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Veröffentlicht am 27.04.2022

Mehr als ein bloßer Sommerroman

Der Papierpalast
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Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch ...

Wie schon in den Jahren zuvor, verbringt Elle ihren Sommer mit Mann und Kindern im Ferienhaus der Familie, dem „Papierpalast“. Nach einem geselligen Abend mit einem befreundeten Ehepaar ändert sich jedoch alles, denn Elle schläft mit Jonas, den sie seit ihrer Kindheit kennt und mit dem sie viele schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen teilt. Nun muss sie sich entscheiden, zwischen Ehemann Peter, ihrem Fels in der Brandung und Jonas, der ihr schon ewig so viel bedeutet.

„Der Papierpalast“ ist der erste Roman von Miranda Cowley Heller, die bisher eher für ihre Mitarbeit an diversen Serien bekannt war. Das merkt man ihrer Handlung auch an, denn diese würde sich ganz wunderbar für ein solches Format eignen. Aber der Reihe nach: Der Roman wird in unterschiedlichen Zeitlinien erzählt. Ausgehend von dem verhängnisvollen Abend erzählt die Autorin einerseits aus der Kindheit und Jugend der Protagonistin Elle, zeichnet aber auch nach, was in den Wochen zuvor geschah und wie sich die heikle Situation am Ende auflöst. Zunächst liegt der Fokus ganz klar auf Elle, danach werden Peter und Jonas näher betrachtet. Die Ich-Perspektive und Gegenwartsform lassen das Geschehen dabei sehr unmittelbar und plastisch erscheinen.

Es ist auffallend, dass in diesem Buch Naturbeschreibungen und vor allem das Wasser eine große Rolle spielen. Doch was sich zunächst wie ein netter Sommerroman mit einer kleinen Dreiecksgeschichte anhört, entwickelt sich schon nach kurzer Zeit – und sehr überraschend – zu wirklich schwerer Kost. „Der Papierpalast“ ist vor allem ein Roman über Familienkonstellationen und zeigt dabei schonungslos, wie Eltern gegenüber ihren Kindern versagen. Ohne konkreter auf die Themen eingehen zu wollen: vieles ist zutiefst erschütternd, erklärt aber auch, wie die Figuren dorthin gekommen kamen, wo sie heute sind.

Heute erst wurde verkündet, dass der Roman es leider nicht auf die Shortlist des „Women‘s Prize“ geschafft hat. Schade, denn auch wenn die Handlung sicherlich nicht angenehm zu lesen war, wird das Buch noch lange in mir nachklingen.

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Veröffentlicht am 12.04.2022

Beeindruckend!

Eisvogel und Lotusblüte
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Die japanische Kunst ist eng mit der Natur verbunden. Beginnend aus einer buddhistischen Betrachtungsweise im Mittelalter entwickelten sich prachtvolle Szenen, die verschiedenste Tier-, Baum- und Blumenarten ...

Die japanische Kunst ist eng mit der Natur verbunden. Beginnend aus einer buddhistischen Betrachtungsweise im Mittelalter entwickelten sich prachtvolle Szenen, die verschiedenste Tier-, Baum- und Blumenarten zeigten. Ursprünglich nur für den Adel bestimmt, entstanden daraus am Ende des 18. Jahrhunderts die so genannten „Ukiyo-e“, was grob mit „Bilder einer fließenden Welt“ übersetzt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Genre japanischer Malerei und Druckkunst, welches das Lebensgefühl des Bürgertums in den großen Städten der Edo-Zeit widerspiegelt.

Eine wunderbare Sammlung solcher Bilder hat die Französin Anne Sefrioui nun im Prestel Verlag herausgegeben. Kernstück von „Eisvogel und Lotusblüte. Vögel in Meisterwerken der japanischen Holzschnittkunst“ ist ein mit roter Seide bezogenes Leporello, welches 60 Farbtafeln mit wunderschönen Vogelmotiven umfasst. Diese nehmen mal eine einzelne, mal eine Doppelseite ein und zeigen die unterschiedlichsten Vogelarten und Jahreszeiten. Darüber hinaus verfügt die Ausgabe über ein 48-seitiges Booklet, welches in die Geschichte des japanischen Holzschnittes einführt und alle Gemälde mit Titel, Künstlernamen und dem aktuellen Standort auflistet. Beides wird gemeinsam in einem stabilen Schuber verstaut.

Die Motive sind klassisch – als Pflanzenarten tauchen Pfingstrosen, Chrysanthemen, Lotus, blaue Schwertlilien, Kamelien und immer wieder die Kirschblüte auf, in Japan „sakura“ genannt. Unter den Vogelarten stechen vor allem die zahlreichen Wasser- und Singvögel sowie der majestätische Mandschurenkranich („tsuru“) heraus.

Unter den Werken dürfen natürlich bekannte Künstler wie Hiroshige und Hokusai nicht fehlen, aber auch weniger bekannte Namen werden präsentiert. Der sehr interessante einführende Text im Booklet weist außerdem darauf hin, dass der japanische Holzschnitt im Prinzip eine Kooperation von insgesamt vier Personen war: der Zeichner, an dessen Namen man sich am ehesten erinnerte, der Holzschneider, der das Motiv auf Holz übertrug, der Drucker, der für die Platten und das Papier verantwortlich war sowie der Verleger, der als Organisator und Herausgeber fungierte. Beeindruckend!

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Veröffentlicht am 03.04.2022

Was für ein Roman!

Die Wut, die bleibt
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Es ist eine Szene, wie sie sich vermutlich in vielen Haushalten in Deutschland und auf der Welt abgespielt haben könnte. Eine Familie sitzt beim Abendessen. Vater, Mutter, eine Teenager-Tochter und zwei ...

Es ist eine Szene, wie sie sich vermutlich in vielen Haushalten in Deutschland und auf der Welt abgespielt haben könnte. Eine Familie sitzt beim Abendessen. Vater, Mutter, eine Teenager-Tochter und zwei kleine Söhne. „Haben wir kein Salz?“, fragt der Vater. Die Mutter steht auf, niemand beachtet sie; vermutlich wird sie nur das Salz holen gehen, wie alle es von ihr erwarten. Doch Helene macht stattdessen drei Schritte zur Balkontür, geht hinaus und springt.

Mit diesen eindrücklichen Sätzen beginnt Mareike Fallwickls neuer Roman „Die Wut, die bleibt“. Erzählt wird die Handlung abwechselnd aus der Perspektive zweier sehr unterschiedlicher Frauen: auf der einen Seite Lola, 15 Jahre alt, Helenes Tochter. Sie liest das Missy Magazin, gendert, ist Feministin und immerzu wütend. Auf der anderen Seite Sarah, Helenes beste Freundin. Sie ist Schriftstellerin, angepasst, zweifelt ständig an sich selbst und vor allem an ihrer Figur. Während Sarah sich in die neue Choreografie einfügt und wie selbstverständlich die Betreuung von Helenes Kindern und den Haushalt übernimmt, gibt Lola sich ganz ihrer Wut hin.

„Die Wut, die bleibt“ ist ein passender Titel für diesen Roman, denn sie bleibt tatsächlich – von der ersten bis zu der letzten Seite. Die Wut auf Johannes, den Vater, der sich aus der Affäre zieht, weil er ja „das Geld verdienen“ muss und kaum noch zuhause ist. Die Wut auf Sarah, die ihm diese Flucht aus dem eigenen Familienleben möglich macht und die sich auch von ihrem Partner nach Belieben herumschubsen lässt. Und schlussendlich die Wut auf ein System, das Patriarchat, das Frauen immer wieder im Stich lässt.

Das vordergründige Thema des Buches liegt auf der Hand: weibliche Wut, so verständlich und dennoch so abgewertet, als Hysterie, als Überreaktion, als unfein. Doch „Die Wut, die bleibt“ spricht noch so viel mehr an: Bodyshaming und den Bezug zum eigenen Körper, Frauen, die den Großteil unbezahlter Care-Arbeit leisten und zum Dank dafür gerne vergessen werden, sexualisierte und physische Gewalt gegen Frauen, Partner, die sich ihrer Verantwortung entziehen. Unbedingt lesen, absolutes Jahreshighlight!

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Veröffentlicht am 26.03.2022

Fabelhaft!

Doppelporträt
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London 1969. Zum 80. Geburtstag seiner Großmutter möchte Mathew Prichard ein Porträt von ihr malen lassen. Nur widerwillig stimmt sie zu, denn Aufmerksamkeit ist ihr ebenso zuwider, wie die genaue Betrachtung ...

London 1969. Zum 80. Geburtstag seiner Großmutter möchte Mathew Prichard ein Porträt von ihr malen lassen. Nur widerwillig stimmt sie zu, denn Aufmerksamkeit ist ihr ebenso zuwider, wie die genaue Betrachtung ihrer selbst. Auch der Maler zweifelt, denn eigentlich wollte er London bereits in wenigen Tagen wieder verlassen. Und so startet diese Zweckgemeinschaft in die erste von sechs Sitzungen, in denen sich die beiden besser kennenlernen, intensive, tiefgründige Gespräche führen und am Ende zu Freunden werden. Die Großmutter ist Schriftstellerin Agatha Christie, der Maler Oskar Kokoschka.

In ihrem Roman mit dem sprechenden und mehrdeutigen Titel „Doppelporträt“ erzählt die schwedische Autorin Agneta Pleijel, wie ihrer Meinung nach die Begegnung zwischen Agatha und Oskar abgelaufen ist. Dabei wechselt sie immer wieder die Perspektive und betrachtet die beiden Künstler jeweils mit den Augen des/der anderen. In Gesprächen, aber auch in ihren Gedanken tauchen sie immer wieder in die eigene Vergangenheit ein, so dass sich quasi zwei Kurzbiographien ergeben. Besonders springt dabei ins Auge, dass Pleijel ihre wörtliche Rede nicht kennzeichnet, das macht – meiner Meinung nach – den Text aber nicht weniger verständlich.

In Agatha Christie und Oskar Kokoschka treffen zwei große Persönlichkeiten aufeinander. Sie ist zunächst sehr skeptisch und kann den Maler und vor allem seine Art, zu arbeiten nicht verstehen. Er weiß seinerseits nicht, was er von der in sich gekehrten alten Dame halten soll. Doch dann entdecken sie Gemeinsamkeiten, zum Beispiel in ihren Erfahrungen mit unglücklicher Liebe, Mutter- bzw. Vaterschaft und natürlich der Kunst. Alle Gespräche sind fiktiv, wirken aber sehr authentisch und plausibel.

Wer hier erwartet, einen vollständigen Abriss über das Leben der beiden Berühmtheiten zu erhalten, wird sicherlich enttäuscht. Wer sich aber auf diese Art des Erzählens in Gesprächen und kurzen Schlaglichtern einlassen kann, erhält einen privaten, beinahe zärtlichen Blick auf zwei große Künstler, in dem weder Agathas mysteriöses Verschwinden noch Oskars Besessenheit von einer Puppe fehlen. Fabelhaft!

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Veröffentlicht am 21.03.2022

Tolle Sammlung!

In all deinen Farben
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Psyche wartet schon lange auf die Gelegenheit, sich in der Redaktion des Fashion-Magazins „Olympus“ zu beweisen. Dabei steht jedoch nicht nur die komplizierte Beziehung zu ihrer Vorgesetzten Venus auf ...

Psyche wartet schon lange auf die Gelegenheit, sich in der Redaktion des Fashion-Magazins „Olympus“ zu beweisen. Dabei steht jedoch nicht nur die komplizierte Beziehung zu ihrer Vorgesetzten Venus auf dem Spiel, sondern auch die zu deren Bruder Eros, der Psyche vor einiger Zeit das Herz gebrochen hat. Siya führt eine Armee von Rebellen an, die den eigenen Onkel vom Thron stoßen soll. Um ihr Volk zu schützen, muss sie jedoch ein großes Opfer bringen. Studentin Thisbe nähert sich durch einen Riss in der Wand ihres Wohnheims ihrem Nachbarn Pyramus an; so teilen sie Playlists, aber auch tiefsinnige Gedanken miteinander.

Das sind nur drei Charaktere, die in Bolu Babalolas Kurzgeschichtenband „In all deinen Farben“ eine Rolle spielen. Insgesamt zehn von diesen Geschichten sind dabei berühmten Women of Colour gewidmet, die den Mythen unterschiedlichster Kulturen entstammen, so zum Beispiel der griechischen, nigerianischen oder persischen. Dabei verlegt sie einige Erzählungen in eine moderne Zeit, andere bleiben klassisch und zeitlos. Immer setzt Babalola jedoch den Fokus auf die weiblichen Figuren, ihre Stärken und ihre Rolle in der Gesellschaft. Drei weitere Geschichten entspringen komplett ihrer eigenen Phantasie, sind aber nicht weniger gelungen.

Sprachlich gelingen der Autorin kurze, prägnante Texte von unheimlicher Kraft. Ihre Protagonistinnen haben ein klares Profil, sind realistische Frauenfiguren mit Schwächen und Makeln, aber gleichzeitig dem Willen, Dinge in die Hand zu nehmen und sie für sich und die Menschen um sie herum zum Positiven zu wenden. Dabei gehen sie weit über ihre Grenzen hinaus, auch wenn die Möglichkeit des Scheiterns besteht.

Einziger Kritikpunkt an diesem Erzählband? Dass ich die Figuren aus den Geschichten nicht länger begleiten kann, denn der Autorin gelingt es, mir mit diesen kurzen Einblicken Lust auf das große Ganze zu machen, auf das gesamte Universum. Umso mehr freue ich mich darauf, in Zukunft noch mehr von Bolu Babalola zu lesen und zu entdecken, was sie vermag, wenn sie einen ganzen Roman Zeit hat, ihre Handlung aufzubauen. Eine tolle Sammlung!

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