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Veröffentlicht am 08.12.2021

Wer ist der Serienkiller?

Thirteen
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In Steve Cavanaghs Thriller “Thirteen“ wird der berühmte junge Schauspieler Bobby Solomon beschuldigt, seine Frau Ariella Bloom und ihren Bodyguard Carl Tozer aus Eifersucht ermordet zu haben. Ihre Leichen ...

In Steve Cavanaghs Thriller “Thirteen“ wird der berühmte junge Schauspieler Bobby Solomon beschuldigt, seine Frau Ariella Bloom und ihren Bodyguard Carl Tozer aus Eifersucht ermordet zu haben. Ihre Leichen wurden im Schlafzimmer seiner Wohnung nackt auf dem Bett gefunden. Es sieht nicht gut für Bobby aus, denn alle Indizien sprechen gegen ihn. In dieser schwierigen Situation engagiert Staranwalt Rudy Carp Strafverteidiger Eddie Flynn, der nach einer kriminellen Vergangenheit ehrlich geworden ist. Er soll sich intensiv mit den beteiligten Cops beschäftigen, um den Weg für einen Freispruch zu ebnen. Auch Flynn hält es für möglich, dass Bobby unschuldig ist, obwohl er natürlich als hervorragender Schauspieler manches geschickt verbergen kann. Der Leser weiß vom ersten Augenblick an, dass sich ein Serienkiller unter die Geschworenen mischt. Wir kennen seinen Namen – Joshua Kane – und beobachten ihn bei seinen Vorbereitungen. Er mordet, um auf die Kandidatenliste der Jury zu kommen und mordet weiter, um einen Schuldspruch für Solomon wahrscheinlicher zu machen. Da abwechselnd aus Kanes und Flynns Perspektive erzählt wird, erfährt der Leser eine Menge über den Mörder – seine schlimme Kindheit, sein Motiv und seine Vorgehensweise bei der Mordserie, die sich über viele Jahre erstreckt, ohne seine wahre Identität zu kennen. Das Ergebnis ist eine überwiegend spannende Mischung aus zwei Genres, einem Gerichtsthriller mit allem, was dazu gehört – Auswahl der Geschworenen Zeugenvernehmung, Plädoyers usw. – und einem Roman über einen gnadenlosen Serienkiller.
Cavanagh hat einen Thriller geschrieben, dessen Handlung teilweise nicht besonders plausibel ist, einerseits, weil über einen sehr langen Zeitraum niemand dem Täter auf die Spur kommt, obwohl er an jedem Tatort seine Signatur hinterlässt, zum anderen, weil es bis zum Schluss immer neue überraschende Wendungen gibt. Als Nebenthemen fand ich besonders interessant, welche Rolle korrupte Polizisten spielen und Ankläger und Strafverteidiger, denen es vor allem darauf ankommt, sich in der Öffentlichkeit vorteilhaft zu präsentieren. Der Ire Cavanagh erweist sich als Kenner des amerikanischen Justizsystems und zeigt kritisch, wie problematisch die Geschworenengerichte sind. Es geht nicht um die Wahrheitsfindung, sondern darum, die Jury mit allen möglichen Tricks auf seine Seite zu bringen. Es ist von daher kein Zufall, dass in den USA besonders viele Unschuldige verurteilt oder sogar hingerichtet werden.
Fazit: Ein lesenswerter Roman, trotz gewisser Schwächen zu empfehlen.

Veröffentlicht am 04.12.2021

Versprechen muss man halten

Was wir verschweigen
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In Arttu Tuominens Kriminalroman “Was wir verschweigen“ vergraben die 13jährigen Freunde Jari und Antti im Sommer 1991 eine Kapsel an einem Findling. Jeder hat dem anderen einen Brief geschrieben, in ...


In Arttu Tuominens Kriminalroman “Was wir verschweigen“ vergraben die 13jährigen Freunde Jari und Antti im Sommer 1991 eine Kapsel an einem Findling. Jeder hat dem anderen einen Brief geschrieben, in dem sie sich die Zukunft des Freundes ausmalen. Diese Briefe wollen sie in 27 Jahren gemeinsam wieder ausgraben. Sie versprechen sich ewige Freundschaft.
Im Herbst 2018 tötet ein Mann bei einem Besäufnis in einem entlegenen Wochenendhaus einen anderen mit einem Messer und flieht in den Wald. Er wird gefasst und behauptet, sich an nichts erinnern zu können. Die Anwesenden können kaum brauchbaren Zeugenaussagen liefern, da alle sturzbetrunken sind. Der leitende Ermittler, Jari Paloviita, stellt entsetzt fest, dass Täter und Opfer alte Bekannte sind: sein Freund Anttii Johannes Milonen und Rami Nieminen, ihr Feind aus der Kindheit, der sie mit seinen Kumpanen brutal schikanierte und Jari erheblich verletzte. Alle drei lebten in der Kleinstadt Pori und gingen zeitweise in dieselbe Klasse. Statt den Fall wegen Befangenheit abzugeben, überlegt Jari, wie er dem Verdächtigen helfen kann. Er empfindet Scham und Schuld angesichts seiner eigenen Karriere bei der Polizei und seines persönlichen Versagens gegenüber dem Freund. Die Wege der Beiden trennten sich früh aufgrund der unterschiedlichen Schullaufbahn und der daraus folgenden Berufschancen. Antti stammt aus einem prekären Milieu und landete schnell bei Drogen, Alkohol und Kriminalität, was zu einer Serie von Gefängnisaufenthalten führte.
Der Autor erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen, Sommer 1991 und Herbst 2018, wobei er durch einen sprachlichen Kniff verdeutlicht, dass es eigentlich um die Ereignisse von 1991 geht und weniger um den aktuellen Kriminalfall. Für die Ereignisse in der Vergangenheit benutzt er das Präsens, für die Gegenwart dagegen das Imperfekt. Der Kommissar verhält sich auffällig unprofessionell und greift unangemessen in die Ermittlungen ein. Seine Untergebenen Linda Toivonen und Henrik Oksam kommen ihm auf die Schliche, aber weder die Frage, ob Jaris Verhalten berufliche Konsequenzen hat noch ob der Täter verurteilt wird, spielt zum Schluss eine Rolle – vielleicht auch, weil der Autor eine Fortsetzung plant. Gezeigt wird das moralische Dilemma eines Mannes, der einst ein Versprechen gegeben, aber seinen Freund im Stich gelassen hat. Angesichts seiner lange verdrängten quälenden Erinnerungen muss er eine Entscheidung treffen.
Daneben gibt es weitere Themen: die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht mit allen Konsequenzen, außerdem Alkoholismus und häusliche Gewalt gegenüber Frauen und Kindern. Die ungeschönt dargestellte Brutalität trägt dazu bei, dass dieser Roman mit dem traurigen Ende wie eine Tragödie wirkt. Mich hat es sehr beeindruckt, auch wenn die sprachliche Qualität der Übersetzung das Lesevergnügen erheblich gemindert hat.

Veröffentlicht am 07.11.2021

Alles wird gut

Wir sind schließlich wer
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Im Mittelpunkt von Anne Gesthuysens neuem Roman steht die dem Landadel angehörende Familie von Betterray: die verwitwete Mutter Mechthild mit den Töchtern Maria und Anna. Die vier Jahre ältere Maria ist ...


Im Mittelpunkt von Anne Gesthuysens neuem Roman steht die dem Landadel angehörende Familie von Betterray: die verwitwete Mutter Mechthild mit den Töchtern Maria und Anna. Die vier Jahre ältere Maria ist die Vorzeigetochter, die alles richtiggemacht hat, indem sie den Adligen Gottfried von Moitzfeld heiratete und nicht ihre nicht standesgemäße erste Liebe. Die unkonventionelle Anna dagegen ist zum Protestantismus konvertiert und nach einigen Umwegen Pastorin geworden. Nach einem traumatischen Erlebnis mit dem Zwillingsbruder ihres Mannes ließ sie sich scheiden und vertritt in der niederrheinischen Gemeinde Alpen den erkrankten Pastor. In der Gemeinde stößt sie auf Ablehnung und sieht sich sofort Klatsch und übler Nachrede ausgesetzt. Vor allem Frau Erbs, die Haushälterin des Pfarrers, begegnet ihr äußerst feindselig und verbreitet jede durch Lauschen erlangte Information sofort weiter. In dieser Zeit trifft die Familie ein Schicksalsschlag, der ihren Ruf nachhaltig schädigt. Marias Mann wird wegen krimineller Finanzgeschäfte verhaftet. Ihn erwartet eine längere Gefängnisstrafe. Kurz nach Bekanntwerden des Skandals verschwindet Sascha, der 11jährige Sohn des Paares, und bald darauf treffen Erpresserbriefe mit einer Millionenforderung ein. Die alte Ottilie,92 wird zur größten Stütze der Familie. Sie war schon immer Annas einzige Vertraute. Anna hat Erfahrung mit dem Ertragen von Leid und stellt sich der Herausforderung mit großer Stärke. Auch Maria, die ihre Schwester ein Leben lang verachtet hat, muss umdenken und ihr Leben angesichts der Katastrophe ändern. Arroganter Dünkel nützt hier gar nichts.
Gesthuysen hat einen einfühlsamen Roman geschrieben, der zeigt, dass wir einander mit Liebe begegnen und zusammenhalten müssen. Ihre Charaktere helfen einander mit viel Empathie, wodurch es im letzten Teil gewaltig menschelt. Sehr berührend ist auch Annas Verhältnis zu ihrem Hund Freddy, dem wichtigsten männlichen Wesen in ihrem Leben. Ich habe das Buch gern gelesen und empfehle es allen, die eine ungewöhnliche Familiengeschichte schätzen.

Veröffentlicht am 07.11.2021

Wie gut kennen wir unseren Nächsten?

Die Enkelin
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Als der Buchhändler Kaspar Wettner, 71 eines Abends aus der Buchhandlung nach Hause zurückkehrt, findet er seine Ehefrau Birgit tot in der Badewanne. Sie war depressiv und alkoholabhängig, aber es lässt ...


Als der Buchhändler Kaspar Wettner, 71 eines Abends aus der Buchhandlung nach Hause zurückkehrt, findet er seine Ehefrau Birgit tot in der Badewanne. Sie war depressiv und alkoholabhängig, aber es lässt sich nicht sagen, ob ihr Tod Selbstmord oder ein Unfall war. Einige Zeit später liest er auf der Suche nach einem angefangenen Romanmanuskript ihre tagebuchartigen Aufzeichnungen und erfährt auf diese Weise vieles, was er nicht wusste. Ihm war immer bewusst, dass er Birgit mehr liebte als sie ihn und dass sie sich ihm nie wirklich geöffnet hat. Kaspar hatte Birgit 1964 in Ost-Berlin kennengelernt und ihr ein Jahr später zur Flucht in den Westen verholfen. Er wusste nicht, dass sie von dem verheirateten Leo Weise schwanger war, der das Kind mit seiner Frau Irma aufziehen wollte. Birgits Freundin Paula sollte den Säugling an einer Kirche oder vor einem Heim aussetzen. Tatsächlich hat sie das Mädchen jedoch zu den Weises gebracht. Aus den Aufzeichnungen seiner Frau erfährt der Witwer, dass Birgit die Tochter suchen wollte, es aber nie gewagt hat. Kaspar will anstelle seiner Frau die Tochter suchen.
Mit Hilfe von Paula findet er Svenja, die mit Björn verheiratet ist und einen Bauernhof bewirtschaftet, und er lernt deren 14jährige Tochter Sigrun kennen. Kaspar stellt den Kontakt zur Enkelin mit Hilfe von großzügigen finanziellen Zuwendungen für den Vater her. Schon bald empfindet er große Zuneigung für Sigrun. Die größte Schwierigkeit für ihn besteht in der rechten Gesinnung dieser Familie, die in einer völkischen Gemeinschaft lebt und in der Beachtung von Traditionen, in Kleidung und Sprache den Nationalsozialismus fortleben lässt. Um Sigrun eine andere Perspektive zu bieten, ohne belehrend zu wirken, macht er sie mit Musik und Kunst bekannt und bezahlt ihr Klavierunterricht. Mit dem Vater Björn gibt es immer wieder Zusammenstöße, gefolgt von einem zweijährigen Kontaktverbot, bevor Sigrun selbst bereit ist, eigene Wege zu gehen – auch gegen den Willen der Eltern.
Schlink hat einen sehr lesbaren, auch sprachlich eindrucksvollen Roman geschrieben, in dem Kaspars Perspektive mit der Birgits in ihren Aufzeichnungen wechselt. Durchgehend verdeutlicht er den Gegensatz von West und Ost, vor allem die ausgeprägten rechtsextremistischen Tendenzen in den neuen Bundesländern und zeigt, wie schwer es für die Menschen war, zu einander zu finden. Mir hat das Buch gut gefallen und ich empfehle es gern weiter, weil es Zeitgeschichte, in diesem Fall die deutsche Vergangenheit und Gegenwart nachvollziehbar macht.

Veröffentlicht am 29.10.2021

Wenn Profit wichtiger ist als die Menschen

Wie schön wir waren
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In Imbolo Mbues neuem Roman “Wie schön wir waren“ geht es um das fiktive Dorf Kosawa irgendwo in Afrika, das Seine Exzellenz, der lokale Despot, dem amerikanischen Ölkonzern Pexton zwecks Ausbeutung der ...


In Imbolo Mbues neuem Roman “Wie schön wir waren“ geht es um das fiktive Dorf Kosawa irgendwo in Afrika, das Seine Exzellenz, der lokale Despot, dem amerikanischen Ölkonzern Pexton zwecks Ausbeutung der Ölvorkommen überlassen hat. Zu Beginn des Romans im Jahr 1980 ist im Grunde schon alles verloren. Das Ackerland und das Wasser des Flusses sind genauso vergiftet wie die Luft. Die Menschen sterben, vor allem die Kinder, und niemand kümmert es. Die Regierung streicht enorme Summen von Pexton ein und unterdrückt brutal jeden Versuch, irgendetwas zu ändern und dem Dorf und den Menschen zu helfen. Pexton macht Versprechungen, die nicht gehalten werden, und über einen Zeitraum von 4o Jahren wird alles nur immer schlimmer.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen Thula Nangi und ihre Familie. 1980 ist Thula 10 Jahre alt. Ihr Vater und ihr Onkel werden gefangen genommen und getötet, als sie mit einer Delegation aus dem Dorf den Vertretern des Konzerns die verheerende Situation schildern wollen. Da Thula eine sehr gute Schülerin ist, wird sie von einer Hilfsorganisation in die USA geschickt, wo sie 10 Jahre studiert. Sie will später ihr Wissen zum Wohl ihres Volkes einsetzen und verzichtet dafür auf ihr privates Glück. Sie gründet eine Bürgerbewegung und will ohne Gewalt für eine bessere Zukunft kämpfen. Unter ihren Mitstreitern gibt es allerdings auch einige, die nicht so lange warten wollen und gewaltbereit sind. Welche Chancen haben sie alle, wenn man die Geschichte des Kolonialismus, die Kautschukgewinnung und den Umgang mit den indigenen Völkern betrachtet? Da siegt die Profitgier auch bei den eigenen Leuten und verdrängt alle moralisch-sittlichen Erwägungen.
Mbue erzählt aus wechselnder Perspektive von Menschen aus drei Generationen. Das Thema ist wichtig und immer noch brandaktuell. Es ist aber auch der Grund, dass das Ergebnis eine traurige Geschichte ist, die wenig Raum für Hoffnung lässt. Schon mit dem Titel des Romans und dem ersten Satz wird der Leser eingestimmt: „Wir hätten wissen müssen, dass das Ende nahte“ (S. 9). Ich empfehle das Buch, obwohl es sich nicht mühelos liest und nicht durchweg spannend ist.