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Veröffentlicht am 16.01.2022

Wie scharfe Pfeile, die in die Herzen treffen

Zusammenkunft
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Dicht, pointiert und grenzenlos klug – Natasha Brown hat mit „Zusammenkunft“ ein Kleinod und einen ganz besonderen Schatz erschaffen, der seinen Glanz und seine Einzigartigkeit von Seite zu Seite, von ...

Dicht, pointiert und grenzenlos klug – Natasha Brown hat mit „Zusammenkunft“ ein Kleinod und einen ganz besonderen Schatz erschaffen, der seinen Glanz und seine Einzigartigkeit von Seite zu Seite, von Gedankensplitter zu Absatz immer weiter enthüllt und leuchten lässt.
Das Leben im Londoner Finanzdistrikt fordert seinen Mitspielerinnen und -spielern so einiges ab, insbesondere, da die Zugangsvoraussetzungen und Spielregeln nicht für alle gleich sind. Die Ich-Erzählerin, eine schwarze Frau, geboren und aufgewachsen in England, wird getrieben und zerrissen: zum einen von dem als Zwang zu bezeichnenden Druck zum sozialen Ausstieg – mit all seinen Entbehrungen, Aufopferungen und in ihrer Rolle auch Erniedrigungen – und zum anderen von den Erwartungshaltungen der Gesellschaft und deren Sicht auf sie als eine, die nicht „dazugehöre“, die nicht erwünscht sei. „GO HOME“, wie es an mehreren Stellen der Erzählung heißt.
Die Bürde, Last und familiäre Festsetzung lassen keinen Raum für ein selbstbestimmtes Leben, für ein Verschnaufen im Aufstieg, ein Innehalten, möglicherweise auch eine Unterbrechung oder gar einen Stopp. „Arbeite doppelt so hart. Sei doppelt so gut. Und immer, pass dich an“ – Individualität, ein Andersseins, auch ein kulturelles Unterscheiden sind nicht nur hinderlich, sondern können Türen für immer verschließen. Das Erklimmen der beruflichen und gesellschaftlichen Karriereleiter kostet alle Kraft.
Die unerwartete Möglichkeit einer Alternative zu „überlebbar“ – dem bisher nie infrage gestellten Mantra, als Leitsatz des eigenen Lebens tief in ihr Fleisch eingeschrieben – bringt die Ich-Erzählerin zu einer Reflexion und kritischen Betrachtung des komplexen gesellschaftlichen Gefüges, in welchem sie agiert und gefangen ist, und zeichnet einen Ausweg aus der nie enden wollenden Mühsal, dem Kampf und dem Fremd- und Nicht-Erwünschtsein.
Wie Pfeile, die auf die Herzen der Leseinnen und Leser zielen, haben die unendlich klugen Gedanken, scharfen Beobachtungen und zugespitzten Ableitungen dieser Erzählung mich getroffen und mich blutend und auch schuldbewusst zurückgelassen. Veränderung durch Erkennen, Verstehen – „Zusammenkunft“ gehört in die Hände und Herzen so vieler Menschen!

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Veröffentlicht am 11.01.2022

Eine der bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit

Zum Paradies
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Reich an Worten, weit an Geschichten und voll von Lust und Qual – Hanya Yanagiharas neuer, lang ersehnter Roman ist so viel, so ungewöhnlich und so überwältigend, das er sich einer eindeutigen, klar abgrenzbaren ...

Reich an Worten, weit an Geschichten und voll von Lust und Qual – Hanya Yanagiharas neuer, lang ersehnter Roman ist so viel, so ungewöhnlich und so überwältigend, das er sich einer eindeutigen, klar abgrenzbaren Kategorisierung und Beschreibung entzieht. Was jedoch nach den knapp 900 Seiten außer Frage steht: Es ist ein Meisterwerk! Das in seiner Virtuosität sogar „Ein wenig Leben“ zu übertreffen vermag – soweit dies denn überhaupt machbar erscheint.
Drei Jahrhunderte mit ihren ganz eigenen und doch so verwandten Leben und Schicksalen geeint von dem Gefühl der grenzenlosen, alles verschlingenden und alles ermöglichenden Liebe und den Fragen: Was sind wir bereit, für eben diese Menschen auf uns zu nehmen? Welche Gefahren, welches Leid erdulden wir, um unsere Liebe, um unser gemeinsames Leben zu schützen?
Die Antworten, die Hanya Yanagihara den Leserinnen hierauf präsentiert, werden uns nicht immer gefallen – und nicht nur das: Auch wir müssen Leid erdulden, auch wir müssen den Pfad der Katharsis gehen, um einen Ausweg aus der Enge, Beklemmung und auch Bedrohung der einzelnen Lebensentwürfe zu erfahren, uns einer Lösung des schier Unlösbaren anzunähern.
Am Ende der fulminanten Erzählung steht bei mir vor allem Erschöpfung. Und ein Überborden an Gefühlen, Gedanken und Ideen, die zum Teil noch nicht gedacht, noch in der Entwicklung, im Prozess des Reifens sind. In welchem Punkte ich mir aber schon heute sicher bin: Mit Hanya Yanagihara spricht eine der bedeutendsten Erzähler
innen unserer Zeit zu uns, eine Stimme, die unverwechselbar ist und nicht nur in der zeitgenössischen Literatur ihresgleichen sucht.

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Veröffentlicht am 19.12.2021

Dem Rätsel auf der Spur: Die hochspannende Jagd geht weiter!

Red Sky Burning (Bd. 2)
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„Dark Blue Rising“ gehörte schon zu einem meiner Highlights in diesem Jahr, und umso sehnsüchtiger und voller Vorfreude habe ich auf die Fortsetzung gewartet. Und siehe da: Ich wurde nicht enttäuscht – ...

„Dark Blue Rising“ gehörte schon zu einem meiner Highlights in diesem Jahr, und umso sehnsüchtiger und voller Vorfreude habe ich auf die Fortsetzung gewartet. Und siehe da: Ich wurde nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil!
Auch „Red Sky Burning“ hat eine gewaltige Sogwirkung auf mich entfaltet, mit welcher mich die Geschichte sofort und immer tiefer in ihren Bann gezogen hat. Wie groß war da doch meine Überraschung, nicht wie erwartet Tabby sondern zuerst einmal Denzi wiederzutreffen. Die Autorin hat ihn als eine interessante, da vielschichtige Figur angelegt, und die neben einer eigenen spannenden Geschichte zugleich verdeutlicht, dass Tabby mit ihrem Schicksal und all dem Unerklärlichen in ihrem Leben nicht allein sondern Teil eines großen Ganzen ist.
Bei aller Sympathie und Faszination für Denzi und sein Bemühen, Puzzlestein für Puzzlestein ausfindig zu machen und aneinanderzusetzen, so habe ich mich aber doch gefreut, im weiteren Verlauf der Geschichte Tabby wiederzutreffen. Tabbys Flucht und ihr Schicksal haben mich schon die vergangenen Monate immer mal wieder gedanklich beschäftigt, und nun zu mitzuerleben, wie ihre weiteren Schritte sind und sie bei aller Gefahr und Risiken um Aufklärung des großen Rätsels ringt, war wieder eine äußerst spannende, da raffiniert konstruierte Schnitzeljagd.
Je mehr ich als Leserin dabei über Tabbys und Denzis eigene Geschichte und damit über den geheimnisvollen Kreis und seine Mitglieder erfahren habe, umso mehr tappe ich bezüglich dessen Ursprungs, Vorgehens und seiner Motive im Dunkeln. Oder anders ausgedrückt: Es bleibt hochspannend!
Und so wie ich auch schon den ersten Band nur widerstrebend nach der letzten Seite aus der Hand gelegt habe, so fiebere ich auch jetzt schon dem großen Finale dieser sehr gelungenen Trilogie entgegen. Meine Vermutung: Wie bei einem Tauchgang in unbekannte Tiefen werden das Rätselhafte und dessen Enthüllung und Aufklärung uns Leser*innen den Atem rauben.

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Veröffentlicht am 02.11.2021

Spannend, fesselnd, geheimnisvoll – und eine Liebeserklärung an die Wissenschaft

Shelter
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Bücher von Ursula Poznanski sind jedes Mal ein Wunderwerk: reich an Spannung, reich an Fantasie und voller unvorhersehbarer Entwicklungen, Wendungen und einem Twist, der mich immer wieder zu überraschen ...

Bücher von Ursula Poznanski sind jedes Mal ein Wunderwerk: reich an Spannung, reich an Fantasie und voller unvorhersehbarer Entwicklungen, Wendungen und einem Twist, der mich immer wieder zu überraschen mag.
Das sind hohe Erwartungen, die an „Shelter“ gestellt werden, allzu gut waren seine Vorgänger. Doch muss Poznanskis neuer Jugendroman diesen Vergleich nicht scheuen, ganz im Gegenteil: Für mich spielt er ganz oben mit in der Liga, gehört zu ihren besten Büchern.
Wo „Cryptos“ mit überbordender Fantasie und einem schier unerschöpflichen Schatz von geradezu unglaublichen und vor allem unglaublich guten Einfällen punkten kann, überzeugt „Shelter“ ganz besonders durch eines: Spannung, Spannung, Spannung. Und zwar gelingt der Autorin das Kunststück, den Spannungsbogen über die gesamte Erzählung hindurch überaus hochzuhalten. Nie wird es langweilig, nie musste ich mich zu dem nächsten Kapitel motivieren. Ganz im Gegenteil: Das Buch ist ein wahrer Pageturner, und tatsächlich hat es meine Nacht wieder mal zum Tag gemacht und meine Augen am nächsten Morgen sehr klein – meine Begeisterung dafür umso größer.
Die Geschichte an sich passt in unsere Zeit, enthält sie für mich doch allerlei Anspielungen auf die sogenannte „Querdenker“-Bewegung. Die Verschwörungstheorie, die „Shelter“ zugrunde liegt, könnte nichts abstruser sein: Nein, kein Chip wird in die Körper impfwilliger Menschen gepflanzt, Außerirdische haben sich Zugang zu eben diesen verschafft – und gleichzeitig auch noch die Erde erwärmt, um es schön gemütlich und kuschelig zu haben. Hört sich weit hergeholt und so unglaublich an: Die Anhängerinnen und Anhänger, die sich bald um den selbsternannten Anführer scharen, werden von Tag zu Tag zahlreicher, und die Idee, ursprünglich aus einer Partylaune heraus entstanden, entwickelt sich zu einer ernsten Gefahr für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes.
Doch wie sagte schon der alte Goethe so wunderbar: „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ Und so geht es auch unserer Freundesclique. Die Verschwörungstheorie hat ein Eigenleben entwickelt, und ganz eigene Ziele scheint auch deren Anführer zu verfolgen.
Was folgt sind Rätselraten, falsche Fährten und eine Verfolgungsjagd, die es in sich hat. Jede Seite, jedes Kapitel bietet dabei neue Überraschungen und Wendungen.
„Shelter“ ist vor allem eines: ein gut konstruierter, intelligent gemachter Lesespaß – der scheinbar so ganz nebenbei die Bedeutung von Wissenschaft und vernunftgeleitetem Denken und Handeln in den Mittelpunkt stellt. Möglicherweise ist dies heute wichtiger denn je.

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Veröffentlicht am 25.10.2021

Aufstieg, Fall und Untergang: Denn nobel geht die Welt zugrunde

Das Glashotel
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Emily St. John Mandel erzählt in „Das Licht der letzten Tage“ eine Geschichte des Weltuntergangs, und auch in „Das Glashotel“ bricht eine Welt zusammen – wenn auch ganz anders.
Vincent und Paul haben denkbar ...

Emily St. John Mandel erzählt in „Das Licht der letzten Tage“ eine Geschichte des Weltuntergangs, und auch in „Das Glashotel“ bricht eine Welt zusammen – wenn auch ganz anders.
Vincent und Paul haben denkbar schlechte Startbedingungen in das Erwachsenenwerden: das Verschwinden der Mutter, das zu einer Entwurzelung von der Familie führt, Drogensucht, Tristesse, finanzielle Nöte. Den Wendepunkt bringt für Vincent die Arbeit in dem „Glashotel“ in ihrem Heimatort Caiette, welches zum Ausgangspunkt ihres rasanten sozialen Aufstiegs an der Seite von Jonathan Alkaitis wird.
Das, was dann folgt, könnte der Traum von Cinderella sein, das Leben in der Märchenwelt. Doch Geld täuscht nicht über fehlende Gefühle, die verlorene Freiheit eines Verharrens im goldenen Käfig hinweg. Und, wann war das Sprichwort jemals treffender: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ – hier im wahrsten Wortsinne.
Bis zu diesem Zeitpunkt könnte der Leserin und dem Leser die Geschichte nur allzu bekannt vorkommen, doch wartet Emily St. John Mandel mit einem Bruch auf, der sich auch in der Erzählung durch einen Sprung in Figurenperspektive und Zeitebene widerspiegelt. Denn hier kommt er nun: der besagte Weltuntergang, eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, die zahlreiche Existenzen vernichtet und auch Vincent aus dem „Königreich des Geldes“ vertreibt.
Doch damit nicht genug, die wohl größte Überraschung erwartet uns im letzten Drittel der Erzählung: Eine metaphysische Ebene erhält Einzug in das Geschehen. Was für ein Kunstgriff, ich bin begeistert! Der Roman sperrt sich so gegen die Einordnung in gängige Kategorien und eröffnet zugleich eine Bedeutungsebene und eine verborgene „Gegenwelt“, die weit über das Offensichtliche und Sichtbare hinausgeht – und mich als Leserin sehr berührt hat.
Damit ist „Das Glashotel“ für mich vor allem eines und zugleich so viel: ungewöhnlich in Aufbau und Inhalt, vielschichtig in Bedeutung und Aussage – und ein Leseerlebnis so kostbar, wertvoll und unerwartet wie ein Luxushotel in den Einsamkeiten der kanadischen Westküste.

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