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Veröffentlicht am 12.11.2021

Bezaubernd und überraschend nachdenklich

Bilder meiner besten Freundin
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„Jedes Mädchen ist vernarrt in seine beste Freundin im Gymnasium und verliert sie dann, wenn es älter wird. Das ist ein unumgänglicher Prozess. Niemand hat jemals ein existenzielles Drama daraus gemacht.“ ...

„Jedes Mädchen ist vernarrt in seine beste Freundin im Gymnasium und verliert sie dann, wenn es älter wird. Das ist ein unumgänglicher Prozess. Niemand hat jemals ein existenzielles Drama daraus gemacht.“ (Pos. 6217)

Es gibt diese Freundschaften, wie man sie nur ein einziges Mal in seinem Leben hat: diese eine Person, diese eine Freundin, die einem näher steht, die mehr über einen weiß als jeder andere Mensch, der man blind vertraut – auch wenn sich gelegentlich leise Zweifel an der Loyalität und Zuneigung einschleichen.

Eine solche Freundin hat die damals fünfzehnjährige Elisa in der gleichaltrigen Klassenkameradin Beatrice gefunden. Dabei könnten die beiden Mädchen unterschiedlicher nicht sein: hier die verträumte, literaturversessene Eli mit der labilen Mutter, dem willensschwachen Bruder und dem bemühten, aber hilflosen Vater, dort die glamouröse, wunderschöne Beatrice aus einer der angesehensten Familien des Ortes, die überdies auf Bestreben ihrer Mutter eine Karriere als Model anstrebt. Bis es zu einem abrupten Bruch dieser scheint’s einzigartigen, unverbrüchlichen Freundschaft kommt. Sollte Eli sich die ganze Zeit in ihrer Freundin getäuscht haben?

Zwanzig Jahre später haben die beiden Frauen nach wie vor keinerlei Kontakt zueinander. Elisa ist alleinerziehende Mutter und muss jeden Cent dreimal umdrehen, Bea ist ein gefeierter internationaler Star, dessen traumgleiches Leben man täglich in den sozialen Medien verfolgen kann. Bis Bea erneut spurlos verschwindet und ausgerechnet Eli diejenige sein soll, die dem Verschwinden ihrer einstmals besten Freundin nachgeht.

Ich war anfänglich etwas unsicher, ob „Bilder meiner besten Freundin“ das Richtige für mich ist – oder ob ich nicht zehn, fünfzehn Jahre zu alt bin, um mich in die Geschichte der zwei ungleichen Freundinnen einzufinden. Dass mich der Roman indes rasch gefangen nahm, ist zum einen der wunderbaren Sprache Avallones (aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn), den nachdenklichen, teils philosophisch anmutenden Betrachtungen der jugendlichen wie der erwachsenen Ich-Erzählerin Elisa zu verdanken, und zum anderen der Erzählung an sich: Eine besondere Freundschaft ist eine besondere Freundschaft, unabhängig vom Alter derer, die sie erleben, das wurde mir während der Lektüre klar. Und so fand ich mich erstaunlich oft in Elisa wieder, in ihren Gedanken und Gefühlen, ihren Ansichten und Zweifeln. Einen besonderen Reiz machte für mich der wunderbare Lokalkolorit des Romans, der in einer nicht näher bezeichneten italienischen Stadt am Meer spielt. Alles in allem war „Bilder meiner besten Freundin“ für mich eine bezaubernde Lektüre.

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Veröffentlicht am 07.10.2021

Solide Unterhaltung

Wer das Feuer entfacht - Keine Tat ist je vergessen
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Ein brutal ermordeter junger Mann auf einem Hausboot.
Eine junge Frau, die selbiges sichtlich verstört verlässt.
Eine verbitterte Bootsnachbarin, die jedwedes Geschehen akribisch beäugt.

Und eine auffallend ...

Ein brutal ermordeter junger Mann auf einem Hausboot.
Eine junge Frau, die selbiges sichtlich verstört verlässt.
Eine verbitterte Bootsnachbarin, die jedwedes Geschehen akribisch beäugt.

Und eine auffallend teilnahmslos wirkende Tante.
Das sind die Hauptfiguren in Paula Hawkins‘ frisch erschienenem Roman „Wer das Feuer entfacht“. Für die Polizei steht schnell fest, wer die Schuldige ist: Laura, die junge Frau, die die Nacht mit dem Mordopfer verbracht hat. Laura, die Unzuverlässige, die Sprunghafte, die ihr Leben nicht in den Griff bekommt und Schwierigkeiten förmlich anzieht – und die ohne jeden Zweifel etwas verschweigt. Doch so einfach ist die Gemengelage dann doch nicht, denn nur wenige Monate vor dem Mord ist die Mutter des Getöteten bei einem Treppensturz ums Leben gekommen – ein Zufall? Und ist Schwester, die Tante des Toten, wirklich „nur“ eine trauernde Hinterbliebene? Und erst diese etwas verschrobene Frau vom Hausboot nebenan: tatsächlich eine Unbeteiligte, allenfalls eine mehr oder weniger zuverlässige Zeugin, die ein Einsiedlerinnendasein führt und mit allen und allem nichts zu tun hat? Eines jedenfalls steht fest: Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Nach ihrem grandiosen Bestseller „Girl on the Train“ und dem aus meiner Sicht deutlich schwächeren „Into the Water“ hat Paula Hawkins mit „Wer das Feuer entfacht“ (Deutsch von Christoph Göhler) einen Spannungsroman geschrieben, der in erster Linie von seinen ebenso unterschiedlichen wie undurchsichtigen Frauenfiguren lebt. Seite um Seite, Kapitel um Kapitel enthüllen sich unvermutete Hintergründe und Verbindungen, dramatische und traumatische Vergangenheitserlebnisse, die die Frauen in einem immer etwas anderen Licht erscheinen lassen. Mein Fazit: ein solider Krimi, der dankenswerterweise auf Schwarz-weiß-Malerei verzichtet und mit überraschend tiefgründigen Figuren aufwartet. Perfekt für ein verregnetes Herbstwochenende auf der Couch.

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Veröffentlicht am 30.04.2021

Ein suggestiver Lesesog

Lichte Horizonte
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Anne, Ende vierzig, verheiratet und Mutter, schreibt ihr zweites Buch. Dieses soll „ihr“ Buch werden, das Buch, in dem viel von ihr selbst, ihrem Leben, ihrer Vergangenheit und ihren persönlichen Erfahrungen ...

Anne, Ende vierzig, verheiratet und Mutter, schreibt ihr zweites Buch. Dieses soll „ihr“ Buch werden, das Buch, in dem viel von ihr selbst, ihrem Leben, ihrer Vergangenheit und ihren persönlichen Erfahrungen steckt. Die Rekapitulation vergangener Ereignisse weckt Erinnerungen: an die Frau, die sie einst war, an ihre Träume, Vorstellungen und Sehnsüchte, an die Männer, die sie einst liebte – oder nicht liebte – und an die Männer, die sie einst liebten – oder auch nicht liebten.

Ihre Auseinandersetzung mit der Anne von damals führt unweigerlich zu einer Betrachtung der Anne, die sie jetzt ist, des Lebens, das sie führt, der Gegenwart, die nicht nur ein gut situiertes, solides Familienleben vorhält – sondern auch Stéphane, den faszinierenden, äußerst anziehenden Musiker, der ebenso gebunden ist wie Anne, mit dem sie aber mehr verbindet, als – möglicherweise – ihrem Seelenfrieden zuträglich ist.

„Lichte Horizonte“ war ganz anders, als ich mir vorgestellt habe. Ich dachte, es handele sich um einen dieser Romane, die mal humorvoll, mal melancholisch, manchmal auch dramatisch oder gar tragisch das Leben einer Frau von Mitte/Ende vierzig reflektieren, ein – im besten Sinne – perfektes „Buch für zwischendurch“. Doch ich musste rasch feststellen, dass die Lektüre mich mehr bewegte, beschäftigte, gedanklich vereinnahmte, als ich erwartet habe. Und das lag vor allem an der Protagonistin und Ich-Erzählerin Anne, die mir nah genug war, um mich mit ihr zu identifizieren, und zugleich fern genug, um mich zu faszinieren. Ihre Worte, ihre von zahlreichen literarischen Anspielungen begleiteten Erinnerungen und Abschweifungen in die Vergangenheit (für mich als Literaturwissenschaftlerin ein besonderer Genuss) fügen sich zu einem assoziativen Erzählfluss, einem suggestiven Sog, der mich vereinnahmte, mich nahezu absorbierte. Eine für mich intensive Lektüre, die mich auch nach ihrem Abschluss noch eine ganze Weile weiterbeschäftigt hat.

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Horizonterweiternd und durchaus anspruchsvoll

Du bist das Universum
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„Alle Schöpfung bringt etwas aus dem Nichts hervor.“ (S. 41)
Spirituelle Bücher gibt es wie den sprichwörtlichen Sand am Meer oder, in diesem Fall vielleicht zutreffender, wie Sterne am Nachthimmel. Manche ...

„Alle Schöpfung bringt etwas aus dem Nichts hervor.“ (S. 41)
Spirituelle Bücher gibt es wie den sprichwörtlichen Sand am Meer oder, in diesem Fall vielleicht zutreffender, wie Sterne am Nachthimmel. Manche von ihnen sind hilfreich, geben Impulse und erweitern das eigene Denken, andere sind, das lässt sich nicht leugnen, in ihrer Banalität und/oder Spintisiererei schlichtweg ein Ärgernis.
„Du bist das Universum“ ist ohne jeden Zweifel der ersten Kategorie zuzurechnen. Dem Mediziner Deepak Chopra, der vielen als einer der größten spirituellen Vordenker gilt, und seinem Co-Autor, dem US-amerikanische Physiker Menas Kafatos, gelingt es in diesem Buch, zahlreiche sich scheinbar gegenüberstehende Konzepte miteinander in Einklang zu bringen und zu einer nicht nur harmonischen, sondern gleichsam unvermeidbaren Einheit zusammenzuführen: Spiritualität und Wissenschaft, ratio und emotio, Individuum und Kosmos. Die zahlreichen wissenschaftlichen Bezüge machen dabei den besonderen Reiz des Werkes aus, heben es aus (vermeintlich) ähnlichen Büchern heraus und verleihen ihm einen höheren Anspruch. Und das ist gleichzeitig der Punkt, der möglicherweise einige Leser*innen abschrecken könnte (oder überfordern oder langweilen oder alles zugleich). Deshalb gibt es von mir zwar eine klare Leseempfehlung, gleichwohl mit einer kleinen Einschränkung: Wer eine Art spirituellen Ratgeber sucht, den man einfach mal so zwischendurch liest, um praktische Impulse für seinen Alltag zu erhalten, wird „Du bist das Universum“ vermutlich rasch mit einem Stirnrunzeln beiseitelegen. Wer indes – idealerweise mit einem gewissen physikalischen Grundverständnis – bereit ist, seinen Horizont zu erweitern, wird dieses Buch mit großem Genuss lesen.

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Ein typischer Mosebach

Krass
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„Die Kraft eines Genies besteht darin, die Realität seinem Willen zu unterwerfen und nach seinem Willen zu formen.“

Er macht seinem Namen – selbstverständlich – alle Ehre: Ralph Krass, ein undurchsichtiger ...

„Die Kraft eines Genies besteht darin, die Realität seinem Willen zu unterwerfen und nach seinem Willen zu formen.“

Er macht seinem Namen – selbstverständlich – alle Ehre: Ralph Krass, ein undurchsichtiger Waffenhändler, der Ende 1988 umgeben von einer Handvoll „Freunde“ (man könnte auch sagen: Claqueure, wenn nicht gar Schmarotzer) so etwas wie Urlaub in Neapel verbringt. Seinem unbedarften Assistenten, dem erfolglosen Kunsthistoriker Dr. Jüngel, obliegt es, sich um alles Organisatorische zu kümmern. Dazu gehört nicht nur die Aufsicht über einen prallvollen Geldkoffer – Herr Krass bevorzugt Barzahlung –, sondern auch die Akquise eines neuen Mitglieds der ebenso illustren wie befremdlichen Gesellschaft: Lidewine Schoenemaker, jung, hübsch, sinnlich, und, seit sie ihren Liebhaber-Schrägstrich-Arbeitgeber, einen zweitklassigen Zauberkünstler, verlassen hat, arbeitslos und pleite. Krass ist großzügig, sehr sogar, allerdings nur, wenn man sich unwidersprochen und in jeglicher Hinsicht seinen Wünschen beugt. Das muss nicht nur die bezaubernde Lidewine feststellen, sondern auch der ach so loyale Jüngel, der im zweiten Teil des Romans ebenso arbeitslos und pleite wie einst Lidewine in Frankreich strandet und mit seinem Schicksal hadert. Im dritten Teil schließlich werden sich die Wege der drei in Kairo wieder kreuzen: zwanzig Jahre später und unter gänzlich veränderten Vorzeichen.

Das Wesen verkündende Namen, eine fulminante Sprache, die teils von großer Eleganz, teils von einem Hang zum Manierismus geprägt sind (auch in diesem Roman wird das Sofa zum „Sopha“, das Telefon zum „Telephon“ und „daß“ wird selbstredend mit „ß“ geschrieben), und Figuren, die während des Lesens Stirnrunzeln und Schmunzeln, Mitleid und Abscheu – und nicht selten alles zugleich – wecken: „Krass“ ist, wenn man so will, ein typischer Mosebach-Roman, was oftmals nichts anderes bedeutet als dass man ihn entweder feiert oder genervt die Augen verdreht und die Lektüre abbricht. Auch wenn der Sprachpomp mir bisweilen zu viel wurde und ich auf die eine oder andere Wortziselierung durchaus hätte verzichten können, habe ich Mosebachs neuen Roman mit außerordentlicher Freude gelesen. Dennoch würde ich ihn nicht uneingeschränkt empfehlen wollen, denn eines ist er ganz gewiss nicht: ein Allerweltsbuch, das immer und überall jede und jeden anspricht, unterhält, fesselt.

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