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Veröffentlicht am 09.09.2021

Ein packender Thriller über eine toxische Beziehung

SCHWEIG!
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Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ...

Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ihre Schwester nicht ganz normal ist. Aber es ist Weihnachten, und deshalb führt kein Weg an dem Besuch vorbei. Und als hätte Esthers es nicht schon geahnt, beginnt der Besuch wenig vielversprechend: Eine verwirrt dreinblickende Sue öffnet ihr die Tür – bewaffnet mit einem Küchenmesser…

Persönliche Meinung: „SCHWEIG!“ ist ein Psychothriller von Judith Merchant. Die Ausgangslage des Thrillers ist vergleichsweise simpel: Zwei Schwestern, die Probleme miteinander haben, treffen aufeinander, sodass sich ein schneidendes Gespräch zwischen den beiden entspinnt. Doch was Judith Merchant aus dieser an ein Kammerspiel erinnernden Ausgangslage macht, ist wirklich grandios. Über die Handlung (und das Gespräch) hinweg entfaltet sich eine hochgradig toxische Schwesternbeziehung, die von Manipulation, Missgunst und Übergriffigkeit geprägt ist. Das Gespräch der beiden wird wechselweise aus den Perspektiven der Schwestern erzählt, wobei ihre unterschiedlichen Gefühle schön deutlich werden. Interessant ist dabei, wie verschieden die Schwestern einzelne Dinge wahrnehmen. Was die eine Schwester als Fürsorge versteht, sieht die andere als übergriffigen Akt. Ein Besuch wird zu einer feindlichen Übernahme; ein zurückgezogenes, ruhiges Leben zu einem Anzeichen tiefster Depression. Dabei – und dadurch entsteht eine große Spannung – weiß man als Leser*in gar nicht so genau, welche Schwester im Recht steht (und welche im Unrecht). Dies hängt vor allem damit zusammen, dass eine übergeordnete, ordnende und damit zuverlässige Erzählinstanz bewusst weggelassen wird. Denn der Thriller wird aus den Ich-Perspektiven der beiden Schwestern erzählt (im Laufe der Handlung kommt noch eine dritte Perspektive hinzu, deren Identität ich aber nicht spoilern möchte) und beide sind – bewusst oder unbewusst – unzuverlässig. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmt dadurch: Man kann nicht wirklich festhalten, welche Schwester sie mit welcher Äußerung übertritt. Erst durch Rückblicke, die immer wieder in die Handlung eingestreut werden, offenbart sich, welche Schwester die zuverlässigere ist. Außerdem finden sich in diesen Rückblicken, die besonders die Kindheit und das Weihnachtsfest des vergangenen Jahres behandeln, immer wieder Mosaiksteinchen, die nach und nach ein vollständiges Bild der Schwesternbeziehung ergeben. Das Ende des Thrillers ist schlüssig und stimmig, insgesamt wirklichkeitsnaher als andere Thriller aber gerade dadurch auch erschreckender und nachhallender. Wie schon die früheren Krimis und Thriller von Judith Merchant besitzt auch „SCHWEIG!“ lebendige Dialoge, sodass es sich flüssig lesen lässt und zu einem Pageturner wird. Insgesamt ist „SCHWEIG!“ ein spannender, gut durchdachter Thriller über eine hochgradig toxische Beziehung mit zwei Erzählerinnen, die kaum unzuverlässiger sein könnten.

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Veröffentlicht am 22.08.2021

Ein vielschichtiger Roman, der Sittengemälde und Coming of Age zugleich ist

Dorfroman
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Inhalt: Hülkendonck am Niederrhein in den 1970er Jahren. In der Nähe des Dorfes soll ein Kernreaktor neuen Typs gebaut werden: ein sogenannter Schneller Brüter. Das Projekt ist umstritten – sowohl innerhalb ...

Inhalt: Hülkendonck am Niederrhein in den 1970er Jahren. In der Nähe des Dorfes soll ein Kernreaktor neuen Typs gebaut werden: ein sogenannter Schneller Brüter. Das Projekt ist umstritten – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dorfes; es beginnt, die Dorfgemeinschaft zu spalten. Während sich die einen Arbeitsplätze und eine Modernisierung des Ortskerns erhoffen, sorgen sich die anderen vor unkalkulierbaren Folgen für Natur und Mensch – mittendrin der Ich-Erzähler, der im Schatten der Brüter-Baustelle aufwächst.

Zum Hintergrund der Handlung: „Dorfroman“ von Christoph Peters ist ein Gegenwartsroman, der sich mit dem Bau des Kernkraftwerks Kalkar am Niederrhein auseinandersetzt. Der „Schnelle Brüter“ wurde zwischen 1973 und 1985 gebaut, ist aber nie in Betrieb gegangen. Seit Ende der 1970er Jahre kam es verstärkt zu Protesten und Kundgebungen gegen das Kernkraftwerk, sodass sich Fertigstellung und Inbetriebnahme immer weiter hinauszögerten. Letztlich distanzierte sich auch die Landesregierung immer weiter von dem Projekt (u.a. aufgrund der Proteste und der Katastrophe von Tschernobyl), sodass es 1991 stillgelegt wurde. Kurze Zeit später kaufte ein Unternehmer das Areal und richtete dort einen Freizeitpark ein (deshalb das alpine Panorama auf dem Kühlturm).

Persönliche Meinung: Hülkendonck, das Dorf, in dem „Dorfroman“ von Christoph Peters spielt, ist fiktiv, doch sein reales Vorbild lässt sich mithilfe des zeitgeschichtlichen Kontextes leicht identifizieren: Hinter Hülkendonck verbirgt sich Hönnepel, ein Ortsteil von Kalkar, in dessen Nähe das Kernkraftwerk gebaut wurde. Es ist zugleich der Ort, in dem Peters aufwuchs, weshalb sich auch autobiographische Züge in „Dorfroman“ finden. Erzählt wird der Roman von einem namenlosen Ich-Erzähler auf drei Zeitebenen, die miteinander verschränkt sind. Eine Zeitebene spielt in Hülkendonck in den 1970er Jahre; der Ich-Erzähler ist im Grundschulalter, der Bau des Schnellen Brüters beginnt. Peters zeichnet mit dieser Zeitebene ein treffendes und detailliertes Sittengemälde des dörflichen Mikrokosmos am Niederrhein. Die Großstadt ist weit entfernt, man ist bäuerlich geprägt, katholisch und konservativ. Sonntags geht’s in die Kirche, danach – für die Männer – zum Frühschoppen in die Kneipe. Neuem steht man erstmal skeptisch gegenüber. Denn: Es durchbricht den gewohnten Gang der Dinge, der sich über Generationen hinweg eingespielt hat. In diesem Milieu entfaltet sich der Konflikt um das Kernkraftwerk. Der Vater des Ich-Erzählers setzt sich für das Kraftwerk ein, dementsprechend glaubt auch der kindliche Ich-Erzähler, es sei richtig und wichtig, dass es gebaut wird. Die zweite Zeitebene spielt Ende der 1970er/Anfang der 1980er-Jahre. Die Protestaktionen gegen das Kraftwerk nehmen zu, der Riss durch das Dorf hat sich manifestiert. Der Ich-Erzähler ist mittlerweile 16 Jahre alt. Dieser Zeitabschnitt ist geprägt von einer schönen Coming-of-Age-Handlung. Der Ich-Erzähler verliebt sich in eine Protestierende, die sich mit anderen Protestierenden im Melkstall eines Bauern einquartiert hat und von dort aus Kundgebungen gegen den Schnellen Brüter plant (der reale Melkstall steht übrigens noch, verfällt aber immer mehr). Es kommt zu einem Generationenkonflikt: Der Ich-Erzähler beginnt zu hinterfragen, ob die Ansichten seines Vaters richtig sind, dieser sorgt sich vor einer Radikalisierung seines Sohnes, wodurch die Handlung spannungsgeladen wird. Im dritten Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt, haben sich die Problemfelder des Ich-Erzählers verlagert. Das Kernkraftwerk ist (mehr oder weniger) Geschichte, der Freizeitpark hat das Areal bezogen. Der Ich-Erzähler, mittlerweile in Berlin wohnhaft, besucht seine Eltern in Hülkendonck. Einfühlsam beschreibt Peters, wie der Ich-Erzähler den physischen und psychischen Verfall seiner Eltern beobachtet und sich fragt, wie es mit ihnen weitergehen soll. Das Kraftwerk rückt an die Peripherie. Peters Schreibstil ist in „Dorfroman“ eher schlicht, wenig ausschmückend aber mit deutlichen Worten und flüssig zu lesen, weshalb der Roman an Realitätsnähe gewinnt. Insgesamt ist „Dorfroman“ ein vielschichtiger Roman, der zwischen Coming-of-Age und Sittengemälde des Niederrheins changiert, dabei aber zugleich von dem Erwachen des ökologischen Bewusstseins der Bundesrepublik erzählt.

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Veröffentlicht am 21.08.2021

Ein bunter Kartenschatz

Verrückt nach Karten
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„Verrückt nach Karten. Geniale Geschichten von fantastischen Ländern“ ist ein Essayband, der von Huw Lewis-Jones herausgegeben worden ist. Thematisch dreht er sich um Karten unterschiedlichster Art – seien ...

„Verrückt nach Karten. Geniale Geschichten von fantastischen Ländern“ ist ein Essayband, der von Huw Lewis-Jones herausgegeben worden ist. Thematisch dreht er sich um Karten unterschiedlichster Art – seien es frühe Karten, mit denen sich die Menschen in anderen Epochen die (reale) Welt zu erklären suchten (bzw. imaginierten), skizzierte Karten als Orientierungshilfe für Autor*innen beim Schreibprozess oder (Land)Karten von literarischen Orten (wie „Mittelerde“, „Westeros“ oder die Schatzinsel). Die 25 Essays, die der Band versammelt, stammen aus der Feder von Schriftstellerinnen, Illustratorinnen und Grafikdesignerinnen. So kommen bspw. Philip Pullman, David Mitchell oder Kiran Millwood Hargrave zu Wort. Das Werk ist in vier Abschnitte unterteilt. In Teil 1 „Täuschend echt“ werden die Grundlagen des Essaybandes geklärt. So gibt ein Aufsatz einen literargeschichtlichen Überblick über die Nutzung von Karten in literarischen Werken. Ein weiterer Aufsatz steckt ab, worum es in „Verrückt nach Karten“ geht: Es geht weniger um eine wissenschaftliche Betrachtung des Themas, sondern um die persönliche Sicht des jeweiligen Schriftstellers/Illustrators und die Assoziationen, die die Person mit dem Thema „Karte“ verbindet. So individuell die einzelnen Beitragenden sind, so unterschiedlich sind auch ihre Essays. Im zweiten Teil „Literarische Karten“ kommen primär Schriftstellerinnen zu Wort. Sie berichten über den ersten Kontakt mit Karten (durch Schule oder Eltern), erklären, was ihnen Karten bedeuten, schildern ihren Lebensweg und beziehen mit ein, wie Karten dort eine Rolle spiel(t)en. Außerdem berichten sie, inwiefern Karten (vielleicht auch nur als Skizze) bei ihrem Schreibprozess wichtig sind, und zuletzt beschreiben sie den Einfluss, den Karten anderer Werke auf ihren Schaffensprozess besitzen. Im dritten Teil „Karten erstellen“ schreiben Illustrator_innen über ihre Erfahrungen mit Karten. So z.B. Miraphora Mina, die die Karte des Rumtreibers erstellt hat, oder Daniel Reeve, der von seiner Arbeit an den „Herr der Ringe“-Filmen berichtet. In „Karten lesen“, dem vierten Teil, werden unterschiedliche Themen behandelt. Die vier Essays des Kapitels behandeln den Siegeszug der Fantasyliteratur (und damit einhergehend ihrer Karten), weibliche Kartographinnen, die leider oftmals in Vergessenheit geraten sind, die innere Karte des Körpers und die kartographischen Begrifflichkeiten „terra incognita“ und „Hic sunt dracones“, die in Relation zum Prozess des Erzählens gesetzt werden. Die Essays sind immer sehr persönlich, teilweise assoziativ und schwer über einen Kamm zu scheren, sodass sich ein buntes, interessantes Mosaikbild zum Thema „literarische Karten“ ergibt. Der Band besteht aber nicht nur aus den Essays. Sein Herzstück sind die ca. 160 farbigen und hochauflösenden Karten, die teilweise über eine Doppelseite hinweg gedruckt sind. Abraham Ortelius‘ Weltkarte findet sich genauso wie Mercator. Auch Narnia, der Hundert-Morgen-Wald, Stevensons Schatzinsel, Mittelerde oder Westeros sind abgedruckt. Auf jeder Karte gibt es etwas zu entdecken. Insgesamt ist „Verrückt nach Karten“ ein Kartenschatz voller individuell-persönlicher Sichtweisen auf das Thema.

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Veröffentlicht am 21.08.2021

Ein Roman voller Fantasie, Abenteuer und Buchmagie

Pages & Co. (Band 3)
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Inhalt: Melville Underwood hat es zusammen mit seiner Schwester Decima geschafft, die British Underlibrary unter seine Kontrolle zu bringen. Zuerst hat er die Primärausgaben sichern lassen, um das Buchwandeln ...

Inhalt: Melville Underwood hat es zusammen mit seiner Schwester Decima geschafft, die British Underlibrary unter seine Kontrolle zu bringen. Zuerst hat er die Primärausgaben sichern lassen, um das Buchwandeln zu verhindern; nun soll es für Kinder ganz verboten werden. Gleichzeitig vergessen immer mehr Menschen bestimmte Bücher, die etwas für sie bedeuten. Tilly ist sich sicher, dass nur die sagenumwobenen Archivare die Situation retten können, doch keiner hat sie jemals gesehen, sodass ihre Existenz umstritten ist. Daher reist Tilly zusammen mit Oskar in die Vereinigten Staaten. Genauer gesagt: zur Library of Congress, die der erste Ansatzpunkt für die Suche nach den Archivaren ist.

Persönliche Meinung: „Matilda und das Rätsel der magischen Karte“ von Anna James ist der dritte Band der „Pages & Co“-Reihe. Da der Roman den Handlungsbogen, der in Band 1 begonnen und in Band 2 fortgeführt worden ist, aufgreift und abschließt, sollte man zunächst die vorherigen Bände „Matilda und das Geheimnis der Buchwandler“ und „Matilda und das Verschwinden der Buchmagie“ lesen. Erzählt wird der Roman, wie schon die vorherigen beiden Teile, aus der Perspektive von Matilda, kurz Tilly genannt, einem Mädchen, das die Fähigkeit besitzt, in Bücher eintauchen und wandeln zu können. Zur Handlung selbst möchte ich nicht zu viel verraten. Nur so viel: Die Protagonist*innen besuchen buchwandlerisch Klassiker der Weltliteratur, treffen auf Figuren und Dinge, die bereits in den vorherigen Bänden der Reihe aufgetaucht sind, und lernen neue Freunde kennen (darunter einen der bekanntesten britischen Autoren). Außerdem gibt es in der Handlung wieder einige kreative Kniffe, die sich um buchige Dinge drehen (auch hier: mehr möchte ich nicht verraten :D). Auch der Handlungsbogen ist rund: Lose Fäden, die in den vorherigen Bänden aufgeworfen worden sind, werden aufgegriffen und zu einem schönen Abschluss gebracht, wobei es auch zu der ein oder anderen unerwarteten Wendung kommt. Das Finale ist richtig gut gelungen. Hier laufen viele Dingen zusammen, die bereits in Band 1 und 2 in unterschiedlichster Form eine Rolle gespielt haben. Gleichzeitig verbergen sich in der Handlung aber auch schon Ansätze für den 4. Band (die englische Ausgabe erscheint Ende des Jahres), der – so die Autorin – den Beginn eines neuen Handlungsbogens markiert. So tauchen in „Matilda und das Rätsel der magischen Karte“ neue Figuren auf, die z.T. noch etwas undurchsichtig bleiben, aber Potential für einen spannenden 4. Band in sich bergen. Der Schreibstil von Anna James ist gewohnt bildhaft und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Matilda und das Rätsel der magischen Karte“ ein schöner und runder Abschluss des Handlungsbogens um Tilly, die Underlibrary und die Archivare; gleichzeitig macht der Roman neugierig auf die Folgebände.

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Veröffentlicht am 19.08.2021

Eine spannende Biografie

Stanislaw Lem
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„Stanisław Lem – Leben in der Zukunft“ von Alfred Gall (Literaturwissenschaftler und Slawist) ist eine Biografie, die sich mit Leben und Werk von Stanisław Lem (1921-2006), einem der meistgelesenen Science-Fiction-Autoren, ...

„Stanisław Lem – Leben in der Zukunft“ von Alfred Gall (Literaturwissenschaftler und Slawist) ist eine Biografie, die sich mit Leben und Werk von Stanisław Lem (1921-2006), einem der meistgelesenen Science-Fiction-Autoren, beschäftigt – wobei: Der Begriff „Science-Fiction“ trifft Lem nicht vollends. Einerseits ging Lems Œuvre weit über die Sci-Fi hinaus; andererseits sah Lem sich – wie Gall in der Einleitung der Biografie ausführt – nicht als Science-Fiction-Autor. Er selbst benannte seine Arbeiten als „wissenschaftliche Phantastik“. Denn: Lem legte ein großes Augenmerk auf das „Science“ in der Science-Fiction, sodass er in seine Werke verstärkt technisches Wissen einbaute, immer mit der Intention, aufklärerische Arbeit zu betreiben (Lem selbst interessierte sich sehr für technische und wissenschaftliche Entwicklungen wie z.B. Kybernetik oder Raumfahrt). Ausgehend von diesen Überlegungen entfaltet Gall etappenweise das Leben Lems. Die Kapiteleinteilung orientiert sich dabei sowohl an den unterschiedlichen Schaffensperioden Lems als auch an politischen Umbrüchen Polens, wo Lem hauptsächlich gelebt hat. Dementsprechend ist auch die Biografie kein bloßes Herunterrattern wichtiger Ereignisse aus dem Leben von Lem. Im Gegenteil: Lems Leben und Schaffen werden in den zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet, von dem man seine Werke nicht losgelöst betrachten kann. Der zeitgeschichtliche Kontext wird daher in jedem Kapitel überblicksartig behandelt. Dabei nimmt Gall vordergründig eine politikgeschichtliche Perspektive ein und schildert politische Umbrüche in Galizien und der Volksrepublik Polen (wie die nationalsozialistische Besetzung Galiziens, den Einfluss des Stalinismus auf die junge Volksrepublik und die antisemitischen Kampagnen in Polen Ende der 1960er). All dies beeinflusste das Schreiben Lems, wie Gall ausführlich beschreibt, in zweierlei Hinsicht: Einerseits hatte Lem mit der Zensur zu kämpfen, was seine Publikationen beeinflusste. Andererseits spielen bestimmte, zeitgeschichtliche Ereignisse häufig eine versteckte, literarisch gebrochene Rolle in seinen Werken. Lem war nämlich – auch das führt Gall schön aus – ein wacher Geist, der seine Gegenwart aufmerksam beobachtete und kritisch durchleuchtete. Gall beschäftigt sich außerdem in der Biografie mit den bekanntesten Werken Lems, analysiert diese und stellt ihre Besonderheiten heraus. Bei allem schreibt Gall sachlich und verständlich, nicht überkompliziert. Insgesamt ist „Stanisław Lem – Leben in der Zukunft“ eine spannende Biografie eines im Mainstream etwas in Vergessenheit geratenen Autors. Dabei geht Gall ausführlich auf Leben und Werk Lems ein und kontextualisiert dies mithilfe des geschichtlichen Horizontes, vor dem Lem gelebt hat.

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