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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2022

Fesselnde, berührende, überraschend tiefgründige Dystopie! Herzensbuch! ♥

Das Licht der letzten Tage
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein tödliches Virus hat den Großteil der Menschheit dahingerafft. 20 Jahre später haben sich Musiker·innen und Schauspieler·innen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Ein tödliches Virus hat den Großteil der Menschheit dahingerafft. 20 Jahre später haben sich Musiker·innen und Schauspieler·innen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, die sich die „Symphonie“ nennt. Gemeinsam reisen sie durch eine leere, verwüstete Welt, erinnern sich an all die Dinge zurück, die damals so wunderschön und selbstverständlich waren, und versuchen, mit ihren Shakespeare-Aufführungen den verbliebenen Menschen etwas Hoffnung und Menschlichkeit zurückzugeben. Denn: „Überleben allein ist unzureichend.“

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Allwissender Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive
Kapitellänge: kurz
Tiere im Buch: + Im Buch werden Tiere für Nahrung getötet (Rehe, Fische), aber es gibt keine genauen Beschreibungen. Es werden keine Tiere gequält.
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Tod von Kindern, Tod von Tieren, Pandemie, Krankheit, Blut, (sexualisierte) Gewalt, Suizid, psychische Krankheiten
Gegenderte Beleidigungen:
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Warum dieses Buch?

Dieses Buch verstaubte jahrelang in meinem Regal, bis ich es im Jänner endlich begann (weil es dazu jetzt auch eine Serie gibt) – und es nach wenigen Seiten wieder abbrach. Als ich sah, dass eine Bloggerkollegin das Buch im April lesen wollte, hatte ich die Hoffnung, dass mich eine gemeinsame Leserunde dazu motivieren würde, es endlich durchzuziehen. Und das hat dann ganz wunderbar geklappt!

Meine Meinung

Ruhig, eindringlich, wunderschön (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

„Und in diesem Moment hatte Jeevan plötzlich das todsichere Gefühl, dass dies hier, diese Krankheit, die Hua ihm beschrieben hatte, eine Trennlinie zwischen einem ‚Vorher‘ und einem ‚Nachher‘ bedeuten würde, eine Linie, die durch sein Leben lief.“ Seite 31

Wahrscheinlich war es das Cover, das mich einen eher seichten Endzeitroman erwarten ließ. Von der ruhigen Eindringlichkeit, der Komplexität, den authentischen Dialogen und der berührenden Schönheit der Sprache mit ihren unvergesslichen Metaphern wurde ich daher vollkommen überrascht! Es hat nur ein paar Seiten gedauert, bis ich mich in den Schreibstil verliebte und merkte: Diese Frau kann erzählen – und wie!

Schönheit, Grauen & Hoffnung (Inhalt & Themen: 5 Lilien ♥)

„Beim Zusammenbruch verloren ging: So gut wie alles, so gut wie alle, aber es ist immer noch so viel Schönheit geblieben.“ Seite 73

Als Dystopie-Fan habe ich schon viele Bücher über den Weltuntergang gelesen, aber noch keine Endzeitgeschichte hat mich so eiskalt erwischt wie „Das Licht der letzten Tage“. Emily St. John Mandel beschreibt die Apokalypse, das Unaussprechliche, so realistisch, so greifbar, so bildhaft, dass man beim Lesen unweigerlich eine Gänsehaut bekommt – besonders in Pandemiezeiten. Obwohl ich schon viele Dystopien gelesen habe, hatte ich bei dieser zum ersten Mal das Gefühl, wirklich zu BEGREIFEN, was es heißt, sich in einem Hochhaus zu verbarrikadieren, während draußen die Welt untergeht, und was es heißt, alleine und frierend durch die Wildnis zu stapfen und dabei panische Angst vor anderen Menschen zu haben, weil man nicht weiß, ob sie einem etwas antun wollen. Viele Leute sind so traumatisiert von diesem ersten, sehr schlimmen Jahr, dass sie sich später nicht einmal mehr daran erinnern können. Faszinierenderweise entstehen das Grauen und der Horror in „Das Licht der letzten Tage“ oft zwischen den Zeilen, nämlich in unserer Fantasie – und das ist effektiver als es detaillierte Beschreibungen von Blut und Gewalt je sein könnten.

Ein Bild, das mir wohl nie wieder aus dem Kopf gehen wird, ist jenes des Air-Gradia-Flugzeugs, das Infizierte an Bord hat. Nach der Landung bleibt das Flugzeug ganz am Ende der Landebahn stehen. Es kommt NIE jemand heraus. Was sich in den letzten Stunden wohl im Flieger abgespielt haben mag – was wohl notwendig war, um die Türen geschlossen zu halten – die Leser·innen dürfen es sich selbst (in aller Grausamkeit) ausmalen. Neben dem Grauen und den Gefahren der neuen Welt ist – und das ist das Besondere an „Das Licht der letzten Tage“ – aber auch Platz für Schönheit, Kunst, Menschlichkeit und Hoffnung in Form von wilder Natur, Lost Places, Kameradschaft, Freundschaft, Musik und Shakespeare-Aufführungen.

Erzählt wird die Geschichte dabei aus vielen verschiedenen Perspektiven und mithilfe von unzähligen Zeitsprüngen und Rückblenden. Wer das nicht mag und auch das gelegentliche Aufblitzen von Langatmigkeit nicht so leicht (wie ich in diesem Fall) verzeiht, wird mit dem „Licht der letzten Tage“ nicht viel Freude haben. Mich aber hat dieses tiefgründige Buch aufgewühlt, berührt und begeistert und ich habe es absolut geliebt! Und falls ihr euch jetzt fragt, ob ich beim Lesen auch Tränen vergossen habe: Nein, aber ich war oft seitenlang auf der Kippe, ich war seitenlang ganz kurz davor, loszuheulen. Das hatte ich bis jetzt noch bei keinem Buch. Dass „Das Licht der letzten Tage“ von der Kritik in den Himmel gelobt wurde und sogar für einige Preise nominiert war bzw. diese sogar gewonnen hat (was ich erst während der Lektüre erfahren habe), wundert mich überhaupt nicht. Für mich ist „Das Licht der letzten Tage“ ein absolutes Jahreshighlight und unvergessliches Herzensbuch – und vielleicht sogar das beste Buch des Jahres!

Zog mich vollkommen in seinen Bann (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

„Von allen Personen, die in der dieser Nacht in der Bar gewesen waren, war der Barkeeper derjenige, noch am längsten leben sollte. Er starb drei Wochen später auf der Straße, über die er die Stadt verlassen wollte.“ Seite 24

Eigentlich wollte ich dieses Buch mit einer Kollegin gemütlich den ganzen April hindurch lesen. Das war aber ab einem gewissen Punkt (kämpft euch unbedingt durch die ersten, etwas schwerfälligen Kapitel, es lohnt sich!) nicht mehr möglich – die Geschichte hat mich mit ihrer dichten Atmosphäre einer leeren, verwüsteten Welt so gefesselt und in ihren Bann gezogen, dass ich sie kaum noch weglegen konnte. Und wenn ich es doch tat, musste ich die ganze Zeit daran denken.

Vielschichtig & authentisch (Figuren: 4 Lilien)

Auch die vielschichtigen, authentischen Figuren (die oft nicht mit ihrem Namen, sondern ihrem Instrument bezeichnet werden, z. B. die „fünfte Gitarre“) sind gut gelungen, was vor allem daran liegt, dass sich die Autorin viel Zeit für ihre Ausarbeitung nimmt. Die vielen Perspektiven erlauben es den Leser·innen, sich ein Gesamtbild von der Situation kurz nach dem Ausbruch der Krankheit zu machen. Die meisten der Figuren mochte ich sehr, einige hätte ich gerne noch näher kennengelernt und nur zu wenigen fand ich keinen richtigen Zugang. Besonders gut gefallen hat mir, dass wir es in der Post-Apokalypse weder mit Heiligen noch mit eindeutigen Bösewichten zu tun haben. Alle Figuren sind ein Produkt ihrer schwierigen Vergangenheit, niemand ist frei von Schuld. Wer bis zu diesem Punkt überlebt hat, hat das nur geschafft, weil er bereit war, sein Leben kompromisslos zu verteidigen.

Keine Beschwerden (Feminismus: 4 Lilien)

Aus feministischer Sicht gibt es nicht viel auszusetzen. In der Geschichte treffen wir auf viel Diversität (alte, junge, schwule, heterosexuelle Charaktere und verschiedene Hautfarben) und viele starke weibliche Figuren (zum Beispiel auf eine exzellente Messerwerferin und eine Dirigentin, die eine Gruppe anführt), was ich toll finde. Vereinzelte Geschlechterstereotype und Klischees fallen da nicht ins Gewicht.

Nicht wiederzuerkennen (Serie: 2 Lilien)

Gerade weil mir das Buch so gut gefallen hat, wollte ich mir im Anschluss daran sofort die Serie anschauen. Auf hohe Erwartungen folgte große Enttäuschung. Es wurden so unglaublich viele Dinge verändert – und zwar nicht Kleinigkeiten, sondern ganz zentrale Elemente (Handlung, Motivationen, Wendungen, ganze Figuren, mehr Drama, mehr Action), sodass ich die Geschichte und Figuren, die ich so geliebt hatte, leider kaum wiedererkannt habe. Es gab zwar durchaus ein paar starke Momente, ich mochte die Diversität und der Soundtrack ist wundervoll – aber für mich fühlte sich die Serie beim Schauen einfach falsch an. Die Dialoge sind zudem belanglos und prätentiös und in der zweiten Hälfte der Staffel wurde es dann so langweilig und teilweise absurd, dass ich mich durch die restlichen Folgen nur noch durchgequält habe. Es hat sich leider nicht gelohnt. Deshalb meine Empfehlung: Haltet euch lieber ans großartige Buch und verzichtet auf diese Verfilmung!

Mein Fazit

Selten zuvor habe ich ein Buch gelesen, das mich so emotional aufgewühlt, berührt und gefesselt hat wie „Das Licht der letzten Tage“. Und nie zuvor habe ich eine Dystopie gelesen, die auf so einzigartige, tiefgründige Weise Schönheit, Hoffnung und Grauen verbindet. „Das Licht der letzten Tage“ ist ein Buch, das lange nachhallt und das man wahrscheinlich nie vergisst. Für mich ist dieser Roman jedenfalls ein absolutes Herzensbuch – und vielleicht sogar das beste Buch des Jahres. Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit: 5 Lilien ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 5 Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.04.2022

Mitreißend, tiefgründig, emotional – und noch besser als Band 1! Jahreshighlight!

Wir Verstoßenen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer dystopischen Welt sucht eine verzweifelte junge Frau ihre geliebte kleine Schwester (9), die von der Gruppe weggelaufen ist und nun alleine in einer Welt voller ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

In einer dystopischen Welt sucht eine verzweifelte junge Frau ihre geliebte kleine Schwester (9), die von der Gruppe weggelaufen ist und nun alleine in einer Welt voller Gefahren herumirrt. Smilla weiß nur eine Sache: Sie muss Jera finden – bevor es jemand anderes tut und koste es, was es wolle…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #2 einer Trilogie
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: - Im Buch werden Tiere verletzt und getötet. Es werden keine Tiere absichtlich gequält. Krähen, Hühner, Ratten werden für Nahrung getötet (keine genauen Beschreibungen), ein Hund wird nach einer tödlichen Verletzung erlöst.
Triggerwarnung: Gewalt, sexualisierte Gewalt, Gewalt gegen Kinder, psychische Krankheiten, Drogen, Alkohol, Blut, Tod von Tieren und Menschen, Trauma
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Warum dieses Buch?

„Wir Verlorenen“ war nach langer Zeit wieder einmal eine richtig gute, mitreißende deutsche Dystopie! Deshalb stand für eine Freundin von mir und mich gleich nach der gemeinsamen Lektüre fest: Band 2 müssen wir unbedingt auch wieder zusammen lesen! Deshalb führte an diesem Buch natürlich kein Weg vorbei.

Meine Meinung

Fesselnd & berührend (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

Ich mochte ja den Schreibstil in Band 1 schon, aber in der Fortsetzung hat sich die Autorin noch einmal selbst übertroffen! Sie erzählt so flüssig, so anschaulich, so fesselnd und emotional mitreißend! Das Buch liest sich deshalb fast von selbst. Unglaublich, aber wahr: Früher hat sich Jana Taysen einmal mit einem Text fürs Studium „Kreatives Schreiben“ beworben. In einer vernichtenden Rückmeldung wurde ihr von irgendeinem empathielosen Menschen „kein Talent“ bescheinigt. Ich hoffe, diese Person bekommt irgendwann dieses Buch in die Finger und liest es. Ich hoffe, sie sitzt dann zu Hause auf ihrem Sofa und schämt sich.

„Jera war das Einzige, das ihr die Plage nicht genommen hatte, und Smilla war für sie verantwortlich. Sie musste sie wiederfinden. Sie ‚musste‘ einfach.“ E-Book, Position 350

Emotionale Achterbahnfahrt (Geschichte, Plot & Themen: 5 Lilien ♥)

Band 1 hat mich damals absolut positiv überrascht – trotzdem war ich zuerst skeptisch, als ich von der Fortsetzung erfahren habe, denn schwache 2. Bände gibt es viele. Doch diese Bedenken war schon nach dem gelungenen Prolog wie fortgewischt – und von da an wurde es nur noch besser! Erneut behandelt die Autorin Themen wie Erwachsenwerden, Überleben in einer postpandemischen Welt, Trauma, Geschwisterliebe, Vertrauen und Hoffnung tiefgründig und stellt auch dieses Mal interessante philosophische und moralische Fragen wie: Wem kann man in einer zerstörten Welt noch vertrauen? Wie viel Platz ist da noch für Mitgefühl? Und: Was ist man bereit zu opfern, um in Sicherheit leben zu können?

Da mein einziger damaliger Kritikpunkt (bei Band 1) in der Fortsetzung keine Rolle mehr spielt, fand ich Band 2 sogar noch besser als den Auftakt. Einige Stunden lang hat mich das Buch bestens unterhalten und nicht mehr losgelassen. Die Geschichte ist wirklich eine emotionale Achterbahnfahrt, während der ich so ziemlich alle Gefühle durchlebt habe, die es gibt: Freude, Erleichterung, Sorge, Traurigkeit, Wut, Angst, Mitgefühl. Ich habe beim Lesen jedenfalls bis zum atemlos spannenden Showdown jede Sekunde genossen und geliebt! Wo bleibt der verdiente Hype? Für mich ist „Wir Verstoßenen“ ein absolutes Jahreshighlight und Lieblingsbuch! Jetzt kommt der schwierige Teil: das Warten auf Band 3.

„Fast niemand hatte mehr eine richtige Familie, weil so viele Menschen an der Plage gestorben, verhungert oder von anderen Überlebenden getötet worden waren.“ E-Book, Position 113

Wenn alles andere warten muss… (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

Das Besondere an dieser Dystopie ist, dass sie sich ganz bodenständig und unaufgeregt präsentiert: Es gibt keine innovative neue Weltordnung, kein ausgefallenes Setting, keine Actionszenen an jeder Ecke. Trotzdem ist gelingt es der Autorin, eine unglaublich dichte Atmosphäre und eine atemlose Spannung zu kreieren. Man hat das Gefühl, man ist wirklich dort; der Körper sitzt vielleicht noch im Lesesessel, aber der Geist streift bereits mit der hungrigen Smilla durch die herbstlichen, feucht-kalten Wälder in einem apokalyptischen Deutschland. Vor allem in der zweiten Hälfte konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. Alles andere musste warten, denn ich wollte nicht nur wissen, wie es weitergeht – ich MUSSTE es wissen! Und zwar nicht am Abend oder am nächsten Tag oder am Wochenende, sondern JETZT SOFORT! Genau so muss das bei einer Dystopie sein!

„Mit ihm zusammen im ‚Davor‘ zu schwelgen, war etwas Wertvolles gewesen. Kleine glänzende Erinnerungen an eine andere Ära, wie goldene Harztropfen, die urzeitliche Insekten umschlossen. “ E-Book, Position 1496

Ans Herz gewachsen (Protagonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 5 Lilien ♥)

Es war total schön für mich, sowohl liebgewonnene Figuren aus dem ersten Band wiederzutreffen als auch neue interessante und vielschichtige Charaktere kennenzulernen (in Julius hab ich mich vielleicht ein bisschen verliebt ♥). Smilla gefiel mir als Protagonistin wieder sehr gut: Sie ist empathisch und neugierig, vielleicht etwas zu naiv und gut für diese gefährliche Welt, doch wenn es darauf ankommt, entwickelt sie oft ungeahnten Mut und wächst über sich hinaus. Nach den Ereignissen im ersten Band hat sie noch daran zu knabbern, was passiert ist. Die Auswirkungen ihres Traumas, das sie noch nicht verarbeiten konnte, werden realistisch und glaubwürdig geschildert. Ich konnte mich jedenfalls wieder super in Smilla hineinversetzen und ihre Gedanken und Gefühle sehr gut nachvollziehen.

Die innige Beziehung zwischen Smilla und ihrer kleinen Schwester Jera, die nicht ohne Reibungspunkte ist, fand ich auch äußerst authentisch und gelungen beschrieben. Viele Figuren sind mir wirklich ans Herz gewachsen, sodass ich sehr mit ihnen mitgefühlt und mitgefiebert und um ihr Schicksal gebangt habe. Ich freue mich schon sehr darauf, einige davon in Band 3 wiederzutreffen!

„‘Früher oder später wirst du auf jemanden treffen, dem du körperlich nicht gewachsen bist. Dann musst du wissen, wie man jemanden gezielt und schnell verletzt.‘“ E-Book, Position 289

Weiter so! (Feminismus: 5 Lilien ♥)

Auch aus feministischer Sicht gibt es wieder nichts auszusetzen. Es gibt in diesem Buch viele starke Frauen (zum Beispiel nüchterne Überlebenskünstlerinnen und eloquente Anführerinnen), sensible Männer und sogar einen alleinerziehenden Vater. Die Auswirkungen der sexualisierten Gewalt, die Smilla in Band 1 widerfahren ist, werden zudem sehr feinfühlig, realistisch und überzeugend thematisiert – das ist etwas, das ich in anderen Büchern oft vermisse. Von meiner Seite gibt es jedenfalls ein großes Lob. Bitte weiter so!

Mein Fazit

Trotz anfänglicher Skepsis (weil ein 2. Band) konnte mich „Wir Verstoßenen“ absolut begeistern und auf ganzer Linie überzeugen. Ich fand es sogar noch besser als den Auftakt. Es ist so fesselnd, mitreißend, tiefgründig und emotional geschrieben, dass ich es ab einem gewissen Punkt nicht mehr weglegen konnte. Ich liebe den Schreibstil, ich liebe die Figuren, ich liebe dieses Buch, ich liebe diese Reihe – und ihr werdet das bestimmt auch! Also: Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 4 Lilien
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 5 Lilien ♥
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 5 Lilien und ein Herz – und damit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.02.2022

Philosophischer Horror-Thriller mit unglaublich unheilvoller Atmosphäre! Lieblingsbuch! ♥

The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Ein junges Paar fährt mit dem Auto durch die winterliche Landschaft Kanadas. Es ist auf dem Weg zu den Schwiegereltern der Protagonistin. Eine unheilvolle Stimmung ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Ein junges Paar fährt mit dem Auto durch die winterliche Landschaft Kanadas. Es ist auf dem Weg zu den Schwiegereltern der Protagonistin. Eine unheilvolle Stimmung überschattet allerdings die Gespräche im Auto. Warum verheimlicht sie ihm, dass sie seit Wochen einen Stalker hat, der ihr Angst macht? Warum erzählt er so gut wie nichts über seine Eltern? Und warum hat man als Leser·in das Gefühl, dass alles auf eine Katastrophe hinauslaufen wird?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: keine Einteilung in klassische Kapitel
Tiere im Buch: - Im Buch kommen verletzte, leidende, kranke und tote Tiere vor. Detaillierte Beschreibungen von kranken Schweinen; Schlachtungen und der Tod von Schweinen und Schafen werden erwähnt.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Krankheit, psychische Erkrankungen, Gewalt, Blut, Suizid, Depressionen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): NICHT bestanden!

Warum dieses Buch?

Gekauft habe ich mir dieses Buch vor Jahren, weil es so polarisiert hat und viele Leute von den unerwarteten Wendungen geschwärmt haben. Dann wurde es erst einmal ein paar Jahre auf den SUB (= Stapel ungelesener Bücher) verbannt, was mir im Nachhinein echt leidtut. Im November hatte ich dann plötzlich total Lust drauf – und es hat mich tatsächlich aus meiner Leseflaute geholt. ♥

Meine Meinung

Einfach, aber nicht oberflächlich (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

„Ich trage mich mit dem Gedanken, Schluss zu machen. Ist der Gedanke erst einmal da, bleibt er haften. Krallt sich fest.“ Seite 7

Iain Reids anschaulicher Schreibstil enthält viele kurze Hauptsätze und lässt sich sehr schnell und flüssig lesen. Wer deshalb aber annimmt, dass er oberflächlich wäre, der irrt gewaltig. Ganz im Gegenteil: In den Dialogen und auch thematisch wird es überraschend tiefgründig.

Wenig Handlung, viele Gespräche & eine Prise Philosophie (Geschichte, Handlung & Themen: 5 Lilien♥)

„Wir können nicht erraten, was der andere denkt, dabei ist das Denken entscheidend. Das Denken ist die Realität, unser Handeln kann nur vorgetäuscht sein.“

Es gibt Bücher, die sind handlungsarm und dabei unglaublich langweilig. Zum Glück gehört „The Ending“ nicht dazu – und das, obwohl es sich handlungstechnisch lange Zeit nicht vom Fleck bewegt. Stattdessen bekommt man eine lange winterliche Autofahrt voller interessanter Anekdoten, philosophischer Fragen und tiefgründiger Dialoge zwischen zwei Liebenden, von denen die eine allerdings gerade heimlich über ein Beziehungsende nachdenkt. Unterbrochen wird der Text durch kursive Gespräche namenloser Leute über eine rätselhafte Katastrophe. Gelangweilt habe ich mich beim Lesen tatsächlich keine einzige Sekunde lang – im Gegenteil, ich habe förmlich an den Seiten geklebt! Die unerwartete Wendung, von der so viele Leute schwärmen, habe ich (als erfahrene Thriller-Leserin) allerdings irgendwie geahnt, trotzdem fand ich die Auflösung sehr gut gemacht.

Unheilvoll, unheilvoller, „The Ending“ (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

„Woher wissen wir, dass etwas bedrohlich ist? Woher kommt dieses Gefühl, dass etwas nicht harmlos ist? Der Instinkt siegt immer über den Verstand.“ Seite 21

Auf dem Cover wird damit geworben, dass man sich bei der Lektüre angeblich fürchten würde, aber nicht wüsste, warum. Kurz: Besser kann man meine Gefühle beim Lesen nicht beschreiben. Das ganze Buch durchzieht eine einzigartig bedrohliche, unheilvolle Atmosphäre, wie ich sie bisher noch in keinem Buch hatte. Und das, obwohl es an der Oberfläche eigentlich nur ein paar Gespräche im Auto und einen Besuch bei den Schwiegereltern gibt. Aber wie so oft spielt sich die Magie zwischen den Zeilen ab! Und da entsteht beim Lesen ganz viel innere Anspannung, Grauen und die immer größer werdende Befürchtung, dass die Geschichte schicksalhaft auf eine große Katastrophe zusteuert, die sich nicht mehr abwenden lässt. Teilweise traut man sich fast nicht umzublättern! Deshalb würde ich „The Ending“ auch als sehr gelungene Genremischung aus Thriller und Horror beschreiben, die mich auf ganzer Linie begeistern konnte!

Interessant & eigenwillig (Protagonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 4 Lilien)

Ich möchte hier nicht zu viel verraten, deshalb nur so viel: Ich fand die nachdenkliche, intelligente Protagonistin sympathisch, konnte ihre Gedankengänge nachvollziehen und habe sie gerne durch die Geschichte begleitet. Auch die anderen Figuren sind eigenwillig und interessant – auch wenn man die meisten davon nur oberflächlich kennenlernt.

Buch > Netflix-Film (Verfilmung: 2 Lilien)

Nur durch Zufall habe ich herausgefunden, dass es sich beim Netflix-Film „I’m Thinking of Ending Things“ um eine Verfilmung des vorliegenden Buches handelt. Gedreht wurde sie von Charlie Kaufman, der für seine künstlerischen, ungewöhnlichen Filme bekannt ist, das Drehbuch wurde zusammen mit dem Autor geschrieben. Das alles klang auf den ersten Blick sehr vielversprechend. Leider folgte dann die große Enttäuschung: Der Film ist abstrus, verwirrend, prätentiös und die extrem bedrohliche Atmosphäre des Ausgangsmaterials geht leider verloren. Ich hatte nur deshalb noch eine ungefähre Ahnung, was vor sich ging, weil ich kurz vorher das Buch gelesen hatte; besonders gegen Ende wird sehr viel verändert. Kurz: Wer das Buch nicht kennt, wird verwirrt sein und wer es kennt, wird verwirrt UND enttäuscht sein. Deshalb gibt es von mir zwar eine große Leseempfehlung für die Buchvorlage, aber leider keine für den Netflix-Film.

Passt schon (Feminismus: 3,5 Lilien)

Aus feministischer Sicht fällt „The Ending“ weder positiv noch negativ auf. Es gibt zum Beispiel eine intelligente, sympathische Hauptfigur, den Bechdel-Test besteht das Buch allerdings leider nicht, was seiner besonderen Erzählweise geschuldet ist. Insgesamt gibt es nichts, was man hier besonders loben oder kritisieren könnte.

Mein Fazit

„The Ending“ ist eine ungewöhnliche, tiefgründige Mischung aus Thriller und Horror mit einem Hauch Philosophie und einer einzigartig intensiven unheilvollen Grundstimmung. Mich hat das Buch deshalb von der ersten Seite bis zur letzten gefesselt und auf ganzer Linie überzeugt! Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 3,5 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2021

Düstere, atmosphärische, ergreifende Graphic Novel – mit liebenswürdigen Figuren, die einem schnell ans Herz wachsen! ♥

Sweet Tooth Deluxe Edition
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine tödliche Seuche bricht aus und rafft den Großteil der Menschheit dahin – gleichzeitig werden plötzlich Hybriden geboren, Mischwesen aus Mensch und Tier. Gus bekommt ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine tödliche Seuche bricht aus und rafft den Großteil der Menschheit dahin – gleichzeitig werden plötzlich Hybriden geboren, Mischwesen aus Mensch und Tier. Gus bekommt von diesem Chaos nichts mit. Behütet und abgeschirmt wächst der Hirsch-Hybride mit seinem Vater in einem Wald auf. Dieser warnt ihn immer wieder vor den Gefahren, die außerhalb des Waldes lauern und beschwört ihn, diesen unter keinen Umständen zu verlassen.

Doch als auch der Vater erkrankt und stirbt, bleibt Gus alleine zurück. Nur wenig später dringen Hybriden-Jäger in den Wald ein und verfolgen Gus. Im letzten Moment wird er von einem brutalen und geheimnisvollen Mann gerettet, der ihm verspricht, ihn an einen sicheren Ort zu bringen. Aber kann Gus ihm wirklich vertrauen? Er muss es riskieren und verlässt zum ersten Mal in seinem Leben den Wald. Eine Reise voller Gefahren beginnt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer dreibändigen Comic-Reihe
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: keine Einteilung in Kapitel, sondern in die einzelnen Comic-Hefte, die in diesem Band enthalten sind
Tiere im Buch: - Tiere und Tiermenschen werden im Buch verletzt, gequält und getötet. Teilweise sogar auf sehr grausame Weise.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, Gewalt, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder, sexualisierte Gewalt, Alkohol, Blut, Verletzungen, Trauer, psychische Krankheiten, Suizid, Trauma, Folter;
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): NICHT bestanden!

Warum dieses Buch?

Ich hatte gerade die erste Folge der neuen Netflix-Serie begonnen, als ich herausfand, dass es dazu eine Comic-Vorlage gibt. Als vorbildliche Vielleserin wollte ich mir die natürlich pflichtbewusst noch schnell vorher zu Gemüte führen.

Meine Meinung

Fesselnd, emotional & ergreifend (Geschichte: 5 Lilien ♥)

Am Anfang hielten sich sowohl meine Begeisterung als auch meine Erwartungen in Grenzen, was wohl vor allem an den gewöhnungsbedürftigen Illustrationen lag. Mit jeder weiteren Seite wurde ich allerdings mehr in Gus‘ Endzeit-Welt hineingezogen. Die spannende, wendungsreiche Geschichte hat mich nach einer Weile emotional nicht länger kaltgelassen und begann, einen starken Sog auf mich auszuüben, sodass ich den ersten Band schon am ersten Abend fast ganz durchgelesen hatte. Überraschend tiefgründig behandelt der Autor Themen wie Trauer, Verlust, Freundschaft, den oft hohe Preis fürs Überleben und die Frage, was überhaupt noch zählt, wenn man alles verloren hat. „Sweet Tooth 1“ enthält sowohl schockierende Horror-Szenen und trostlose, bittere Augenblicke als auch herzergreifende, stille Momente voller Wärme, Liebe und Zuversicht – und somit alles, was ein grandioser Endzeit-Roman braucht! Für mich ist das Buch daher ein absolutes Jahreshighlight und ein neues Lieblingsbuch, das für immer einen Platz in meinem Regal und Herz haben wird.

Gib mir mein Herz zurück! (Protagonist: 5 Lilien ♥, Figuren: 5 Lilien ♥)

Ich konnte das Buch irgendwann nicht mehr zur Seite legen, und zwar weil ich wissen MUSSTE, wie es den liebevoll ausgearbeiteten Figuren, die sich mit jeder Seite mehr in mein Herz geschlichen haben, weiter ergeht. Ich habe mit ihnen mitgefühlt, mitgefiebert und mitgelitten wie selten zuvor mit fiktionalen Menschen, hätte sie oft am liebsten durch die Buchseiten umarmt. Jeder ihrer Verluste wurde zu meinem Schmerz, jeder ihrer Triumphe löste innere Jubelschreie in mir aus! Besonders der liebenswürdige Protagonist Gus und der kleine, süße Bobby, der nicht richtig sprechen kann, weil es ihm aufgrund seines Aussehens niemand je richtig gelernt hat, haben es mir total angetan. Mein Herz, Leute, mein Herz! Kurz: So geht Charakterentwicklung! Da könnten sich einige Autor·innen eine große Scheibe von Jeff Lemire abschneiden.

Düsterer, blutiger, besser als die Netflix-Serie (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

Seit ich die Comic-Vorlage gelesen habe, wirkt die Netflix-Serie auf mich wie ein fader, langweiliger, harmloser Abklatsch der großartigen Originalgeschichte. Die Graphic Novel ist düsterer, blutiger, brutaler, trostloser und enthält mehr Horror-Elemente – und genau das macht die dichte Atmosphäre, den Charme und die Besonderheit dieser Comic-Serie aus! Man hat die Geschichte bei der Adaption kindgerechter gemacht, viel Gewalt gestrichen und Zuversicht addiert. Bekommen hat man ein modernes Märchen, das zwar ein größeres Publikum erreicht, der bedrohliche Charakter des Originals ging dabei allerdings irgendwo auf dem Weg verloren, was ich sehr traurig und schade finde. Ich habe die Netflix-Serie daher nach 5 Folgen abgebrochen und werde mich stattdessen weiterhin an Jeff Lemires Comics halten. Fans der Serie „The Walking Dead“ (die bedrohliche Atmosphäre ist ähnlich) und allen, denen die Serie auch nur ein wenig beeindrucktes „Naja“ entlockte, kann ich nur raten, dasselbe zu tun.

Gewöhnungsbedürftig, aber wirkungsvoll (Illustrationen: 4 Lilien)

Den Zeichenstil des Autors fand ich am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig, weil die Einzelbilder (auch wegen der gedeckten und düsteren Farbpalette) sehr trostlos, teilweise leer und auf den ersten Blick vielleicht sogar lieblos wirkten. Nach wenigen Seiten habe ich jedoch erkannt, dass genau diese Illustrationen perfekt zur ebenfalls oft hoffnungslosen Welt passen und es Jeff Lemire gerade damit perfekt gelingt, diese bedrohliche Grundstimmung zu erzeugen. Besonders gut gefallen hat mir, dass oft ganz nah an die Gesichter herangezoomt wird, um den Leser·innen die intensiven Gefühle darin zu zeigen. Sehr gerne mochte ich auch die vereinzelten ganzseitigen Bilder mit vielen Details, die die Struktur etwas auflockern.

Männerüberschuss (Feminismus: 2 Lilien)

In „Sweet Tooth“ gibt es durchaus ein paar starke weibliche Figuren (und auch Geschlechterstereotype werden teilweise gebrochen). Das Problem: Sie sind nur in den Nebenrollen zu finden und bekommen viel weniger „Screentime“ als die männlichen (= Zeit auf der Leinwand / im Buch). Fast alle wichtigen Charaktere (auch die Antagonisten) sind männlich und reden dementsprechend die meiste Zeit miteinander, wodurch die Frauen oft außen vor sind. Dieser „Männerüberschuss“ führt auch dazu, dass Band 1 den Bechdel-Test leider nicht besteht. Hoffentlich wird das im zweiten Band besser, da muss sich im Comic-Genre wirklich noch viel tun! Auch viel Gewalt gegen Frauen gibt es im Buch – diese wird allerdings (immerhin) ausnahmslos kritisiert und verurteilt. Da mich das Buch in allen anderen Aspekten auf ganzer Linie überzeugt hat, drücke ich dieses Mal ausnahmsweise ein Auge zu und ziehe keine Sterne ab.

Mein Fazit

„Sweet Tooth 1“ ist eine düstere, atmosphärische, herzergreifende Endzeit-Graphic-Novel, die auch euch fesseln und berühren wird und deren liebenswürdige Figuren sich auch schnell in euer Herz schleichen werden. Für mich ist „Sweet Tooth 1“ jedenfalls ein absolutes Jahreshighlight und Herzensbuch! Daher gibt es von mir eine große Leseempfehlung für alle Fans von „The Walking Dead“, Endzeit-Romanen und generell guten Geschichten! Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Illustrationen: 4 Lilien
Protagonist: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 2 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.12.2021

Beklemmende, emotional mitreißende Jugenddystopie am Puls der Zeit! Jahreshighlight! ♥

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Beklemmende, emotional mitreißende Jugenddystopie am Puls der Zeit! Jahreshighlight! ♥

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Hitze, Orkane, Seuchen. Im Jahr 2059 ist die Erde kaum noch bewohnbar. Alleine ...

Beklemmende, emotional mitreißende Jugenddystopie am Puls der Zeit! Jahreshighlight! ♥

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Hitze, Orkane, Seuchen. Im Jahr 2059 ist die Erde kaum noch bewohnbar. Alleine und einsam lebt die 15-jährige Mariana seit dem Verschwinden ihrer Eltern vor 3 Wochen in einem sicheren Haus. Als ein Gleichaltriger einbricht, freundet sie sich mit ihm an – bis er plötzlich verschwindet, um nach weiteren Überlebenden zu suchen. Für Mariana steht fest: Sie muss ihn finden – auch wenn sie dafür ihr sicheres Zuhause verlassen und sich der gefährlichen Außenwelt stellen muss…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (aktueller Stand)
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang bis sehr lang
Tiere im Buch: - Im Buch sterben einige Tiere oder werden verletzt: Heuschrecken fressen sich gegenseitig auf, Schnecken werden getötet, um sie zu essen, ein Vogel fliegt gegen eine Scheibe und stirbt, Zootiere werden für Nahrung geschlachtet. Ein Gorilla wird aus einem Fenster geworfen (16. Stock) und stirbt. Ein Hund wird gequält und verletzt, aber überlebt.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, Gewalt, Gewalt gegen Frauen, sexualisierte Gewalt, Alkohol, Drogen, Blut, Verletzungen, Trauer, psychische Krankheiten, Suizid, Trauma;
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Miststück, Schla+++, Hu++

Warum dieses Buch?

Dieses Mal waren es das wunderbare Cover und der spannende Klappentext (ich liebe ja Dystopien), die in mir den Wunsch geweckt haben, dieses Buch zu lesen. Außerdem gab es zur Zeit der Lektüre noch so gut wie keine Rezensionen dazu – das machte mich natürlich zusätzlich neugierig.

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Schreibstil. Zugegeben: Am Anfang hatte ich meine Probleme mit dem ungewöhnlichen Schreibstil. Sarah Raich verwendet hauptsächlich kurze Hauptsätze, die mich eine oberflächliche Geschichte erwarten ließen, und Jugendsprache, die ich zu Beginn nervig fand. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass „All That’s Left“ eine Dystopie mit Tiefgang ist und dass diese Rastlosigkeit, die der Schreibstil beim Lesen in einem auslöst, perfekt zur innerlich ruhelosen Protagonistin passt, die wie ein einsamer, flatternder Vogel in einem sicheren „goldenen Käfig“ eingesperrt ist. Auch an die Jugendsprache habe ich mich gewöhnt, sodass sie mich später nicht mehr gestört hat. Mit ihrer anschaulichen Sprache, mit den lebendigen Dialogen, den authentischen inneren Monologen der Heldin, dem Humor und den toll geschriebenen, kreativen Metaphern und Vergleichen hat mich die Autorin mit jeder Seite mehr in ihren Bann gezogen, bis ich am Ende begeistert war! (5 Lilien ♥)

„Justus zwei Klassen über mir hat mal ‚killer‘ benutzt. Zwei Tage später kam er heulend vom Klo. Auf seiner Stirn und den Wangen stand mit Edding: ‚Ich bin killer scheiße.‘“ E-Book, Position 38

… die Unvorhersehbarkeit und Spannung. Marianas Wanderung durch diese leere, vertrocknete dystopische Welt wird spannend, temporeich und (emotional) mitreißend beschrieben. GERADE weil man nicht weiß, was hinter der nächsten Ecke auf die unerfahrene Heldin, die seit Jahren das Haus nicht mehr verlassen hat, wartet, kann man das Buch kaum zur Seite legen! (5 Lilien ♥)

„Meine Beine kann ich bewegen. Aber sie sind so schwach. […] Als hätte jemand alle Muskeln herausgesaugt und die leere Hülle zurückgelassen.“ E-Book, Position 908

… die Atmosphäre. Sarah Raich gelingt es, in ihrer Geschichte eine beunruhigende Grundstimmung zu erzeugen. Die verdorrte Flora, die unerträgliche Hitze und die permanente Lebensgefahr, der Mariane ausgesetzt ist, lässt uns die Autorin mit allen Sinnen erleben, wodurch eine dichte Atmosphäre entsteht, man ganz in die Geschichte eintaucht und bald alles um sich herum vergisst. (5 Lilien ♥)

„Ich weiß nichts über den Rest der Welt. Ich weiß eigentlich nur, dass ich hier in diesem Haus sitze und keinen dran kriege an dieses blöde Funkgerät. Und meine Eltern sind seit drei Wochen verschwunden. […] Seitdem habe ich keinen lebenden Menschen mehr gesehen. Es könnte also auch sein, dass genau niemand mehr da ist.“ E-Book, Position 56

… die brandaktuellen Themen. Noch vor ein paar Jahren war der Klimawandel für viele Menschen eine vage, nicht richtig greifbare Gefahr in der Zukunft. Heute spüren wir bereits die ersten Auswirkungen der Klimakrise am eigenen Leib: Unkontrollierbare Waldbrände, Jahrhunderthochwasser und Ernteausfälle geben uns einen ersten Vorgeschmack darauf, was uns blühen könnte, wenn wir nicht sofort Gegenmaßnahmen ergreifen. Genau in dieser möglichen dystopischen Zukunft ist „All That’s Left“ angesiedelt; das Buch füttert unsere Ängste, rüttelt auf und will uns warnen. Damit hat Sarah Raich ein Jugendbuch am Puls der Zeit erschaffen, das ich sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen empfehlen kann. Neben den Auswirkungen des Klimawandels stehen auch Themen wie Erwachsenwerden, Emanzipation von den Eltern, Trauma, Überleben (und wie weit man dafür geht), Freundschaft, Depression und Einsamkeit im Fokus und werden mit Feingefühl und angemessener Tiefe behandelt. Das eine oder andere kleinere Logikloch verzeihe ich da gern. Ein interessantes Nachwort mit dem Appell, endlich aktiv zu werden, steuert die Klimaaktivistin Clara Mayer am Ende des Buches bei. Erinnert hat mich das Buch übrigens vage an die deutsche Dystopie „Wir Verlorenen“ von Jana Taysen – den ersten Band kann ich euch ebenfalls nur wärmstens ans Herz legen! (5 Lilien ♥)

„Mir läuft die Zeit weg. Oder sie bleibt stehen. […] Das Licht verändert sich von einem Moment zum anderen. Auf einmal ist es dämmrig. Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr.“ E-Book, Position 390

… die Protagonistin. Im Zentrum der Geschichte steht eine jugendliche Heldin, die in ihrem goldenen Käfig zwar satt, sicher und versorgt ist, die aber seit dem Verschwinden ihrer Eltern einsam und auf sich gestellt ist. Nach und nach gibt sie ihre wichtigen Routinen (verschiedene Sicherheitssysteme überprüfen, Essen kochen) auf, verfällt in eine Depression und verliert ihren Lebenswillen. Mit ihren eindringlichen, anfangs noch fröhlichen, später dann deprimierten inneren Monologen (die manchmal sogar in einen Bewusstseinsstrom übergehen) hat Mariana schon auf den ersten Seiten mein Herz und mein Mitgefühl gewonnen. Man feuert sie innerlich an und fiebert mit der anfänglich naiven, aber liebenswerten Mariana mit, die zum ersten Mal seit Jahren das sichere Haus verlässt und sich den Anweisungen ihrer Eltern widersetzt – in der Hoffnung, wieder einen Sinn im Leben zu finden. Langsam erkennt sie auf ihrer Reise, wie stark sie eigentlich ist. Ich habe Mariana sehr gerne durch das Buch begleitet und sie ist mir sehr ans Herz gewachsen! (5 Lilien ♥)

… die anderen Figuren. Auch die anderen Figuren sind liebevoll ausgearbeitet und sehr gut gelungen, auch wenn nicht alle sympathisch sind. Auf ihrer Reise begegnet Mariana einigen seltsamen, schrulligen, interessanten und unvergesslichen Überlebenden und muss immer wieder entscheiden, ob sie ihnen vertrauen kann oder nicht. Schließlich hat es einen Grund, warum gerade DIESE Menschen überlebt haben – manche waren oder sind noch immer bereit, für ihr Überleben weit zu gehen und einen hohen Preis zu zahlen. Beim Lesen war ich ständig neugierig, auf wen Mariana wohl als Nächstes treffen würde. (4 Lilien)

… der Feminismus. Einerseits gibt es einige starke, intelligente weibliche Figuren in diesem Jugendbuch, andererseits gibt es auch sexualisierte Gewalt und gegenderte Beleidigungen (z. B. Schla+++). Das ist vielleicht realistisch, aber ich frage mich, muss das in einem Jugendbuch wirklich sein? (4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

---

Das hat mir nicht gefallen:

… die Fake-Rezensionen. Da die Geschichte so gut ist, verstehe ich nun noch weniger, warum hier irgendjemand Fake-Rezensionen auf Lovelybooks geschrieben oder bestellt hat – das wäre nicht nötig gewesen, sondern war eher kontraproduktiv und hat in mir (und sicher auch einigen anderen Leser·innen) Skepsis und Misstrauen ausgelöst. Ich mag es gar nicht, wenn Bewertungen mit offensichtlichen Fake-Rezensionen manipuliert werden, weil es doch so wichtig ist, dass man als Leser·in Bewertungen vertrauen kann! Dieser leider immer noch weitverbreitete Glaube, dass gefälschte Rezensionen besser sind als gar keine, muss endlich aus den Köpfen raus! Bei einer Umfrage, die ich auf Instagram durchgeführt habe (@seitenseglerin), haben übrigens 100% der Lesenden angegeben, dass Rezensionen, mit denen etwas nicht zu stimmen scheint (= Fake-Rezensionen) sie eher vom Buchkauf abhalten, als wenn es zu einem Werk noch gar keine Bewertungen gibt. (0 Lilien)

Mein Fazit

„All That’s Left“ ist eine aufrüttelnde, (emotional) mitreißende, spannende, unvorhersehbare deutsche Jugenddystopie am Puls der Zeit, die ich euch nur wärmstens ans Herz legen kann. Das beklemmende Buch überzeugt auf ganzer Linie mit seinem ungewöhnlichen, aber eindringlichen Schreibstil, seiner liebenswürdigen Heldin, seinen schrulligen, interessanten Nebenfiguren, der dichten Atmosphäre und den brandaktuellen Themen. Jede Zeile ist ein wirkungsvolles (innerlichen Stress auslösendes) „Ticktack“ und ein Appell, dass wir dringend Gegenmaßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen müssen – und zwar nicht in einem Jahr, in einem Monat oder nächste Woche, sondern jetzt sofort, bevor es zu spät ist. Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 4 Lilien
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 4 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

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