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Veröffentlicht am 15.08.2021

Spannender, atmosphärischer Auftakt einer neuen Science-Fiction Reihe von Marie Graßhoff

Der dunkle Schwarm
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Im Washington des Jahres 2100 ist die junge Atlas tagsüber als anonymer Niemand in der Masse der Programmierer für Hypermind - einen der größten Konzerne - tätig. Atlas verfügt über außergewöhnliche Fähigkeiten, ...

Im Washington des Jahres 2100 ist die junge Atlas tagsüber als anonymer Niemand in der Masse der Programmierer für Hypermind - einen der größten Konzerne - tätig. Atlas verfügt über außergewöhnliche Fähigkeiten, die fast schon ans Hellseherische grenzen und die ihr ermöglichen Gedanken und Erinnerungen anderer zu lesen, wenn sie sich in deren Hives hackt. Und in der Nacht verdient Atlas als Oracle ihr Geld mit diesen besonderen Fähigkeiten, die sie etwa für Industriespionage einsetzt. Dabei findet sich an Atlas Seite stets als treuer Begleiter ihr Bodyguard Julien - ein Androide der Kampfklasse.
Vom ebenso jungen wie reichen Künstler Noah Levy wird Atlas mit der Aufklärung eines aus technischen Gründen quasi unmöglichen Mordes beauftragt, bei dem ein gesamter Hive ausgelöscht wurde. Dabei starben zweihundert Menschen zur gleichen Zeit und unter den Opfern war auch Noahs Schwester Sara Levy.

Marie Graßhoff erzählt ihre Geschichte im dunklen Schwarm in kurzen Kapiteln, die Überschriften wie Die Tage einer müden Seele, Die Heimat eines vergangenen Kampfes oder auch Das Muster einer zufälligen Auslöschung tragen, aus Sicht ihrer interessanten Protagonistin Atlas. Dabei ist das Rätsel um Atlas Vergangenheit und den Ursprung ihrer besonderen Fähigkeiten wohl fast noch größer als die Aufklärung der Ermordung sämtlicher Mitglieder eines Hives.

Ausgesprochen gut gefallen haben mir die atmosphärischen, teilweise düsteren, durchweg gelungenen Beschreibungen von Marie Graßhoff, die ein dystopisches Washington des Jahres 2100 vor meinem inneren Auge haben lebendig werden lassen. Dabei wird das Washington der Zukunft als Moloch von Stadt samt verdreckter Sub-Levels geschildert, das so tief in Smog getaucht ist, dass der Himmel nur alle paar Tage kurz sichtbar wird und so gut wie nie die Sonne scheint. Diese Megastadt Washington, in der oft nur die Werbetafeln und -anzeigen allgegenwärtig sind und wo die Protagonistin Atlas noch nie einen Baum gesehen hat, hat bei mir Assoziationen an Blade Runner geweckt.
Als besonders gelungen habe ich dabei etwa die Schilderung des Aufenthalts von Atlas in Johnson´s Hacker Hotel in den verdreckten Sub-Levels - und im Kontrast dazu die Beschreibung des an einen Garten erinnernden und von Bienensummen erfüllten Anwesens von Bennie Haloren, dem Gründer der Umweltschutzorganisation The Cell - empfunden.

Der dunkle Schwarm ist gut lesbar und flüssig geschrieben. Zudem erzählt Marie Graßhoff ebenso fesselnd wie spannend, woran insbesondere das oftmals recht hohe Erzähltempo sowie die gelungenen Beschreibungen von Kampf- und Actionszenen ihren Anteil haben. Gut gefallen hat mir etwa der Kampf, den sich Atlas und ihr treuer Kampfandroide Julien zu Beginn des dunklen Schwarms mit den Vasallen des Industriellen Mr. Soho auf einem Schrottplatz liefern und der sogar einen riesigen Kampfroboter mit einschließt.

Mit Atlas hat Marie Graßhoff eine interessante und komplexe Protagonistin für ihre Geschichte ersonnen, von der ich gerne noch mehr lesen möchte. Neben Atlas hat mir auch ihr Androide Julien gut gefallen, der Atlas nicht nur beschützt, sondern sich auch um sie kümmert, wenn er ihr etwa Frühstück bestehend aus Pancakes und Kaffee macht. Zwischen Atlas und Julien stimmt einfach die Chemie, obwohl Julien "nur" ein Androide ist. Im Vergleich dazu bleiben weitere Nebencharaktere des dunklen Schwarms, was leider auch den jungen Künstler Noah und die toughe Polizistin Lora Hiland betrifft, sowie Atlas Beziehung zu diesen leider ein wenig blass.
Zum Ende des dunklen Schwarms sind leider Fragen für mich offen geblieben. Insofern würde ich hoffen, dass Marie Graßhoff diese in einer bereits angekündigten Fortsetzung des dunklen Schwarms noch behandeln und klären würde. Auch würde ich gerne noch mehr über die dystopische Version der Zukunft, die Marie Graßhoff im dunklen Schwarm entworfen hat, erfahren - wie insbesondere über die Kolonien auf dem Mars, wo ausschließlich Menschen aus den Sub-Levels in Minen Terraforming und Bergbau betreiben müssen.

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Veröffentlicht am 05.07.2021

Interessanter, abwechslungsreicher, gut recherchierter zweiter Fall für die Ermittler Degenhardt und Liebisch

SCHULD! SEID! IHR!
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Der ehemals auf einer Bohrinsel tätige Ingenieur Martin Stelter, der bei der Explosion eines Gasgrills seine Frau verloren und selbst schwere Verbrennungen erlitten hat, ist nun obdachlos. Als treuer Begleiter ...

Der ehemals auf einer Bohrinsel tätige Ingenieur Martin Stelter, der bei der Explosion eines Gasgrills seine Frau verloren und selbst schwere Verbrennungen erlitten hat, ist nun obdachlos. Als treuer Begleiter ist ihm nur sein Hund Bosko geblieben. Auf der Waldlichtung, auf der Martin Stelter sein Lager aufgeschlagen hat, wird er vom Gehängten konfrontiert und zum Selbstmord mit Strychnin gezwungen. Am Tatort hinterlässt der Gehängte die Tarotkarte EL COLGADO. Doch was hat Martin Stelter dem Gehängten getan, was ihm genommen? Was ist neunzehn Jahre zuvor geschehen? Und welche weiteren Opfer wird es noch geben?
Hauptkommissar Rolf Degenhardt und die ehemalige Praktikantin Jana Liebisch ermitteln in ihrem zweiten Fall nach "Das stumme Kind" - nun unterstützt von Kriminalrat Dirk Kaiser, der die Leitung des Zentralen Kriminaldienstes übernommen hat, nachdem sich Oberkommissar Jens Vorberg zu Beginn von "Schuld! Seid! Ihr!" zur Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamts in Hannover verabschiedet hat.

An "Schuld! Seid! Ihr!" hat mir gut gefallen, dass die Handlung auf zwei Zeitebenen erzählt wird, die zum einen etwa zwanzig Jahre zuvor und zum anderen im hier und jetzt spielen. Darüber hinaus haben mir die Perspektivwechsel zugesagt, die für Abwechslungsreichtum sorgen und die die Ereignisse nicht nur aus Sicht der ermittelnden Kommissare, sondern zudem aus Sicht des Täters - genannt der Gehängte - sowie seiner Opfer also u.a. von Martin Stelter schildern. Interessant fand ich dabei besonders, dass die Geschichte über weite Strecken aus Sicht des Gehängten erzählt wird und ich dabei einen tieferen Einblick in dessen Gedanken erhalten habe.
Zudem sagt mir der ebenso ungewöhnliche wie strukturierte, fast schon analytisch zu nennende Aufbau von "Schuld! Seid! Ihr!" zu, der bis zum Schluss konsequent verfolgt wird. Dieser erinnert in seiner Einteilung in sechs Akte an ein Theaterstück und orientiert sich am systematischen Racheplan des Gehängten. Die einzelnen Akte wiederum sind in Kapitel unterteilt, die aus wechselnden Perspektiven erzählt werden ("Der Gehängte" vs. "Die Anderen"). Gut gefallen haben mir dabei die detaillierten Zeit- und Ortsangaben, mit denen jedes Kapitel eines Akts überschrieben ist.

An "Schuld! Seid! Ihr!" hat mich angesprochen, wie gut recherchiert dieser Krimi ist. So werden die einzelnen Akte mit interessanten Informationen zu Tarotkarten eingeleitet, die etwa die Geschichte der Tarotkarten - insbesondere zu deren Wurzeln und ersten Nachweisen wie den Visconti-Spielen, die die ältesten Tarotkarten der Welt im Besitz der Familie Visconti darstellen - betreffen. Denn der Täter, der in "Schuld! Seid! Ihr!"seine Rache sucht, ist selbst nach der Tarotkarte "der Gehängte" benannt.
Aber auch die intensiven wie gut recherchierten Beschreibungen wie die der Bayreuther Festspiele und des besonderen Orchestergrabens im Bayreuther Festspielhaus aus Sicht der Bratschistin Simone Distler haben mich überzeugt. Gleichermaßen eindringlich wie gelungen finde ich die Schilderung des nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmten Jürgen Großmann - des Vorgängers von Rolf Degenhardt - und wie er aufgrund seiner Lähmung zu kämpfen hat, um an einen Nachttischschrank neben seinem Bett zu gelangen.
Gefallen hat mir auch die Brisanz und Aktualität, die "Schuld! Seid! Ihr!" dadurch gewinnt, dass der Gehängte im Rahmen seines Racheplans geschickt sein Talent als Hacker einsetzt. Und so zeigt er etwa im Hacken medizinischer Geräte, wie angreifbar wir heute in unserer technisierten Welt geworden sind und uns dessen nur allzu oft gar nicht bewusst sind.

In "Schuld! Seid! Ihr!" nimmt das Privatleben von Rolf Degenhardt relativ viel Raum ein. Geschildert werden seine privaten Problemen, die die Trennung von seiner Frau Ulrike, aber auch seine Tochter Alexandra, die im weiteren Verlauf von "Schuld! Seid! Ihr!" bei Rolf Degenhardt einzieht, betreffen. Zudem leidet er unter psychischen Problemen, die auch mit den Ereignissen eines früheren Falls, der in "Das stumme Kind" geschildert wird, zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wird in "Schuld! Seid! Ihr!" auch auf den ersten Krimi dieser Reihe Bezug genommen. Um der Ermittlung den Gehängten betreffend in diesem zweiten Krimi folgen zu können, ist es jedoch nicht erforderlich "Das stumme Kind" gelesen zu haben, da beide Fälle voneinander unabhängig sind.
Relativ viel Raum nimmt in "Schuld! Seid! Ihr!" auch die Auseinandersetzung zwischen Rolf Degenhardt und dem unsympathischen Karrieristen Dirk Kaiser ein, der nun leider der neue Vorgesetzte von Degenhardt ist. Denn gleich bei ihrer ersten Begegnung geraten die beiden aneinander, da jeder von ihnen die Stelle von Jens Vorberg nachbesetzen will. Dieser erste Konflikt setzt sich bei einem durch Rolf Degenhardt abgebrochenen Anruf von Dirk Kaiser, aber auch in den Nachforschungen, die Dirk Kaiser zu den Ereignissen "Das stumme Kind" betreffend anstellt, fort und verstärkt sich im weiteren Verlauf von "Schuld! Seid! Ihr!" noch.

"Schuld! Seid! Ihr!" ist ein ebenso interessanter wie ungewöhnlicher, zudem gut recherchierter und komplexer Krimi, den ich sehr gerne gelesen habe. Allerdings muss ich zugeben, dass das Ende zwar konsequent ist, aber doch ein wenig abrupt gekommen ist und dabei dann doch die ein oder andere Frage für mich unbeantwortet geblieben ist.

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Veröffentlicht am 17.07.2022

Spannendes, gelungenes Thriller-Debüt über eine Gruppe von Psychopathen

P.S. Morgen bist du tot
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Chloe Sevres beginnt ihr Studium an der John Adams, für das sie ein Vollstipendium hat, da sie an der Längsschnittstudie zur Psychopathie von Dr. Wyman teilnimmt. Denn die so unauffällig wie normal wirkende ...

Chloe Sevres beginnt ihr Studium an der John Adams, für das sie ein Vollstipendium hat, da sie an der Längsschnittstudie zur Psychopathie von Dr. Wyman teilnimmt. Denn die so unauffällig wie normal wirkende Chloe ist einer von sieben klinisch diagnostizierten Psychopathen, die an der John Adams studieren und am Programm von Dr. Wyman teilnehmen. Aber auch ohne das Vollstipendium hätte Chloe ihr Studium an der John Adams aufgenommen, da dort Will Bachman studiert. Denn Chloe verfolgt einen detailliert ausgearbeiteten Plan. In sechzig Tagen, die mit dem Beginn des Thrillers herunterzählen, wird sie Will ermorden. Doch was hat er Chloe getan, dass sie so auf Rache sinnt?

"P.S. Morgen bist du tot" ist das so spannende wie gelungene Debüt von Vera Kurian, das im Original den weitaus passenderen Titel "Never Saw Me Coming" trägt. Der Thriller ist durch seine abwechslungsreiche Erzählweise geprägt. Diese umfasst neben der ungewöhnlichen Sichtweise von Protagonistin und Psychopathin Chloe Sevres auch die Sichtweise des Leiters des Programms der Längsschnittstudie zur Psychopathie - Dr. Wyman, des Erst Semesterstudenten Andre Jensen sowie des aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Charles Portmont, in dessen Umfeld sich Will bewegt und in dessen Gegenwart Chloes sonst kühl kalkulierte Gedankengänge kurze Aussetzer haben. Neben Chloe gehört auch Andre zum Programm von Dr. Wyman. Doch Andre, den die Enttäuschung seiner Eltern, ihm nicht beim Einzug in die John Adams helfen zu dürfen, "innerlich hat tausend Tode sterben lassen", ist von Beginn an deutlich als Nicht-Psychopath charakterisiert, der sich in das Programm von Dr. Wyman hineingemogelt hat, da er diesem eine mehr als großzügige finanzielle Unterstützung für sein Studium verdankt. Und im weiteren Verlauf hat Andre sich für mich zum großen Sympathieträger dieses Thrillers entwickelt.

Der Thriller sticht durch seine besondere Auseinandersetzung mit Psychopathen hervor, die bei seiner ungewöhnlichen Protagonistin beginnt und sich in weiteren Hintergrundinformationen zu Psychopathen fortsetzt, in denen sich das Wissen von Vera Kurian als studierter Psychologin zeigt. Dabei orientiert sich die Autorin nicht an berühmten, doch unrealistischen Psychopathen wie Hannibal Lecter (Das Schweigen der Lämmer), Patrick Bateman (American Psycho) oder Norman Bates (Psycho), sondern charakterisiert die in ihrem Thriller vorkommenden Psychopathen anhand von klinisch belegten Diagnostika zur Psychopathie. Ein dazu passender Hinweis ist Robert Hares Buch "Gewissenlos" - ein Standardwerk zu Psychopathie, das Chloe bei ihrem ersten Besuch in der psychologischen Fakultät der John Adams im Regal entdeckt.
Auch unterscheidet sich der Umgang von Vera Kurian mit Psychopathen dadurch von anderen Thrillern, dass sie keinen männlichen Einzelgänger, sondern eine Frau und Psychopathin in den Mittelpunkt von "P.S. Morgen bist du tot" stellt. Interessant ist auch, welche zentrale Rolle die Interaktion von Psychopathen untereinander im weiteren Verlauf dieses Thrillers spielen wird. Denn die Autorin weiß mit einer ganzen Gruppe klinisch belegter Psychopathen aufzuwarten.
Dabei finde ich die Dynamik der Beziehungen von Psychopathen besonders gut herausgearbeitet. So hat Chloe beispielsweise im Rahmen des Programms ein Spiel zu absolvieren, bei dem sie gegen einen anderen Psychopathen antritt. Wenn beide es schaffen würden einander insoweit zu vertrauen, dass sie kooperieren könnten, würden beide Geld gewinnen. Im Gegensatz zu Andre schafft Chloe es aber nicht bei diesem Spiel Geld zu verdienen, obwohl sie Geld liebt, was verdeutlichen soll, dass Psychopathen eigentlich nicht zur Kooperation untereinander fähig sind.

Insgesamt geht Vera Kurian mir jedoch leider zu unkritisch mit ihren Psychopathen um, was u.a. Protagonistin Chloe betrifft. Deren Verhalten wird zwar so detailliert beschrieben, dass deren Charakteristika herausgearbeitet werden, die etwa ihre Furchtlosigkeit und ihr Ekelempfinden betreffen, aber auch ihre Fähigkeit ohne mit der Wimper zu zucken lügen zu können. Zum Schluss hat die Autorin es dennoch geschafft ihre Psychopathen fast durchweg als charismatische, faszinierende Persönlichkeiten darzustellen, mit denen sich fast Sympathie empfinden ließe. Neben der Opferrolle, die ihnen in diesem Thriller zukommt, liegt das wohl primär darin begründet, dass der Thriller größtenteils aus Sicht der Psychopathen geschrieben ist, so dass weitestgehend eine kritische Wahrnehmung von außen fehlt, die deren Handlungen anders beurteilen würde. Chloe empfindet es beispielsweise als ganz und gar unproblematisch, so viele Bücher aus der Bibliothek zu klauen, die sie dann zu Geld macht, um sich einen schicken, teuren BH als Kostüm für die Halloween Party zu kaufen. Das wäre etwa eine gute Szene gewesen, um einmal die andere Seite zu beleuchten, also die Studenten darzustellen, die große Probleme haben, weil die dringend benötigten Bücher, die Chloe aus der Bibliothek hat mitgehen lassen, fehlen. Geeignet wären dafür auch die Sitzungen bei Dr. Wyman gewesen, der sie mit möglichen Konsequenzen ihres Verhaltens und dessen negativen Auswirkungen auf andere konfrontiert hätte. Aber ein solches kritisches Feedback fehlt bei Vera Kurian leider fast gänzlich.
"P.S. Morgen bist du tot" hat mich mit seinem hohen Erzähltempo und seinem spannenden Schreibstil überzeugt. Da ich eher einen psychologischen Thriller erwartet hatte, war ich positiv überrascht von der hohen Zahl an Kampf- und Verfolgungsszenen, die in ein intensives Finale mündete. Weil ich die Auflösung, wer der Täter ist, erst kurz vorher habe kommen sehen, hätte ich mir mehr Hintergrundinformationen zum Täter gewünscht. Was ist das eindeutige Motiv, das diesen zu seinen Taten getrieben hat? Was haben die Ermordeten konkret getan, das sie den Tod verdient haben? Da hätte ich mir tiefergehende Einblicke in die Gedankenwelt des Täters gewünscht, die idealerweise in Form eines Kapitels erfolgt wären, das die bisherigen Ereignisse des Thrillers aus dessen Sicht geschildert hätte.

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Veröffentlicht am 03.06.2022

Charmanter Cozy Crime voller schräger Charaktere im wunderschönen Perigord

Kalte Blüten
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Auf der Baustelle einer Walnussölmühle entdeckt der portugiesische Arbeiter Pedro Martinez bei Baggerarbeiten einen Schädel. Kommissarin Marie Mercier, die ihr Sabbatical vorzeitig beendet hat, um die ...

Auf der Baustelle einer Walnussölmühle entdeckt der portugiesische Arbeiter Pedro Martinez bei Baggerarbeiten einen Schädel. Kommissarin Marie Mercier, die ihr Sabbatical vorzeitig beendet hat, um die Leitung des Kommissariats der Region zu übernehmen, ermittelt in ihrem ersten Fall als Leitung. Denn Michel Leblanc - der bisherige Leiter des Kommissariats - ist befördert worden und mittlerweile Maries Freund, so dass die beiden nun eine Wochenendbeziehung führen. Die vier Barthes Schwestern betreiben den Hof, zu dessen Gelände die noch im Rohbau befindliche Walnussölmühle gehört, da ihre Eltern sich seit dem Verschwinden ihres Sohnes Antoine komplett zurückgezogen haben. Doch ist Antoine, der sich schon seit langem nicht einmal mehr mit einer Postkarte gemeldet hat, wirklich nach Australien ausgewandert? Und was verbirgt Antoines Schwester Nathalie, die so strikt dagegen gewesen ist, auf dem Grundstück eine Walnussölmühle bauen zu lassen?

"Kalte Blüten" ist nach "Trüffelgold" der zweite Fall, in dem Protagonistin Marie Mercier ermittelt und Autorin Julie Dubois ins wunderschöne Perigord entführt. Dass zu Beginn des Krimis kurz zusammengefasst wird, was seit dessen Vorgänger passiert ist, hat mir gut gefallen, da seit dessen Ende in etwa ein halbes Jahr vergangen ist.
An "Kalte Blüten" haben mir der flüssige Schreibstil und die abwechslungsreiche Erzählweise von Julie Dubois zugesagt, die die Ereignisse nicht nur aus Sicht von Kommissarin Marie Mercier schildert, sondern etwa auch aus Sicht des portugiesischen Arbeiters Pedro Martinez, der den Schädel bei Baggerarbeiten entdeckt hat, aus Sicht von Maries Großtante Léonie sowie aus Sicht von Inspektor Martin, mit dem Marie sich ein Büro in der Arbeit teilt.
Neben der patenten, sympathischen Protagonistin Marie Mercier haben es mir besonders die kauzigen Typen - allesamt schräge Originale - angetan, die die Welt der Perigord Krimis von Julie Dubois bevölkern und die sie ebenso schräg wie liebenswürdig zu charakterisieren weiß. Neben Georges, der sein Hängebauchschwein Agnes innig liebt, wäre da noch der rundliche Inspektor Martin - Maries häuslicher, nerdiger Kollege - zu nennen. Martin hat einen ausgeprägten Putzfimmel, der von seiner Vorliebe für Desinfektionsmittel ergänzt wird, und schätzt seine Excel To-Do Listen, Zahlen wie Logik. Und die morbide Verzückung von Gerichtsmediziner Fred Blanquer, die von hübschen Schädeln bis hin zu schönen Schrammen reicht, die womöglich sogar die Todesursache gewesen sind, ist gleichermaßen irritierend wie interessant.

Zudem bindet die Autorin gekonnt wunderschöne Beschreibungen des malerischen Perigord in ihren Cozy Crime ein und bringt einem auch die gute Küche des Perigord in vielen köstlichen Gerichten näher - wie etwa den traditionellen Gerichten des Perigord ala Großtante Leonie, deren Rezepte sich Marie in ein Heft notiert. Das beginnt bei einem Omelette á l`oseille mit Gänsefett, Knoblauch, Zwiebeln und Sauerampfer, reicht über Blanquette de veau - ein Kalbsragout in heller Sauce mit Morcheln anstelle von Champignons - bis hin zu Hachis-Parmentier de Canard - einem mehrschichtigen Auflauf aus Kartoffelpüree und Entenfleisch, um nur einige Beispiele zu nennen. Ein separater Teil, der Rezepte zu den genannten Gerichten und vielen weiteren enthalten würde, hätte ich als passende Ergänzung von "Kalte Blüten" empfunden.
Auch finde ich, dass es der Autorin gut gelungen ist, Unterschiede zwischen dem ländlichen Perigord und der Großstadt Paris auf humorvolle Weise einzuarbeiten, wie sich beispielsweise am Wagen der Friseurin zeigt, den die Pariser so gern fotografieren. Zudem sind die Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland interessant, die die Autorin immer wieder am Rande einfließen lässt, ob dies anders gelagerte Feiertagsreglungen oder Unterschiede zwischen der französischen und deutschen Sprache betrifft. Insbesondere welche Redewendungen sich nicht aus dem Deutschen ins Französische übersetzen lassen und vice versa, da es kein entsprechendes Pendant gibt, habe ich dabei als spannend empfunden. Da spielt Julie Dubois dann ihre Stärke aus, dass sie als deutsche Autorin mit französischen Wurzeln, beide Sprachen beherrscht.

Nach einem ruhigeren Erzähltempo zum Einstieg in diesen Cold Case nimmt die Handlung dann im weiteren Verlauf an Fahrt auf, wenn die Taktung der Ereignisse nach dem langsameren Beginn von Julie Dubois erhöht wird. Bis zu seiner Auflösung, die für mich überraschend gewesen ist, da ich diese erst kurz vorher habe kommen sehen, vermochte mich dieser Perigord Krimi gut zu unterhalten. An seinem Ende hat mir besonders die Rolle von Kommissar Martin gefallen, die die Autorin ihm zugedacht hat, und die ich an dieser Stelle natürlich nicht in unnötiger Weise spoilern möchte.
Die besondere Stärke dieses Perigord Krimis liegt meiner Ansicht nach darin, dass Julie Dubois zumindest bei mir savoir-vivre hat aufkommen lassen. Das ging bei mir schon los, als Marie Mercier in ihrem alten Auto zur Arbeit fährt und dabei im Radio Songs wie der Gute-Laune-Ohrwurm "Le Sud" von Nino Ferrer laufen. Im Laden kauft man sich dann frisches Baguette und Croissants zum Frühstück. Auch diskutieren Großtante Leonie und Marie schon in der Früh, wie sich die morgens im Garten gefundenen Morcheln am besten zum Abendessen zubereiten lassen (Nudeln in einer Sahnesauce vs. Kalbsbries in Blätterteig als klassisches Gericht des Périgord).
Das einzige, was ich an diesem schönen Cozy Crime ein wenig zu kritisieren habe, ist dessen Handlung. Zwar gefällt mir die Geschichte, die diesem Krimi zugrunde liegt, wirklich gut. Leider bin ich jedoch der Ansicht, dass sich aus dieser spannenden Handlung, was insbesondere das Motiv für die Tat und weitere Zusammenhänge der Auflösung mit einschließt, weit mehr hätte heraus holen lassen können, wenn Julie Dubois diese Geschichte nicht als Cozy Crime, sondern als düsteres Familien Drama eingebettet in einen Kriminalroman oder sogar Thriller - ähnlich dem Thriller Drama "Before the Devil Knows You’re Dead" - erzählt hätte. Ich denke, dass die Geschichte dann einen stärkeren Sog hätte entfalten und wesentlich intensiver hätte wirken können.

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Veröffentlicht am 28.02.2022

Spannender zweiter Fall für Kate Marshall, nicht ganz so stark wie der Vorgänger

So eiskalt der Tod
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Am 28. August 2012 überrascht der junge Simon Kendal, der bei Shadow Sands - in einem künstlich angelegten Stausee - mit einem Freund zelten ist, einen Mörder, als dieser gerade dabei ist eine Leiche im ...

Am 28. August 2012 überrascht der junge Simon Kendal, der bei Shadow Sands - in einem künstlich angelegten Stausee - mit einem Freund zelten ist, einen Mörder, als dieser gerade dabei ist eine Leiche im Stausee zu entsorgen. Simon wird grausam von ihm umgebracht. Zwei Tage später entdecken Kate Marshall und ihr Sohn Jake die Leiche von Simon zufällig bei einem Tauchgang im Stausee. Doch der hinzugerufene Detective Chief Inspector Henry Ko interessiert sich mehr für Kate wie Jake und legt Simons Todesfall nur wenige Wochen später zu den Akten. Da Simons Mutter Lyn Kendal nicht glauben kann, dass Simon als Leistungsschwimmer beim nächtlichen Schwimmen im Stausee ertrunken ist, wie die Polizei ihr weiß machen will, sucht sie Kate auf, um sie als Privatdetektivin mit der Untersuchung der Umstände von Simons Tod zu beauftragen.

"So eiskalt der Tod" ist nach "So blutig die Nacht" der zweite Fall, in dem Robert Bryndza Kate Marshall und ihren Assistenten Tristan als Privatdetektive ermitteln lässt. Zeitlich sind die Ereignisse von "So eiskalt der Tod" etwa zwei Jahre nach dem Vorgänger angesiedelt. In "So blutig die Nacht" wird geschildert, wie Kate in ihrer Zeit bei der Polizei den Nine Elms Cannibal, der Jakes Vater ist, überführt hat und später dann auch noch dessen Nachahmungstäter gestellt hat. Und auch wenn "So eiskalt der Tod" einen zweiten, unabhängigen, da in sich abgeschlossenen Fall von Kate erzählt, empfiehlt es sich meiner Ansicht nach doch, zunächst "So blutig die Nacht" zu lesen. Zwar fasst Robert Bryndza die aus dem ersten Thriller wichtigen Ereignisse zu Beginn von "So eiskalt der Tod" kurz zusammen. Den ersten Thriller der Kate Marshall Reihe zuvor gelesen zu haben, lässt die gesamte Entwicklung von Kate und Tristan zu Privatdetektiven jedoch nachvollziebarer werden. Andernfalls könnte es eher ein wenig befremdlich wirken, wie Kate und Tristan in der ein oder anderen Szene von "So eiskalt der Tod" als Privatdetektive agieren, indem sie sich auf in diesem Umfang irritierende Weise in die Ermittlungen der Polizei einmischen.

Auch an "So eiskalt der Tod" gefällt mir, was die Thriller von Robert Bryndza auszeichnet, wie ich finde. Seine Thriller, die ebenso spannend wie brutal sind, werden von einem hohen Erzähltempo geprägt, das mich bei der Lektüre kaum zu Atem kommen lässt. So beginnt "So eiskalt der Tod" mit einem starken Prolog, in dem Simon Kendal einen Mörder bei der Entsorgung einer Leiche im Stausee Shadow Sands überrascht. Als britischer Regionalmeister im Schwimmen flüchtet Simon intuitiv ins Wasser. Das stellt sich letztlich als fataler Fehler heraus, der zu seiner brutalen Ermordung führt, da er dem Boot des Mörders nicht zu entkommen vermag. Dabei stellt Robert Bryndza in gekonnter Weise die tödlichen Seiten des Elements Wasser zur Schau.
Neben dem spannenden, flüssigen Schreibstil und hohen Erzähltempo haben mich an diesem Thriller auch die atmosphärischen Beschreibungen von Robert Bryndza überzeugt. So hat der Autor etwa mit dem Shadow Sands Stausee und der darin versunkenen Ruine der alten Dorfkirche, die Kate und Jake bei ihrem Tauchgang erkunden, eine ebenso unheimliche wie stimmungsvolle Kulisse für einen Leichenfund geschaffen. Mir scheint diese vom Dorf Graun inspiriert worden zu sein, das im Reschensee in Südtirol im Jahr 1950 versunken ist. Die gelungenen atmosphärischen Beschreibungen ziehen sich dann durch den weiteren Verlauf dieses Thrillers, da der Serienmörder rund um den Shadow Sands Stausee zuschlägt, wenn dieser dicht in tiefen Nebel gehüllt ist.

Die Charakterisierungen von Kate und Tristan haben mir schon im ersten Band der Reihe zugesagt. Gut gefallen hat mir, dass Tristan in diesem Thriller nun mehr Raum und Profil bekommt - etwa indem man Tristans Schwester und deren Verlobten kennenlernt, aber auch indem man als Leser mehr darüber erfährt, was Tristan in seinem Privatleben belastet. Dass gerade Kate dann für Tristan da ist und ihn unterstützt, fand ich nur konsequent in der Entwicklung der Beziehung von diesen beiden. Unter den Charakterisierungen sticht zudem das letzte, äußerst wehrhafte Opfer des Serienmörders hervor, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht verraten möchte, um die Handlung nicht in unnötiger Weise zu spoilern. Denn dass dieses sich als derart starke Persönlichkeit entpuppt, die nicht nur tough, sondern auch ausgesprochen erfinderisch ist, womit sie nicht nur den Täter, sondern auch den Leser mehrfach überrascht, hätte ich so wirklich nicht erwartet.
Das tröstet mich dann auch ein wenig darüber hinweg, dass der Täter letztlich ziemlich blass ausfällt. Das ist schon schade, da ich gerade die Charakterisierung der Antagonisten und allen voran von Peter Conway als Nine Elms Cannibal als große Stärke des Vorgängers empfunden habe. Denn in "So blutig die Nacht" hat mich der Autor mit seinem besonderen Talent für die Charakterisierung von abgründigen, zutiefst verstörenden Serienmördern, was auch deren perfekt gepflegte, charmante Fassade mit einschließt, überzeugt.
Doch leider bleibt in "So eiskalt der Tod" selbst ein Besuch von Kate im Gefängnis bei Peter ziemlich blass und substanzlos. Man merkt deutlich, dass diese Szene später aufgrund der Wünsche von vielen Lesern von Robert Bryndza ergänzt worden ist, wie der Autor selbst in seinem Nachwort beschreibt. Da hätte ich mir doch gewünscht, dass Peter eine andere Rolle zukommt - eher vergleichbar mit der eines Hannibal Lecter im "Schweigen der Lämmer".

Von mir gibt es eine klare Empfehlung für "So eiskalt der Tod", da mich dieser Thriller von Robert Bryndza mit seinem fesselnden Schreibstil sowie seinen atmosphärischen Beschreibungen überzeugt hat. Leider ist dieser zweite Band der Reihe nicht ganz so stark wie dessen Vorgänger ausgefallen, was wohl im deutlich schwächeren Antagonisten begründet liegt. Dennoch hoffe ich auf einen weiteren Band der Kate Marshall Reihe, den ich gerne lesen werde.

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