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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.06.2022

Viele gute Ansätze, aber weniger wäre mehr gewesen!

Shepard of Sins
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Seit dem Jahr 2000 ist alles anders: Schattenwesen (Feen, Sirenen, Gestaltwandler etc.) leben offen unter den Menschen. Aus dem alten Hamburg ist eine Megacity voller ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Seit dem Jahr 2000 ist alles anders: Schattenwesen (Feen, Sirenen, Gestaltwandler etc.) leben offen unter den Menschen. Aus dem alten Hamburg ist eine Megacity voller Vielfalt, Kriminalität, Technologie und Magie geworden. Als mächtiger Schäfer der Sünden und Geheimagent hat Nicolas bereits standardmäßig genug Ärger am Hals und genug Monster zu bekämpfen. Doch als er herausfindet, dass eine kriminelle Organisation es auf seinen Sohn und dessen Vater, den Kronprinz der königlichen Fae, abgesehen hat, bricht endgültig Chaos in seinem Leben aus – und in seinem Herzen, wo widersprüchliche Gefühle für Bren miteinander kämpfen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 von 2
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präteritum
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel

Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Menschen und Fabelwesen, Gewalt, Blut, Erbrechen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Bitch (wird aber nicht für eine Frau verwendet)

Warum dieses Buch?

Ich folge dem sympathischen Autor schon längere Zeit auf Instagram und finde seinen Humor und seinen Einsatz für mehr Diversität in der Literatur wunderbar! Deshalb wollte ich unbedingt einmal etwas von ihm lesen. Seine Neuerscheinung „Shepard of Sins“ kam mir da im Jänner sehr gelegen.

Kurzrezension

Das mochte ich…

+ die liebevoll ausgearbeiteten, komplexen und authentischen Figuren mit ihren Ecken und Kanten, die ich sehr sympathisch fand und gerne durch die Geschichte begleitet habe.
+ die Wohlfühl-Atmosphäre, in die ich (besonders nach einem stressigen Tag) immer wieder gerne eingetaucht bin. Auch wenn die Figuren teilweise in Lebensgefahr schweben, sorgen der Humor, die Freundschaften und der Zusammenhalt der „Wahlfamilie“ dafür, dass die Grundstimmung positiv bleibt und man sich beim Lesen einfach wohlfühlt.
+ den Feminismus und die Diversität, die das ganze Buch durchziehen. Man trifft im Buch auf starke, mutige, intelligente Frauenfiguren, auf verschiedene Hautfarben und sexuelle Orientierungen, was ich erfrischend und toll finde! Man merkt, dass dem Autor das Thema auf dem Herzen liegt! Nur einen etwas kritischeren Umgang mit Prostitution hätte ich mir noch gewünscht.
+ den sarkastischen Humor.
+ die unerwarteten Wendungen, die mich immer wieder überraschen konnten.
+ das magische Großstadt-Setting. Ich mochte das pulsierende, vielfältige Zusammenleben in Hamburg (einer Stadt, die nie schläft) und die Tatsache, dass es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt.
+ die Liebesgeschichte, die ich nicht zu zentral und aufdringlich, sondern ziemlich süß und gerade richtig fand.
+ die transparente Triggerwarnung am Beginn des Buches.
+ die hilfreichen Definitionen an den Kapitelanfängen.

"Menschen waren nun einmal die primitivste Form der zivilisierten Gesellschaft in der Neuen Weltordnung und hatten vielerorts kaum etwas zu sagen." Seite 71

Das lässt mich zwiegespalten zurück…

~ der flapsige Schreibstil, den ich prinzipiell mochte, der mir aber in manchen Momenten zu „drüber“ war und der nach einer Weile etwas anstrengend werden kann. Ein paar Fehler sind mir auch aufgefallen; sie haben mich beim Lesen aber zum Glück nicht wirklich gestört. Bei Selfpublisher·innen bin ich hier ohnehin nicht so streng.
~ das ausufernde Worldbuilding. Eines kann man nicht bestreiten: Der Autor hat unglaublich viele gute und kreative Ideen – und das finde ich bei einem Fantasy-Buch prinzipiell wunderbar! Das Problem: Für meinen Geschmack waren es deutlich ZU viele. Besonders auf den ersten Seiten wird man vom extremen Infodumping fast erschlagen, eine Fülle an Konzepten, magischen Wesen und magischen Orten prasselt auf einen ein, sodass man gleichzeitig überfordert (von den vielen Informationen) und frustriert ist, weil die Geschichte seitenlang handlungstechnisch auf der Stelle tritt und nicht vorankommt. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen!
~ der Plot, die Themen und die Umsetzung. Unter dieser riesigen Welt, in der es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken und dementsprechend auch zu beschreiben und erklären gibt, leidet der Plot, der nur sehr langsam voranschreitet und bis zum letzten Drittel (das mir übrigens am besten gefallen hat) im Hintergrund bleibt. Thematisch stehen Freundschaft, Liebe, (Wahl-)Familie, Verantwortung und Trauma im Mittelpunkt; diese Themen werden mit angemessener Tiefe behandelt. Insgesamt habe ich mir einfach mehr erhofft; ob ich die Fortsetzung lesen werde, steht noch nicht fest.
~ der Spannungsbogen. Die Geschichte kommt nur sehr langsam ins Rollen und der Spannungsbogen bricht immer wieder ein. Ich hätte mir hier durchgehendere Spannung und mehr Tempo gewünscht.

"Diese Information würde seinetwegen schneller durch die gesamte Feengemeinde schießen als ein Joghurt durch jemanden mit Laktoseintoleranz – und vermutlich die gleiche Sauerei anrichten." Seite 66


Das hat mir nicht gefallen…

---

Mein Fazit

Da ich den Autor von Instagram kenne und seinen Einsatz für mehr Diversität in Büchern beeindruckend und wichtig finde, wollte ich natürlich unbedingt, dass mir das vorliegende Werk gefällt. Die gute Nachricht: „Shepard of Sins“ ist das perfekte Urban-Fantasy-Buch für alle, die von magischen Wesen, Orten und Konzepten einfach nicht genug bekommen können! Mir persönlich war es aber von allem etwas zu viel, weniger (Infodumping) wäre hier mehr (Spannung) gewesen! Obwohl die Geschichte in vielen Bereichen überzeugt (Setting, Figuren, Wohlfühlatmosphäre, Grundidee, Diversität), bin ich nach der Lektüre zwar nicht enttäuscht, aber doch etwas ernüchtert. Vielleicht waren meine Erwartungen auch einfach zu hoch. Eine klare Leseempfehlung gibt es von mir deshalb dieses Mal nicht, stattdessen empfehle ich: Macht euch am besten selbst ein Bild! Wenn euch Diversität am Herzen liegt und euch sowohl der Klappentext als auch der Blick in die Leseprobe überzeugen, steht ein paar unterhaltsamen Lesestunden nichts mehr im Wege!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Tiefe: 4 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 1 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 3 Lilien
Tempo: 3 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.04.2022

Gute Ansätze & wichtiges Thema, aber ich habe viel mehr erwartet!

My Body
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie bekannt, jetzt kommt ihre Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie. In ihrer Essaysammlung geht es um die Objektifizierung von Frauen, um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Essaysammlung, Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, sexualisierte Gewalt (auch Vergewaltigung), Machtmissbrauch
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++

Warum dieses Buch?

Der Klappentext verspricht ein mutiges feministisches Buch, das die Schattenseiten der Unterhaltungsbranche beleuchtet und Missstände kritisiert. In einer Zeit, in der (leider!) immer wieder neue Missbrauchsvorwürfe gegen mächtige Stars auftauchen, konnte ich mir diese Essaysammlung natürlich nicht entgehen lassen!

Meine Meinung

Einfach, nüchtern, distanziert (Schreibstil: 3 Lilien)

Meine Anforderungen an die Sprache eines Sachbuches oder einer Essaysammlung sind nicht hoch. Ich erwarte hier keine wunderschönen Formulierungen oder kreativen Metaphern, weil der Inhalt im Vordergrund steht. Trotzdem hat mich der Schreibstil leider enttäuscht. Er lässt sich zwar ganz angenehm und flüssig lesen, aber mir war er zu einfach, zu nüchtern, zu distanziert. Deshalb war es auch sehr schwer für mich, eine Verbindung zur Autorin aufzubauen und mich mit ihr zu identifizieren.

„Ich bin über die Scham und Angst hinaus- und in die Wut hineingewachsen.“ Seite 220

Gute Ansätze, aber viel mehr erwartet (Inhalt, Themen & Botschaft: 3 Lilien)

Als überzeugte und (in dem Bereich) schon recht belesene Feministin waren meine Erwartungen natürlich hoch. Ich erwartete zwar kein feministisches Manifest, aber doch eine schonungslose Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie, eine deutlich erkennbare feministische Haltung und eine klare und scharfe Kritik am System. Zu meiner Überraschung stellte sich „My Body“ dann allerdings mehr als lose strukturierte Biografie mit vielen Zeitsprüngen und vereinzelten feministischen Passagen heraus. Da hatte ich mir etwas anderes und vor allem deutlich mehr erhofft!

Doch nun zuerst zu den Stärken des Buches. In meinen Augen ist Emily Ratajowksi eine mutige Frau, weil sie es wagt, den Mund aufzumachen und Missstände in der Unterhaltungsindustrie anzusprechen. Im ihren Essays geht es um den „Male Gaze“ (den männlichen, sexualisierenden, objektifizierenden Blick auf Frauenkörper), um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung und um ein System, das Täter schützt und Machtmissbrauch erst möglich macht. Es beeindruckt mich, dass die Autorin einzelne Täter sogar namentlich nennt, wie zum Beispiel Robin Thicke (Sänger von „Blurred Lines“) und den Fotografen Jonathan Leder. Dass ihre Enthüllungen nicht höhere Wellen geschlagen haben, wundert mich! Wo bleibt der Aufschrei, frage ich mich? Insgesamt ist das Buch, das einige sehr starke Kapitel und Passagen enthält, oft nicht leicht zu verdauen. (Warum der Verlag hier auf eine Triggerwarnung verzichtet hat, ist für mich nicht nachvollziehbar!) Stellenweise hatte ich jedenfalls eine unglaubliche Wut im Bauch und mir wurde übel, als ich las, was sich mächtige Männer teilweise erlauben können und wie leicht sie ihre Macht missbrauchen können – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Obwohl mich das Buch also streckenweise durchaus überzeugen konnte, möchte ich auch ein paar Kritikpunkte ansprechen. Erstens hätte mir gewünscht, mehr feministisch relevanten Inhalt vorzufinden, weniger Alltagsbeschreibungen, weniger Belanglosigkeiten. Vor allem im Mittelteil kam ich daher nur schleppend voran und habe mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Zweitens ging mir Emily Ratajkowskis Kritik oft nicht weit genug, war zu oberflächlich, zu wenig reflektiert, fokussierte sich zu sehr auf einzelne Personen als auf das allen Taten zugrunde liegende toxische System. Vergewaltigungen werden teilweise nicht als das benannt, was sie sind und obwohl die Autorin den Male Gaze, die Objektifizierung und die Sexualisierung von Frauen, immer wieder kritisiert, ist ihr Instagram-Account voller Fotos, die genau diese Perspektive bedienen. Aus diesen Gründen wirkt es für mich, als wäre die Autorin noch am Beginn ihrer feministischen Reise und hätte noch keine wirklichen Konsequenzen aus ihren Reflexionen gezogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte dieses Buch ein paar Jahre später geschrieben.

Fest steht, dass man nach der Lektüre dieses Buches viele Dinge mit anderen Augen sehen wird: Emily Ratajkowski (die bis jetzt für viele ein namenloses Model war), das Musikvideo zu „Blurred Lines“, Robin Thicke, Fotografen generell, die Modelbranche, mächtige Männer im Showbusiness und neue Missbrauchsvorwürfe, die zukünftig auftauchen werden. Nostalgische Interviews wie zuletzt das von Designer Wolfgang Joop, in dem er die in der Vergangenheit noch schlimmeren Zustände im Modelbusiness beschrieb, in dem er die damalige Welt als „wunderbar frivol und frigide“ bezeichnete und gut gelaunt und ohne einen Funken Mitgefühl erzählte, dass damals Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung waren und dass sogar reichen Männern die Schlüssel zu den Hotelzimmern aufstrebende Models gegeben wurden, lösen nach dieser Essaysammlung nur noch mehr Unverständnis, Ekel und Wut aus. Trotzdem - und das darf man nicht vergessen - tut sich auch etwas in der Branche und die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Immer mehr Frauen arbeiten als Regisseurinnen und Produzentinnen, immer mehr sind also in Führungspositionen tätig und können eine sichere Umgebung für die Menschen am Set schaffen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es seit der MeToo-Bewegung mehr Bewusstsein für sexualisierte Gewalt gibt, dass sie auch seltener totgeschwiegen wird und dass Täter immer häufiger Konsequenzen zu spüren bekommen.

Einen wichtigen Punkt möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch ansprechen. Bei den Diskussionen und Rezensionen zum Buch bin ich leider immer wieder auf Victim Blaming (= Opfer-Täter-Umkehr) gestoßen, was ich sehr traurig finde. Anstatt den Fokus auf den Täter zu richten und uns zu fragen, wie ER die Situation verhindern hätte können (z. B. Robin Thicke, indem er weniger trinkt, wenn er sich ansonsten nicht unter Kontrolle hat), wird leider immer noch zu häufig versucht, der Frau / dem Opfer eine Teilschuld oder gar die ganze Verantwortung zuzuschieben. Die Argumentation startet bei sexueller Belästigung (hätte sie mal weniger getrunken und nicht nackt posiert, dann wäre das nicht passiert!) und endet bei Vergewaltigung (hätte sie mal nicht so ein kurzes Kleid getragen, wäre sie nicht so betrunken gewesen, dann wäre das nicht passiert!) und ist ABSOLUT toxisch. Was wir dringend brauchen, ist weibliche Solidarität und keine Verurteilungen und verinnerlichten Frauenhass – denn nichts anderes ist Victim Blaming.

Diese Argumentation erweckt zudem leider den Eindruck, dass man als Frau steuern könnte, was einem passiert, indem man weniger Alkohol trinkt, misstrauischer ist, seinen Körper mehr bedeckt. Dabei ist es (leider!) eine Tatsache, dass einem als Frau immer sexualisierte Gewalt widerfahren kann, egal wie viel man getrunken hat, egal was man anhatte, egal wie man sich verhalten hat. (Die meisten Vergewaltigungen passieren auch nicht durch fremde Männer auf der Straße, sondern durch Freunde, Familienmitglieder und Bekannte. Das ist eine traurige Tatsache, die vielen Leuten nicht bewusst ist.) Die einzige Person, die für eine solche Situation die Verantwortung trägt und sie verhindern hätte können und MÜSSEN, ist immer der Täter. Und NUR er! Mein Filmtipp zum Thema sexualisierte Gewalt und Victim Blaming: "Promising Young Woman" von der Regisseurin Emerald Fennel. Der Film ist großartig - gleichzeitig fesselnd, lustig und sehr beklemmend - und lässt garantiert niemanden kalt. Manche von euch werden danach vielleicht anders denken...

„Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich Menschen in Machtpositionen misstraute, die mir […] das Gefühl gegeben hatten, mein Körper gehöre nicht mir.“ Seite 118

Wichtiges Thema (Feminismus: 4 Lilien)

In ihrer Essaysammlung spricht Emily Ratajkowski auf mutige Weise ein sehr wichtiges Thema an, dafür gibt es von mir ein großes Lob! Weil mir die feministische Kritik jedoch oft nicht weit genug geht und sich auch vereinzelt problematische Aussagen im Buch finden (wie zum Beispiel, die gefährliche Behauptung, alle Frauen würden ihre Sexualität als „Sicherheit“ einsetzen), ziehe ich hier einen Punkt ab.

„Ich hatte mir angewöhnt, Erfahrungen zu verdrängen, die schmerzhaft waren oder im Widerspruch zu meinen Überzeugungen standen.“ Seite 16

Mein Fazit

“My Body” ist ein mutiges Buch, in dem Emily Ratajkowski wichtige Themen anspricht und Missstände in der Unterhaltungsbranche kritisiert. Trotz guter Ansätze, habe ich mir insgesamt doch etwas anderes (mehr feministischen Inhalt, weniger Biografie) und vor allem in vielen Bereichen MEHR erwartet (mehr Systemkritik, klarere Worte, mehr Reflexion). Einen guten Einblick in die Modelindustrie und ein System, das immer noch (Macht-)Missbrauch fördert und Täter schützt, bietet dieses Buch aber allemal! Nach der Lektüre werdet ihr nicht nur Emily Ratajkowski und das Musikvideo zu „Blurred Lines“, sondern auch generell das Showbusiness sicher mit anderen Augen sehen…

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2022

Solide, feministische Dystopie mit interessanter Grundidee und ein paar Schwächen

High Rise Isle
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, Leid und Krankheiten. Dort wacht Luca im Krankenhaus ohne Erinnerung auf. Währenddessen kämpft June mit ihrer kranken kleinen Schwester auf dem durch den Klimawandel verwüsteten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Beiden Frauen fallen eines Tages Ungereimtheiten in ihrer Welt auf, beide machen sich auf die gefährliche Suche nach der Wahrheit…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (aktueller Stand)
Erzählweise: Figurativer Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang bis sehr lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden Tiere für Nahrung getötet, was aber nie genau beschrieben wird. Ansonsten werden keine Tiere gequält oder verletzt. Auf den High Rise Isles steht es sogar unter Strafe, tierische Produkte zu konsumieren. ♥
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Gewalt, psychische Krankheiten
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Warum dieses Buch?

Die Autorin kannte ich schon vorher aus meinem privaten Umfeld. Deshalb und weil der Klappentext echt spannend klang und einige liebe Bookstagram-Kolleg·innen ebenfalls dabei waren, habe ich mich sehr gefreut, als ich ins Bloggerteam aufgenommen wurde. Meine Rezension ist trotzdem wie immer absolut ehrlich (sonst hätte ich ja nicht 3 Sterne vergeben).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Feminismus. Eine feministische Analyse lässt mich bei diesem Buch nicht nur zufrieden, sondern begeistert zurück. Die Gesellschaft der Zukunft ist nämlich sehr egalitär und divers. Männer kochen und putzen, Frauen sind stark, intelligent, gute Kämpferinnen, beruflich erfolgreich und wie selbstverständlich in Führungspositionen tätig. Es gibt kompetente Ärztinnen, eloquente Präsidentschaftskandidatinnen, begabte Ingenieurinnen und sogar mächtige Bösewichtinnen. Zudem besteht das Buch natürlich problemlos den Bechdel-Test und ist absolut frei von gegenderten Beleidigungen und sexualisierter Gewalt, was leider immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Auch Menschen, die von dem Thema getriggert werden, können also unbesorgt zu diesem Buch greifen. Das ist auch deshalb etwas Besonderes, weil eine der Protagonistinnen im Buch sich durch ihre Amnesie und ihr Zusammenleben mit ihrem Verlobten (der allerdings ein Fremder für sie geworden ist) in einer sehr verletzlichen Lage befindet – die allerdings nie ausgenutzt wird (und das wäre sicher passiert, wenn andere Autor·innen dieses Buch geschrieben hätten). Die feministische Grundeinstellung der Autorin zieht sich übrigens (ohne eine große Sache daraus zu machen) durch alle Bereiche des Buches. Die Vornamen der Zukunft sind beispielsweise divers, modern und unisex – davon leite ich ab, dass die Gendergrenzen nicht mehr so streng und scharf gezogen werden wie noch heute – eine Zukunftsvision, die ich interessant und positiv finde. Deshalb bleibt von meiner Seite nur zu sagen: Toll! Weiter so! (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Es kam ihr komisch vor, mit Zinnia wieder hier in ihrer gemeinsamen Wohnung zu sein. Wie er ganz selbstverständlich kochte, aufräumte, mit ihr sprach.“ E-Book, Position 4415

… die dystopische Welt. Die Zukunftsvision der Autorin, das Setting und ihre Ideen fand ich von Anfang an innovativ, spannend und interessant. Während die Privilegierten auf auf Säulen erbauten, technologisch fortgeschrittenen, „perfekten“ Städten im Himmel leben, auf denen Armut, Leid und Krankheiten nahezu ausgerottet wurden, kämpfen die nomadisch lebenden Menschen auf dem durch den Klimawandel von Überschwemmungen, Waldbränden und Krankheiten heimgesuchten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Dass mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen sind und ich über manche Aspekte gerne noch mehr erfahren hätte, verzeihe ich da gerne. (Idee: 4 Lilien)

„‘Die Zeit der Strafe‘ oder auch ‚der Anfang vom Ende‘, so hatten die Leute diese Zeit [Anmerkung: die 2060er-Jahre] laut Lea bezeichnet. Vor ihrem inneren Auge hatte Luca sich nur zu deutlich die Waldbrände, Hitzewellen, Dürren, Hochwasser durch Starkregen und Sturmfluten vorstellen können, von denen erzählt worden war.“ E-Book, Position 3265

… der Schreibstil. Auch wenn der Schreibstil stellenweise etwas schwerfällig war und ich mir manchmal etwas mehr Tempo gewünscht hätte, fand ich ihn doch sehr flüssig, anschaulich und angenehm lesbar. Dementsprechend fliegt man nur so durch die Seiten. (Schreibstil: 4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… der Plot und die Themen. Ich habe sofort ins Buch gefunden und fand das erste Viertel wirklich stark, weswegen ich auch am Anfang sehr begeistert war. Auch thematisch (Schuld, Hoffnung, Suche nach der Wahrheit, Neurochips, künstliche Intelligenz, ethische Fragen) konnte mich das Buch überzeugen. Im Mittelteil stagniert dann leider die Handlung und die Geschichte tritt eine Zeit lang auf der Stelle. Hier war es mir dann auch zu viel Infodumping – auch wenn das relativ elegant in Dialoge eingebaut war. Im letzten Viertel kommt dann endlich wieder Schwung in die Sache – hier dürfen sich Leser·innen auf eine spannende Suche nach der Wahrheit und einige unerwartete Wendungen freuen! Mir persönlich passierte am Ende etwas zu viel auf einmal – aber das ist sicher Geschmackssache. (Geschichte: 3 Lilien)

… die Spannung, das Tempo, die Atmosphäre. Die Beschreibungen der verschiedenen Settings fand ich sehr gelungen und atmosphärisch. Ich konnte sowohl das chaotische, pulsierende Nachtleben in den überfüllten Städten als auch Lucas cleane, saubere, mit viel technischem Schnick-Schnack ausgestattete Wohnung bildlich vor mir sehen. Gut gefallen haben mir auch die unerwarteten Wendungen und die zunehmend misstrauischere Suche der Heldinnen nach der Wahrheit. Ich liebe es ja, wenn man in Büchern nicht mehr genau weiß, wem man noch vertrauen kann! Was das „Pacing“ der Geschichte betrifft, hätte ich mir allerdings eine gleichmäßigere Verteilung der Spannungsmomente und im Mittelteil mehr Tempo gewünscht. (3 Lilien)

„Als sie erwachte, war sie kaum mehr als eine Ahnung.“ E-Book, Position 25

… die Protagonistinnen und Figuren. Prinzipiell finde ich die Figurenzeichnung im Buch gelungen. Man trifft auf verschiedenste interessante Persönlichkeiten und die beiden Protagonistinnen Luca und June fand ich sympathisch, und ich habe sie gerne durch die Geschichte begleitet. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich Junes Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte bzw. dass mir ein paar Brüche in ihrem Verhalten aufgefallen sind. In manchen Momenten wirkt sie zum Beispiel eher vorsichtig und ängstlich, während sie in anderen Leute ohne guten Grund provoziert oder mit einem Messer bedroht und sich dadurch unvernünftigerweise in Gefahr begibt. Mein Herz gewonnen hat dafür der sanftmütige, empathische Verlobte von Luca: Zinnia. Ich finde es super, dass hier toxische Männlichkeit und der typische Dystopie-Bad-Boy durch eine neue, moderne und feministische Vorstellung von Männlichkeit ersetzt wurden! (3,5 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

„High Rise Isle“ ist eine solide, überraschend erwachsene und feministische Dystopie mit einer interessanten Grundidee und ein paar Schwächen. Wem eine egalitäre, diverse Vision von der Zukunft (inklusive erfrischend moderner Vorstellung von Männlichkeit) und unerwartete Wendungen wichtiger sind als durchgehende atemlose Spannung, der holt sich mit diesem Debüt sicher einige schöne, unterhaltsame Lesestunden ins Haus!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistinnen: 3,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.03.2022

Wichtiges, feministisches Thema, aber leider enttäuschende, oberflächliche Umsetzung

Nie, nie, nie
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Sie ist Mitte 30, in einer glücklichen Beziehung und will keine Kinder. Weder heute noch morgen, sondern nie, nie, nie. Wie lebt es sich als gewollt kinderlose Frau ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Sie ist Mitte 30, in einer glücklichen Beziehung und will keine Kinder. Weder heute noch morgen, sondern nie, nie, nie. Wie lebt es sich als gewollt kinderlose Frau und welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Beziehungen in ihrem Leben (Mutter, Freund·innen, Lebensgefährte)?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, übergriffiges Verhalten, Abtreibung, Fehlgeburt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Warum dieses Buch?

Über dieses Buch hatte ich im Vorfeld nur Gutes gehört, zudem ist das Thema für mich als Feministin und aktuell kinderlose und sehr wahrscheinlich für immer kinderlos bleibende Frau höchst relevant!

Meine Meinung

Einfach, oberflächlich und etwas lieblos (Schreibstil: 2 Lilien)

Nach all den positiven Rezensionen, die ich zu diesem Buch gelesen hatte, erwartete ich mir richtig gute Literatur. Umso ernüchterter war ich nach den ersten Seiten: Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten, es gibt einige Wiederholungen und leider keine sprachliche Abwechslung. Die Sprache wirkt nicht nur oberflächlich und distanziert, sondern auch ein wenig wie lieblos hingeklatscht. Mich konnte sie leider nicht überzeugen!

Wichtiges Thema, enttäuschende Umsetzung (Geschichte, Handlung & Themen: 3 Lilien)

„‘Und wenn ich nicht aus der Stadt ziehen, eine Familie gründen und jemand anderes werden will – bin ich dann nicht erwachsen? Oder kann man auch erwachsen sein, wenn man andere Träume und Wünsche hat als DAS?‘“ E-Book, Position 533

Als gewollt kinderlose Frau hat man leider auch im Jahre 2022 noch mit viel gesellschaftlichem Gegenwind zu kämpfen. Es wird einem so lange eingeredet, dass man in irgendeiner Form „defizitär“ sei, dass etwas nicht mit einem stimme, bis man es irgendwo tief in sich drinnen zu glauben anfängt. Und das finde ich sehr traurig! Warum darf man alles im Leben selbst entscheiden - ob man einen Hund will, welchen Beruf man ausübt, ob man sich ein Auto oder Haus kauft –, aber beim Kinderkriegen hören der Spaß und die Entscheidungsfreiheit auf? Warum?! Das ist inakzeptabel!

Übergriffige Fragen, Ratschläge und hin und wieder auch Beleidigungen sind ab Mitte 20 an der Tagesordnung, sobald man in einem Gespräch sagt, dass man keine Kinder haben möchte (wie ich aus eigener Erfahrung weiß). Mir wurde schon vorgeworfen, dass mein Leben ohne Kinder keinen Sinn hätte, dass ich eine Therapie machen solle, dass irgendetwas mit mir nicht stimme. Mir wurde prophezeit, dass ich meine Meinung sicher, ganz sicher noch ändern werde, sobald ich meinen Traummann treffe (klar, dann werfe ich alle meine Wünsche und Prinzipien über Bord, das klingt nach einer tollen, gesunden Beziehung!). Mir wurde eine Zukunft voller Einsamkeit ganz alleine im Altenheim vorausgesagt. Ein besonders misogynes Exemplar von Mann hat mir sogar verraten: Wenn es nach IHM ginge, müssten alle Frauen mindestens ein Kind bekommen, denn sonst würden wir so schrecklich verbittert werden („Der Report der Magd“ lässt grüßen). Am liebsten mag ich aber immer noch den Egoismus-Vorwurf, dabei ist die Entscheidung für Kinder genauso egoistisch wie die dagegen – das muss endlich mal in den Köpfen ankommen! Denn niemand bekommt (hoffentlich!) nur Kinder, um die zukünftigen Pensionen zu sichern, sondern man bekommt Kinder, weil man im Alter nicht alleine sein will, weil man denkt, dass ein Kind das eigene Leben bereichern wird, weil man etwas in der Welt hinterlassen will, wenn man tot ist. Es gibt allerdings mindestens so viele Gründe gegen Kinder wie dafür – wenn nicht mehr, wenn man ans Klima und den CO2-Fußabdruck denkt.

Doch nun zurück zum Buch: Einer der Hauptgründe der kinderlosen Protagonistin ist die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich als Mutter bis zu einem gewissen Grad selbst aufzugeben habe, dass man nicht mehr in erster Linie eine Frau mit Hobbies und Interessen, sondern eine aufopferungsvolle Übermutter sein solle. Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter und der Gegenwind, wenn man keine sein möchte – diese Themen sind aus feministischer Sicht hoch interessant und relevant und müssen endlich angesprochen und öffentlich diskutiert werden. Deshalb war ich auch Feuer und Flamme, als ich den Klappentext gelesen habe und habe ein revolutionäres Buch erwartet, das den Finger in die Wunde legt. Leider kann die Autorin dieses Potential nicht nutzen, denn ihr Buch bleibt über weite Strecken (das letzte Drittel ist etwas stärker) sehr oberflächlich, geht nicht in die Tiefe, bringt kaum neue Erkenntnisse, ja, ist schlicht langweilig und behandelt das wichtige Thema nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte. Das Buch hat mich deshalb leider enttäuscht.

Wer sich für das Thema Kinderkriegen in einer patriarchalischen Welt (in der wir immer noch leben) interessiert, sollte besser zu Tanja Raichs kritischem, beklemmendem und großartigem Buch „Jesolo“ greifen, das eine Frau begleitet, die sich zu Kindern überreden lässt und mit dieser Entscheidung dann sehr unglücklich ist.

Langweilig, belanglos, deprimierend (Atmosphäre & Spannung: 2 Lilien)

„Eltern warten auf ein Danke, Kinder auf eine Entschuldigung. Keiner kriegt, was er sich wünscht.“ E-Book, Position 1943

Ich hatte gehofft, dass mich das Buch fesseln und berühren würde, empfand es dann aber leider stellenweise als sehr langweilig und viele der geschilderten Alltagsszenen als belanglos. Wäre das Buch nicht so kurz gewesen, hätte ich es bestimmt abgebrochen. Ich dachte, dass wir hier auf eine starke Frau treffen würden, die mit ihrer Entscheidung gegen Kinder im Reinen ist (vielleicht sogar auf ein feministisches Vorbild), aber sie scheint ihr Leben nicht wirklich zu genießen, wirkt unentschlossen, unzufrieden und irgendwie unglücklich und wie paralysiert, weshalb ich das Buch derart deprimierend fand, dass ich ernsthaft überlegt habe, ob ich nicht vielleicht doch Kinder bekommen sollte, einfach nur, um nicht so zu enden wie sie – und das kann doch nicht die intendierte Wirkung gewesen sein!

Distanz & Austauschbarkeit (Protagonistin: 3 Lilien, Figuren: 2 Lilien)

Mir war die Protagonistin nicht unsympathisch – mich mit ihr identifizieren und eine richtige Verbindung zur ihr aufbauen konnte ich trotzdem nicht. Dazu war einfach zu viel Distanz zu ihr da; ich hatte den Eindruck, dass sie die Leser·innen nicht so richtig an sich heranlässt. Die Charakterzeichnung lässt zudem zu wünschen übrig, denn der Heldin fehlen Ecken und Kanten und eine interessante Persönlichkeit, was sie und die anderen Figuren leider sehr blass und austauschbar macht. Wäre dieses Buch eine Suppe, dann würde hier eine große Prise Gewürze und Salz fehlen. Hier habe ich mir wirklich viel mehr erhofft!

Vorbildlich (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Ich denke immer noch an […] Mütter, die am Bett ihres Kinds stehen, das nicht schlafen will, sie reden auf es ein, erst streng, dann sanft und leise und schließlich mit tränenerstickter Stimme, kannst du nicht wenigstens kurz die Augen zumachen, Mama muss auch ein bisschen schlafen […]“ E-Book, Position 839

Zumindest aus feministischer Sicht gibt es hier nichts zu meckern. Die Autorin spricht ein wichtiges Thema an, das viele Frauen beschäftigt und kritisiert starre Rollenbilder. Zudem trifft die Hauptfigur kompromisslos ihre eigenen Entscheidungen und lässt sich von niemandem zu Dingen überreden oder drängen, die sie nicht möchte. Dafür gibt es ein großes Lob und einen Extrapunkt – den dieses Buch allerdings auch dringend benötigt!

Mein Fazit

„Nie, nie, nie“ ist ein feministisches Buch, das zwar ein wichtiges Thema anspricht, das sein großes Potential aber leider nicht nutzen kann. Besonders enttäuscht haben mich der lieblos wirkende Schreibstil, die blassen, austauschbaren Figuren und die Oberflächlichkeit. Wer sich noch nie zuvor mit gewollter Kinderlosigkeit bei Frauen beschäftigt hat, kann diesem Werk vielleicht etwas abgewinnen, aber alle anderen werden mit Tanja Raichs großartigem, thematisch ähnlichem Buch „Jesolo“ vermutlich mehr Freude haben.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 2 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
Protagonistin: 3 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 2 Lilien
Atmosphäre: 2 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir gut gemeinte 3 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.08.2021

Brandaktuell, mit wichtiger Botschaft, aber langatmig und unkreativ erzählt – „Wild“ bleibt insgesamt leider hinter den Erwartungen zurück!

Wild
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nur knapp überlebt die Wildtierbiologin Dr. Alex Carter einen Amoklauf: Der Schuss eines unbekannten Schützen rettet ihr im letzten Moment das Leben. Nach diesem traumatischen ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nur knapp überlebt die Wildtierbiologin Dr. Alex Carter einen Amoklauf: Der Schuss eines unbekannten Schützen rettet ihr im letzten Moment das Leben. Nach diesem traumatischen Erlebnis, wegen der Trennung von ihrem langjährigen Freund und weil sie sich schon lange nach den Bergen sehnt, nimmt sie kurzerhand eine einsame Forschungsstelle in Montana an, wo sie die Population des Vielfraßes, einer Marderart, überwachen soll. Doch die konservative Bevölkerung vor Ort macht ihr das Leben schwer. Wie weit sind diese Leute bereit zu gehen, um die Tierschützerin loszuwerden?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer Reihe
Erzählweise: Figuraler Erzähler
Perspektive: hauptsächlich weibliche Perspektive, einzelne Kapitel aus männlicher Sicht
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: +/- Im Buch werden Tiere verletzt und gequält. Tote Tiere werden beschrieben, aber der Sterbeprozess selbst nicht. Positiv: Die Protagonistin ist sehr tierlieb und Vegetarierin.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Blut, Gewalt, Folter, Tierquälerei, Jagd, Tod von Tieren
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Warum dieses Buch?

Bei diesem Buch waren es das wunderschöne Cover und der Titel, die mich neugierig gemacht haben. Da ich den Klappentext auch interessant fand (erfrischend anderes Setting!), wollte ich mir dieses Buch nicht entgehen lassen.

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der hochspannende Prolog, der neugierig macht. Leider schürt er auch Erwartungen, die schlussendlich nicht erfüllt werden können. (4 Lilien)

„Allein in den USA sterben jährlich bis zu einer Milliarde Vögel durch Kollisionen mit Glasscherben.“ E-Book, Position 70

… die Protagonistin. Mit Alex Carter hat Alice Henderson eine starke, empathische und tierliebe Protagonistin geschaffen, die ich sehr mochte. Mutig, uneitel und pragmatisch tritt sie diese Forschungsstelle an und lässt sich auch von der lokalen Bevölkerung, die ihr viel Hass entgegenbringt, nicht so schnell einschüchtern. Alex versucht jedes Tier und jeden Menschen in Not zu retten und bringt sich dabei oft selbst in Gefahr – daher fiel es mir sehr leicht, mit dieser coolen Vegetarierin mitzufühlen und mitzufiebern! (5 Lilien ♥)

„Von schmerzhaften Trennungen einmal abgesehen, hatte sie zeit ihres Lebens ein vages Gefühl des Schmerzes verspürt, das diffuse Gefühl, dass etwas nicht stimmte oder fehlte oder dass etwas aus ihrem Leben gerissen worden war, doch sie hatte nicht gewusst, was es war. Es hatte Jahre gedauert, bis sie darauf gekommen war, dass es die Natur war, die ihr fehlte.“ E-Book, Position 1249

… das Setting und die Atmosphäre. Hoch oben in den Rocky Mountains, mitten in der Wildnis, in einer baufälligen Ski-Resort-Lodge mit grausiger Vorgeschichte, in verlassenen Liftgebäuden, in dichten Wäldern und auf steilen Berghängen entspinnt sich die Handlung dieses Thrillers. Die Autorin punktet hier mit einem erfrischend anderen Schauplatz und einer dichten Atmosphäre. (4 Lilien)

… die Themen. Brandaktuelle Themen wie Umweltschutz, Tierschutz, Trophäenjagd, das Artensterben und die Folgen des Klimawandels stehen im Mittelpunkt dieses Thrillers und werden tiefgründig behandelt, wodurch man als Leserin einiges dazulernt. Dadurch regt dieses Buch nicht nur zum Nachdenken an, sondern löst unweigerlich auch Sorge und Wut in einem aus, wenn man sieht, wie engstirnig, kurzsichtig und egoistisch die Menschheit oft ist, wenn es um den Schutz der Um- und Tierwelt geht. Da wird rücksichtslos gejagt, bebaut und die Natur ausgebeutet, was ich sehr traurig finde. (5 Lilien ♥)

„Vielfraße galten als äußerst kampflustig, hatten einen furchterregenden Ruf. Obwohl sie im Durchschnitt nur 15 Kilo wogen, waren sie imstande, Grizzlybären abzuwehren […] “ E-Book, Position 769

… die Botschaft. Am Ende des Buches findet sich zudem eine weitere wichtige Botschaft: Die Autorin, die selbst als Rangerin in einem Wildtierreservat arbeitet, will mit diesem Buch darauf aufmerksam machen, dass die Population des Vielfraßes in Amerika aktuell stark zurückgeht, dass er aber trotzdem noch immer nicht auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere aufgenommen wurde – was sich dringend ändern muss. Zudem macht Alice Henderson konkrete Vorschläge, wie man dem Popularionsrückgang entgegenwirken könnte. Auch hilfreiche Literaturtipps und Links zu Vielfraß-Projekten, an denen man ehrenamtlich mitwirken kann, stellt die Autorin für Interessierte bereit. (5 Lilien ♥)

„Menschliche Jäger erlegen zumeist die gesündesten und prächtigsten Exemplare. Die traurige Wahrheit ist, dass es Ihnen Spaß macht, Tiere zu töten. […] Wäre Ihnen wirklich an der Gesundheit des Waldes gelegen, würden Sie ihr Möglichstes tun, um für eine gesunde Raubtierpopulation zu sorgen, und nicht bei jeder Gelegenheit auf Raubtiere schießen.“ E-Book, Position 1412

… die überraschenden Wendungen. „Wild“ kann bis zu seinem gelungenen Ende mit einigen unerwarteten Wendungen punkten, die mich überzeugen konnten. (4 Lilien)

… der Feminismus. Ein großes Lob gibt es dafür, dass es im Buch überhaupt keine gegenderten Beleidigungen gibt, was leider (!) eine absolute Seltenheit ist. Immer wieder werden zudem Geschlechterstereotype gebrochen, z. B. durch die Protagonistin Alex Carter, die sich mit Autos, Waffen und dem Überleben in der Wildnis auskennt und sich immer wieder selbst rettet, anstatt gerettet zu werden. Nicht so gut gefallen hat mir allerdings das unausgeglichene Geschlechterverhältnis. Mehr weibliche Figuren wären hier wünschenswert gewesen. (4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… die Vernachlässigung mancher Aspekte. Manche Aspekte erscheinen am Beginn der Geschichte sehr wichtig, spielen dann aber bis zum Ende des Buches keine Rolle mehr – als wäre darauf vergessen worden. Möglicherweise werden diese Dinge ja in den Folgebänden (die ich aber nicht lesen werde) ja wieder zentraler, aber in diesem Auftaktband hätte man sie genauso gut auch weglassen können. (3 Lilien)

… die Dialoge. Die oft hölzernen, konstruiert wirkenden Dialoge ließen mich leider nie vergessen, dass ich hier gerade ein Buch lese. Jedoch schienen sie im Laufe der Geschichte besser zu werden (oder habe ich mich einfach nur daran gewöhnt?). (3 Lilien)

… die Übersetzung. Ich werde es nie verstehen, warum man bei der Übersetzung wahllos englische Begriffe nicht übersetzt (z. B. High Tops). Ein deutsches Buch sollte jede und jeder ohne zu googeln verstehen, auch Leute, die im Englischen nicht so bewandert sind – sonst könnten sie den Thriller ja gleich auf Englisch lesen. Zudem ist eine Frau kein Vegetarier, sondern eine VegetarierIN, was mir als Feministin sehr wichtig ist. (3 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

… der Schreibstil. Nicht überzeugen konnte mich hingegen der Schreibstil, der durch die vielen gleichen Satzanfänge (teilweise beginnen 5 Sätze oder mehr hintereinander mit „sie“, was man so leicht vermeiden hätte können!) etwas lieblos wirkt. Hier hätte ich mir mehr Bemühen um sprachliche Abwechslung und mehr Kreativität gewünscht. Gut gefallen haben mir hingegen die anschaulichen und atmosphärischen Naturbeschreibungen, die genau im richtigen Maß eingesetzt wurden, und die faszinierenden Tierbegegnungen. Übrigens wird es bei den Beschreibungen von Verletzungen und Tod stellenweise überraschend blutig und brutal – deshalb gibt es von mir an dieser Stelle eine Triggerwarnung. (2 Lilien)

… die Figuren. Bis auf die Protagonistin und wenige andere Ausnahmen sind gefühlt 90% der Figuren in diesem Thriller furchtbar unsympathisch. Alex kam mir manchmal vor wie die einzige rationale, normal denkende Person mit Gewissen in einem Haufen von Idioten (und das ist noch nett formuliert). Sie tat mir stellenweise echt leid, dass sie sich mit solchen Leuten herumschlagen muss. Am allerschlimmsten fand ich jedoch ihren sexistischen, arroganten und egozentrischen (Ex-)Freund. Nicht nur einmal wollte ich Alex schütteln und ihr zuschreien: Lass dir das doch nicht gefallen, sondern sag ihm mal ordentlich die Meinung und trenn dich endlich von ihm! (2 Lilien)

… die Spannung. Leider konnte das Potential einer starken Idee nicht ausgeschöpft werden, denn es dauert lange, bis die Handlung nach dem Prolog in Schwung kommt. Obwohl der Plot eigentlich interessant ist, empfand ich diesen Thriller aufgrund der ausufernden Erklärungen der Protagonistin (z. B. zum Fallenbau) stellenweise als unheimlich zäh und langatmig – auch in objektiv spannenden Momenten. Es gab nur wenige Stellen, die ich als tatsächlich als spannend geschrieben empfand – doch die können den Gesamteindruck leider nicht retten. (2 Lilien)

Mein Fazit

Brandaktuell, mit wichtiger Botschaft, aber auch langatmig und mit wenig Kreativität (viele gleiche Satzanfänge!) erzählt - meine hohen Erwartungen konnte dieser Thriller leider nicht erfüllen. Die Stärken des Buches (Protagonistin, Setting, Themen) und seine Schwächen (Schreibstil, Spannung, Figuren) halten sich die Waage, daher gibt es von mir nur eine bedingte Leseempfehlung. Wer die Wildnis und die Natur liebt, aber keinen großen Wert auf den Spannungsbogen legt, kann diesem Thriller aber durchaus eine Chance geben und wird vermutlich Gefallen daran finden, gemeinsam mit Alex durch die Berge zu streifen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 2 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere