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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.03.2020

Gnadenlos witzig und bitterböse!

Ruhet in Friedberg
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In dem kleinen österreichischen Ort Friedberg wundern sich die Bestatter: Der Sarg wiegt deutlich mehr, als der darin liegende Verstorbene vermuten lässt. Andi, einer von ihnen, möchte wissen, was dahinter ...

In dem kleinen österreichischen Ort Friedberg wundern sich die Bestatter: Der Sarg wiegt deutlich mehr, als der darin liegende Verstorbene vermuten lässt. Andi, einer von ihnen, möchte wissen, was dahinter steckt, und entdeckt eine Ungeheuerlichkeit.
Autor Rudolf Ruschel ist nichts heilig. Absolut gnadenlos verteilt er in diesem ungewöhnlichen Kriminalroman Hiebe reihum und bricht mit diebischer Freude jedes Tabu. Das trifft die jugoslawische Mafia genauso wie die Geistlichkeit, die Schwulen wie die Politik, Alt wie Jung. Alles ist so überwältigend unkorrekt, dass man mitunter nach Luft schnappen muss.
Getränkt ist das Ganze mit rabenschwarzem Humor. Der behält anfangs die Oberhand. Schlag auf Schlag gibt es neue Pointen, die präzise vorbereitet und treffsicher ausgearbeitet werden, mit dem Ergebnis maximaler Wirkung auf die Lachmuskeln.
Unterstützt wird das durch die Verwendung einer stark österreichisch gefärbten Umgangssprache, die geprägt ist von Satzverstümmelungen und gelegentlichen Ansprachen an die Lesenden. Dabei entsteht ein Effekt, als würde die Geschichte im Wirtshaus von jemandem erzählt, der wirklich dabei gewesen ist.
Die Personen im Stück sind allesamt etwas Besonderes und liefern schon in ihren Anlagen Steilvorlagen für all die schrägen Gags, für die sie schließlich herhalten müssen.
Im Laufe des Geschehens wird es immer makabrer. Konnte man zu Beginn noch einen leichten Kuschelfaktor verspüren, die ein oder andere wahnwitzige Idee als Dumme-Jungen-Streich einordnen, zu einigen Protagonisten eine Vertrautheit, sogar Sympathie aufbauen, lässt die Handlung das später nicht mehr zu. Abstrus, bitterböse, voller ungeahnter Haken und Wendungen, steuert sie unaufhaltsam auf das große Desaster zu.
Die Anzahl der Protagonisten wird, um es vorsichtig zu formulieren, überschaubarer. Schneller und gründlicher vielleicht, als so mancher es gut verdauen kann. Die Schabernackleichtigkeit des Beginns wird von den Ereignissen überrollt.
Was bleibt, sind die zahllosen Überraschungen. Von der ersten bis zur letzten Seite!

Veröffentlicht am 03.05.2022

Magie und Mord

Schwarzlicht
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Eine junge Frau wird Opfer eines Mordes, der so brutal wie außergewöhnlich ist: Man sperrt sie in eine Schwerterkiste, wie sie für Zaubertricks verwendet werden. Doch anstatt dass die Schwerter an ihr ...

Eine junge Frau wird Opfer eines Mordes, der so brutal wie außergewöhnlich ist: Man sperrt sie in eine Schwerterkiste, wie sie für Zaubertricks verwendet werden. Doch anstatt dass die Schwerter an ihr vorbei geführt werden, durchbohren und töten sie sie. Die Stockholmer Kriminalkommissarin Mina Dabiri wendet sich wegen der ungewöhnlichen Umstände an den Mentalisten Vincent Walder und kann ihn zur Zusammenarbeit überreden.
Ein äußerst interessantes Ermittlerduo, das Bestsellerautorin Camilla Läckberg und Co-Autor Henrik Fexeus für die Trilogie ins Leben gerufen haben, deren Auftakt uns hier vorliegt. Sowohl Dabiri als auch Walder tragen neurotische Züge. Erstere hat panische Angst vor Keimen jedweder Art, der leicht autistische Walder wird beherrscht von dem Zwang, ungerade Zahlen zu meiden.
Das klingt zunächst etwas schräg, zeigt aber, anstatt ins Klamaukhafte abzugleiten, eher die Probleme auf, denen die beiden auf Grund ihrer Besonderheiten ausgesetzt sind, verursacht Distanz und Sympathie gleichermaßen.Dass beide ein gewisses, beinahe irritierendes Interesse füreinander feststellen, sorgt für einen Schuss Romantik, von dem man nicht so recht weiß, wie angebracht er wirklich ist.
Als Gegengewicht gibt es einige Szenen, die an Grausamkeit schwer zu übertreffen sind und zarteren Gemütern sicher schwer zusetzen. Besonders intensiv wird dies empfunden, da es eine Taktik der Autoren ist, zunächst eine emotionale Nähe zu den späteren Opfern aufzubauen und diese dann auszuliefern.
Die Konstruktion des Kriminalfalls ist meisterhaft, die Auflösung überraschend und doch nachvollziehbar. Man spürt die Schreibroutine, erzählt wird durchweg spannend, gleichzeitig ist die Handlung angereichert mit bizarren Ideen. Bühnenmagie und mentale Zauberei durchdringen und bereichern die Geschichte und verschaffen diesem Krimi eine besondere Stellung innerhalb des Genres.
Für Liebhaber skandinavischer Kriminalliteratur ist dieser Krimi ein Muss, umso mehr für diejenigen unter ihnen, die sich für Zauberkunst begeistern können.

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Veröffentlicht am 18.03.2022

Perfekte Grundlage für Diskussionen über Rassismus

Dazwischen: Wir
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Seit ihrer Flucht nach Deutschland hat die 15-jährige Madina große Fortschritte gemacht, was Wohnsituation, Schulerfolg und Selbstbewusstsein angeht. Sie wohnt mit ihrer Familie bei ihrer besten Freundin ...

Seit ihrer Flucht nach Deutschland hat die 15-jährige Madina große Fortschritte gemacht, was Wohnsituation, Schulerfolg und Selbstbewusstsein angeht. Sie wohnt mit ihrer Familie bei ihrer besten Freundin Laura und deren Mutter und träumt davon, eines Tages Ärztin zu sein. Alles könnte so gut sein, wenn sie nicht plötzlich mit einigen Rassisten konfrontiert wäre. Zunächst verkünden die nur dumme Parolen, doch bald geben sie sich damit nicht mehr zufrieden.
Autorin Julya Rabinovich legt hier die Fortsetzung von „Dazwischen Ich“ vor, welches in der ersten Zeit der Ankunft in Deutschland spielt.
Es ist durchaus möglich, den neuen Band ohne Kenntnis des ersten zu lesen, empfehlenswert indes ist es nicht. Zu oft wird Bezug genommen auf vergangene Erlebnisse, immer wieder resultieren daraus Fragen.
Madina schreibt Tagebuch. Reflektiert und gleichzeitig emotional schildert sie ihr Leben, verwendet dafür eine aktuelle, frische Jugendsprache.
Sehr genau beobachtet und analysiert sie die Menschen in ihrer Umgebung, Familie, Freunde, andere. Da gibt es jede Menge Probleme, die benannt werden: Alkoholkonsum, Depression, Sprach- und Integrationsschwierigkeiten, Rollenverständnis innerhalb der Familie und natürlich die schwere Traumatisierung durch Krieg und Flucht. Dem gegenüber steht der Optimismus, der sich aus den vielen Fortschritten nährt, die sie jüngst gemacht hat. Deutlich spürt man die Reife, die durch zu viel vorzeitige Verantwortung entstanden ist und manchmal mit dem Wunsch nach einem ganz normalen Teenagerleben kollidiert.
Madinas Herkunft wird beabsichtigt im Unklaren gelassen. Sie steht stellvertretend für alle Schutz suchenden Mädchen, die in einem fremden Land eine neue Heimat suchen. Das beraubt sie allerdings ein wenig ihrer Individualität, sie gerät etwas stereotyp.
Die Begegnung mit dem Rassismus ist eine Erfahrung, die vermutlich jeder Mensch mit besonderer Hautfarbe in Deutschland erleben muss. Hier werden die Mittel, die in solchen Situationen helfen, deutlich benannt: Stärke, Mut und Freundschaft.
Hier liegt ein Buch vor, das gelesen gehört. Wobei die Zielgruppe, Kinder ab 12 Jahren, die Lektüre vielleicht eher als Pflicht denn als Kür bewerten würde. Aber die Autorin hat offensichtlich mit Herzblut ein Anliegen eingebracht und damit eine Steilvorlage für fruchtbare Diskussionen geschaffen.

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Veröffentlicht am 24.02.2022

Gefährliche Gemeinschaft

connect
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Die 28-jährige Ava arbeitet in einer Werbeagentur. Sie fühlt sich überfordert und ausgelaugt. Durch die ehemaligen Kommilitonin Lina erfährt sie von einer Gruppe Menschen, die alternative Lebensvorstellungen ...

Die 28-jährige Ava arbeitet in einer Werbeagentur. Sie fühlt sich überfordert und ausgelaugt. Durch die ehemaligen Kommilitonin Lina erfährt sie von einer Gruppe Menschen, die alternative Lebensvorstellungen haben, und die sich Connect nennt. Bei den Treffen fühlt sie sich so wohl wie lange nicht mehr und lässt sich immer weiter ein.
Thea Mengelers Roman liest sich sehr ruhig, beinahe sachlich. Dabei ist das Thema hochemotional. Wir erhalten durch die Protagonistin, an deren Seite wir durch das Geschehen gehen, einen Einblick in die Mechanismen einer kleinen, von der Gesellschaft abgespaltenen Gemeinschaft.
Die Bereitschaft, das gewohnte Leben hinter sich zu lassen, steigt mit der Unzufriedenheit im Alltag. Connect setzt hier an und bietet eine Wohlfühlatmosphäre, schlüssige Ideale, Verständnis, angenehme Beschäftigung und vieles mehr. Es prangert die ausbeuterische Arbeitswelt, verkrustete Traditionen und den Austausch von realer Nähe durch digitale Medien an. Das alles wirkt auf den ersten Blick schlüssig und durchaus nicht unsympathisch.
Geleitet wird die Organisation von dem charismatischen Dev, der in einer täglichen Ansprache stets die richtigen Worte für die Ohren seiner Anhänger*innen findet, und sie bis zur Hörigkeit auf seine Ideologie einschwört.
Durch den kleinen vorangesetzten Abschnitt ist von Beginn an zu befürchten, dass es zu einer Eskalation kommen wird. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich der Roman von Beginn an äußerst spannend anfühlt.
Sehr gekonnt übernimmt die Autorin die Rolle der Beobachterin und überlässt die Wertung dem Publikum. So ganz leicht wird es dem nicht gemacht, denn es erweist sich, dass die heile Welt, die Dev suggerieren möchte, weder diesseits noch jenseits von Connect zu finden ist.
Vielleicht ist Avas Entwicklung ein wenig vereinfacht dargestellt und von daher nicht für jeden bis auf den letzten Punkt nachvollziehbar. Doch für die Auseinandersetzung mit dem Thema gibt das Buch jede Menge Denkanstöße.
Von Aufmachung, Aufbau, Thema und Schreibstil her könnte man sich als Zielgruppe vorwiegend, aber keineswegs ausschließlich, Jugendliche oder junge Erwachsene vorstellen.

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Veröffentlicht am 10.02.2022

Ungewöhnlich und fesselnd

Im Auge des Zebras
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In sechs Städten Deutschlands werden zeitgleich sieben Jungen entführt, wenig später ihre Eltern ermordet. Kommissarin Olivia Holzmann vom LKA Berlin versucht, ihren genialen ehemaligen Kollegen Boesherz ...

In sechs Städten Deutschlands werden zeitgleich sieben Jungen entführt, wenig später ihre Eltern ermordet. Kommissarin Olivia Holzmann vom LKA Berlin versucht, ihren genialen ehemaligen Kollegen Boesherz zur Mithilfe zu bitten, doch der verweigert sich.
Zunächst präsentiert Autor Vincent Kliesch in diesem ersten Teil der Bösherz-Reihe (die unterschiedliche Schreibart ist durchaus beabsichtigt!) ein Szenario, welches abseits des Falls abläuft: Der mutmaßliche Drogenboss Fjodor Sokolov fordert von seinem angehenden Mitarbeiter, dass der als Beweis seine Loyalität einen Mord begeht. Was sich daraufhin entwickelt, ist ein Feuerwerk an Ideen, Finten und unerwarteten Wendungen. Ein Einstieg, der auf das Buch einstimmt und eine Wundertüte an Überraschungen erwarten lässt. Gleich vorweg: Diese Erwartungen werden erfüllt. Ganz sicher gibt es wenige derart einfallsreiche Thriller wie diesen.
Vielleicht muss deshalb in Kauf genommen werden, dass auch die Charaktere teilweise extrem ausgestaltet sind. Das trifft keineswegs auf die taffe Ermittlerin zu, die sich durchaus als Identifikationsfigur anbietet. An ihr ist und bleibt man dicht dran und kann das meiste, was sie tut, gut nachvollziehen. Weitaus schwieriger ist das bei Sokolov, der sich als Zauberer inszeniert, und besonders bei Boesherz, der in überaus überlegener, sogar überheblicher Manier sich mit zweifelhaften Begründungen bei fast jeder Gelegenheit den Erwartungen anderer entzieht. Seine geheimnisvolle Aura und besondere Gaben entrücken ihn den Lesenden.
Ähnlich wie Sherlock Holmes ist er ein Ermittler mit genialer detektivischer Kombinationsgabe, der auf der Basis von Fakten seine Schlussfolgerungen zieht. Allerdings greift er selten auf handfestes Beweismaterial zurück, sondern analysiert vor allem die Verhaltensweisen und Äußerungen von Personen im Kontext mit den Geschehnissen.
Die Geschichte ist ausgefeilt, raffiniert und sorgt für fesselnde Unterhaltung. Leicht pathetische Momente oder das Überstrapazieren gewisser Elemente wie beispielsweise der Zauberkunst zu Beginn des Buches können die Lesefreude nur wenig dämpfen. Am Ende bleibt die Vorfreude auf den zweiten Band der Reihe.

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