Profilbild von dj79

dj79

Lesejury Star
offline

dj79 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit dj79 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.06.2021

Hinter den Kulissen der Kunstszene

Blütenschatten
0

Eve ist Künstlerin fernab des Mainstreams. Die wenig beachtete Pflanzenwelt und die Frauen in der Historie, die diese Pflanzen möglichst realitätsnah abbilden, sind ihre Leidenschaft. Ihr ganzes Lebenswerk ...

Eve ist Künstlerin fernab des Mainstreams. Die wenig beachtete Pflanzenwelt und die Frauen in der Historie, die diese Pflanzen möglichst realitätsnah abbilden, sind ihre Leidenschaft. Ihr ganzes Lebenswerk richtet Eve auf ebendiese Unbeachteten aus. Neben der Kunst sind Männer ihre Leidenschaft, was nicht unbedingt förderlich für ihre ohnehin schon belastete Ehe ist.

Wir begleiten nun also die auf ihr Leben zurückblickende Eve bei ihrem Spaziergang durch London. Dabei sind Orte mit Erinnerungen verbunden, so dass aus vielen Details ein Gesamteindruck von Eve‘s Leben entsteht. Ehrlich gesagt, mochte ich Eve eher nicht. Sie wirkte auf mich von Neid und Missgunst zerfressen, stark auf sich selbst bezogen, überhaupt nicht anpassungsfähig. Nur kurzzeitig gab es hin und wieder ein Aufflackern an Sympathie für sie. Auch ihren aktuellen Liebhaber Luka mochte ich nicht. Zu Beginn ihrer Affäre unterstützt er Eve bei ihrer Kunst fast schon unterwürfig, doch er mausert sich, entwickelt sich in eine ganz andere Richtung.

Obwohl mich auch kein anderer Charakter in Sachen Sympathie überzeugen konnte, hat mir der Roman selbst gefallen. Dabei haben es normalerweise Romane mit unsympathischen Charakteren schwer bei mir. Der Aufbau mit verschiedenen Erzählebenen war überzeugend, die Sprache ist anspruchsvoll, trotzdem angenehm lesbar. Die Perspektivwechsel schaffen beim Lesen einen Spannungsbogen, der im Verlauf immer weiter ansteigt und dann in ein sensationelles Ende mündet. Unerwartet war für mich der Ausflug in die Botanik. Wer mag, kann hier ganz nebenbei noch etwas über giftige heimische Blumen lernen, insbesondere über die Giftigkeit an sich. Zudem wartet die Autorin mit einer zarten, fast unmerklichen Komik auf.

Insgesamt war es interessant für mich hinter die Kulissen der Kunstszene zu schauen, den Konkurrenzkampf dort wahrzunehmen. Etwas anstrengend, aber passend in der heutigen Zeit war für mich die extreme Unzufriedenheit und Gehässigkeit einzelner Charaktere. Die am meisten Gefeierten glänzen durch Arroganz und Überheblichkeit, die Künstler:innen der zweiten Reihe ziehen über ebendiese her, können den Erfolg überhaupt nicht gönnen. Blütenschatten ist kein schöner Roman, aber ein guter, den ich gern weiter empfehle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.05.2021

Back to the 80ies

Hard Land
0

Benedict Wells nimmt uns mit auf eine Reise zurück in die 80er Jahre in die Provinz von Missouri. Grady ist die für das Setting gewählte Kleinstadt, die auszusterben droht, weil die Fabrik vor Jahren geschlossen ...

Benedict Wells nimmt uns mit auf eine Reise zurück in die 80er Jahre in die Provinz von Missouri. Grady ist die für das Setting gewählte Kleinstadt, die auszusterben droht, weil die Fabrik vor Jahren geschlossen wurde, die Jungend folglich nach der Schule abwandert. Hier begleiten wir Samuel „Sam“ Turner, einen etwas seltsam wirkenden, ängstlichen Typen, beim Erwachsenwerden. Gleich im ersten Satz, „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb“, wird das Grundgerüst der Handlung offenbart.

Trotzdem lohnt sich die Lektüre, insbesondere für Liebhaber der Achtziger Jahre. Gemeinsam mit dem Ich-Erzähler, Sam, durchlebte ich erneut die Kinosituationen meiner Jugend. Ich fand es ganz wunderbar, den ein oder anderen Gedanken meinen jugendlichen Helden von damals, wie beispielsweise Marty McFly, zu widmen. Wie gern hätte ich ebenfalls eine amerikanische Highschool (wie im Film) besucht und mich auf Parties bei Freunden mit verreisten Eltern herumgetrieben. Der Autor transportiert durch seine Figuren sehr authentisch das Feeling dieser Zeit.

Neben Sam, der die Geschichte erzählt, gibt es noch drei weitere tragende Figuren, Kirstie, Cameron und Hightower. Kirstie ist draufgängerisch, aber auch geheimnisvoll, in jedem Fall unangepasst. Cameron stammt aus gutem Hause, soll die vom Vater vorgedachte Karriere einschlagen. Hightower ist der Sportler in der Runde. So dürften alle Leser:innen ihren Lieblingscharakter ausmachen können. Ich mochte neben Sam den eher stillen Hightower am meisten. Ich mag körperlich starke Typen, die, so wie er, auch zu ihren Gefühlen und Ängsten stehen können. Darüber hinaus fällt bei Anlage der Figuren ein Bemühen zur Berücksichtigung von Diversity und Genderverteilung auf.

Durch die Verbindung der Coming of Age Story mit ausgewählten Filmsequenzen und passenden Musiktiteln entsteht ein gefälliger Erinnerungsroman. Die Entwicklung des Romans war für mich schon aufgrund des ersten Satzes, aber auch in der Folge vorhersehbar. Dennoch bin ich insgesamt sehr zufrieden mit dem Roman. Die Wells‘sche Sprache ist mitreißend, lässt so schöne Zitate, wie auf Seite 111 entstehen: „Das liebe ich so an der Nacht“[…] „Es ist wie das Negativ des Tages, alles ist umgedreht. Die einen, die laut sind, werden leiser, und die, die tagsüber schweigen, hört man plötzlich.“ Die dramenhafte Aufteilung hat mir gefallen, auch die zweite Ebene des Romans, wo es um die literarische Besprechung eines Gedichtbands geht. Ich mag es sehr gern, wenn Literatur in Literatur auftaucht. Zudem hat Benedict Wells, unterstützt durch seine unzähligen liebevollen Details, meine Gefühlsebene derart intensiv angesprochen, dass mir mehrfach die Tränen gekommen sind.

Gern empfehle ich diesen Roman.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.05.2021

Ein Spiegel für die weiße Gesellschaft

Drei Kameradinnen
0

Der Roman erzählt von den Freundinnen Hani, Kasih und Saya, deren konsequent verschwiegene Herkunft einen immensen Einfluss auf ihr Leben hat. Die Geschichte setzt sich mit den alltäglichen Kommentaren ...

Der Roman erzählt von den Freundinnen Hani, Kasih und Saya, deren konsequent verschwiegene Herkunft einen immensen Einfluss auf ihr Leben hat. Die Geschichte setzt sich mit den alltäglichen Kommentaren auseinander, die die sogenannten „Weißen“ unbedarft oder auch absichtlich den Dreien entgegen schleudern. Shida Bazyar zeigt drei Varianten auf, wie Betroffene dieser mangelnden Sensibilität begegnen. Es geht jedoch nicht „nur“ um Blicke und Sprüche, sondern um die Gesamtheit herabwürdigender Verhaltensweisen, um sämtliche Eskalationsstufen von Gewalt, Hetze und rechtem Terror.

Die Autorin hält der Leserschaft den Spiegel vor, lässt einen eigenes Handeln überdenken. Dafür lässt Shida Bazyar ihre Figur Kasih als Erzählerin von Ihrer Kindheit berichten, von dem Leben in der Siedlung. Kasih lässt uns ganz nebenbei teilhaben an den gemeinsamen Teilerfolgen, dem Weg zum Abitur und durch das Studium. Trotz des hohen Bildungsgrades, den sich die Freundinnen erarbeitet haben, bleibt es schwierig, in der weißen Gesellschaft Fuß zu fassen.

Durch ihre direkte Art, mit der Kasih uns persönlich anspricht, war ich ihr gleichzeitig nah und auch fremd. Nah, weil vermutlich alle „Anklagepunkte“ korrekt sind, manches habe selbst in ähnlicher Form erlebt. Fremd, weil ich mich zwangsläufig auch als Täter, mindestens aber schweigender Beobachter erkennen musste. Auch wenn diese Wahrheit weh tut, ich manchmal aufgrund der Penetranz im Vortrag innerlich aufstöhnen musste, mochte ich die sprachliche Technik mit viel Ausdauer. Das hatte etwas Erfrischendes, als hätte ich Kasih auf einer Party getroffen und sie hätte erzählt.

So entwickelt sich die Geschichte von der Kindheit der Freundinnen Hani, Kasih und Saya hin zum Hier und Jetzt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Höhepunkt der Geschichte etwas früher erreicht worden wäre. Damit hätte es aus meiner Sicht zum Schluss mehr Möglichkeiten für Klarheit gegeben. Der Ausgang der Geschichte hat mich zugegebenermaßen überfordert. Thesen, denen ich im gesamten Verlauf hundertprozentig folgen konnte, wurden erschüttert. Ich kam mir irgendwie vorgeführt vor. So ging für mich auf den letzten paar Seiten Glaubwürdigkeit verloren. Trotzdem empfinde ich diesen Roman als wichtige Unterstützung in der Selbstreflexion.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.04.2021

Bitteres Ausreißerinnen-Leben

Mado
0

Der Roman beginnt mit Mado Kaaris‘ Flucht vor der eigenen Gewalttat an ihrem Partner. Er ist ein ehemaliger Boxer, ekelt sie inzwischen an, will sie aus Eifersucht einsperren. Um sich selbst zu befreien, ...

Der Roman beginnt mit Mado Kaaris‘ Flucht vor der eigenen Gewalttat an ihrem Partner. Er ist ein ehemaliger Boxer, ekelt sie inzwischen an, will sie aus Eifersucht einsperren. Um sich selbst zu befreien, hat sie ihn einfach erschlagen. Danach treibt es Mado zur Familie in die Bretagne, die sie nicht gerade liebevoll empfängt. Der Mord ist zudem nicht ihr einziges Problem. Alkohol und Drogen sind Mado‘s ständige Begleiter. Finanzielle Nöte, schlüpfrige Kontakte sind die Folge.

Wolfgang Franßen erzählt die bittere Geschichte einer jungen Frau, die quasi in einer Kneipe aufgewachsen ist, die mit den anzüglichen Gepflogenheiten der Trinker erwachsen werden musste. Ihre Partner und Begleiter sind fast zwangsläufig dem Alkohol zugewandt. Mado selbst kann dem Milieu offensichtlich ebenfalls nicht entkommen. Obwohl sie stets nach kurzer Zeit ihre Zelte abbricht, ihr jeweils aktuelles Leben aufgibt und weiterzieht, gelangt sie schon bald in den nächsten Strudel Richtung Abgrund.

Der Autor thematisiert einen Lebensverlauf, der in ähnlicher Form wahrscheinlich gar nicht so selten ist, allerdings in der Literatur meist ausgespart bleibt. Die Begründung scheint auf der Hand zu liegen. Es ist kein Vergnügen, dieses Buch, von diesem Leben, zu lesen. Für Mado und die anderen Frauen in ihrer Familie gibt es keine Hoffnung auf Verbesserung, nicht ein positives Kapitel in diesem Roman. So bleiben mir Mado und die anderen Charaktere fremd. Ich bleibe auf Distanz zu ihnen, finde sie sogar mehr oder weniger abstoßend. Mado selbst widert mich an.

Der zur depressiven Stimmung im Roman passende Schreibstil verstärkt die negative Atmosphäre noch. Die Sprache ist von kurzen Sätzen geprägt, wenig ausgeschmückt. Zitatejäger werden hier nicht auf ihre Kosten kommen. In der ersten Hälfte erscheint der Roman dadurch langatmig. Die kurzen Kapitel halfen, immer wieder inne zu halten, um das Gelesene zu verdauen.

Auch wenn das Lesen für mich kein Spaß war, weil auch ich natürlich viel lieber über schöne Dinge lese, finde ich diesen Roman wichtig. Das Leben verläuft leider nicht für jeden gleich. Viele haben es schwerer als man selbst. Der Roman erinnert mich daran, dankbar zu sein, für meine Familie und meine eigenen Möglichkeiten im Leben.

Insgesamt möchte ich eine eingeschränkte Leseempfehlung aussprechen. Wer hauptsächlich Vergnügen sucht, sollte die Finger von „Mado“ lassen. Die Empfehlung gilt jenen, die den Blick ins Abseits wagen möchten und sich tiefergehend mit Abgründen unserer Gesellschaft beschäftigen wollen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.04.2021

Versöhnlicher Rückblick

Vom Aufstehen
0

Eine Sammlung von Erzählungen, Erlebnisse, die ein Leben geprägt haben, Eindrücke, die eine Person ausmachen.

Helga Schubert berichtet aus ihrem Leben, von der Flucht aus Hinterpommern, von ihrem Dasein ...

Eine Sammlung von Erzählungen, Erlebnisse, die ein Leben geprägt haben, Eindrücke, die eine Person ausmachen.

Helga Schubert berichtet aus ihrem Leben, von der Flucht aus Hinterpommern, von ihrem Dasein in der DDR und von dem, was danach geschah. Dabei sind ihre Erzählungen manchmal kleine Geschichten, denen man leicht folgen kann. Ein andermal sind es philosophische Betrachtungen. Obwohl die Autorin sich einer einfachen, klaren Sprache bedient, die ohne Schnörkel auskommt, sind ihre Episoden doch teilweise poetisch stark. Immer wieder hatte ich versteckte Botschaften zwischen den Zeilen entdeckt, die mir wie beim Ostrock üblich dort bewusst von ihr platziert schienen.

Den größten Raum nimmt die Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter ein. Ohne Gram lässt Helga Schubert uns teilhaben an der Distanz zwischen ihr als Tochter und der Mutter. Offensichtlich war die Mutter durch Erlebnisse im Krieg und auch durch ihre eigene Konstitution nicht in der Lage, ihrer Tochter ein normales Maß an Liebe zu geben. Vielmehr lässt sie die Tochter wissen, dass sie ohne sie besser dran gewesen wäre. Die Haltung der Mutter ist ist nicht etwa ein einmaliger Wutausbruch, sondern Teil ihrer Lebenseinstellung. Um so bewundernswerter ist der überaus faire Blick der Autorin auf ebendiese befremdliche Frau.

Besonders gern mochte ich allerdings die eher philosophischen Kapitel, weil ihnen etwas Verborgenes innewohnt, das nicht auf den ersten Blick sichtbar wird. „Mein Wald“ und „Mein Winter“ sind nur zwei Beispiele in einem ganzen Reigen, wobei mache Kapitel nur in Teilen diesen Charakter haben.

So war diese Sammlung an Erzählungen recht attraktiv für mich, obwohl ich im Allgemeinen nicht unbedingt ein Liebhaber von Erzählbänden bin. Insgesamt ein ruhiges Buch, das berichtet, aber nicht anklagt und urteilt. Das überlässt die Autorin der Leseschaft, womit sie bei mir den richtigen Nerv trifft. Ich bin dankbar für dieses Buch und empfehle es sehr gern weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere