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Veröffentlicht am 08.09.2022

Nähe und Distanz

Intimitäten
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„Zwischen einzelnen Wörtern, zwischen zwei oder mehr Sprachen konnten sich ohne Vorwarnung Abgründe auftun.“

Intimitäten. Für mich ein Werk voller (gewollter) Widersprüche, die sich im gesamten Spektrum ...

„Zwischen einzelnen Wörtern, zwischen zwei oder mehr Sprachen konnten sich ohne Vorwarnung Abgründe auftun.“

Intimitäten. Für mich ein Werk voller (gewollter) Widersprüche, die sich im gesamten Spektrum zwischen Nähe und Distanz, Intimität und Fremdheit bewegen. Da hätten wir z.B. die Arbeit der weiblichen Hauptfigur. Als Dolmetscherin am Internationalen Gerichtshof kommt sie den Personen, für die sie übersetzt, auf eine sehr außergewöhnliche Weise sehr nah. Oft flüstert sie ihnen sogar direkt ins Ohr. Trotz dieser Nähe bleibt auf allen anderen Ebenen eine große Distanz zu diesen Personen. Und während sie sich auf das gerade Gesagte konzentriert und es übersetzt, verliert sie sich in dessen Details und kann diese nicht mehr ins große Ganze einordnen, sodass sie am Ende oft nicht einmal wiederholen könnte, was eigentlich gesagt wurde.

Ein Widerspruch findet sich auch in der Hauptfigur an sich. Wir begleiten sie ein paar Monate in ihrem Leben und doch lernen wir sie nicht wirklich kennen. Wir erfahren, was sie denkt, bleiben aber auf Distanz. Auch der Freund und der Freundeskreis waren für mich nicht wirklich greifbar, hinterließen teilweise sogar eher ein ungutes Gefühl. Wie intensiv diese Beziehungen sind, musste ich oft nur erahnen.

Umso länger ich über die 220-Seiten-Werk nachdenke, umso mehr zielgerichtet platzierte Widersprüche fallen mir noch ein. Das ist wirklich sehr raffiniert umgesetzt, birgt aber auch die Gefahr, dass man beim nicht ganz so aufmerksamen Lesen, viele dieser Gegensätze gar nicht wahrnimmt.

Nachhaltig beeindruckt haben mich bei diesem Buch aber vor allem die vielen Schilderungen zur Arbeit eines/er Dolmetscherin, auch wenn diese teilweise sehr sachlich wiedergegeben werden. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wie intim der Prozess des Übersetzens ist. Nicht nur, weil es ja bestimmten Personen vorbehalten ist und alle anderen ausschließt, sondern auch, weil der/die Dolmetscherin alle Nuancen des ursprünglich Gesagten mit in die Übersetzung einfließen lassen muss. Das heißt: Gefühle, Stimmfarbe, Stottern, Pausen, die Auswahl bestimmter Begriffe und Redewendungen… Und das alles nahezu ohne Zeitverlust. Wie wahr das oben genannte Zitat ist und wie komplex und vielschichtig Sprache ist, wird hier besonders deutlich.

Nichtsdestotrotz konnte das Buch meine Erwartungen, die ich aufgrund des Klappentextes hatte, nicht umfänglich erfüllen. Die Kurzbeschreibung des Buches ist nicht falsch, trifft aber meiner Meinung nach den Kern des Buches nicht so wirklich. Dafür dominiert auf vielen unterschiedlichen Ebenen im Buch dann doch zu sehr die Distanz, überwiegt das Ungesagte, bleiben Fragen offen. Die Tiefe und das Zwischenmenschliche rücken in den Hintergrund.

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Schicksalhafte Begegnung

Reise mit zwei Unbekannten
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Die neunzigjährige energische Maxine ist aus dem Seniorenheim ausgebüxt, um ihr Ableben selbstbestimmt zu regeln. Der schüchterne und an einer Depression erkrankte Student Alex flüchtet vor seinem eigenen ...

Die neunzigjährige energische Maxine ist aus dem Seniorenheim ausgebüxt, um ihr Ableben selbstbestimmt zu regeln. Der schüchterne und an einer Depression erkrankte Student Alex flüchtet vor seinem eigenen Leben. Ein Mitfahrportal führt beide zusammen, und in Alex' uraltem Twingo brechen sie zu einer Fahrt durch Frankreich nach Brüssel auf. Schon bald vertrauen sie einander Gedanken an, die sie niemals zuvor preisgegeben haben und stellen sich gegenseitig vor immer neue Herausforderungen. Während das Duo von der Polizei gesucht wird und die Öffentlichkeit glaubt, dass Maxine von Alex entführt wurde, erfahren sie auf ihrem Roadtrip, was das Leben ihnen noch alles zu bieten hat.

Zoe Brisby hat mit „Reise mit zwei Unbekannten“ einen kurzweiligen Roman erschaffen, der neben Humor auch eine große Portion Tiefe und stellenweise sogar Sozialkritik im Gepäck hat. Für mich war die Geschichte aber auch an einigen Punkten zu überzogen und zu vollgepackt, an anderen Stellen dann fast schon wieder ein bisschen zu oberflächlich. Doch die Grundidee des Romans finde ich großartig. Manchmal braucht es nur einen neuen Menschen, eine neue Sichtweise, einen neuen Impuls im Leben, um scheinbar vorbestimmte, vielleicht sogar aussichtslose Wege zu verlassen und eine neue Richtung einzuschlagen. Manche Begegnungen sind Schicksal, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommen.

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Veröffentlicht am 29.03.2022

Zu einseitig

Geschichte einer großen Liebe
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„Geschichte einer großen Liebe“ ist mein erster Roman von Susanna Tamaro. Die Bestsellerautorin ist besonders bekannt für ihren poetischen Schreibstil. Und auch in ihrem neuesten Werk enttäuscht sie hinsichtlich ...

„Geschichte einer großen Liebe“ ist mein erster Roman von Susanna Tamaro. Die Bestsellerautorin ist besonders bekannt für ihren poetischen Schreibstil. Und auch in ihrem neuesten Werk enttäuscht sie hinsichtlich dieses Punktes nicht. Dadurch bekommt die Story, die Überwiegend in Rückblicken erzählt wird, einen ganz besonders melancholischen Touch. Allerdings ist mir der Blickwinkel der Erzählfigur alles in allem häufig zu einseitig, zu rosa-rot. Keine Frage, das Buch ist emotional – dennoch fehlt mir die Tiefe, die thematische Auseinandersetzung, eine andere Sichtweise. Wirklich eingetaucht in die Story bin ich leider nicht und auch mit den Figuren bin ich nicht richtig warm geworden. Das lag unter anderem aber auch daran, dass der Leser zu Beginn des Buches rätselt, wer denn die Geschichte erzählt. Und ich empfand diese große Liebesgeschichte insgesamt als eher unausgewogen und einseitig. Das wiederum kann aber auch an der Erzählform liegen.

Die Story nimmt so ihren Lauf – allerdings ohne wirkliche Spannungspunkte. Denn über allen Aufs und Abs im Leben des Protagonistenpaares liegt im Rückblick betrachtet ein Schleier der Melancholie und des Verlustes. Andrea ist gefangen in seiner Vergangenheit und kämpft sich Stück für Stück wieder in die Gegenwart zurück. Edith, seine Frau und große Liebe, wird für mich das ganze Buch über nicht richtig greifbar. Wer ist diese – anscheinend oftmals sehr widersprüchliche und zweifelnde – Frau? Ihre Sichtweise und Gedanken fehlen mir an einigen Stellen – scheinen sie doch oftmals völlig im Gegensatz zu Andreas‘ zu stehen.

Ich habe beim Lesen manchmal etwas mit mir ringen müssen. Einerseits wollte ich wissen, wie die Geschichte weitergeht und endet. Andererseits packte sie mich nicht so richtig. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, ein paar Seiten vorzublättern, um schneller ans Ziel zu kommen. Keine Angst, ich habe es nicht getan, aber es fiel mir nicht leicht.

Und betrachte ich alle Aufs und Abs, bekommt das Buch von mir 3,5 Sterne.

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Veröffentlicht am 20.02.2022

Konnte mich nicht begeistern

Kindheit
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Das ist ja immer so eine Sache: Bücher, von denen man viel Gutes hört und liest und bei denen die eigenen Erwartungen dann dementsprechend hoch liegen. Oft werden sie ihrem aufgeklebten Stempel gerecht, ...

Das ist ja immer so eine Sache: Bücher, von denen man viel Gutes hört und liest und bei denen die eigenen Erwartungen dann dementsprechend hoch liegen. Oft werden sie ihrem aufgeklebten Stempel gerecht, manchmal leider nicht. Letzteres traf bei mir gerade bei der Trilogie „Kindheit. Jugend. Abhängigkeit.“ von Tove Ditlevsen zu. Durchaus lesenswerte Bücher, keine Frage. Nur leider haben sie mich in keinster Form berührt. Es gab kein Eintauchen in die Geschichte, kein Mitfiebern, kein Bezug zur Hauptfigur… Ich weiß, das ging vielen hier anders. Besonders das erste Buch, die Kindheit, wurde ja von vielen in den höchsten Tönen gelobt. Und ich muss gestehen, genau dieser Teil beeindruckte mich am wenigsten. Die Erzählungen aus den Jugend- und Erwachsenen-Jahren fand ich dagegen viel spannender. Besonders wenn man das Werk mal in seiner Gesamtheit unter dem Aspekt der Abhängigkeit betrachtet. Denn sind wir mal ehrlich: Abhängigkeit wird ja nicht erst im dritten Teil zum Schwerpunkt in Toves Leben. Nur waren es zuvor nicht die Medikamente, sondern Bestätigung, Männer, Gedanken, Familie… Als wirklich frei und unabhängig habe ich sie nie empfunden, doch genau das suggeriert für mich das Zitat von Nina Hoss auf dem Buchumschlag: „Das Porträt einer Frau, die ihr Leben entschieden zu ihrem eigenen macht. Ein Leben, so frei und ungestüm…“ Da scheine ich wohl andere Vorstellungen von frei, ungestüm und entschieden zu haben. Kein Wunder also, dass meine Erwartungen leider nicht erfüllt worden. Und dennoch war das Lesen dieser Trilogie alles andere als Zeitverschwendung.

⭐⭐⭐,5 (3,5 von 5 Sternen)

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Veröffentlicht am 25.06.2021

All das Ungesagte zwischen uns

Die Geschichte von Kat und Easy
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Eine Freundschaft, die in einem großen Schweigen endet, obwohl doch so viel zu sagen wäre. Ein Miteinander, das endet, obwohl sie einander gerade jetzt besonders gebraucht hätten. Doch es folgen 50 Jahre ...

Eine Freundschaft, die in einem großen Schweigen endet, obwohl doch so viel zu sagen wäre. Ein Miteinander, das endet, obwohl sie einander gerade jetzt besonders gebraucht hätten. Doch es folgen 50 Jahre Funkstille. 50 Jahre, in den Kat und Easy versuchen, den tragischen Grund für ihren Bruch zu verdrängen. In denen all das Ungesagte wie eine Glasglocke über ihnen schwebt und all ihr Handeln, ihre Gefühle, ihre Liebe beeinflusst. Die Frauen ergeben sich ihrem Schicksal, ohne sich dem Ungesagten zu stellen – bis eine von ihnen über ihren Schatten springt und den Stein, der auf beiden Seelen liegt, ins Rollen bringt. In einem einsamen Ferienhaus auf Kreta stellen sich die beiden Anfang-Sechzigjährigen ihren sechzehnjährigen Geistern und den gegenseitigen Fragen. Denn eines ist klar: Ihre Freundschaft endete mit der Liebe zu dem gleichen Mann, die für keine von ihnen gut ausging.

Susann Pásztor schafft es hervorragend, die angespannte Atmosphäre während des Kreta-Besuchs rüberzubringen. Ein ständiges Aus-dem-Weg-gehen, Aufeinander-lauern, Um-den-heißen-Brei-herumreden, Nur-nicht-auf-den-Punkt-kommen und Verläugnen jeglicher Gefühle. Bis ein Katalysator den Nebel des Schweigens bricht. Doch leider wurde mir genau hier zu wenig gesagt. Das Ende des Buches kam mir dann doch zu abrupt, es fehlte die Tiefe, eine Aussprache wurde nur noch angedeutet. Überzeugt haben mich dagegen die Schilderungen von Kats Erlebnissen und Gefühlen während der 70er-Jahre, ihr Kummer, der nie rührselig wird, und ihre Eifersucht auf ihre perfekte beste Freundin. Die oftmals beschriebene Intensität dieser Freundschaft kommt allerdings oft nicht wirklich rüber. Irritiert haben mich noch dazu manchmal ein paar Sätze, die anscheinend (vermute ich) Spannung in den Erzählstrang bringen sollten und seeehr wichtig klangen, für mich aber letztendlich inhaltlich nicht richtig aufgelöst wurden. Angefangen bei dem ersten Satz des Buches: Kat hat die Macht. Klingt unbestritten fantastisch. Ergab für mich aus der weiteren Geschichte heraus aber keinen Sinn.

Alles in allem ein empfehlenswertes Buch, das ganz ohne Spannung unterhält. Ich hab‘ es gern gelesen, auch wenn es meiner Meinung nach nicht ohne kleine Schwächen auskommt.

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