Profilbild von Dreamworx

Dreamworx

Lesejury Star
offline

Dreamworx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dreamworx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.07.2021

"Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab." (Marcus Cicero)

Hier wohnt das Glück
0

Nachdem sie jahrelang ihre Mutter aufopferungsvoll gepflegt hat, weiß die 61-jährige Berlinerin Sylvie nach deren Tod erst einmal nichts mit sich anzufangen, zumal sie auch noch in den Ruhestand gegangen ...

Nachdem sie jahrelang ihre Mutter aufopferungsvoll gepflegt hat, weiß die 61-jährige Berlinerin Sylvie nach deren Tod erst einmal nichts mit sich anzufangen, zumal sie auch noch in den Ruhestand gegangen ist. Da ist Luftveränderung nötig, um wieder zu sich selbst zu finden und dann mutig einen Blick in die Zukunft zu wagen. Auf einer Internet-Häusertauschbörse wird sie auf einen Zirkuswagen aufmerksam, der in Angelsby an der Flensburger Förde beheimatet ist und schlägt sofort zu. Mit Besitzer Arne ist sie sich nicht nur schnell einig, die beiden verstehen sich von Beginn an gut. Während sich Sylvie auf den Weg in ihr neues Domizil macht, zieht Arne in ihre Berliner Stadtwohnung. Doch die von Sylvie geplante Auszeit will sich einfach nicht einstellen, denn nicht nur Ziegen, Katzen und ein Hund bringen schon ihre Ankunft durcheinander, sondern auch Arnes alleinerziehende Nichte Jördis nebst Anhang lassen Sylvie nicht gerade zur Ruhe kommen. Auch Arne ruft immer wieder an, um einfach nur zu quatschen, oder ihre geplanten Unternehmungen werden durch Wildschweine sabotiert. Aber irgendwie liegt gerade hier der Reiz, denn die Ablenkungen von ihrem wohlfeilen Plan bringen Sylvie nicht nur auf andere Gedanken, ganz klammheimlich fühlt sie sich von Tag zu Tag wohler und freundet sich schon bald mit den Einheimischen an. Ob sie in Angelsby ein neues Zuhause finden wird?
Dagmar Hansen hat mit „Hier wohnt das Glück“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der mit viel Empathie und Feingefühl das Leben beschreibt, wie es meistens stattfindet. Der flüssige, farbenfrohe und mit Humor bestückte Erzählstil platziert den Leser schnell als unsichtbaren Begleiter an Sylvies Seite, wo er ihr bei der Häusertauschaktion über die Schulter sieht, um dann mit ihr gemeinsam das Abenteuer „Angelsby“ in Angriff zu nehmen. Schon die Anreise entpuppt sich als kleines amüsantes Fiasko, bei Sylvie die Stadtpflanze mehr als deutlich raushängen lässt und man sich als Leser fragt, wie lange sie das wohl durchhalten wird. Die Autorin hat ein geschicktes Händchen für Situationskomik, denn die arme Sylvie wird so manches mal „gebeutelt“, ob nun durch Ziegen, Wildschweine oder auch nur durch Jörgis und ihre Blagen. Dafür schleicht sich andererseits mit Arnes Telefonaten ein wenig Romantik ein, die Sylvies durch die Jahre arg strapazierte Seele streicheln. Die Geschichte lebt auch von den zwischenmenschlichen Beziehungen, denn neue Begegnungen und Bekanntschaften lassen sich Sylvie dort immer wohler und heimischer fühlen, während die Anstrengungen der letzten Jahre so langsam immer mehr von ihr abfallen. Mit bildhaften Landschaftsbeschreibungen lässt die Autorin den Leser vom Leben am Wasser träumen und den alten Zirkuswagen direkt vor sich sehen. Aber vor allem geht das Herz auf, denn die Geschichte ist wie aus dem Leben gegriffen und spiegelt Menschen im Hier und Jetzt wider.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig gestaltet, sie überzeugen vor allem mit ihren menschlichen Wesenszügen, die sie dem Leser schnell ans Herz wachsen lassen. Sylvie hat sich jahrelang aufgeopfert und ihre eigenen Wünsche zurückgestellt, doch nie ihren Mut und ihre Weltoffenheit verloren. Mit 61 steht sie mitten im Leben und besitzt noch Wagemut und Lebensfreude. In Jördis und ihrem Anhang findet sie eine kleine Ersatzfamilie. Hauke ist ein Unikum, der sagt, was er denkt, wobei er öfters den Schalk im Nacken sitzen hat. Aber auch Maria, Arne und Grete tragen ihren Teil dazu bei, dass die Handlung abwechslungsreich und unterhaltsam ist.
„Hier wohnt das Glück“ ist durch und durch ein Roman zum Wohlfühlen und Mitfiebern, denn neben den schönen Landschaftsbeschreibungen punktet die Geschichte vor allem mit Protagonisten, die viel Charme und Herz versprühen. Sehr empfehlenswert!

Veröffentlicht am 04.07.2021

Und jedem Neuanfang wohnt ein Zauber inne (frei nach Hermann Hesse)

Wildblütenzauber
1

Als ihre Mutter Barbara bei einem Autounfall ums Leben kommt, bricht für knapp 30-jährige Sarah eine Welt zusammen. Einzig ihre gleichaltrige Freundin Doreen, mit der sie zusammen aufwuchs und die ihr ...

Als ihre Mutter Barbara bei einem Autounfall ums Leben kommt, bricht für knapp 30-jährige Sarah eine Welt zusammen. Einzig ihre gleichaltrige Freundin Doreen, mit der sie zusammen aufwuchs und die ihr fast wie eine Schwester ist, gibt ihr den nötigen Halt, den Verlust einigermaßen zu verkraften. Auf der Beerdigung trifft Sarah zum ersten Mal auf ihre Großtante Rosa, von der sie bisher nichts wusste und die sie einlädt, sich bei ihr zu melden oder sie in Nürnberg zu besuchen. Die Tage nach der Beerdigung verbringt Sarah bei Doreen an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern, lernt durch das Auffinden des Labradorwelpen Daisy dessen Herrchen Florian mit Tochter Leonie kennen, und wagt zudem mutig gemeinsam mit Doreen den Schritt in die Wohnung ihrer Mutter, um sich um Formalitäten zu kümmern. Dabei findet sie nicht nur einen Grundbuchauszug über ein Haus in Nürnberg, sondern auch das Testament von Barbara, das einige Überraschungen für Sarah bereit hält…
Anne Töpfer hat mit „Wildblütenzauber“ einen berührenden Roman vorgelegt, der nicht nur die Trauerverarbeitung und das Leben nach einem großen persönlichen Verlust sehr authentisch beschreibt, sondern auch optimistisch stimmt für die Zeit danach, wenn sich plötzlich neue Möglichkeiten auftun oder neue Menschen ins Leben treten. Der flüssig-leichte, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser schnell an die Seite von Sarah und Doreen gleiten, um als unsichtbare Dritte zu verfolgen, wie sich die beiden Freundinnen gegenseitig stützen und Zeit miteinander verbringen. Es ist wunderschön zu beobachten, wie die zwei in alten Zeiten schwelgen, liebevoll über die Tote reden und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Ein Verlust will verarbeitet werden, denn die Wunde, die er hinterlässt, wird immer schmerzen. Umso heilender sind Gedanken an liebevolle Worte und Situationen, bei denen man nochmals die ganze Wärme durchleben kann. Dies darzustellen ist der Autorin mit wunderbarer Empathie sehr gut gelungen, gleichzeitig webt sie neben der Trauerbewältigung interessante Begegnungen mit in ihre Geschichte ein. Die neuen Bekanntschaften sind mal was für enge Freundschaften, aber auch etwas fürs Herz – da spielt der Wink des Schicksals mit. Ein Testament mit explosivem Inhalt sorgt zudem dafür, sich auf alte Familiengeheimnisse zu konzentrieren, um diese ans Licht zu bringen.
Auch mit ihren Charakteren beweist die Autorin ein gutes Händchen. Sie alle wirken authentisch und wie aus dem Leben gegriffen, so dass der Leser das Gefühl hat, einige von ihnen schon länger zu kennen. So folgt er ihnen gern sowohl durch traurige als abenteuerlustige Zeiten und nimmt regen Anteil am Geschehen. Sarah hat gerade einen herben Verlust erlitten, der sie besonders empfindsam und verletzlich macht. Gleichzeitig steht sie an einem Wendepunkt in ihrem Leben und muss Entscheidungen treffen. Doreen teilt Sarahs Verlust, ist ihr eine wahre Stütze und wirkt ausgeglichen und pragmatisch. Mandy ist ein Backtalent, die mit ihren süßen Köstlichkeiten die Seele streichelt. Florian mitsamt Leonie und vor allem Daisy bringen neuen Schwung in Sarahs und Doreens Leben. Nachbar Bernd entpuppt sich als liebenswerter Kerl, der seine eigenen Probleme hat, bei dem ihm die Freundinnen etwas unter die Arme greifen.
„Wildblütenzauber“ ist rundum ein tiefgründiger Wohlfühlroman, der sich nicht nur um Trauer und Verlust dreht, sondern vor allem um neue Freunde, Möglichkeiten und Entscheidungen sowie das Lüften eines Geheimnisses. Sehr feinfühlig und empathisch erzählt, taucht der Leser erst wieder auf, wenn die letzte Silbe gelesen ist. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.07.2021

„Vergib deinen Feinden, aber vergiss niemals ihre Namen.“ (John Fitzgerald Kennedy)

Die fremde Spionin
1

Die 10-jährige Ria wird jäh von ihrer jüngeren Schwester Jolanthe getrennt und sowohl ihrer Familie als auch ihrem Umfeld beraubt, als die DDR-Staatssicherheit ihre Eltern als Volksverräter inhaftiert. ...

Die 10-jährige Ria wird jäh von ihrer jüngeren Schwester Jolanthe getrennt und sowohl ihrer Familie als auch ihrem Umfeld beraubt, als die DDR-Staatssicherheit ihre Eltern als Volksverräter inhaftiert. Sie wächst in einer Pflegefamilie in Ostberlin auf und hat keinerlei Möglichkeit, mit ihrer Schwester in Kontakt zu treten. In Ria wird der Gedanke nach Rache immer größer, vor allem aber möchte sie unbedingt ihre Schwester wiederfinden. Durch einen Wink des Schicksals erhält Ria, die inzwischen im Ministerium für Außenhandel arbeitet, 1961 vom BND die Möglichkeit, als Spionin für den Westen zu arbeiten, wobei sich Ria natürlich auch Unterstützung bei der Suche nach ihrer Schwester erhofft. Die Arbeit als Spionin fordert Rias ganze Aufmerksamkeit, damit sie bei ihrer Arbeit nicht enttarnt wird und in die Fänge des DDR-Regimes gerät. Doch leider gelingt es ihr nicht, unsichtbar zu bleiben, so dass ihr schon bald sowohl die Stasi als auch der KGB mit seinem effektiven Top-Agenten Sorokin auf den Fersen sind. Wird Ria ihre Schwester wiederfinden?
Titus Müller hat mit „Die fremde Spionin“ einen fesselnden Roman als Auftakt für seine neue Trilogie vorgelegt, der nicht nur mit exzellent recherchiertem historischem Hintergrund, sondern auch mit atemberaubender Spannung den Leser von Beginn an in Atem hält. Der flüssige, bildgewaltige und teils recht dramatisch anklingende Erzählstil Müllers lässt keine Wünsche offen und schickt den Leser auf eine Zeitreise zurück in die jüngste deutsche Vergangenheit, wo das Land zwar schon geteilt, die Mauer jedoch noch nicht errichtet war. An der Seite von Ria Nachtmann erlebt der Leser nicht nur originalgetreu das Leben im DDR-Regime mit, sondern wird nahezu hineinkatapultiert in die undurchsichtige und berechnende Welt der Geheimdienste, die ihre Agenten wie auf einem großen Schachbrett hin- und herschieben, um den Gegner matt zu setzen. Durch geschickte Perspektivwechsel lernt der Leser aber auch die Seite von Sorokin kennen, so dass er sich gut in beide Hauptprotagonisten hineinversetzen kann. Müller ist ein wahrer Erzählkünstler, der Fiktion mit Wahrheit so gekonnt verbindet, dass der Übergang fließend ist und den Leser sofort davon überzeugt, dass alles genauso stattgefunden haben kann. Dabei lässt er neben erfundenen Protagonisten damalige politische Größen wie Kennedy, Ulbricht, Schalck-Golodkowski oder Erich Honecker auftreten, was die Geschichte nur noch authentischer macht. Überraschende Wendungen sowie das undurchsichtige Katz- und Maus-Spiel der verschiedenen Geheimdienste machen die Handlung nicht vorhersehbar, so dass der Spannungsbogen auf sehr hohem Niveau bis zum Ende gehalten wird, und der Leser wunderbar miträtseln kann, wie die tiefgründig konzipierte Geschichte wohl enden wird.
Die Charaktere sind sehr facettenreich ausgearbeitet, Ihnen wurde regelrecht Leben eingehaucht. Authentische menschliche Eigenschaften machen sie für den Leser glaubwürdig, der ihnen als unsichtbarer Schatten folgt und dabei Geschichte leibhaftig miterlebt. Ria ist aufgrund ihres Lebenslaufs eine zerrissene Persönlichkeit. Viel zu naiv und unbedarft geht sie an ihre Aufgaben als Agentin heran, bringt sich mehr als einmal in Gefahr, doch wächst sie an ihren Aufgaben und dem Leser immer mehr ans Herz. Sorokin wirkt wie ein eiskalter Killer, der stringent seine Aufträge erledigt, doch auch er ist aus Fleisch und Blut, kann Gefühle zulassen, die man ihm nicht zutrauen würde. Hähner wirkt eher wie ein Mensch denn wie ein Geheimdienstoffizier, denn er zeigt Verantwortung. Die übrigen Protagonisten sind ebenfalls sehr gut gezeichnet und tragen zur Spannung der Geschichte maßgeblich bei.
„Die fremde Spionin“ lässt mit einer sehr gut ausgeklügelten Handlung nicht nur den kalten Krieg wieder lebendig werden, sondern hält den Leser mit rasantem Tempo in atemloser Spannung, während er bei der Lektüre ein Wahnsinnskopfkino sowie eine Achterbahn der Gefühle durchlebt. Absolute Leseempfehlung für alle, die Geschichte leibhaftig miterleben wollen!!!

Veröffentlicht am 26.06.2021

"Leute, die alles bedenken, ehe sie einen Schritt tun, werden ihr Leben auf einem Bein verbringen." (Anthony de Mello)

Menschen im Hotel
0

1920er Jahre Berlin. Das Grand Hotel im Herzen der Stadt öffnet seine Pforten für allerlei illustre Gäste aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die sich dort einmieten und deren Schicksal an einem ...

1920er Jahre Berlin. Das Grand Hotel im Herzen der Stadt öffnet seine Pforten für allerlei illustre Gäste aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die sich dort einmieten und deren Schicksal an einem Wendepunkt befindet. Die in die Jahre gekommene Balletttänzerin Grusinskaja hängt ihren glanzvollen Zeiten hinterher, während sie sich in ihrem Zimmer vor der Welt versteckt. Unternehmer Preysing steht mit seiner Fabrik kurz vor dem Bankrott und hofft auf einen besonderen Geschäftsabschluss, der ihn zurück auf die Gewinnerstraße bringt. Sein Lohnbuchhalter Kringelein wirft derweil mit Geld nur so um sich, denn eine unheilbare Krankheit zeigt ihm auf, wie kurz das Leben ist. Der charmante Baron von Gaigern ist hochverschuldet und verdingt sich als Trickbetrüger. Und Dr. Otterschlag, vom Krieg auf grausame im Gesicht entstellt, verbringt die Tage in der Lobby, während er auf das Leben schimpft und sich in Selbstmitleid suhlt….
Vicki Baum hat mit ihrem im Jahr 1929 erschienenen Roman „Menschen im Hotel“ ein sehr interessantes Gesellschaftsportrait der Weimarer Republik vorgelegt, in dem sie auf geschickte, atmosphärische und pointierte Weise die unterschiedlichsten Charaktere mit ihren Wünschen, Träumen, Desillusionen, Schicksalsschlägen und Enttäuschungen proträtiert und dabei auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten aufzeigt. Mit flüssig-leichtem, teils poetischem Erzählstil bringt Baum den Leser erst ins Grand Hotel, wo er in luxuriösem Ambiente und während das übliche geschäftige Treiben in einer Hotellobby seinen Gang geht, auf die Akteure trifft, deren Leben ihm nach und nach dargeboten wird. Dabei erlaubt Baum dem Leser auch einen Blick durchs Schlüsselloch und hinter die Fassade, um die Protagonisten besser kennenzulernen und auch von ihren Schicksalsschlägen, Gedanken- und Gefühlsleben einen Eindruck zu erhalten. Die Autorin versteht es dabei perfekt, nicht nur das Hotelpersonal unauffällig mit in ihre Geschichte einzubinden, sondern vor allem auf das Zusammentreffen ihrer Hauptakteure hinzuarbeiten, das am Ende dazu führt, dass in deren Leben kein Stein mehr auf dem anderen bleibt, Entscheidungen gefällt werden, deren Tragweite sich erst final erkennen lässt. Obwohl sehr unterhaltend und pointiert erzählt, erweckt die Handlung den Anschein, als wäre sie mitten aus dem Leben gegriffen und könnten auch im 21. Jahrhundert auf der Tagesordnung stehen. Die Einzelschicksale, die nach und nach miteinander verwebt werden und voneinander abhängig sind, fast eine Schicksalsgemeinschaft werden, spiegeln auf interessante Art die Sehnsüchte oder verpassten Gelegenheiten wieder.
Die Charaktere sind sehr detailliert und lebendig ausgestaltet, sie stehen stellvertretend für die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Mit ihren glaubhaften menschlichen Eigenschaften können sie den Leser schnell überzeugen, der ihnen bei ihrem Treiben über die Schulter sieht und ihre Schicksale verfolgt. Buchhalter Kringelein, vorher ein Erbsenzähler, wird durch einen persönlichen Schicksalsschlag auf einmal großzügig und bringt sein Geld unter die Leute. Ihm ist alles egal geworden, er lebt nur noch für den Moment. Die alternde Balletttänzerin Grusinskaja kann sich bisher nicht damit abfinden, auf einmal nicht mehr gefragt zu sein. Ihr ganzes Leben war ein Tanz, bei dem ihr die Welt zusah, nun spürt sie die Einsamkeit und leidet unter der Unbedeutsamkeit. Preysing leidet unter Bluthochdruck, der sich durch den schlimmen Stand seines Unternehmens noch verschlimmert hat. Er wäre lieber bei seiner Familie, als sich ums Geschäft zu kümmern. Von Gaigern nutzt seinen Charme und sein Aussehen, um die Frauen zu umgarnen und sie um ihr Geld zu bringen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht. Und Dr. Ottenschlag hat seinen Lebensmut verloren, seit er im Krieg verletzt wurde.
„Menschen im Hotel“ ist zu Recht ein Meisterwerk. Sowohl damals wie heute so zielsicher, treffend, atmosphärisch-dicht, unterhaltsam und vor allem tragisch. Baum hält dem Leser den Spiegel vor: Wer davon bist du? Absolute Leseempfehlung für einen Roman mit Botschaft!

Veröffentlicht am 20.06.2021

Und die Sterne sind dafür da, um nach ihnen zu greifen...

Gut Greifenau - Sternenwende
0

1929. Während die Wirtschaftskrise Deutschland fest im Griff hat und auch vor Gut Greifenau nicht Halt macht, unterwandern die Nationalsozialisten mit ihren menschenverachtenden Parolen die Gesellschaft. ...

1929. Während die Wirtschaftskrise Deutschland fest im Griff hat und auch vor Gut Greifenau nicht Halt macht, unterwandern die Nationalsozialisten mit ihren menschenverachtenden Parolen die Gesellschaft. Katharina wird vom Schicksal doppelt hartgetroffen, und in ihrer Trauer muss sie sich dann auch noch gegen ihren Schwiegervater Gustav behaupten. Konstantin setzt alle Hebel in Bewegung, um Greifenau vor dem Ruin zu retten, dafür ist er sogar bereit, seine Seele an die Nazis zu verhökern, was für Ehefrau Rebecca geradezu unerträglich ist und die Ehe der beiden auf eine harte Probe stellt. Zur Ablenkung konzentriert Rebecca sich darauf, ihre Kinder und auch Katharina liebevoll zu umsorgen, die aus Berlin aufs Gut gekommen ist. Zwischen Gutsverwalter Albert und Katharina entwickelt sich bald eine enge Freundschaft, wobei sie auch Alberts gutgehütetes Geheimnis entdeckt. Bei den Dienstboten geht es ebenfalls hoch her, denn Berta ist wieder da und nicht allein…
Mit „Gut Greifenau-Sternenwende“ legt Hanna Caspian den Abschlussband ihrer 6-teiligen historischen Familiensaga rund um das Gut in Hinterpommern vor und überrascht den Leser einmal mehr mit einer Achterbahn der Gefühle sowie jeder Menge spannender Entwicklungen, bevor er sich von all den inzwischen liebgewonnenen Charakteren leider unwiederbringlich verabschieden muss. Der flüssige, farbenprächtige und mit vielen Emotionen angereicherte Erzählstil lässt den Leser schnell wieder auf Greifenau einziehen, um sich dort sowohl an die Fersen der Gutsherrschaften als auch an die der Bediensteten zu heften und ihnen bei ihren Entscheidungen und Erlebnissen über die Schulter zu blicken. Im Zeitraum von 1929 bis 1932 erlebt man so einschneidende Ereignisse wie die Wirtschaftskrise und ihre Folgen auf die Bevölkerung, aber auch der immer stärker werdende Einfluss der Nazis, die auch an den Gutsbewohnern nicht spurlos vorbeigehen. Caspians größte Stärke sind neben ihrer historischen Recherche vor allem ihre wundervoll ausgearbeiteten Charaktere sowie die Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungen untereinander. Die Figuren wirken wie aus dem Leben gegriffen, ihre Sorgen und Nöte sowie ihr Handeln und Tun sind nachvollziehbar und gerade deshalb fühlt man sich als Leser sowohl mit ihnen, als wäre man selbst ein Teil von ihnen. Während der Lektüre rauscht die Handlung wie ein Kinofilm vor dem inneren Auge ab, jagt den Leser durch ein Meer von Emotionen, während man entweder die Augen verdreht, Tränen verdrückt, Gänsehautmomente erlebt oder auch die eine oder andere Verwünschung ausstößt. Alles ist so plastisch, dass man es fast mit Händen greifen kann und man sich am Ende des Buches verwundert die Augen reibt, wenn man wieder in der Realität auftauchen muss.
Die Charaktere wurden Band für Band glaubhaft weiterentwickelt, wobei man bei einigen das Gefühl hat, sie werden sich nie ändern. Trotzdem liebt man sie als Leser und möchte sie einfach nicht missen, allen voran die schreckliche Feodora, die immer wieder auf die Füße fällt, obwohl sie einem ständig auf die Nerven fällt. Katharina hat sich von Beginn an ins Herz geschlichen und verweilt dort ebenso bis zum Schluss wie Rebecca. Mit Konstantin muss man warm werden, er ist ein Mann, der seine guten und schlechten Phasen hat. Aber auch Alexander, Berta, Gustav, Albert und viele andere lassen des Lesers Herz höher schlagen mit ihren Schicksalen.
Selten gab es eine Buchreihe, die das konstant hohe Niveau des Einführungsbandes durchgängig halten konnte. Doch hier holt die Autorin ihr geballtes Können aus der Schublade und überrascht den Leser mit Verwicklungen, Spannung und Intrigen in jedem Band aufs Neue. Der Leser kann es am Ende eines jeden Buches kaum erwarten, die Fortsetzung in die Finger zu kriegen, um weiterhin am Gutsleben teilzuhaben, während der historische Hintergrund so lebendig und greifbar mit eingebunden ist, dass man Geschichte leibhaftig miterleben kann. Mit „Gut Greifenau-Sternenwende“ geht eine Ära zuende, ein fabulöser Lesegenuss, den man sich nicht besser wünschen könnte. Absolute Leseempfehlung – diese Serie ist Königsklasse! Chapeau mit Sternenschweif!!!!