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Veröffentlicht am 13.06.2022

Über Andrew Haswell Green

Der große Fehler
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Es ist Freitag, der 13. November 1903, und für Andrew Haswell Green ist es wahrlich ein Unglückstag. Auf offener Straße, auch noch vor seiner eigenen Haustür, wird der 83-Jährige erschossen. Was steckt ...

Es ist Freitag, der 13. November 1903, und für Andrew Haswell Green ist es wahrlich ein Unglückstag. Auf offener Straße, auch noch vor seiner eigenen Haustür, wird der 83-Jährige erschossen. Was steckt hinter diesem Mord? Und wie hat es der Sohn eines mittellosen Bauern geschafft, zu einer ruhmreichen Persönlichkeit zu werden?

„Der große Fehler“ ist ein Roman von Jonathan Lee.

Meine Meinung:
Der Roman ist unterteilt in 33 kurze Kapitel. Sie sind benannt nach den Toren des Central Parks, eine schöne Idee.

Der Schreibstil wirkt ein wenig altertümlich mit der antiquierten Ausdrucksweise. Für mich passt diese Sprache jedoch gut zur Geschichte. Sie verleiht dem Buch Charme.

Der Protagonist ist ein interessanter Charakter, der ein erlebnis- und erfolgreiches Leben aufweisen kann und somit eine Menge Stoff für eine Romanbiografie bietet. Insgesamt glänzen in dem vorliegenden Werk aber die Nebenfiguren, vor allem die weiblichen.

Inhaltlich ist der Roman in zweifacher Hinsicht reizvoll: Einerseits bringt der Autor seiner Leserschaft eine historische Person nahe, die sich auf mehreren Gebieten verdient gemacht hat. Andererseits geht es um einen Mordfall. Dieses Konzept ist vielversprechend und stellt einen guten Ansatz dar. Keine der beiden Erzählstränge ist jedoch komplett überzeugend umgesetzt. Für eine Kriminalgeschichte ist das Werk zu durchschaubar und wenig aufregend, für einen autobiografischen Roman ist es zu unvollständig.

Obwohl ich bei diesem Roman keinesfalls eine durchweg spannende Handlung erwartet habe und deshalb mit dem gemächlichen Erzähltempo kein Problem hatte, haben mich einige Längen gestört. Das liegt daran, dass die Geschichte immer wieder ihren roten Faden verliert und einzelne anekdotenhafte Episoden eingeflochten sind. Manche davon sind sehr lesenswert und unterhaltsam, andere weniger fesselnd.

Das deutsche Cover finde ich in optischer Sicht sehr ansprechend. Allerdings gibt es nur einen weniger direkten Bezug, was das Motiv angeht. Der englischsprachige Originaltitel („The Great Mistake“) wurde wortgetreu ins Deutsche übertragen.

Mein Fazit:
Mit „Der große Fehler“ hat Jonathan Lee eine interessante Persönlichkeit wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt und Andrew Green zu recht eine Art Denkmal gesetzt. Leider verschenkt der Roman in seiner Umsetzung aber einen Teil seines großen Potenzials.

Veröffentlicht am 08.06.2022

Ein Neuanfang am Waldrand

In den Wäldern der Biber
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Die Beziehung mit Fabian ist vorbei, in ihrem hektischen Leben in Frankfurt am Main fühlt sich Alina mittlerweile unwohl. Bei ihrem Großvater Siegfried Engelhardt in dem Dorf Spechthausen in Brandenburg ...

Die Beziehung mit Fabian ist vorbei, in ihrem hektischen Leben in Frankfurt am Main fühlt sich Alina mittlerweile unwohl. Bei ihrem Großvater Siegfried Engelhardt in dem Dorf Spechthausen in Brandenburg möchte sie zur Ruhe kommen. Zwar hatten die beiden seit Längerem keinen Kontakt mehr. Dennoch nimmt er seine Enkelin bei sich in dem Haus am Waldrand auf.

„In den Wäldern der Biber“ ist ein Roman von Franziska Fischer.

Meine Meinung:
Der Roman setzt sich aus 24 Kapiteln und einem mit „Weihnachten“ überschriebenen Epilog zusammen. Die Struktur ist unkompliziert und funktioniert gut. Die Handlung ist chronologisch aufgebaut, beinhaltet aber auch Rückblenden.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Alina. In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman komplett überzeugt, obwohl der Schreibstil recht dialoglastig ist und überwiegend auf eine einfache Syntax zurückgreift. Gleichzeitig aber gelingt es der Autorin, immer wieder starke, oft sogar kreative Sprachbilder und eine eindringliche Atmosphäre zu schaffen.

Ein Manko ist für mich die Protagonistin. Zwar wirkt sie insgesamt durchaus lebensnah. Obwohl ihre Gedanken und Gefühle deutlich werden, blieb sie mir allerdings in ihrem Verhalten teilweise fremd.

Das Setting des Romans hat mich sofort angesprochen. Die Natur bildet jedoch größtenteils nur die Kulisse für Themen, die fast jeden beschäftigen: Wie stelle ich mir mein Leben vor? Welche Ziele, welche Wünsche habe ich? Lebensentwürfe und Neuorientierung spielen also eine große Rolle.

Auf den rund 300 Seiten ist die Geschichte abwechslungsreich und kurzweilig. Mir haben jedoch stellenweise etwas Tiefgang und überraschende Momente gefehlt.

Der Titel und das ansprechende Covermotiv sind in sehr gelungener Weise aufeinander abgestimmt.

Mein Fazit:
Mit „In den Wäldern der Biber“ hat Franziska Fischer einen unterhaltsamen Roman geschrieben, der mich in Bezug auf seine Sprache begeistert hat. Trotz kleinerer Schwächen eine Geschichte, die schöne Lesestunden verschafft.

Veröffentlicht am 02.06.2022

Wenn Trauern nur im Verborgenen möglich ist

Verheizte Herzen
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Als Anwältin hat Ana Kelly häufig mit Todesfällen zu tun. Doch auf den Anruf von Rebecca Taylor, die ihr von dem Unfalltod ihres Mannes Connor Mooney erzählt, war sie nicht gefasst. Drei Jahre hatten Ana ...

Als Anwältin hat Ana Kelly häufig mit Todesfällen zu tun. Doch auf den Anruf von Rebecca Taylor, die ihr von dem Unfalltod ihres Mannes Connor Mooney erzählt, war sie nicht gefasst. Drei Jahre hatten Ana und Connor eine heimliche Affäre, obwohl auch die Anwältin verheiratet ist. In ihrer Trauer versucht sie, sich mit ihrer früheren Kontrahentin anzufreunden…

„Verheizte Herzen“ ist ein Roman von Sarah Crossan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus fünf Teilen. Die Handlung umfasst einige Zeitsprünge in die Vergangenheit und die Zukunft.

In stilistischer Hinsicht ist das Buch sehr besonders. Es handelt sich um einen Versroman, der ohne Reime auskommt und doch bisweilen poetische Untertöne hat.

Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ana. Die Sprache ist weder verschnörkelt noch schwülstig, sondern sogar recht reduziert, aber dennoch intensiv und eindringlich.

Ana ist für mich keine klassische Sympathieträgerin, aber eine durchaus interessante Protagonistin. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut nachvollziehen. Neben ihr bleiben die anderen Figuren jedoch größtenteils ziemlich blass.

Zwar spielt auch die romantische Liebe eine Rolle, aber ohne Kitsch und die üblichen Handlungsstränge. Inhaltlich geht es vielmehr um Trauer und Verlust, um Heimlichkeiten, Betrug und Schuldgefühle. Eine interessante Mischung, von der ich in dieser Form noch nicht oft gelesen habe.

Auf rund 260 Seiten entwickelt sich schnell ein Lesesog. Ein paar überraschende Enthüllungen steigern den Unterhaltungswert.

Das Cover mit den erhabenen Elementen ist hübsch geworden und macht einen wertigen Eindruck. Thematisch noch besser passen würde es allerdings, wenn der englischsprachige Originaltitel („Here is the Beehive“) wortgetreu übernommen worden wäre.

Mein Fazit:
„Verheizte Herzen“ ist ein lesenswerter Roman von Sarah Crossan. Eine vor allem stilistisch ungewöhnliche Lektüre mit nur kleineren Schwächen.

Veröffentlicht am 28.05.2022

Eine Teenagerin am Rande der Gesellschaft

Nachtschwärmerin
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East Oakland in Kalifornien: Die Mutter sitzt im Gefängnis, der Vater ist tot. Mit ihrem älteren Bruder Marcus muss sich Kiara (17) durchschlagen. Sie schafft es jedoch nicht, sich einen regulären Nebenjob ...

East Oakland in Kalifornien: Die Mutter sitzt im Gefängnis, der Vater ist tot. Mit ihrem älteren Bruder Marcus muss sich Kiara (17) durchschlagen. Sie schafft es jedoch nicht, sich einen regulären Nebenjob zu suchen. Deshalb rutscht sie in die Prostitution ab…

„Nachtschwärmerin“ ist der Debütroman von Leila Mottley.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus etlichen kurzen Kapiteln, die zumeist noch in Abschnitte aufgeteilt sind. Der Aufbau ist recht einfach.

Der Schreibstil hat mich leider nicht sonderlich beeindruckt. Er ist geprägt von einem umgangssprachlichen, teilweise vulgären Ton und von vielen Dialogen. Das wirkt zwar durchaus authentisch und anschaulich, liest sich aber nicht so elegant. Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Kiara.

Kiara ist eine reizvolle und durchaus sympathische Protagonistin. Ihr Verhalten ist manchmal nicht ganz nachvollziehbar und schwer zu ertragen.

Das Thema des Romans hat mich sofort angesprochen. Ich finde es wichtig, die oft strukturellen Probleme schwarzer Frauen sichtbar zu machen. In dem interessanten Nachwort der Autorin ist zu lesen, dass die Geschichte auf wahren Tatsachen beruht. Die Recherche ist dem Roman immer wieder anzumerken.

Auf etwas mehr als 400 Seiten ist die Geschichte aufgrund von Themen wie Gewalt und Missbrauch keine leichte Kost, aber kurzweilig und fesselnd. Allerdings gibt es einige inhaltliche Wiederholungen, was mich ein wenig gestört hat.

Der deutsche Titel ist auf gelungene Weise aus dem amerikanischen Englisch („Nightcrawling“) übertragen. Das Cover des deutschen Verlags gefällt mir sogar besser als das Original.

Mein Fazit:
Mit ihrem Debüt hat mich Leila Mottley nicht in allen Punkten überzeugt. Dennoch ist „Nachtschwärmerin“ ein besonderer Roman.

Veröffentlicht am 29.04.2022

Wenn der Sohn in die falschen Kreise gerät

Was es braucht in der Nacht
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Die Region Lothringen in Frankreich: Nach dem Tod der Mutter müssen Frédéric, genannt Fus, und sein Bruder Gillou schon in jungen Jahren oft alleine zurechtkommen. Der Vater ist gelegentlich beruflich ...

Die Region Lothringen in Frankreich: Nach dem Tod der Mutter müssen Frédéric, genannt Fus, und sein Bruder Gillou schon in jungen Jahren oft alleine zurechtkommen. Der Vater ist gelegentlich beruflich über Nacht unterwegs. Dennoch schlagen sie sich noch recht passabel, obwohl die Mutter sehr fehlt. Doch dann gerät Fus mit Anfang 20 in den Dunstkreis einer rechtsextremen Gruppe…

„Was es braucht in der Nacht“ ist der Debütroman von Laurent Petitmangin.

Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in 23 kurze Kapitel und endet mit einem Brief, der als eine Art Epilog verstanden werden kann. Es gibt mehrere Zeitsprünge, wobei sich die Handlung nur ungefähr zeitlich einordnen lässt.

Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht des Vaters. Die Wortwahl entspricht eher der Umgangssprache, was mich in diesem Fall aber nicht gestört hat, weil es sehr authentisch und passend zum Arbeitermilieu wirkt. Der Schreibstil ist schnörkellos und wenig detailreich, aber atmosphärisch. Die reduzierte Ausdrucksweise erfordert ein Lesen zwischen den Zeilen und lässt Raum für Interpretationen.

Inhaltlich hat mich der Roman sehr gereizt. Die Frage, wie ein Kind in den Extremismus abrutschen kann und wie sich ein Elternteil verhalten sollte, ist sehr interessant und regt zum Nachdenken an. Diese aktuelle Thematik steht im Mittelpunkt des Romans.

Auf weniger als 150 Seiten herrscht durchweg eine schwelende Grundspannung, die neugierig auf den weiteren Verlauf der Geschichte macht. Auch eine dramatische Wendung im letzten Drittel sowie der überraschende Schluss erzeugen einen hohen Unterhaltungswert. Alles in allem habe ich jedoch das Gefühl, dass die Geschichte zu viele Leerstellen und offene Fragen lässt.

Das größere Manko ist aber für mich die Ausgestaltung der drei Protagonisten. Sowohl der namenlose Vater als auch seine beiden Söhne blieben mir fremd und unsympathisch. Trotz der recht dramatischen Geschichte kamen bei mir kein Mitgefühl und nur wenig Verständnis auf. Gedanken und Beweggründe werden nur beim Vater richtig deutlich. Nachvollziehbar sind seine Reaktionen aber nicht für mich. Das trifft nicht nur, aber vor allem auf die letzten Kapitel zu.

Der deutsche Titel, der sich nahe am französischen Original („Ce qu‘il faut de nuit“) orientiert, erschließt sich mir leider nicht so ganz. Dagegen finde ich das Cover jedoch nicht unpassend.

Mein Fazit:
Meinen hohen Erwartungen wurde Laurent Petitmangin mit seinem Roman leider nicht in Gänze gerecht. Trotzdem ist „Was es braucht in der Nacht“ durchaus eine lohnenswerte Lektüre, die nachhallt. Auf die Verfilmung bin ich neugierig.