlich aus der DDR geflohener Fotograf bietet ihr die Möglichkeit, bei ihm zu lernen. In Ostberlin bereitet sich zur gleichen Zeit die Leistungsturnerin Christine Magold darauf vor, bei den Olympischen Spielen für die DDR anzutreten. Als Ausnahmetalent nimmt sie den harten sportlichen Drill auf sich, absolviert neben dem normalen Schulbetrieb ein kräftezehrendes Trainingspensum und lässt so manchen körperlichen Schmerz über sich ergehen, denn mit den Erfolgen stellen sich auch Vergünstigungen für sie und ihre Familie ein. Als Christine die ewigen Strapazen nicht mehr hinnehmen will, ändert sich die Situation ihrer Familie rapide und steht schon bald unter der Beobachtung des Regimes. Als es 1961 zum Berliner Mauerbau kommt, begegnen sich Angelika und Christine zum ersten Mal…
Katharina Fuchs hat mit „Lebenssekunden“ einen wunderbaren historischen Roman vorgelegt, der dem Leser nicht nur die Lebenswege von zwei außergewöhnlichen Protagonistinnen vorstellt, sondern ihn dabei auch leibhaftig in die deutsch-deutsche Geschichte eintauchen lässt. Der flüssige, bildgewaltige und berührende Erzählstil macht das Eintauchen in die Handlung leicht, schnell schaut der Leser abwechselnd mal Angelika, mal Christine über die Schulter und erlebt ihre Entwicklung sowie ihr Umfeld hautnah mit. Die wechselnden Perspektiven wirken zuerst so, als hätten sie nichts miteinander zu tun, doch im Verlauf der Geschichte verwebt die Autorin die beiden Schicksale auf wunderbare Weise miteinander. Gespannt darf man wie durch eine Fotolinse verfolgen, wie die unangepasste Angelika dafür kämpft, Fotografin zu werden. Dabei steht ihr die Hürde im Weg, eine Frau zu sein, denn zur damaligen Zeit wurde Frauen nicht nur jeglicher Geschäftssinn abgesprochen, jeglicher Versuch, in eine Männerdomäne einzudringen, wurde für sie zum Spießrutenlauf. Doch Angelika lässt sich nicht unterkriegen und boxt sich regelrecht durch. Das Leben von Christine dagegen ist von Disziplin und fast schon unmenschlicher harter Arbeit geprägt, die sie an ihre körperlichen Grenzen bringen, nur um mit ihren sportlichen Leistungen dem Regime gefällig zu sein. Fesselnd beschreibt die Autorin die unendlichen Trainingsstunden, bei denen den Leser nicht nur der Hunger plagt, sondern auch die Trainerübergriffe schmerzlich bewusst werden. Meisterlich unterlegt die Autorin ihre Geschichte mit dem dazugehörigen historischen Hintergrund und zeigt die unterschiedlichen deutschen Lebensräume auf, wo die eine Seite in Freiheit leben darf, die andere Seite gefangen ist.
Facettenreiche Charaktere überzeugen mit individuellen Ecken und Kanten, wirken glaubwürdig und vor allem so lebendig, dass der Leser sich unter ihnen wähnt und mitfiebern darf. Angelika ist eine rebellische, forsche junge Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt, was ihr so manche Schwierigkeit einbringt. Doch sie ist intelligent, kämpferisch und auch mutig genug, sich den Widerständen in den Weg zu stellen. Christine ist fleißig, diszipliniert, stark und zurückhaltend, doch plagen sie immer öfter Zweifel, ob sie diesen Weg weitergehen will. Angelikas Vater ist ein liberaler Kunstliebhaber, der seine Tochter fürsorglich unterstütz. Christines Mutter dagegen ist dem DDR-Regime treu ergeben und trägt zum Drill ihrer Tochter bei. Ebenso überzeugen weitere Protagonisten in ihren Rollen innerhalb der Handlung.
„Lebenssekunden“ ist wie ein Blick durch ein Kaleidoskop, denn die Geschichte zeigt die unterschiedliche laufende Entwicklung zweier Frauenbiografien, die am Ende aufeinander zulaufen. Wunderbar und fesselnd erzählt vor dem Hintergrund deutscher Geschichte. Absolute Empfehlung!

Veröffentlicht am 24.02.2021

"Et d'une chanson d'amour, La mer, à bercé mon cœur pour la vie" (Charles Trenet)

Das kleine Friesencafé
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Nach dem Tod ihrer „Mammita“ Linda ist Julia von frühester Kindheit an bei ihrer Oma Anita in Gelsenkirchen aufgewachsen und betreibt mit ihr gemeinsam deren Blumenladen. In ihrer Freizeit frönt sie ihrer ...

Nach dem Tod ihrer „Mammita“ Linda ist Julia von frühester Kindheit an bei ihrer Oma Anita in Gelsenkirchen aufgewachsen und betreibt mit ihr gemeinsam deren Blumenladen. In ihrer Freizeit frönt sie ihrer Leidenschaft, dem Malen. Eines Abends übergibt die Oma ihr ein altes Notizheft mit Zeichnungen ihrer Mutter, die bei einem Mutter-Kind-Kuraufenthalt auf der Insel Föhr entstanden sind. Da Julia urlaubsreif ist und die Zeichnungen in ihr Gefühle hervorrufen, denen sie nachspüren will, fährt sie kurzerhand für einige Wochen nach Föhr. Auf der Insel angekommen, findet sie durch einen Zufall nicht nur einen Unterschlupf und ein Atelier beim alten Kapitän Paulsen, sondern nach und nach auch die Orte, die auf den Zeichnungen ihrer Mutter abgebildet sind. Doch auch neue Bekanntschaften sowie vergrabene Träume als auch jede Menge Malmotive lassen Julia die Insel immer mehr ans Herz wachsen…
Janne Mommsen hat mit „Das kleine Friesencafé“ einen wunderschönen Wohlfühlroman vorgelegt, der nicht nur mit einer unterhaltsamen Handlung besticht, sondern sich mit seinen farbenprächtigen Beschreibungen der Föhrer Inselwelt regelrecht in Kopf und Herz schleicht. Der flüssige, bildhafte und humorige Erzählstil des Autors lädt den Leser zu einer kurzweiligen Auszeit ein, die er in Begleitung von Julie auf der Nordseeinsel Föhr verbringen darf. Wechselnde Perspektiven erlauben, mal Julie bei ihren Erkundungsausflügen, Malexkursionen und allerlei Backorgien begleiten, mal steht man dem alten, kurz vor der Pensionierung stehenden Kapitän Hark Paulsen zur Seite, der nach dem Tod seiner Frau und dem Ende seiner Schiffslaufbahn noch nicht so richtig etwas mit sich anzufangen weiß. Schon bald sind die Schicksale der beiden durch einige Ereignisse auf besondere Art miteinander verbunden, die beiden neue Perspektiven für ihr jeweiliges Leben aufzeigen. Wie ein Maler durch das Setzen der Farben seine Leinwand zum Leben erweckt, verleiht der Autor durch die vielfältige Protagonistenschar und deren zwischenmenschlichen Beziehungen seiner Geschichte ein buntes Potpourri, dem der Leser von Beginn an als stiller Beobachter angehört. Hier geht es um (Gast-)Freundschaft, Liebe, Miteinander und vor allem um verschüttete Träume, die an die Oberfläche geraten und um Aufmerksamkeit bitten. All dies verpackt der Autor liebevoll mit eingestreutem nordischen Fering und dem rauen Charme der Küstenbewohner.
Ein bunter Strauß von liebevoll geschaffenen Charakteren, die mit glaubhaften Ecken und Kanten glänzen, nehmen den Leser in ihre Mitte, der ihre Schicksale aufmerksam und hoffnungsvoll verfolgt. Mit ihrem offenen und freundlichen Wesen findet Julia schnell Anschluss auf Föhr. Ihr ist gar nicht bewusst, wie talentiert sie wirklich ist. Einzig beim Backen ist sie sich sicher und verwöhnt bald nicht nur die Inselbewohner, auch die Touristen geben sich bei ihr die Klinke in die Hand. Oma Anita ist eine liebenswerte und warmherzige Frau, die schon viel zu lange allein war. Durch Julia darf sie nicht nur ihren Traum verwirklicht sehen, sondern erlebt auf ihre alten Tage noch einen zweiten Frühling. Hark Paulsen ist ein alter Brummbär mit dem Herzen am rechten Fleck, der sich vor dem Ruhestand fürchtet. Bürgermeister Finn-Ole hat einen Hang zu ausgefallener Garderobe und auch in Gefühlsdingen kommt er eher trocken rüber. Postbotin Nina eignet sich nicht nur als Malmotiv, sondern auch als Mitstreiterin. Aber auch Thore, Edda und viele andere wachsen dem Leser schnell ans Herz.
„Das kleine Friesencafé“ öffnet in dieser Geschichte seine Pforten und lädt zu Kurzurlaub, Inselflair, Meeresrauschen, süßen Verführungen, Freundschaften, Liebeleien, Musik und farbenprächtigen Bildern, die sich vor dem inneren Auge des Lesers auf der Leinwand verewigen. Einfach „La mer“ von Charles Trenet auflegen, Buch aufschlagen und träumen. Herrlich!!!

Veröffentlicht am 22.02.2021

"Die Hoffnung ist es, die die Liebe nährt." (Ovid)

Die Erinnerung riecht nach gelben Kamelien
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Allein mit ihrem Vater lebt Carolin in Düsseldorf, wo sie in dessen eigenen erfolgreichen Unternehmen angestellt ist, obwohl sie sich insgeheim eine Karriere als Malerin erträumt hat. Der plötzliche Tod ...

Allein mit ihrem Vater lebt Carolin in Düsseldorf, wo sie in dessen eigenen erfolgreichen Unternehmen angestellt ist, obwohl sie sich insgeheim eine Karriere als Malerin erträumt hat. Der plötzliche Tod ihres Vaters wirft Carolin völlig aus der Bahn, weil sie ansonsten keinerlei Angehörige mehr hat. Zumindest dachte Carolin das, bis bei der Beerdigung plötzlich ihre Großmutter Frida nebst ihrer Tante vor ihr steht. Wie konnte ihr Vater deren Existenz bisher verschweigen? Carolin will die Lücken füllen und ihre Wurzeln kennenlernen. Deshalb bittet sie ihre Großmutter um Aufklärung und taucht mit ihr gemeinsam in die Vergangenheit ein, bei der sie von einer bittersüßen Liebesgeschichte erfährt…
Bettina Lausen hat mit „Die Erinnerung riecht nach gelben Kamelien“ einen wunderschönen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer gut konzipierten Handlung überzeugt, sondern auch mit einem akribisch recherchiertem historischen Hintergrund glänzt. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil bringt den Leser schnell ins Jahr 2009 an die Seite von Carolin, um gemeinsam mit ihr eine traurige sowie ereignisreiche Zeit zu erleben. Schon der Umstand, dass Carolin bis zur Beerdigung des Vaters aufgrund seiner Verschwiegenheit ihre restliche Verwandtschaft nicht kannte, deutet auf ein größeres geheimnisvolles Zerwürfnis hin und macht neugierig auf die Auflösung. In wechselnden Perspektiven erfährt der Leser nicht nur von Carolins Gegenwart und ihrer ersten Begegnung mit ihren Verwandten, sondern auch die Vergangenheit von Großmutter Frida, die sich im hauptsächlich im Berlin der 30er Jahre zur Zeit des Zweiten Weltkriegs abspielt. Die Autorin glänzt mit emotionalen Schilderungen unter dem Nazi-Regime und einer tragischen Liebesgeschichte, die die Betroffenen eine Achterbahn der Gefühle durchlaufen lassen und dem Leser das Gefühl geben, hautnah dabei zu sein, um die Ängste, den Verlust und die Hoffnungen nachzuempfinden. Bildgewaltig malt die Autorin sowohl die Kriegszeit als auch die Flucht aus Ostpreußen und setzt so beim Leser ein wahres Kopfkino in Gang, dem er sich kaum entziehen kann.
Die Charaktere sind mit Liebe zum Detail gestrickt und überzeugen glaubwürdig durch menschliche Eigenschaften, die sie für den Leser authentisch und greifbar machen und dieser sich ihnen gerne an die Fersen heftet. Carolin hat ein offenes und freundliches Wesen, sie stellt ihre eigenen Bedürfnisse zurück, um es ihrem Vater recht zu machen. Sie wirkt manchmal etwas naiv, besitzt aber eine gesunde Neugier. Großmutter Frida hat so manchen Schicksalsschlag erlebt, durch den sie an Stärke, Mut und Kraft gewonnen hat. Als junge Frau abenteuerlustig, muss sie bald herbe Rückschläge einstecken, doch wirkt sie nicht verbittert und verliert weder ihren Optimismus noch die Hoffnung. Erwin ist ein freundlicher Mann, der Frida in Liebe sehr verbunden ist. Ebenso glänzen weitere Protagonisten in ihren Rollenbeiträgen innerhalb der Geschichte.
„Die Erinnerung riecht nach gelben Kamelien“ besticht durch einen gelungenen Mix aus glaubhafter Lebens- und bittersüßer Liebesgeschichte vor historischem Hintergrund. Wunderbar gefühlvoll erzählt, lässt die Handlung den Leser regelrecht an den Seiten kleben, während er sich als unsichtbarer Beobachter alles miterlebt. Absolute Leseempfehlung!