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Veröffentlicht am 12.07.2021

Tragödie in der Kälte

Die Liebenden vom Ende der Welt
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Deborah Gardner ist Biologin und arbeitet für das Antarktis-Pinguin-Projekt. Mit der „Cormorant“, einem Forschungsschiff, das aus finanziellen Gründen auch zahlende Passagiere mitnimmt, ist sie unterwegs ...

Deborah Gardner ist Biologin und arbeitet für das Antarktis-Pinguin-Projekt. Mit der „Cormorant“, einem Forschungsschiff, das aus finanziellen Gründen auch zahlende Passagiere mitnimmt, ist sie unterwegs auf dem eisigen Kontinent, um Touristen zu den Pinguin-Kolonien zu führen und ihnen die Schönheiten dieser unberührten Gegend näher zu bringen. Dabei erinnert sie sich an frühere Fahrten in die Antarktis, daran wie sie Keller Sullivan kennen und lieben lernte, wie sie gemeinsam die Brutplätze der Tiere erforschten und dokumentierten – und an die große Katastrophe und ihre persönliche Tragödie vor fünf Jahren, als das riesige Passagierschiff „Australis“ mit 1600 Menschen an Bord weitab der normalen Route ins Packeis geriet, von einem Eisberg aufschlitzt wurde und sank …

„Die Liebenden vom Ende der Welt“ (Originaltitel „My Last Continent“) ist der erste Roman der amerikanischen Autorin Midge Raymond, die zuvor lange im Verlagswesen in New York gearbeitet und in Boston kreatives Schreiben unterrichtet hatte. Heute lebt sie in Oregon und führt dort einen kleinen Verlag.

Anders als der deutsche Titel zunächst vermuten lässt, steht in diesem großartig geschriebenen Roman eindeutig die Antarktis in all ihrer Schönheit, ihrer Stille und Einsamkeit, sowie ihrer brutalen menschenfeindlichen Kälte im Mittelpunkt. Die Liebesgeschichte selbst war für mich nur eine wunderschöne Nebenhandlung, die trotz ihrer Dramatik sehr real und zu keiner Zeit schnulzig wirkt. Die Autorin lässt Deborah, die Hauptfigur dieser Geschichte, selbst erzählen. In Rückblenden erinnert sie sich an Episoden aus ihrem früheren Leben und daran, wie sie dazu kam, Pinguine in der Antarktis zu erforschen und dabei für Touristen die Fremdenführerin zu machen. Sie denkt darüber nach, wie sie einige Jahre zuvor Keller Sullivan, ihre große Liebe, kennenlernte. Ihn haben zunächst private Gründe in die Antarktis geführt, wo er bald den Sinn seines Lebens in der Rettung der Natur und der Pinguine fand. Wir erfahren auch wie es dazu kam, dass Keller sich auf dem Passagierschiff „Australis“ befindet, das nun langsam aber sicher der Katastrophe zusteuert.

Fazit: Ein Buch, dessen Sog ich mich nicht entziehen konnte und das wohl noch lange in mir nachklingen wird. Neben einer schönen Liebesgeschichte erhält man sehr viele Informationen über die Antarktis, über die Erderwärmung und das Schmelzen des Poleises sowie über die durch den Menschen verursachte Dezimierung der Vogelwelt. Meine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Freud und Leid in Holt

Abendrot
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Wir sind wieder in Holt, einer verschlafenen Kleinstadt in der endlosen Weite Colorados, und treffen dort zunächst auf alte Bekannte. Es sind zwei Jahre vergangen seit die McPheron-Brüder die schwangere ...

Wir sind wieder in Holt, einer verschlafenen Kleinstadt in der endlosen Weite Colorados, und treffen dort zunächst auf alte Bekannte. Es sind zwei Jahre vergangen seit die McPheron-Brüder die schwangere 17jährige Victoria, die von ihrer Mutter verstoßen wurde, bei sich aufgenommen haben. Die beiden alten Männer sind kaum wieder zu erkennen, Victoria und ihr Kind haben Glück und Freude in ihr Leben gebracht und ihrem Dasein einen Sinn gegeben. Wenig Freude hat die Familie Wallace, die in einem alten Container am Rande von Holt mit zwei Kindern von Sozialhilfe lebt. Das älteste Mädchen wurde in einer Pflegefamilie untergebracht. Ganz schlimm wird die Situation, als sich der Bruder der Frau, ein entlassener Sträfling, bei ihnen einnistet. Im Rausch verprügelt er ständig die Kinder und die Eltern sind nicht in der Lage, dies zu verhindern. Dann ist da noch DJ, ein elfjähriger Junge, dessen Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam und dessen Vater auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Er lebt jetzt bei seinem alten Großvater, kümmert sich liebevoll um ihn und führt ihm den Haushalt. Etwas Freude bringt Dena, ein gleichaltriges Nachbarmädchen in DJs Leben. Um dem tristen Alltag zu entfliehen treffen sich die beiden Kinder in einer verlassenen Scheune, die sie gemütlich eingerichtet haben. Doch Freud und Leid liegen eng beieinander. Es kommen weitere Personen hinzu, kreuzen für einige Zeit den Weg unserer Protagonisten und nehmen Einfluss auf deren weiteres Schicksal …

Der Roman „Abendrot“ des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014) erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel „Eventide“ in New York und wurde nun, 2019, in deutscher Sprache vom Diogenes-Verlag herausgebracht. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt.

Es sind die einfachen Leute, ihr tägliches Leben und ihre alltäglichen Sorgen und Mühen, über die der Autor in seinen Büchern so stimmungsvoll erzählt. Dabei ist sein Schreibstil als ruhig und distanziert zu bezeichnen. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass bald noch etwas Entscheidendes passieren wird. Bemerkenswert ist der meist liebevolle und feinfühlige Umgang der Protagonisten untereinander. Doch man findet auch andere Töne. So kann man einige Szenen durchaus als kalt und hartherzig, ja manchmal sogar als brutal bezeichnen. Dennoch ist es ein Buch, das zufrieden und glücklich macht - das ich sehr gerne gelesen habe und sicher noch einmal zur Hand nehmen werde.

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Veröffentlicht am 01.07.2021

Sommer der Veränderungen

Hard Land
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In diesem Sommer, kurz vor seinem 16. Geburtstag, plagen den Außenseiter und Einzelgänger Sam Turner große Ängste. Der einzige Freund den er hatte ist nach Kanada gezogen, seine Mutter ist krank und sein ...

In diesem Sommer, kurz vor seinem 16. Geburtstag, plagen den Außenseiter und Einzelgänger Sam Turner große Ängste. Der einzige Freund den er hatte ist nach Kanada gezogen, seine Mutter ist krank und sein Vater ist arbeitslos. Er selbst hängt gerne auf dem Friedhof herum und grübelt über alles nach, denn es ist nichts los in Grady, der verschlafenen Kleinstadt in Missouri. Die Rettung für ihn ist ein Ferienjob im örtlichen Kino, wo er endlich Anschluss findet und sich mit den Kollegen anfreundet. Es beginnt für Sam ein magischer Sommer voller Spaß und Lebensfreude, er lernt Freundschaft und Liebe kennen - bis plötzlich das Schicksal zuschlägt und ihn zwingt, früher erwachsen zu werden als ihm lieb ist …

Benedict Wells, der Autor dieses Buches, wurde 1984 als Sohn einer Schweizerin und des deutschen Schriftstellers Richard von Schirach in München geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in verschiedenen Internaten. Nach dem Abitur 2003 zog er nach Berlin, wo er mit Schreiben begann und seinen Lebensunterhalt mit diversen Jobs bestritt. Um sich von der Vergangenheit seiner Familie zu distanzieren und seine Eigenständigkeit zu beweisen ließ er seinen bürgerlichen Namen amtlich in Wells ändern. Bis heute schrieb er bereits mehrere Romane, die alle in den Bestenlisten erschienen, teils verfilmt wurden und für die er mehrere Auszeichnungen und Preise erhielt. „Hard Land“ aus dem Jahr 2021 ist sein sechster Roman. Derzeit lebt Wells in Zürich und besitzt neben der deutschen auch die schweizerische Staatsbürgerschaft.

Brillant, wie gefühlvoll und mitreißend der Autor hier das Thema des Erwachsenwerdens behandelt. Bereits vom ersten Satz an war ich von der Geschichte gefesselt: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“ Wells lässt den Protagonisten selbst erzählen, lässt ihn berichten von seinen Sorgen und Nöten, von seinen Hoffnungen und Träumen. Trotz gravierender Themen ist der Schreibstil von einer fröhlichen Leichtigkeit, die den Leser oft wehmütig an die eigene Jugendzeit zurück erinnern lässt.

„Hard Land“ scheint auf den ersten Blick ein Jugendroman zu sein, doch bei genauerer Betrachtung entpuppt er sich für die ältere Leserschaft eher als eine Erinnerung an die eigene Sturm- und Drang-Zeit. Mit Bedacht hat Wells dabei die Zeit Mitte der 1980er gewählt, damals, eine Zeit ohne Handys und Computer, als die Heranwachsenden sich noch persönlich trafen und ihre Abenteuer real erlebten. Es gab andere Probleme, damals, und doch waren es die gleichen: Anschluss an eine Clique, die ersten Partys, die Zeit der ersten Liebe, erste Enttäuschungen und auch die erste Begegnung mit dem Tod - eine Zeit, in der man erwachsen wurde und die man nie mehr vergessen wird.

Fazit: Ein Buch das mich restlos begeistert hat und das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 30.05.2021

Gammelhai und ein verschwundener Hotelbesitzer

Kalmann
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Hoch oben im Norden Islands, beinahe am Polarkreis, liegt das kleine Dorf Raufarhöfn. Dort lebt der 33jährige Kalmann, der sich selbst Sheriff nennt und der den besten Gammelhai der ganzen Insel macht. ...

Hoch oben im Norden Islands, beinahe am Polarkreis, liegt das kleine Dorf Raufarhöfn. Dort lebt der 33jährige Kalmann, der sich selbst Sheriff nennt und der den besten Gammelhai der ganzen Insel macht. Das hat ihm sein Großvater beigebracht, in dessen kleinem Haus er nun alleine wohnt. Auch Jagen und Fischen hat er von ihm gelernt und überhaupt alles, was er wissen muss. Denn Kalmann ist nicht wie jeder andere. Ein bisschen zurückgeblieben, wirr im Kopf und schnell ärgerlich, jedoch harmlos - so kennen ihn die Dorfbewohner und so wird er auch von ihnen akzeptiert.

Die beschauliche Idylle im Ort ist jäh zu Ende, als Kalmann eines Tages bei der Jagd auf den Polarfuchs Blut im Schnee entdeckt, eine riesige Lache Blut. Zur selben Zeit wird auch der reichste Mann der Ortes, der Hotelbesitzer Róbert McKanzie, vermisst. Ist es McKanzies Blut? Wurde er ermordet oder gar von einem aus Grönland eingewanderten Eisbär getötet? Die Polizei aus Reykjavik, Polizistin Birna und die angereisten Journalisten bringen Kalmanns bisher in geordneten Bahnen verlaufendes Leben ganz schön durcheinander …

Der 1981 im Kanton Graubünden/Schweiz geborene Autor Joachim Beat Schmidt entschied sich 2007 Island zu seiner Wahlheimat zu machen und erwarb sogar die dortige Staatsbürgerschaft. Nachdem er 2010 mit einer Kurzgeschichte einen Schreibwettbewerb gewann, begann er Romane zu schreiben und ist mittlerweile, nach eigener Aussage, Mitglied im isländischen Schriftstellerverband. „Kalmann“ ist sein vierter Roman. Heute lebt Joachim B. Schmidt mit seiner Familie in Reykjavik, wo er als Journalist, Autor und Touristenführer tätig ist.

Dem Autor ist es hier großartig gelungen, spannendes Kriminalgeschehen mit der einfühlsamen Geschichte des „behinderten“ Kalmann zu verbinden. Er lässt den Protagonisten selbst berichten, so dass man als Leser die Ereignisse durch seine Gedankenwelt wahrnimmt und dabei stets zwischen Mitleid und Bewunderung schwankt. Sehr schön und informativ auch die Naturbeschreibungen, in denen man den kalten isländischen Winter förmlich spüren kann. Ganz nebenbei erfährt man auch einiges von der wirtschaftlichen Not dieser abgelegenen Region, von der Armut der Dorfbewohner und über den Fischfang, der strengen Fangquoten unterworfen ist, die hauptsächlich in der Hand einiger weniger Reichen liegen – und, nicht zu vergessen über Gammelhai, einer isländischen Spezialität und früher Nahrung der Armen. Einige neue Erkenntnisse und unerwartete Wendungen lassen die anfangs eher ruhige und beschauliche Geschichte aufregend und sehr spannend ausklingen.

Fazit: Ein Buch das zu lesen Spaß macht, gut unterhält, überrascht und auch nachdenklich stimmt – kurzum, lesenswert!

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Briefe an Gott - sonst ist niemand da, dem sich Celie anvertrauen kann …

Die Farbe Lila
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Celie war vierzehn als sie begann Briefe an Gott zu schreiben, da sie sich sonst keinem anvertrauen konnte. Seit ihre Mutter todkrank war musste sie deren Pflichten übernehmen, tagsüber im Haushalt und ...

Celie war vierzehn als sie begann Briefe an Gott zu schreiben, da sie sich sonst keinem anvertrauen konnte. Seit ihre Mutter todkrank war musste sie deren Pflichten übernehmen, tagsüber im Haushalt und nachts im Bett des Vaters. Sie wehrte sich nicht, um ihre jüngere Schwester Nettie vor seinen Übergriffen zu schützen. Zweimal wurde sie schwanger und jedes Mal nahm ihr Vater ihr das Kind weg. Nach dem Tod der Mutter nahm ihr Vater eine neue Ehefrau und verheiratete Celie mit einem Witwer, dem sie den Haushalt führen, seine Kinder erziehen und die Feldarbeit verrichten musste. Auch von ihm wurde sie missbraucht und geschlagen. Ihre Lage bessert sich etwas als der Mann seine Geliebte, die Sängerin Shug Avery, ins Haus nimmt. Die beiden Frauen freunden sich an, Celie wird dadurch selbstbewusster und kann sich allmählich mit Shugs Hilfe aus den Fängen ihres Ehemannes befreien. Jetzt hofft sie, einer besseren Zukunft entgegen zu blicken …

Alice Walker wurde 1944 in Eatonton/Georgia geboren. Sie ist US-amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin und schrieb zahlreiche Erzählungen, Sachbücher, Romane und eine Autobiographie. International bekannt wurde sie hauptsächlich als Autorin des Romans „Die Farbe Lila“ („The Color Purple“), der 1983 mit dem „American Book Award“ und dem „Pulitzer-Preis“ ausgezeichnet und 1985 von Steven Spielberg mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle verfilmt wurde. 1967 heiratete Alice Walker den ebenfalls in der Bürgerrechtsbewegung aktiven Anwalt Melvyn Leventhal. Sie waren das erste standesamtlich getraute „gemischtrassige“ Paar im Bundesstaat Mississippi. 1969 kam Tochter Rebecca zur Welt, 1974 zog die Familie nach New York und 1976 wurde ihre Ehe einvernehmlich geschieden. Alice Walker zog daraufhin nach San Francisco, wo sie innerhalb eines Jahres diesen Roman schrieb. Heute lebt sie in Mendocino/Kalifornien, nördlich von San Francisco.

Es handelt sich hier um einen Roman in Briefform, der das Leben afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten der USA in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts behandelt und dabei besonders die Themen häusliche Gewalt, Inzest und lesbische Liebe thematisiert. Ihr Dasein, ihre damalige gesellschaftliche Stellung und ihre Lebensbedingungen waren oft von rassistischen, sexistischen und gewalttätigen Übergriffen geprägt, denn Sklaverei war trotz Verbot von 1865 noch fest in den Köpfen verankert. Erst ganz allmählich beginnen sich die Frauen zu wehren, sich von ihrem Elend zu befreien und sich zu emanzipieren.

Der Schreibstil der Briefe ist dabei sehr gut dem Bildungsstand der Protagonistin angepasst und wird auch konsequent durchgehalten, wodurch sich der Leser sehr gut in ihr Denken und Fühlen hinein versetzen kann. Das Thema Rassismus war bei der Entstehung des Buches aktuell und ist heute zeitgemäßer denn je. Ich habe die Geschichte jetzt, nach nahezu 30 Jahren, zum zweiten Mal gelesen und bin, wie auch seinerzeit, von Inhalt und Ausdrucksweise tief beeindruckt und kann das Buch uneingeschränkt jedem empfehlen.

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