Wer einmal sich selbst gefunden, kann nichts auf dieser Welt mehr verlieren. (Stefan Zweig)
Mit Lebensweisheiten ist das so eine Sache - sie könnten stimmen, tun sie aber meistens nicht. Und Erinnerungen sind meist auch nur ein Gefängnis, in dem man sich bewegen muss, weil sie einen nicht loslassen. ...
Mit Lebensweisheiten ist das so eine Sache - sie könnten stimmen, tun sie aber meistens nicht. Und Erinnerungen sind meist auch nur ein Gefängnis, in dem man sich bewegen muss, weil sie einen nicht loslassen. So ähnlich ergeht es Freddy, Ellen, Luise, Johanna und Marianne, die auf den ersten Blick nicht wirklich etwas gemeinsam haben und doch sind sie untrennbar miteinander verbunden - durch Jonas, Mariannes Sohn. Auch 20 Jahre nach seinem Tod sind die Frauen auf besondere Art und Weise miteinander verbunden und suchen trotzdem noch nach dem Sinn des Lebens...
"Euer Leben, lebt sie alle" erzählt von den Tücken des Älterwerdens, vom Gefangensein im eigenen Körper, der plötzlich mehr der Schwerkraft gehorcht als allen Erfolg versprechenden Cremes und Sälbchen und von dem Drang, immerzu perfekt sein zu müssen, um Anerkennung zu erhalten.
Die Charaktere der Frauen könnten nicht unterschiedlicher sein und reichen von der übergriffigen Perfektionistin Luise über die immer ins Abseits geschobene Fredrike bis hin zu Marianne, die im Hamsterrad der Erinnerung gefangen ist und Angst hat, durch eine (eingebildete ?) Altersdemenz all die Erinnerungen an ihren Sohn zu verlieren, die ihr Leben noch aufrecht erhalten.
Mal sind es melancholische Töne, mal vollkommen überdrehte Szenen, die die Leser:innen hier erwarten, um sich den Herausforderungen des Lebens und Älterwerdens zu stellen. Die Erinnerungen einer jeden Einzelnen formen sich zu einer bunten Patchworkdecke und lassen das bis dato gelebte Leben in quietschbunten Farben Revue passieren. Schmunzler schleichen sich beim Lesen ein, aber auch ernste Töne begleiten die Erinnerungen.
Es wird von Affären und ihren Nachwehen berichtet, von dem Drang, an alte Zeiten anzuknüpfen, um das Rad des Alterns ein wenig langsamer drehen zu lassen. Vom Fluch und Segen des Elternseins und den Tücken der Pubertät ist zu lesen, aber auch von den Herausforderungen, der sich eine erwachsene Tochter gegenübersieht, wenn sie mit ansehen muss, wie der einst so agile Vater immer mehr in sich zusammen sinkt und die Finanzierung seiner Pflege nicht nur den Geldbeutel auffrisst, sondern auch die eigenen körperlichen Reserven.
Während Luise mit ihrem Drang zu absoluten Perfektionismus den Leser:innen mitunter auf die Nerven geht, schleicht sich Marianne ganz leise in die Leser:innenherzen, denn mit all ihren Erinnerungen an ihren verstorbenen Sohn lebt sie wie in einem Museum, um so lange wie möglich von den guten Momenten zehren zu können. Frederike ist mit ihrem Leben sichtlich überfordert, kompensiert mangelnde Unterstützung mit Essen und dabei gerät ihr Körper genau so aus den Fugen wie ihr Leben. Ellen therapiert ihre Patienten, doch die Ratschläge, die sie ihnen mit auf den Weg gibt, ignoriert sie selbst und wundert sich, dass das eigene Lebensgerüst immer wackliger und unsicherer wird. Und Johanna ? Johanna ist verrückt genug, um einfach zu springen...ohne die Auswirkungen zu bedenken.
Ein Roman über das Suchen und Finden des eigenen Ich, von Erinnerungen, die nie ganz verblassen und über die Tücken des Älterwerdens, die sich ab der Lebensmitte unaufhaltsam in den Weg stellen.