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Veröffentlicht am 16.07.2022

200 Jahre Italienischer Geschichte auf 500 Seiten

An den Ufern von Stellata
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Anfang des 19. Jahrhunderts kommt eine Gruppe des Fahrenden Volkes in ein Dorf am Ufer des Pos. Schnee, Eis und Kälte zwingen sie in besagten Dorf zu überwintern. Der schwermütige Gagé Giancomo verliebt ...

Anfang des 19. Jahrhunderts kommt eine Gruppe des Fahrenden Volkes in ein Dorf am Ufer des Pos. Schnee, Eis und Kälte zwingen sie in besagten Dorf zu überwintern. Der schwermütige Gagé Giancomo verliebt sich Viollca, eine wilde Schönheit mit Fasanenfedern in ihrem unbändigen schwarzen Haar. Und damit nimmt das Schicksal der Familie ihren Lauf. Alle Nachfahren der beiden teilen sich in zwei Gruppen ein: die dunkelhaarigen, denen die mystische Gabe der Weissagung gegeben ist, und die blonden, die Träumer, denen droht, von diesen in den Untergang gezogen zu werden.

Für mich vereint dieses Buch so vieles wunderbares in sich. Zunächst einmal der wunderbar klare und direkte Schreibstil, der zielstrebig keinen Raum für Interpretationen zulässt. Und trotzdem ist es nicht so, dass das italienische Dorf blass und farblos erscheint. Vielmehr ist der sprachliche Stil eine Regieanweisung, die den Leser:innen ein untrügliches Bild in den Kopf setzt. Darüber hinaus entführt Daniela Raimondi mit diesem Buch ihre Leserschaft in zweihundert Jahre bewegter italienischer Geschichte. Sie eröffnet interessante und nahbare Einblicke in Aspekte dieses Landes, die im Geschichtsunterricht leider viel zu oft ausgespart werden. Die Einigungskriege, Armut und Binnenmigration, oder auch radikaler Kommunismus im Italien der Nachkriegsjahre. Gleichzeitig wird das italienische Landleben recht gut geschildert. Hautnah bekommt man beim Lesen mit, wie Fortschritt und neue politische und gesellschaftliche Ideen in Stellata Einzug halten.

Womit mich die Autorin aber auch voll und ganz überzeugen konnte, sind die Protagonist:innen. Diese erscheint trotz übernatürlicher Elemente spannend, authentisch und facettenreich. So sind diese dermaßen gut und einzigartig gestaltet, dass es mir persönlich leicht fiel, diese auseinander zu halten. Dennoch gibt es im Buch eine Hilfestellung, und so kann bei Bedarf jederzeit im Stammbaum nachgeschlagen werden. Und auch die magischen Elemente faszinierten mich nachhaltig. Zwar versprach der Klappentext schon einige mysteriöse Momente, doch fiel es mir vor dem Lesen schwer, diese einzuschätzen. Und so war ich definitiv positiv überrascht, dass diese doch einen so bedeutenden Part in der Handlung einnehmen, und doch dezent gestreut sind und sich unauffällig im Hintergrund hielten. Ein warmes Gefühl von magischem Realismus.

Diese perfekte Mischung ist es, die das Buch auf seinen Seiten niemals langweilig werden lässt, und mich in seinen Bann zog. Definitiv eine große Leseempfehlung und ein Jahreshighlight.

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Veröffentlicht am 15.07.2022

durch die Augen eines Kindes

Liebessabotage
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Wann und wo tut eigentlich nichts zur Sache. Wichtigste zutat ist eine Gruppe von Kindern unterschiedlicher Nationalitäten, begrenzter Raum und die Phantasie des jungen Geistes. So schildert Amélie Nothomb, ...

Wann und wo tut eigentlich nichts zur Sache. Wichtigste zutat ist eine Gruppe von Kindern unterschiedlicher Nationalitäten, begrenzter Raum und die Phantasie des jungen Geistes. So schildert Amélie Nothomb, wie vor den Augen der Erwachsenen ein Krieg ausbricht, während sie selbst in ihrer Rolle als Diplomaten versuchen, die Welt im fragilen Gleichgewicht des Friedens zu halten.

Was raus muss, muss raus. Geradlinig und direkt erzählt die Autorin hier mittels einer namenlosen Protagonistin in der Ich-Perspektive, was im Kopf eines siebenjährigen Kindes so alles vor sich geht. Gerade dieser klare, stakkatoartige und eindringliche Schreibstil ist es, der mich am Beginn des Buches überraschen und begeistern konnte. Eine exquisite Form der Wahrnehmung und Empfindung. Vor allem aber sind es die Gedanken, die die Leserschaft präsentiert bekommt. Mag es auf den ersten Blick absolut absurd erscheinen, dass Kinder, denen man nachsagt, Teilen und Offenheit sei ihre natürliche Begabung, Krieg und Brutalität als Freizeitbeschäftigung, sogar als notwendiges Werkzeug ansehen, um die Welt am Laufen zu halten. Doch bei näherer Betrachtung spricht sehr viel Wahrheit aus Nothombs Worten. Und so ertappt man sich während des Lesens immer wieder dabei, wie man seine eigenen Ansichten hinterfragt, auf den Prüfstand stellt.

Eben diese geistreiche und brüskierende Art und Weise, nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern ein Bild eines Kindes zu erzeugen, und wie es die Erwachsenen und seine Umgebung wahrnimmt, ist es, die mich rasch für dieses kleine Buch einnehmen konnte.

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Veröffentlicht am 03.07.2022

Die jungen Jahre Snows

Die Tribute von Panem X. Das Lied von Vogel und Schlange
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Zum zehnjährigen Jubiläum der Hungerspiele stecken diese noch in den Kinderschuhen. Eine Gruppe von Schülern wird am Morgen der Ernte dazu auserkoren, als Mentoren für die Tribute diese dem breiten Publikum ...

Zum zehnjährigen Jubiläum der Hungerspiele stecken diese noch in den Kinderschuhen. Eine Gruppe von Schülern wird am Morgen der Ernte dazu auserkoren, als Mentoren für die Tribute diese dem breiten Publikum bekannt zu machen, deren Leistung zu verbessern und insgesamt die Spiele bei der Bevölkerung des Kapitols beliebter zu machen. Einer jener 24 Mentoren ist Coriolanus Snow, Spross einer alt eingesessenen, wenn auch zusehends verarmten Familie. Er strebt danach, seiner Familie wieder auf die Beine zu helfen, Rum und Macht zurück in den Schoß der Snows zu führen. Doch mit dem weiblichen Tribut aus Distrikt 12 stehen die Chancen schlecht für ihn, seine Ziele zu erreichen. Doch Lucy Gray hat ungeahnte Talente, das Publikum und auch ihn zu verzaubern.

Die Panem-Trilogie gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Dementsprechend war ich auf einen weiteren Roman aus Panem gespannt. Suzanne Collins konnte mich wenig überraschend wieder mit dem Schreibstil abholen, leicht und locker, perfekt geeignet für eine Jugenddystopie. Man fliegt also recht flott durch die Seiten, vor allem auch, weil der Spannungsbogen wider sehr gut gezogen ist, und auch hier, wie in den Vorgängerromanen sich Action mit ruhigerer Phasen abwechseln, ohne dass dabei Langeweile entstehen würde. Vor allem aber war es wieder schön, in das Universum der Hungerspiele zurückzukehren. Und hier sind mir einige Sachen positiv aufgefallen, die eine Steigerung zum ersten Band der Reihe darstellen. Da wäre zunächst einmal, dass alle 24 Tribute und die jeweiligen Mentoren namentlich erwähnt werden, was den Nebencharakteren ein prägnanteres und authentischeres Auftreten gibt. Darüber hinaus bekommen wir dadurch, dass wir die Geschehnisse diesmal durch die Augen einer außenstehenden Person wahrnehmen, und nicht durch die eines der teilnehmenden Tribute. Dadurch bekommt man viel mehr von den eigentlichen spielen mit, die Tode der einzelnen Tribute werden intensiver geschildert, was zusätzliche Spannung erzeugt und wiederum zur Steigerung der Authentizität der Geschichte beiträgt. Spannend sind vor allem aber die Hintergründe zu Snow. Zwar erscheint er anfangs als Sympathieträger, doch im Laufe der Geschichte wird immer deutlicher, dass er nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, und den verblendeten Standpunkt eines Kapitolbewohners vertritt. Wir sehen also jetzt schon sehr viel - wenn auch in viel schwächerer Ausführung - von dem Snow, den wir aus den anderen drei Büchern kennen. Doch auch wenn er als Hauptcharakter kein Sympathieträger für mich war, steht es für mich außer Frage, dass er im Laufe der Geschichte eine beispiellose Charakterentwicklung durchmacht. Und das gleiche gilt im Übrigen auch für die mysteriöse Lucy Gray. Hier hat die Autorin zwei unglaublich starke und authentische Protagonist:innen geschaffen. Als besonders interessant empfand ich aber auch zu sehen, welche Entwicklung die Hungerspiele im Laufe der der Jahre durchmacht haben. So findet sich ein drastischer Bruch zwischen den Spielen aus diesem Buch und denen 64. Jahre später, der für mich als großer Fan wirklich spannend zu verfolgen war.

Alles in allem bin ich von dem Buch überzeugt. Spannung, Setting und Charaktere formen wieder einmal ein Meisterwerk.

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Veröffentlicht am 26.03.2022

Mysteriös, spannend, unheimlich

Der unsichtbare Freund
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Die alleinerziehende Mutter Kate flieht zusammen mit ihrem Sohn Christopher vor ihrem gewalttätigen Partner in ein verschlafenes Nest im Großraum von Pittsburgh. Kurz nach ihrer Ankunft beginnt der siebenjährige ...

Die alleinerziehende Mutter Kate flieht zusammen mit ihrem Sohn Christopher vor ihrem gewalttätigen Partner in ein verschlafenes Nest im Großraum von Pittsburgh. Kurz nach ihrer Ankunft beginnt der siebenjährige plötzlich Stimmen zu hören, verschwindet kurz danach für 6 Tage im Wald, kann sich allerdings bei seinem Auftauchen an nichts mehr erinnern. Dennoch hat er plötzlich besondere Fähigkeiten, beginnt sich mehr und mehr zu verändern. Fanatisch verfolgt er sein Projekt, im Wald ein Baumhaus zu errichten. Eine Aufgabe, die ihm von der mysteriösen Stimme aufgetragen wurde, und sollte er es nicht rechtzeitig schaffen, würde der ganze Ort dem Untergang geweiht sein.

Ich habe unwahrscheinlich schnell in die Geschichte hineingefunden und war wirklich beinahe von Seite eins an gefesselt und begeistert. So ist da zunächst einmal der sprachliche Stil des Autors, der genau meinen Geschmack trifft. Ein wenig ausschweifend, bunt, ein grandioses Setting beschreibend, ohne dabei zu langatmig zu werden und der Geschichte den Wind aus den Segeln zu nehmen. Weiters ist es auch das Setting, Mill Grove als typisches amerikanisches Vorstadtmillieu, das mich begeistern konnte. Denn dieses ist stimmig und grandios beschrieben, sodass man ein wirklich tolles Gefühl für die Umgebung der Handlung bekommt. Auch hinsichtlich der Charaktere hat der Autor ganze Arbeit geleistet. Diese sind spannend und facettenreich, trotzdem bedient er sich bei ihrer Gestalt dem klassischen Modell von Antihelden und deren Gegenspielern, sodass bei mir ein wenig ein nostalgisches Gefühl aufkam. Wie dem auch sei, lösen diese bei der Leserschaft wahre Feuerwerke der Emotionen aus, positive, wie auch negative Emotionen. Zuguterletzt konnte mich vor allem die Spannung der Geschichte abholen. Der Spannungsbogen steigert sich immer weiter, an den Momenten, an denen man denkt, dass es nicht mehr spannender werden kann, wird man von einem komplett überraschenden Plottwist überrannt. Top Voraussetzungen für einen Pageturner.

Dementsprechend, bin ich nur so durch die Seiten geflogen und auch wenn ich an und für sich kein großer Fan dieses Genres bin und sehr wenig aus dieser Ecke lesen, bin ich dennoch begeistert.

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Veröffentlicht am 20.03.2022

Thomas Bernhard von hinten bis vorne

Die Ursache
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Die Ursache ist der erste Teil der autobiografischen Bücherreihe von Thomas Bernhard. Hier wird seine Kindheit und Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus und den unmittelbaren Nachkriegsjahren in typischer ...

Die Ursache ist der erste Teil der autobiografischen Bücherreihe von Thomas Bernhard. Hier wird seine Kindheit und Jugend in der Zeit des Nationalsozialismus und den unmittelbaren Nachkriegsjahren in typischer Bernhard-Manier behandelt: düster, traumatisch und eindringlich. So findet eine kritische Auseinandersetzung mit der damaligen Mehrheitsgesellschaft, dem Schulsystem und der fehlgeschlagenen Trennung von Kirche zum Rest des Lebens aus Sicht eines Schülers statt.

Sprachlich war der Einstieg in das Buch recht anspruchsvoll. Die ersten 10 Seiten waren für mich sehr verwirrend und anstrengend zu lesen, was sicherlich den komplexen Satzkonstruktionen Bernhards geschuldet ist, die sich oft über ganze Seiten erstrecken. Mittlerweile ist es aber so, dass nach wenigen Seiten mit dem Einstieg und dem Lesefluss auch der Genuss kam. Sprachlich wird man beim Lesen von Thomas Bernhards Übertreibungen, der scharfen Kritik und den turmhaften Sätzen, die einen in schwindelerregende Höhen tragen, verzaubert, sodass man immer mehr möchte, das Buch nicht mehr weglegt, und nach wenigen intensiven Stunden auch schon wieder zu Ende damit ist.

Definitiv ein intensives Leseerlebnis, allerdings nicht uneingeschränkt weiterempfehlbar, Intellekt und Lesegeschmack müssen stimmen.

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