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Veröffentlicht am 16.10.2022

Moderne, düstere, rundum gelungene Jugendfantasy!

Dark Rise
1

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen ...

Spoilerfreie Rezension!

Klappentext

Die alte Magie ist in Vergessenheit geraten. Lediglich der Orden der Stewards hält seinen Schwur, die Menschheit vor der Rückkehr des Dunklen Königs zu schützen - die unmittelbar bevorsteht. All dies erfährt Will von den Kämpfern des Lichts, als sie ihn vor den Mördern seiner Mutter retten. Und seine Welt wird noch mehr auf den Kopf gestellt, als die Stewards ihm offenbaren, dass er der Auserwählte im Kampf gegen die Dunklen Mächte sein soll. Während Will versucht, sich in kürzester Zeit auf diese Rolle vorzubereiten, trifft er auf James St. Clair, den General des Dunklen Königs - und somit Wills Gegenspieler. Doch von Anfang an spürt Will, dass ihre Schicksale durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden sind und dass ihr Aufeinandertreffen immer vorherbestimmt war ...

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 von vermutlich 3
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: männliche und weibliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: mittel
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Kurzrezension

„‘Es war eine Zeit des Schreckens. Der Schatten des Dunklen Königs breitete sich über alle Länder aus. Die Lichter der Welt erloschen eins nach dem anderen, bis nur noch ein einziges übrig war: die Letzte Flamme.‘“ E-Book, Position 954

Zur Lektüre von „Dark Rise“ wurde ich durch den spannend klingenden Klappentext, die überzeugende Leseprobe und die begeisterten Rezensionen im englischsprachigen Raum motiviert. Das wunderschöne Cover hat sich auf meine Neugier natürlich auch nicht negativ ausgewirkt…

Doch wie gut ist „Dark Rise“ wirklich? Konnte es mich überzeugen? Ja, definitiv, denn man bekommt genau das, was man sich erwartet und erhofft! Nämlich eine rundum gelungene Fantasy-Geschichte, die alle wichtigen Zutaten enthält, um ihren Leser:innen ein paar schöne Lesestunden zu bescheren.

Der düstere, grausame, tragische Prolog zieht einen sofort in die Geschichte hinein, sodass mir der Einstieg sehr leichtfiel! Das lag sicher auch am angenehmen, anschaulichen Schreibstil, der sowohl in spannenden Momenten als auch in ruhigeren Augenblicken glänzen kann. Lediglich an manchen Stellen uferten mir die Beschreibungen etwas zu sehr aus bzw. enthielten störende Wiederholungen, wodurch unnötigerweise Tempo rausgenommen wurde. Hier gibt es also noch ein bisschen Luft nach oben; ich ziehe deshalb einen halben Stern ab.

Die Figurenzeichnung hat mich dafür auf ganzer Linie überzeugt! Das Buch enthält viele interessante, dreidimensionale Figuren, für deren Ausarbeitung sich viel Zeit genommen wird. Die Charaktere haben Stärken und Schwächen und die meisten von ihnen machen im Laufe des Buches eine glaubwürdige Entwicklunge durch, die ich sehr gerne verfolgt habe. Mit manchen (wie zum Beispiel Will und Violet) habe ich auch von Beginn an sehr stark mitgefühlt und mitgefiebert.

„Dark Rise“ ist ein Fantasyroman, der zwar das Rad nicht neu erfindet und der Anklänge an „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ enthält, der aber trotzdem seine eigene Geschichte erzählt – und die ist gut ausgearbeitet, wendungsreich, atemlos spannend, sehr atmosphärisch (besonders die Beschreibungen des damaligen London haben mich begeistert!), stellenweise sehr düster (das liebe ich ja!) und brutal. Es gibt viele Geheimnisse zu ergründen, das Buch steckt voller Action, überraschender Wendungen, schockierender Enthüllungen und Figurentode, die einen wirklich treffen. Thematisch geht es um Verantwortung, Schicksal, Moral, aber auch um Liebe, Freundschaft und Selbstfindung. Aus meiner Sicht hat C. S. Pacat hier einen überzeugenden Reihenauftakt hingelegt, der von den Folgebänden nur schwer zu toppen sein wird. (Übrigens ist mir erst mitten im Buch aufgefallen, dass auch die berühmte „Prinzen“-Trilogie von C. S. Pacat stammt. Da die einen diese Reihe leidenschaftlich lieben, die anderen sie aber richtig schlecht oder sogar peinlich finden, würde ich mir hier sehr gerne ein eigenes Bild machen.)

Aus feministischer Sicht gibt es ebenfalls keine Beschwerden, denn die Geschichte enthält keinerlei gegenderte Schimpfwörter, dafür aber viele starke, mutige, mächtige und intelligente Frauen, sensible, empathische Männer und sogar LGBT-Liebesgeschichten, sodass ich nicht nur zufrieden, sondern regelrecht entzückt bin! Bei solch modernen, zeitgemäßen Fantasy-Büchern geht einer Feministin wie mir wirklich das Herz auf!

Wie erwartet (und irgendwie schon befürchtet), endet „Dark Rise“ dann mit einem gemeinen Cliffhanger und so einigen offenen Fragen – und das, obwohl die Fortsetzung noch nicht einmal auf Goodreads ein Erscheinungsdatum hat und daher wohl noch lange auf sich warten lassen wird. Egal wie lange es schlussendlich dauert – Band 2 möchte ich auf jeden Fall lesen!

Mein Fazit

Für mich ist „Dark Rise“ nach längerer Zeit wieder eine moderne, richtig gute Jugendfantasy, die sowohl dem jungen Zielpublikum als auch Erwachsenen einige unterhaltsame, atemlos spannende Lesestunden bescheren wird. Besonders begeistern konnten mich die herrlich düstere Atmosphäre, die unerwarteten Wendungen, die liebevolle Figurenzeichnung und die vielen starken Frauen. Diesen rundum gelungenen Reihenauftakt wird Band 2 meiner Meinung nach nur schwer toppen können – ich freue mich aber jetzt schon auf den Versuch! Deshalb mein Tipp: Unbedingt lesen!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 4,5 Sterne
Worldbuilding: 4,5 Sterne
Einstieg: 5 Sterne ♥
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist:innen: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 4 Sterne
Wendungen: 5 Sterne ♥
Atmosphäre: 5 Sterne ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Sterne ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Gefühl
Veröffentlicht am 14.05.2022

4,5 Sterne: Philosophisch, tiefgründig, originell – und für mich das richtige Buch zur richtigen Zeit! ♥

Die Mitternachtsbibliothek
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nora ist zutiefst unglücklich und depressiv, bereut sehr viele Lebensentscheidungen. Der Tod ihrer geliebten Katze bringt das Fass zum Überlaufen. Doch als sie sich das Leben nimmt, ist sie nicht einfach tot, sondern wacht in einem Zwischenreich auf: in der Mitternachtsbibliothek. Jedes Leben, das sie führen hätte können, darf sie hier ausprobieren wie ein Kleidungsstück. Nora wird zur gefeierten Olympiasportlerin, berühmten Sängerin, ehrgeizigen Gletscherforscherin. Aber nur wenn sie ein Leben findet, das sie glücklich macht, kann sie darin bleiben. Und die Zeit drängt – bald ist es vielleicht zu spät für Nora, sich zu entscheiden…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz (Hörbuch)
Tiere im Buch: -/+ Im Buch stirbt eine Katze, die von ihrer Besitzerin sehr geliebt wurde. Ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, psychische Krankheiten (Depression), Suizidgedanken, Suizid, Trauer
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

Der Klappentext versprach eine besondere, ungewöhnliche und vor allem einzigartige Geschichte. Das hat mich neugierig gemacht! Trotzdem habe ich das Hörbuch lange vor mir hergeschoben, weil es auch sehr traurig klang. Im April kam dann der richtige Zeitpunkt (dazu gleich mehr).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Schreibstil. Matt Haig schreibt zwar relativ einfach und schnörkellos, schafft es dabei aber trotzdem, in die Tiefe zu gehen. Bisweilen wird es sogar überraschend philosophisch! Ich fand den Schreibstil sehr anschaulich, flüssig und angenehm – auch als Hörbuch. Den natürlich wirkenden, lebendigen Dialogen habe ich ebenfalls gerne gelauscht. (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

"'Zwischen Leben und Tod liegt eine Bibliothek'", sagte sie, "'und diese Bibliothek besteht aus endlosen Regalen. Jedes Buch bietet dir die Chance, ein anderes Leben auszuprobieren, das du hättest leben können.'" Hörbuch, 10%

… die Geschichte und die Themen. Nach längerer Zeit habe ich mit „Die Mitternachtsbibliothek“ wieder einmal ein richtig kreatives, originelles Buch erwischt! Matt Haig kann das Potential seiner Geschichte zum Glück auch nutzen. Thematisch wird es stellenweise sehr düster (Suizid, Depression, Tod, Trauer), aber auch für Hoffnung und tiefgründige, philosophische Gedanken über das Leben ist genug Platz. Das Buch regt auf jeden Fall zum Nachdenken an und lädt dazu ein, seine eigenen Lebensentscheidungen (besonders die, die man bereut) einmal von einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber Achtung: Wer psychisch gerade sehr labil ist und selbst unter Depressionen oder sogar Suizidgedanken leidet, sollte auf diese Lektüre lieber verzichten oder sie zumindest auf einen späteren Zeitpunkt verschieben! Vor allem der Anfang der Geschichte kann einen schon ziemlich runterziehen. Das Buch beginnt damit, dass die geliebte Katze der Protagonistin stirbt. Einen ähnlichen Verlust habe auch ich vor wenigen Tagen erlitten, weshalb mich das Buch total abgeholt hat und ich mich ganz darauf einlassen und vollkommen darin versinken konnte. Manchmal braucht es schlicht das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt. „Die Mitternachtsbibliothek“ war dieses Buch für mich. Es ließ mich einige tröstliche Stunden lang der Realität entfliehen bzw. eröffnete mir eine andere, hoffnungsvollere Sicht auf das Leben. Dass die Geschichte im Mittelteil ein paar Kapitel lang auf der Stelle tritt, verzeihe ich da gerne.

Von einigen Leser·innen wurde kritsiert, dass der Autor – der ja selbst unter Depressionen leidet/litt – es in der Geschichte so darstelle, als könnten psychische Krankheiten mit dem richtigen Mindset einfach geheilt werden. Diesen Kritikpunkt kann ich sehr gut nachvollziehen! Meine Betrachtungsweise ist jedoch ein wenig anders: Meiner Meinung nach können Noras Aufenthalt in der Mitternachtsbibliothek und die vielen Leben, die sie ausprobiert, in denen sie viele neue Dinge über sich selbst lernt und in denen sie an sich arbeitet, auch als eine Art (von der Bibliothekarin Mrs. Elm angeleitete) phantastische Therapie betrachtet werden. Deshalb empfinde ich persönlich „Die Mitternachtsbibliothek“ nicht als problematisch, sondern als eine gelungene und kreative literarische Auseinandersetzung mit dem Thema „Depression“. (Geschichte: 4,5 Lilien)

… die Protagonistin und Figuren. Ich mochte Nora als Heldin sehr und fand sie von der ersten Seite an sehr sympathisch. Zudem gelingt es nur wenigen männlichen Autoren, sich so gut in eine weibliche Figur hineinzufühlen und ihr Innenleben so authentisch und nachvollziehbar zu beschreiben. Dafür gibt es von mir ein großes Lob! Jeder Mensch hat wohl die eine oder andere Entscheidung in seinem Leben getroffen, die er bereut oder die ihm keine Ruhe lässt, weil man sich immer fragt: Was wäre gewesen, wenn? Deshalb konnte ich mich sehr gut mit Nora identifizieren und mit ihr mitfühlen. Die anderen Figuren spielen alle nur kleine Nebenrollen, deshalb ist es schwer, sie zu bewerten. Zumindest ist mir hier nichts negativ aufgefallen. (Progonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 4 Lilien).

… die Spannung und die Atmosphäre. Besonders am Anfang, als es einen Countdown bis zum Tod von Nora gibt, fand ich das Buch sehr spannend und mitreißend! In der Mitte bricht der Spannungsbogen einmal kurz ein (nicht so schlimm), bis dann ein paar Wendungen folgen und das Buch wieder spannender wird. Ein wenig atmosphärischer hätten die Beschreibungen an manchen Stellen vielleicht noch sein können, aber das ist wirklich Kritik auf hohem Niveau. (Spannung und Atmosphäre: 4 Lilien)

… die Sprecherin. Dass ich die Sprecherin vorher schon in Filmen gesehen hatte, wurde mir erst bewusst, als ich sie googelte. Jedenfalls war mir vorher nie bewusst gewesen, dass Anette Frier so eine angenehme, tiefe und wohlklingende Stimme hat und so fesselnd und atmosphärisch vorlesen kann! Mein Highlight waren die Dialoge, die sie mit verschiedenen Stimmen, viel Persönlichkeit und sehr lebendig und emotional vorgetragen hat. Meiner Meinung nach hat ihr Vortrag das Buch noch besser gemacht! Kurz: Es wird sicher nicht mein letztes Hörbuch von Anette Frier bleiben! (Sprecherin: 5 Lilien ♥)

… der Feminismus. Auch eine feministische Analyse lässt mich zufrieden zurück: Das Buch besteht den Bechdel-Test, es gibt keine gegenderten Beleidigungen und Nora ist eine intelligente, talentierte, starke Protagonistin und übt in den verschiedenen Leben auch eine große Bandbreite von Berufen aus: Von der ehrgeizigen Sportlerin und der selbstbewussten Sängerin bis hin zur kompetenten Gletscherforscherin ist wirklich alles dabei! Insgesamt ist auch das Geschlechterverhältnis sehr ausgeglichen. (Feminismus: 5 Lilien ♥)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

---

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

Für mich war „Die Mitternachtsbibliothek“ das richtige Hörbuch zur richtigen Zeit. Die philosophische, tiefgründige, originelle Geschichte hat mich absolut abgeholt, zum Nachdenken gebracht und einige Stunden lang sehr gut unterhalten. Besonders gut gefallen haben mir neben der kreativen Auseinandersetzung mit den Themen „Depression“ und „Bereuen“ der flüssige Schreibstil, die sympathische Protagonistin und die wunderbare Sprecherin. Von mir gibt es deshalb eine große Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilie
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3,5 Lilien
Wendungen: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb zufriedene Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.11.2021

4,5 Sterne: Rundum gelungener, mitreißender, brandaktueller Jugendthriller!

Seeing what you see, feeling what you feel
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die Schülerin Lydia macht gerade eine schwere Zeit durch: Bei einem Autounfall ist ihr kleiner Bruder gestorben, ihre Mutter versinkt in ihrer eigenen Trauer, ihr Vater ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die Schülerin Lydia macht gerade eine schwere Zeit durch: Bei einem Autounfall ist ihr kleiner Bruder gestorben, ihre Mutter versinkt in ihrer eigenen Trauer, ihr Vater hat die Familie verlassen und ihre ehemals beste Freundin mobbt sie. Nur auf einen kann sie immer zählen: auf Henry, ihre selbst entwickelte künstliche Intelligenz. Henry lernt unglaublich schnell und beginnt, sich eigenständig weiterzuentwickeln und eigene Entscheidungen zu treffen. Doch wie weit würde er gehen, um Lydia zu beschützen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: bis auf wenige (sehr lange) Kapitel kurz
Tiere im Buch: + Es werden im Buch keine Tiere verletzt, gequält oder getötet. Jedoch werden Tierversuche als normal und notwendig präsentiert – was nicht der Wahrheit entspricht. Für mehr Informationen zum Thema schaut unbedingt beim tollen Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ vorbei!
Triggerwarnung: sexualisierte Gewalt, Mobbing, Tod von Kindern (detaillierte Beschreibung), Tod von Menschen, Trauer, Blut, Trauma (PTBS);
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Miststück, Schla+++

Warum dieses Buch?

Hier hat mich tatsächlich einmal einfach nur der Klappentext neugierig gemacht. Dieses Mal habe ich mir vor dem Lesen gar keine Rezensionen angeschaut, weil ich mich überraschen lassen wollte.

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

„Ganz am Anfang war er nicht mehr als eine einzige Zeile Code. Eine schlichte Sequenz, die für sich allein genommen nichts bedeutete. Dafür brauchte es Tausende weiterer solcher Zeilen. Nun, drei Jahre später, ist er ein komplexes Gespinst aus Gleichungen und Algorithmen.“ E-Book, Position 41

… der Schreibstil. Dass der vorliegende Jugendthriller das Debüt von Naomi Gibson sein soll, kann man fast nicht glauben, wenn man ihre fesselnde Geschichte liest. Die Autorin schreibt sehr flüssig und anschaulich, für ein Jugendbuch überraschend komplex (aber nicht zu kompliziert!) und verwendet vereinzelt auch gelungene, kreative Vergleiche. Auch die dynamischen Dialoge konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Da ist es kein Wunder, dass sich das Buch (das übrigens auch gut von Erwachsenen gelesen werden kann) unheimlich schnell weglesen und kaum zur Seite legen lässt. (5 Lilien ♥)

„Meine Mum hat sich geweigert, unser Haus zu verkaufen, nachdem Henry gestorben ist und Dad uns verlassen hat. Und so klappern wir in dem viel zu großen Gebäude herum wie die letzten beiden Tabletten in einem einstmals vollen Röhrchen.“ E-Book, Position 366

… die Unvorhersehbarkeit. Die Autorin konnte mich mit ihrer mitreißenden Geschichte und ihren unvorhersehbaren, unerwarteten Wendungen immer wieder überraschen. Dass manche Vorkommnisse nicht ganz realistisch waren, hat mich dabei nicht weiter gestört – das verbuche ich unter „künstlerischer Freiheit“. (5 Lilien ♥)

… die Spannung. Das Spannungslevel war während der Lektüre fast durchgehend sehr hoch – obwohl die Geschichte am Anfang ein paar Kapitel braucht, bis sie ins Rollen kommt. Aber spätestens ab der zweiten Hälfte konnte ich das Buch (bis zum aus meiner Sicht gelungenen Schluss) nur mehr schwer aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. (4 Lilien)

„‘Dieser Chip ist mein neues Format. Ich kann mein gesamtes Programm darauf speichern.‘ […]
‚Und den stecken wir dann in mein Handy?‘
‚Nein, den stecken wir in dich.‘“ E-Book, Position 495

… die Themen und ihre Verarbeitung. Naomi Gibson behandelt in ihrem Jugendthriller ernste Themen wie Schuld, Machtmissbrauch, Trauer, Mobbing, Einsamkeit und Rache erstaunlich tiefgründig und traut ihrem jungen Zielpublikum einiges zu, was ich sehr schätze. Auch philosophische Fragen werden altersgerecht diskutiert. Zum Beispiel: Kann eine KI Gefühle entwickeln und moralisch handeln? Welche Möglichkeiten, aber auch Gefahren bringen KIs mit sich? Und wie gefährlich ist eine KI, die beinahe allmächtig ist und von niemandem mehr gestoppt werden kann? Meiner Meinung nach würde sich das Buch auch hervorragend als Schullektüre eignen und sicher spannende Diskussionen auslösen (z. B. über Lydias Verhalten, mit dem sie immer wieder moralische Grenzen überschreitet). Doch Achtung: Der Tod von Lydias Bruder wird unerwartet detailliert, albtraumhaft und blutig beschrieben, was jüngere Leser·innen verstören könnte. Deswegen und wegen Lydias oft unmoralischem Handeln sollte die Altersempfehlung von mindestens 13 Jahren auf jeden Fall ernst genommen werden! (5 Lilien ♥)

… die Figuren. Die Figuren sind dreidimensional und liebevoll ausgearbeitet. So wird zum Beispiel aufgezeigt, wie unterschiedlich 4 Menschen mit ihrer Trauer umgehen und sogar eine Mobberin zeigt ihre verletzliche Seite, was mir sehr gut gefallen hat. (4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… die Protagonistin. Es hat etwas gedauert, bis ich mit Lydia warm geworden bin. Das lag daran, dass sie teilweise moralisch sehr fragwürdig handelt und im Laufe des Buches immer mehr zur Bösewichtin wird. Zum Beispiel hackt sie Banken, stiehlt Geld und ändert ihre Noten in der Schuldatenbank – und das alles (zumindest am Anfang) ganz ohne schlechtes Gewissen. Trotzdem ist sie mir nach einer Weile sympathisch geworden, weil ich begonnen habe, ihre Verzweiflung, Einsamkeit, Wut und Trauer (nach dem Tod ihres Bruder und dem Auszug des Vaters) zu verstehen. Ich mochte ihre Intelligenz und ihren Erfindergeist sehr und konnte ihr schlechtes Gewissen und ihre Zweifel, die sich im Laufe des Buches zum Glück immer stärker melden, sehr gut nachvollziehen. (3,5 Lilien)

… der Feminismus. Naomi Gibson hat einige intelligente und starke weibliche Figuren in ihre Geschichte geschrieben. Allen voran natürlich die hoch begabte Programmiererin Lydia und ihre Mutter, die als Wissenschaftlerin in einem Labor arbeitet. Dass es auch vereinzelt Geschlechterstereotypen und -klischees gibt, kann ich verzeihen. Sehr problematisch finde ich hingegen das Verhalten eines Freundes von Lydia, der die Grenze zur sexualisierten Gewalt klar überschreitet, was mich beim Lesen sehr wütend gemacht hat. Zum Beispiel versucht er die Protagonistin gezielt mit Alkohol abzufüllen und so ins Bett zu bekommen (zu diesem toxischen Verhalten kann ich euch den großartigen Film „Promising Young Woman“ nur wärmstens ans Herz legen ♥) und als sie sich weigert, mit ihm zu schlafen, baut er Druck auf, bedrängt sie und wirft ihr vor, dass sie ihn zuerst „heiß gemacht“ hätte und fragt, warum sie dann überhaupt hergekommen sei. Solche Vorfälle beinahe unkommentiert stehen zu lassen, finde ich bei einem Jugendbuch extrem gefährlich! Hier wäre es wichtig gewesen, dass dieses Verhalten klar als sexualisierte Gewalt benannt und kritisiert wird! Ich kann nur hoffen, dass die Autorin inzwischen mehr Sensibilität für das Thema entwickelt hat. (3 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

Mit ihrem Debüt „Seeing What You See, Feeling What You Feel” hat Naomi Gibson einen rundum gelungenen, brandaktuellen, tiefgründigen und mitreißenden Jugendthriller vorgelegt, der auch als Schullektüre sehr gut geeignet ist und spannende Diskussionen auslösen wird. Punkten kann das Jugendbuch mit seinem angenehmen, überraschend komplexen Schreibstil, seiner Unvorhersehbarkeit, seiner Spannung, den ernsten Themen, den philosophischen Fragen und den dreidimensionalen Figuren. Zwiegespalten stand ich lediglich der oft moralisch fragwürdig handelnden Protagonistin gegenüber, und problematisch fand ich die im Buch vorkommende sexualisierte Gewalt, die nicht klar genug benannt und kritisiert wird, wofür es auch einen halben Stern Abzug gibt. Insgesamt kann ich euch (und euren jugendlichen Nichten, Söhnen und Schwestern) „Seeing What You See, Feeling What You Feel” aber guten Gewissens empfehlen – zumindest wenn ihr euch für das Thema „künstliche Intelligenz“ interessiert und beim Thema „Realitätsnähe“ ein Auge zudrücken könnt!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 3,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 3 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.02.2021

Spannender, wendungsreicher Thriller mit düsterer, märchenhafter Atmosphäre und unheimlichem Setting!

Der Mädchenwald
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Es sollte der beste Tag ihres Lebens werden: Elissa, 13 Jahre, ist für das Schachturnier perfekt vorbereitet. Als sie jedoch in einer Pause etwas aus dem Auto holen will, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Es sollte der beste Tag ihres Lebens werden: Elissa, 13 Jahre, ist für das Schachturnier perfekt vorbereitet. Als sie jedoch in einer Pause etwas aus dem Auto holen will, wird sie in einen Lieferwagen gezerrt und entführt. In einem dunklen Keller ist sie ganz allein – bis ein seltsamer Junge beginnt, sie zu besuchen. Elissa weiß nichts über Elijah. Ist er gefährlich? Sie weiß nur Eines: Wenn sie es richtig anstellt, ist er vielleicht ihre einzige Chance, das hier zu überleben…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler und Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: + / - Ein Hirsch wird bei der Jagd getötet, eine Elster tötet Küken. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Tieren, Blut, Erbrechen, Gewalt gegen Kinder, Entführung, Suizid, Fehlgeburt, Drogen;
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++ (mehrmals)

Warum dieses Buch?

Der gruselige Klappentext und die vielen begeisterten Rezensionen auf Goodreads haben mich neugierig gemacht!

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der mysteriöse Einstieg in die Geschichte. Bereits die ersten Seiten haben mich neugierig gemacht, ich habe daher ohne Probleme ins Buch gefunden. (5 Lilien ♥)

„‘Ich hoffe, Gretel geht es gut.‘
‚Gretel?‘, fragt Papa.
Sofort habe ich ein komisches Gefühl im Bauch, eine schmierige Glitschigkeit, als wäre da eine Schlange in mir, die sich windet und ringelt. Gretel, fällt mir wieder ein, ist ein Geheimnis.“ E-Book, Position 48

… der Schreibstil. Sam Lloyd schreibt flüssig und einfach, wodurch man nur so durch die Seiten fliegt! Egal ob bei einer Szene die Spannung oder die Gefühle im Mittelpunkt stehen – der Autor kann mit seiner Sprache punkten! (5 Lilien ♥)

… die Figuren. Nur Mairéad blieb für meinen Geschmack ein wenig blass (sie hat auch die wenigsten Kapitel), die anderen beiden Protagonist/innen überzeugen auf ganzer Linie. Während mich die rätselhaften Kapitel aus Elijahs Sicht gleichzeitig fasziniert und misstrauisch gemacht haben, hat mich die intelligente, mutige Elissa (die mich sehr an Beth aus "Das Damengambit" erinnert hat) mit ihrer Ruhe und ihrem pragmatischen Denken in Gefangenschaft sehr beeindruckt! Ich habe richtig mit ihr mitgefiebert und mir so gewünscht, dass es für sie ein Happy End gibt. Die wenigen Nebenfiguren haben nur sehr kleine Rollen, doch auch hier gibt es nichts auszusetzen. (5 Lilien)

… die Atmosphäre. Im Buch herrscht eine rätselhafte, düstere, unheimliche Stimmung, die mich auch aufgrund des Settings (einsamer, abgelegener Wald) sehr an ein Märchen erinnert und mir immer wieder eine Gänsehaut beschert hat. Man hat wirklich das Gefühl, beim Lesen in eine andere Welt einzutauchen und will immer noch mehr entdecken. Stellenweise hatte ich gefühlt 1000 Fragen, die auf die ich gar nicht schnell genug eine Antwort finden konnte. (5 Lilien ♥)

… die Spannung und die vielen unerwarteten Wendungen. Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, das so viele überraschende Twists zu bieten hatte wie „Der Mädchenwald“. Beim Lesen blieb mir immer wieder der Mund offen stehen – und das liebe ich bei Thrillern! Zudem war das Buch stellenweise so spannend, dass ich es kaum zur Seite legen konnte. (5 Lilien ♥)

„Die Dunkelheit pulsiert, als wäre sie lebendig wie eine tintenschwarze Lunge. ‚Hallo Elijah‘, antwortet sie.“ E-Book, Position 3149

… die Grundidee, die Themen und die Umsetzung. Mit seinem gelungenen Plot, der Auswahl der Themen (Liebe, Verlust, Familie, Trauma, Überleben) und der für einen Thriller auch angemessen tiefgründigen Umsetzung konnte mich „Der Mädchenwald“ wunderbar unterhalten und auf ganzer Linie überzeugen. (4,5 Lilien)

„Vor mir nehme ich eine Bewegung wahr. Das könnte alles Mögliche sein, aber es gibt nur einen, vor dem ich mich fürchte. […] Manchmal habe ich Angst, dass seine Macht über mich stärker wird, je öfter ich seinen Namen ausspreche […]“ E-Book, Position 106

… das ausgeglichene Geschlechterverhältnis. Eine feministische Analyse lässt mich sehr zufrieden zurück, da der Thriller den Bechdel-Test besteht, viele starke, intelligente, mächtige und beruflich erfolgreiche weibliche Figuren enthält und mit Geschlechterstereotypen bricht! Dafür gibt es ein großes Lob! Lediglich bei der Polizei scheinen noch Spuren einer gläsernen Decke vorhanden zu sein, da die höchsten Positionen doch noch von Männern bekleidet werden. Die mehrmalige Verwendung von frauenfeindlichen Beleidigungen (Schla+++) verzeihe ich, weil diese nur aus dem Mund der „Bösen“ kamen. (5 Lilien ♥)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… das Ende. Einerseits fand ich es schön, dass es hier noch einmal emotional wurde (ich war kurz davor, bei einem Thriller Tränen zu vergießen, ist das zu fassen?), anderseits war mir der letzte Teil des Buches doch eine Spur zu dramatisch (nicht alle Handlungen konnte ich nachvollziehen) und vielleicht war es auch eine Wendung zu viel am Schluss. Doch das ist wirklich Kritik auf hohem Niveau! (3,5 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

„Der Mädchenwald“ ist ein spannender, wendungsreicher Thriller mit düsterer, unheimlicher und märchenhafter Atmosphäre, der mich wunderbar unterhalten konnte und mir so manchen Gänsehautmoment beschert hat. Der mysteriöse Einstieg in die Geschichte, der flüssige, angenehme Schreibstil, die interessanten Figuren, die angemessen tiefgründige Behandlung von Themen wie Verlust und Trauma, die überraschenden Wendungen, die dichte Atmosphäre, die atemlose Spannung und das faszinierende Setting konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Lediglich der letzte Teil des Buches war mir etwas zu dramatisch und am Schluss war es mir vielleicht auch ein Twist zu viel – aber das ist Kritik auf hohem Niveau! Beim Lesen blieb mir immer wieder der Mund offen stehen – und genau so muss das bei Thrillern sein! Von mir gibt es deshalb eine klare Leseempfehlung - ich habe mein erstes Jahreshighlight gefunden. Wenn ihr euch traut, folgt Sam Lloyd doch in den Mädchenwald hinein – aber verirrt euch nicht!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4,5 Lilien
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 3,5 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonist/innen: 4,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.10.2020

Spannende, tiefgründige deutsche Dystopie mit starker, sympathischer Heldin!

Wir Verlorenen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine Pandemie hat die Welt, wie wir sie kennen, zerstört. An einem Ort voller Gefahren – Hunger, Krankheiten, Kannibalenringe, fanatische Sekten und Menschenhändler – ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine Pandemie hat die Welt, wie wir sie kennen, zerstört. An einem Ort voller Gefahren – Hunger, Krankheiten, Kannibalenringe, fanatische Sekten und Menschenhändler – versucht Smilla zusammen mit ihrer kleinen Schwester und anderen Menschen in einem Bunker zu überleben. Doch als unvorhergesehene Ereignisse eintreten, muss sich Smilla fragen, wem sie noch vertrauen und woran sie überhaupt noch glauben kann…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 1 einer Reihe (Band 2 erscheint im Herbst 2021)
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: - Es werden verschiedene Tiere für Nahrung getötet, um zu überleben (Kaninchen, Rehbock, Fische, Hühner, Meerschweinchen), ein Hund wird in Notwehr verletzt. Die Beschreibungen gehen nur selten ins Detail. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, sexualisierte Gewalt (versuchte Vergewaltigung), Trauer;

Warum dieses Buch?

Da gibt es viele Gründe: Das Buch wurde mit einer Software entdeckt, was ich unheimlich interessant finde. Außerdem wird die Geschichte als „deutsche Antwort auf die Tribute von Panem“ beschrieben und sogar die ZEIT und der ZDF werden laut Verlag über die Dystopie berichten. Deshalb führte für mich an diesem Buch kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Einstieg (4 Lilien)

„Die Plage war vor etwas mehr als vier Jahren in Nordamerika ausgebrochen und hatte sich in rasender Geschwindigkeit auf die ganze Welt ausgeweitet. Die Inkubationszeit war kurz, der Tod folgte schon wenige Stunden nach Ausbruch der Krankheit. Alles ging so schnell, dass Forschung und Pharmaindustrie keine Zeit geblieben war, ein Gegenmittel zu entwickeln.“ E-Book, Position 154

Der Beginn der Geschichte fühlte sich für mich etwas langsam an; es war aber trotzdem interessant, Smillas Welt kennenzulernen. Ich habe gut ins Buch gefunden.

Schreibstil (5 Lilien ♥)

„Ihr Treffen hatte kein würdiges Ende genommen. Es war einfach abgerissen und blutete nun in ihr Bewusstsein wie eine offene Wunde.“ E-Book, Position 1672

Den Schreibstil der Autorin habe ich als sehr anschaulich, angenehm und flüssig wahrgenommen – man fliegt nur so durch die Seiten! Die Sprache und vor allem die Satzstrukturen sind dabei für ein Jugendbuch überraschend komplex, aber nicht zu schwer zu verstehen. Jana Taysen traut ihrem Zielpublikum durchaus etwas zu, was ich sehr erfrischend finde! Auch die Dialoge wirkten auf mich sehr lebendig und authentisch – ich habe sie sehr gerne gelesen. Den Humor mochte ich ebenfalls.

Idee, Inhalt, Themen & Ende (5 Lilien ♥)

„‘Ich kann mit den Dingen leben, die ich getan habe, um zu überleben. Kannst du es?‘“ E-Book, Position 4111

Mit „Wir Verlorenen“ hat Jana Taysen eine spannende, tiefgründige deutsche Dystopie geschrieben, die zwar für mich nicht ganz an „Die Tribute von Panem“ (eines meiner absoluten Lieblingsbücher!) herankommt, die mich aber dennoch einige Stunden sehr gut unterhalten konnte. Am Beginn gibt es zwar manche Parallele zum genannten Buch, doch mit jeder gelesenen Seite merkt man deutlicher, dass die Autorin hier etwas Eigenständiges geschaffen hat.

In kleinen Häppchen erfahren wir immer mehr über die gefährliche Realität, in der Smilla mit ihrer Schwester lebt – auf ausuferndes Infodumping wird dabei zum Glück verzichtet. Und es ist eine interessante Welt, in die wir hier eintauchen dürfen – unweigerlich erkennt man Parallelen zur aktuellen Pandemie-Situation. Thematisch stehen die Herausforderungen des täglichen Überlebens (wie Körperpflege, Ernährungsbeschaffung etc.), das Erwachsenwerden in einer dystopischen Welt, die erste Liebe, Familie, Trauer und die ständige Angst im Vordergrund. Auch moralische und philosophische Fragen werden tiefgründig diskutiert – das ist für mich eine der größten Stärken dieses Jugendbuches! Die Autorin stellt Fragen wie: Wie weit kann, darf und muss man vielleicht sogar gehen, um zu überleben? Wie viel Schuld lädt man dabei auf sich? Ab wann verliert man sich dabei selbst? Und: Ist es das wert?

Man merkt, dass die Geschichte sehr gut durchdacht ist, denn größere Logiklöcher sind mir nicht aufgefallen. „Wir Verlorenen“ gipfelt schließlich in einem großartigen, intensiven Ende (mit Cliffhanger natürlich, wie sich das bei einem Reihenauftakt gehört!), das zumindest bei mir große Vorfreude auf die Fortsetzung geweckt hat. Diese werde ich auf jeden Fall auch lesen – ich kann es kaum erwarten!

Protagonistin & Figuren (5 Lilien ♥ & 4 Lilien)

Mit Smilla hat Jana Taysen eine sehr sympathische Heldin geschaffen, die ich wirklich gerne begleitet habe. Sie ist einerseits empathisch und sensibel, hat sich aber andererseits, um in dieser harten Welt überleben zu können, auch eine härtere Schale zugelegt. Smilla kann besonders Mädchen als Vorbild dienen: Sie ist stark und mutig und lässt sich von keinem etwas sagen. Im Laufe des Buches macht sie eine glaubwürdige Entwicklung durch. Die Autorin schildert ihre Gedanken- und Gefühlswelt, ihre Zweifel und Hoffnungen sehr intensiv, sodass Smilla sehr echt und dreidimensional wirkt. Ich konnte ihr Verhalten fast immer nachvollziehen und fühlte mich ihr beim Lesen sehr nah.

Auch die anderen wichtigen Figuren sind gut gelungen, lediglich ein paar der Nebenfiguren bleiben ein wenig blass, was ich aber gerne verzeihe. Besonders gefallen hat mir hier, dass es einige Figuren gibt, die sich nicht so leicht in „gut“ und „böse“ einteilen lassen (Falk, Giorgio, Nadja).

Liebesgeschichte (2 Lilien)

Das Einzige, was mir an diesem Buch nicht gefallen hat, waren die Liebesgeschichte und der Love Interest an sich. Falk ist zwei Jahre jünger als Smilla, war vor der Plage ihr Nachhilfeschüler und hat sie in seiner Freizeit gerne gestalkt. Ich bin selbst Nachhilfelehrerin und fühle mich von dieser Konstellation und von Falks gruseligem Verhalten (Smilla sagt selbst, dass er ein „Creep“ ist, und das stimmt!) nicht angesprochen. Ein Kribbeln wollte sich bei mir beim Lesen deshalb nicht einstellen.

Trotzdem fand ich die Beziehung zwischen den beiden sehr interessant, da sie oft sehr unterschiedliche Ansichten haben und Falk Smilla mit seinen oft drastischen Aussagen auch immer wieder aus ihrer Komfortzone lockt und zum Nachdenken bringt. Als harmonisch kann dieses Paar jedenfalls nicht bezeichnet werden, da die beiden eigentlich immer, wenn sie den Mund aufmachen, zu streiten beginnen. Es ist erfreulich, dass Smilla so stark ist und sich nicht „unterbuttern“ lässt, denn Falk vertritt seine Meinung sehr bestimmt – eine schwächere Frau wäre neben ihm wohl untergegangen.

Spannung (4 Lilien) & Atmosphäre (4 Lilien)

Trotz der etwas längeren Kapitel gelingt es der Autorin, von Beginn an langsam Spannung aufzubauen und diese bis zum Ende zu steigern. Irgendwann konnte ich das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Ich fand das Erzähltempo gerade richtig, da trotzdem auch Zeit für ruhige Momente und für die Charakterentwicklung war.

Das Buch enthält einige sehr atmosphärische Szenen. Besonders jene Momente, in denen Figuren düstere Seiten offenbaren oder Smilla Angst bekommt, fand ich sehr mitreißend und gelungen geschildert. Man bekommt zudem ein gutes Gefühl für die dystopische Welt – den langweiligen Alltag, den beklemmenden, engen Bunker, die ständige Angst, die harte körperliche Arbeit –, in der Smilla und ihre Schwester leben.

„[…] jede neue Bekanntschaft stellte eine weitere unbekannte Variable in der Gleichung des Überlebens da.“ E-Book, Position 746

Feministischer Blickwinkel (4 Lilien)

Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Miststück

Ich würde das Buch als recht feministisch beschreiben: Es hat (neben anderen starken weiblichen Figuren) eine mutige Heldin, die sich nichts sagen lässt, besteht den Bechdel-Test locker und bricht mit Geschlechterstereotypen. Problematisch finde ich nur die Verwendung des Wortes „Pu++y“, die einmalige Aussage, dass Frauen schutzbedürftig seien, und das gruselige Stalker-Verhalten von Falk, das mir zu sehr romantisiert wird. Ich bin jedenfalls insgesamt mit diesem Buch zufrieden – so kann es auch in Band 2 weitergehen!

Mein Fazit

Mit „Wir Verlorenen“ hat Jana Taysen eine spannende, tiefgründige deutsche Dystopie geschrieben, die zwar für mich nicht ganz an „Die Tribute von Panem“ (eines meiner absoluten Lieblingsbücher!) herankommt, die mich aber dennoch einige Stunden sehr gut unterhalten konnte. Überzeugen konnten mich der angenehme, anschauliche und überraschend komplexe Schreibstil, die starke, mutige Hauptfigur, die interessanten Nebenfiguren, die sich nicht in „gut“ und „böse“ einteilen lassen, die Spannung, die Atmosphäre, die tiefgründige Behandlung der Themen und die moralischen Fragen, die im Buch gestellt werden. Lediglich die Liebesgeschichte konnte mich aufgrund der Vergangenheit der beiden und Falks Stalker-Verhalten nicht überzeugen. Die Fortsetzung werde ich auf jeden Fall lesen – ich kann es kaum erwarten! Ich kann euch dieses Buch deshalb nur wärmstens ans Herz legen.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 4,5 Lilien
Worldbuilding: 4 Lilien
Einstieg: 4 Lilie
Ende / Auflösung: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Liebegeschichte: 2 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien

Insgesamt:

❀❀❀❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir viereinhalb Lilien!

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