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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.03.2017

Ein Buch wie ein Bilderteppich

Aimées geheimer Wunsch
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Da ist der Autorin etwas sehr Schönes gelungen, eine Geschichte über das Lebensgefühl der Frauen in unterschiedlichen Zeiten, aber dennoch mit immer der gleichen Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung.
Im ...

Da ist der Autorin etwas sehr Schönes gelungen, eine Geschichte über das Lebensgefühl der Frauen in unterschiedlichen Zeiten, aber dennoch mit immer der gleichen Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung.
Im Jahr 1891 stickt Aimée mit Hingabe an einem Kragen, der für ihr Hochzeitskleid gedacht ist. Sie kennt ihren zukünftigen Mann nicht und blickt deshalb sehr unsicher in die Zukunft. Ihr strenger Vater erlaubt ihr keine Bildung, und so liest sie heimlich, wissbegierig wie sie ist.
Mit der leider nicht sehr ausführlichen Geschichte Aimées umrahmt das Buch die Geschichte dieses gestickten Kragens, der in viele unterschiedliche Hände gerät. So viele unterschiedliche Leben, so viel Unglück in all diesen Schicksalen, ob in London, Paris, Rom oder Istanbul. Verbindend dazwischen gesetzt ist das Leben von Maggie und ihrer Familie in der Jetzt-Zeit. Maggie ist Auktionatorin und Gutachterin, liebt alte Dinge und forscht nach deren jeweiliger Geschichte. Sie reibt sich auf zwischen Arbeit und Familie, will allem und allen gerecht werden und trägt doch selbst eine tief verborgene geheime Not in sich.

Bewundernswert ist der Schreibstil, der gekonnt in die jeweilig dargestellte Zeit und Person schlüpft und sehr bildhaft Sequenzen aus deren Leben beschreibt. Wie ein Bilderteppich webt sich dieses Buch durch die Zeiten, einzige Konstante der perlenbestickte Kragen... Faszinierend und wunderschön!

Veröffentlicht am 23.03.2017

Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Das Leben wartet nicht
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Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Sizilien: Ninetto erlebt die armseligste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Hunger und Schläge sind Alltag. Gespielt wird auf der Straße, nur bekleidet ...

Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Sizilien: Ninetto erlebt die armseligste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Hunger und Schläge sind Alltag. Gespielt wird auf der Straße, nur bekleidet mit einer Unterhose. Die Mutter ist nach einem Schlaganfall ein Pflegefall. Der Vater ist hart, fast brutal, und schweigsam. Dennoch wirkt Ninetto auf eine seltsame Weise glücklich, frei, ungezwungen und vor allen Dingen furchtlos. Er hat Freunde. Und er hat Lehrer Vincenzo, der in ihm mehr sieht als einen verlotterten armseligen Jungen. Und er setzt Hoffnung in die Zukunft.
Mailand: Ende der 50er Jahre beginnt ein Auswandererstrom aus dem Süden in den Norden, in die Industriestädte, auf der Suche nach Arbeit. Auch Ninetto ist dabei, mit nur 10 Jahren! Er übernimmt für eine Wäscherei in Mailand Botengänge und schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Mit 15 heiratet er Maddalena, und arbeitet schließlich mehr als 30 Jahre in einem Werk von Alfa Romeo, immer die gleiche Arbeit, tagaus tagein.
So beginnt die Geschichte. Eingestreut sind kurze Sequenzen, in denen Ninetto 57 Jahre alt ist, 10 Jahre im Gefängnis verbracht hatte und zu Maddalena zurückkehrt. Diese Zeitsprünge sind genial eingesetzt, um die vielen nur angedeuteten Themen zu vertiefen, die Ninetto sein Leben lang begleiten.

Dem Autor ist ein sprachliches Meisterstück gelungen! Er schlüpft sprachlich in den hoffnungsfrohen kindlichen Ninetto, der seine Welt durch Beobachtung, noch fast ganz ohne Wertung, wahrnimmt. „Kindheit … ist, wenn man innen noch sauber ist.“ Er schlüpft in den älter werdenden, sein Schicksal annehmenden Ninetto. Und er schlüpft in den strafentlassenen, verstummten Ninetto: „Rede nur, wenn die Henne pinkelt“, also nie. Er schreibt in kurzen, klaren Sätzen, die so intensiv sind, dass man sich der inneren Bilder und Gefühle nicht erwehren kann. „Hässlich wie ein Apfelbutzen…“ Und er malt in diesen geraden Sätzen eine symbolhafte Geschichte für Auswandern, Ausgrenzung, für Schuften ohne Perspektive und für die Unmöglichkeit, seinem eigenen So-Sein zu entkommen.

Veröffentlicht am 17.03.2017

Mut und Herzenswärme

Überleben ist ein guter Anfang
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Manchmal geschieht es, dass ein Buch wärmt wie eine Tasse Tee oder wie ein anerkennendes Wort oder wie das Lächeln eines Fremden. Das vorliegende Buch ist ein solches Wärme-Buch. Es führt mich ab dem ersten ...

Manchmal geschieht es, dass ein Buch wärmt wie eine Tasse Tee oder wie ein anerkennendes Wort oder wie das Lächeln eines Fremden. Das vorliegende Buch ist ein solches Wärme-Buch. Es führt mich ab dem ersten Satz ohne Schwere hinein in die Welt von Anja, einer Frau mittleren Alters, die an Brustkrebs erkrankt ist, mit Knochenmetastasen und entsprechend wenig Hoffnung auf ein langes Leben. Anja nimmt trotz aller Vorbehalte ihren Mut zusammen und schließt sich einer Selbsthilfegruppe an, was zu völlig neuen Erfahrungen führt. Die Gruppe, deren Mitglieder nicht unterschiedlicher sein könnten, wächst durch den Tod eines Mitgliedes zusammen und begibt sich schließlich auf eine Weltreise. Diese Reise bewirkt bei jeder der Frauen einen ganz besonderen Entwicklungsprozess, gegenseitig stützen sie sich in ihrem individuellen So-Sein, sie ermutigen sich, stützen sich, loten ihre Grenzen aus und spüren durch neue Erfahrungen das kostbare Leben.
Der Schreibstil ist sehr eindrücklich, weil er so einfach ist, so klar, so nüchtern, und dabei genau beobachtend. Da ist nichts Larmoyantes, nichts Weinerliches, nichts Betuliches. Die sehr unterschiedlichen Frauen werden mit liebevoller Achtung und einem ebenso liebevollen Blick aufs Komische geschildert. Es ist nicht wichtig, dass diese spontane Weltreise recht märchenhaft klingt, als nicht wirklich realisierbar. Wichtig ist das innere Lächeln, dieses Gefühl der Wärme, mit dem man das Buch am Ende weglegt, wichtig ist das Fünkchen mehr Mut, das Leben jetzt, hier und heute, auszukosten. Ein starkes Buch!

Veröffentlicht am 15.03.2017

Sprachtalent mit Feinschliff

So, und jetzt kommst du
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Das Buch beginnt grandios: Ein 4-jähriges Kind findet seine ohnmächtige Mutter, spielt in kindlicher Naivität an ihr herum, hopst auf ihr herum, bis die Mutter aus der Ohnmacht erwacht. Eine unglaublich ...

Das Buch beginnt grandios: Ein 4-jähriges Kind findet seine ohnmächtige Mutter, spielt in kindlicher Naivität an ihr herum, hopst auf ihr herum, bis die Mutter aus der Ohnmacht erwacht. Eine unglaublich intensiv geschilderte Szene, die symptomatisch ist für dieses Buch: Naives Spiel und Existentielles in unauflösbarer Verbindung.

Wir begleiten dieses Kind über ca. 9 Jahre hinweg auf einem geradezu unfassbaren Lebensweg. In den 80er Jahren lebt die Familie in bescheidenen Verhältnissen in der Provinz, die Eltern lieben sich, der Vater hat viele Ideen, um an Geld zu kommen, die Mutter steht stets verlässlich an seiner Seite. Und plötzlich hat der Vater Erfolg, die Familie baut sich sozusagen über Nacht ein neues Leben in Frankreich auf, die Kinder bekommen alles, was sie sich wünschen, bis klar wird, dass es sich um unterschlagenes Geld handelt und die Familie vor dem Zugriff der Behörden weiter durch Europa fliehen muss.

Diese Geschichte, so authentisch erzählt, als habe der Autor alles selbst erlebt, ist das Eine. Das Andere aber, das was das Buch ausmacht, ist das unglaubliche Sprachtalent, dem ich auf jeder Seite begegne. Die Hauptperson, der Junge, den wir ca. 9 Jahre begleiten, hat eine unfassbare Leidensfähigkeit. Er rettet sich in das seismographische Beobachten, um zu überleben. Der Junge, und damit der Autor, verfügt über eine ganz fein ziselierte Kunst des Wahrnehmens und findet ungekünstelte Sprache dafür. Die Wahrnehmungen hat man alle selbst schon gemacht, unbewusst, ohne je Worte dafür zu finden, und an die man sich beim Lesen erinnert. Ein Buch, das lange, lange nachwirkt...

Veröffentlicht am 12.03.2017

Regen und viel Whisky

Rain Dogs
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Das Cover lässt Spannung und Geheimnisvolles vermuten, hat allerdings so ganz und gar nichts zu tun mit dem, was wir tatsächlich zwischen den Buchdeckeln finden: Eine Begegnung mit Mohammad Ali, eine ohne ...

Das Cover lässt Spannung und Geheimnisvolles vermuten, hat allerdings so ganz und gar nichts zu tun mit dem, was wir tatsächlich zwischen den Buchdeckeln finden: Eine Begegnung mit Mohammad Ali, eine ohne großes Tam-Tam zu Ende gehende Beziehung und eine gestohlene Geldbörse. So beginnt das Buch. Bald jedoch wird klar, dass dies alles nur "Vorgeplänkel" ist. Die eigentliche spannungsreiche Geschichte beginnt damit, dass eine Journalistin im Innenhof einer Burg tot aufgefunden wird. Alles deutet auf Selbstmord hin, denn niemand konnte zum Zeitpunkt des Todes in die Burg hinein oder aus ihr heraus. Aber Sean Duffy, dieser durch und durch irische Bulle, lässt nicht locker. Spannungsreich gehen die Ermittlungen in verschiedene Richtungen und enden geradezu hoffnungslos...

McKinty schreibt großartig! Seine Schilderungen benötigen oftmals keine kompletten Sätze. Er hämmert mit einzelnen Worten Situationen in den Kopf des Lesers. Und was für ein Kerl ist Sean Duffy! Was für ein Musikwissen! Wie belesen! Wie vulgär! Und dazu Unmengen von Whisky und Regen und Regen und Kälte und wieder Regen, eingebettet das Ganze in einen unvergleichlich hinterhältigen irischen Humor. Absolutes Lesevergnügen!