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Veröffentlicht am 06.05.2022

Unter Wölfen

Wo die Wölfe sind
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Mit ihrer Zwillingsschwester Aggie kommt Inti Flynn nach Schottland, um dort ein Team von Biologen anzuführen. In den abgelegenen Highlands wollen die Wissenschaftler 14 Wölfe wieder ansiedeln. Auch für ...

Mit ihrer Zwillingsschwester Aggie kommt Inti Flynn nach Schottland, um dort ein Team von Biologen anzuführen. In den abgelegenen Highlands wollen die Wissenschaftler 14 Wölfe wieder ansiedeln. Auch für sich selbst Inti hofft auf einen Neuanfang…

„Wo die Wölfe sind“ ist ein Roman von Charlotte McConaghy.

Meine Meinung:
Der Roman beinhaltet 31 angenehm kurze Kapitel und endet mit einem Epilog. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Inti - vorwiegend im Präsens. Allerdings wechselt das Tempus immer mal wieder in die Vergangenheitsform, denn die Geschichte enthält einige Rückblicke.

Der Schreibstil wirkt ungekünstelt und unaufgeregt. Er ist dank gelungener Beschreibungen wunderbar anschaulich und aufgrund etlicher Dialoge lebhaft.

Inti steht eindeutig im Vordergrund der Geschichte. Sie ist mit viel psychologischer Tiefe ausgestattet und trotz oder gerade wegen ihrer Ecken und Kanten ein sympathischer, lebensechter Charakter. Auch die übrigen Figuren machen einen realitätsnahen Eindruck.

Auch darüber hinaus wird der Roman meinen inhaltlichen Erwartungen gerecht. Besonders gut haben mir die vielen Bezüge zur Natur gefallen. Die Botschaft, dass Mensch und Tier im Einklang miteinander leben müssen, ist gleichermaßen aktuell und wichtig. Auf unterhaltsame Weise lässt sich beim Lesen zudem interessantes Wissen zum Lebewesen Wolf erfahren.

Dabei ist das Buch keineswegs trocken, denn die Autorin hat gekonnt abwechslungsreiche Elemente eingeflochten, beispielsweise eine kleine Kriminalgeschichte und ungewöhnliche Fähigkeiten. Nicht zuletzt deswegen kommt auf den rund 420 Seiten keine Langeweile auf.

Das künstlerisch anmutende Cover ist nicht nur hübsch, sondern passt auch motivisch sehr gut. Der doppeldeutige Titel ist nicht ganz originalgetreu („Once There Were Wolves“) aus dem Englischen übersetzt, aber dennoch ebenfalls treffend gewählt.

Mein Fazit:
„Wo die Wölfe sind“ von Charlotte McConaghy ist ein Roman, der mich in mehrfacher Hinsicht überzeugt hat. Definitiv empfehlenswert! Er gehört schon jetzt zu meinen Lieblingsbüchern des Jahres 2022.

Veröffentlicht am 13.04.2022

Im Dienste Deutschlands

Die Diplomatin
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Friederike Andermann, kurz Fred, gilt als eine erfahrene Konsulin. Doch in Uruguay wird der deutschen Botschafterin eine vermisste Bloggerin zum Verhängnis. Deshalb wird sie ins politisch aufgeheizte Istanbul ...

Friederike Andermann, kurz Fred, gilt als eine erfahrene Konsulin. Doch in Uruguay wird der deutschen Botschafterin eine vermisste Bloggerin zum Verhängnis. Deshalb wird sie ins politisch aufgeheizte Istanbul versetzt, ihrer bisher größte Herausforderung…

„Die Diplomatin“ ist ein Roman von Lucy Fricke.

Meine Meinung:
Die Handlung spielt in Montevideo, Istanbul und Hamburg. Entsprechend besteht der Roman aus drei Teilen unterschiedlicher Länge, die wiederum etliche Kapitel umfassen. Die Geschichte erstreckt sich über mehrere Jahre. Der Aufbau ist plausibel und funktioniert gut.

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman absolut überzeugt. Der dialoglastige Schreibstil wirkt zunächst schnörkellos. Er konnte mich aber schnell mit seiner dichten Atmosphäre, gelungenen Sprachbildern und den teils lakonischen Zwischentönen begeistern. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Fred.

Die Protagonistin ist schon alleine aufgrund ihres Berufs ein interessanter Charakter. Mir gefällt gut, dass sie als authentische, eher reifere Person mit psychologischer Tiefe dargestellt wird. Auch die übrigen Figuren kommen glaubwürdig rüber.

Besonders gereizt hat mich das kreative Thema, die Geschichte einer Botschafterin zu erzählen. Die Umsetzung zeugt von einer fundierten Recherche. Ich habe nicht nur gerne mehr über den Arbeitsalltag einer Diplomatin erfahren, sondern mochte auch die feministischen Aspekte, die in der Geschichte gut herausgearbeitet werden. Auch die vielen aktuellen Anknüpfungspunkte bezüglich der Politik sprechen für den Roman.

Auf rund 250 Seiten kommt keinerlei Langeweile auf. Die Handlung wartet mit Verwicklungen und Hindernissen auf, ohne in punkto Dramatik über das Ziel hinauszuschießen.

Das moderne, kunstvoll gestaltete Cover trifft genau meinen Geschmack, obwohl der inhaltliche Bezug nicht direkt gegeben ist. Der prägnante Titel passt hervorragend.

Mein Fazit:
Mit „Die Diplomatin“ hat Lucy Fricke einen empfehlenswerten Roman geschrieben, der sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der sprachlichen Ebene keine Schwächen aufweist. Ein Buch, das Lust darauf macht, weitere Werke der Autorin zu entdecken.

Veröffentlicht am 13.04.2022

Kindheit vor aller Augen

Die Kinder sind Könige
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Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. ...

Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. Auch ihre Tochter zeigt sie in den Videos und Fotos. Eines Tages verschwindet Kimmy jedoch nach einem Versteckspiel spurlos. Polizistin Clara Roussel nimmt die Ermittlungen auf…

„Die Kinder sind Könige“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen, die sich wiederum in etliche umnummerierte Kapitel gliedern. Der erste Teil spielt vorwiegend im Jahr 2019, deckt aber auch die Zeit ab 2001 ab. Der zweite Teil spielt in der Zukunft, konkret im Jahr 2031.

Der Schreibstil macht zunächst einen nüchternen, recht berichtenden Eindruck. Zugleich ist er aber intensiv und einfühlsam.

Die Charaktere werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Sie wirken daher realitätsnah und glaubhaft.

Das Thema des Romans ist brandaktuell und zugleich sehr bedeutsam. Wieder einmal greift die Autorin ein aufwühlendes, kontroverses Sujet auf, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt: die ausbeuterische Vermarktung von Kindern in den sozialen Medien und das Verletzen der Rechte und Gefühle von Kindern. All die skurrilen bis gefährlichen Auswüchse und Trends in der Sphäre der Influencer kommen aufs Tableau. Zugegebenermaßen sind die Schilderungen der Folgen im Roman ein eher extremes Beispiel. Ich finde es allerdings toll, dass die Autorin auf diesem Weg für die Problematik sensibilisiert. Darüber hinaus gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Phänomens abzubilden, ohne die Zwischentöne zu vergessen.

Auf rund 300 Seiten behält der Roman seine soghafte Wirkung bei. Das liegt einerseits an den rätselhaften Umständen des Verschwinden Kimmys und deren unbekannten Gründen. Andererseits versteht es die Autorin, auch in den weniger dramatischen Passagen zu fesseln.

Der deutsche Titel ist erfreulich wortgetreu aus dem französischen Original („Les Enfants Sont Rois“) übersetzt. Das Cover ist hübsch, aber erschließt sich mir nur in Teilen.

Mein Fazit:
Auch mit „Die Kinder sind Könige“ hat mich Delphine de Vigan begeistert. Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, eine wichtige Thematik auf gelungene Weise in einen aufrüttelnden Roman zu packen. Uneingeschränkt empfehlenswert!

Veröffentlicht am 07.03.2022

Drama auf und abseits der Bühne

Die Feuer
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Im Kulturzentrum von Melbourne wird Samuel Becketts „Glückliche Tage“ aufgeführt, während außerhalb in den Bergen die Buschfeuer wüten. Drinnen verfolgen drei Frauen nicht nur das Stück auf der Bühne, ...

Im Kulturzentrum von Melbourne wird Samuel Becketts „Glückliche Tage“ aufgeführt, während außerhalb in den Bergen die Buschfeuer wüten. Drinnen verfolgen drei Frauen nicht nur das Stück auf der Bühne, sondern beschäftigen sich auch mit ihren eigenen Leben. Da ist die Literaturprofessorin Margot Pierce, Anfang 70, die mit ihrem Sohn Adam und mit ihrer Ehe mit dem dementen John hadert. Da ist die Kunstmäzenin Ivy Parker, Anfang 40, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Und da ist die Platzanweiserin und angehende Schauspielerin Summer (22), die sich Sorgen um ihre Freundin April macht…

„Die Feuer“ ist ein Roman von Claire Thomas.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus neun Kapiteln, jeweils drei für jede der drei Frauen. Erzählt wird im Präsens abwechselnd aus der Sicht von Margot, Summer und Ivy. Durchbrochen wird dieses Schema durch den Teil „Pause“, der wie ein Drama aufgebaut ist und sich auf Dialoge und Regieanweisungen beschränkt. Eine interessante und gut funktionierende Struktur.

Auch sprachlich hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist schnörkellos, aber eindringlich und intensiv. Die unterschiedlichen Perspektiven variieren auch in sprachlicher Hinsicht auf hervorragende Weise. Das Geschehen auf der Bühne und die Gedanken der Frauen werden kunstvoll verwoben.

Die drei Frauen sind recht unterschiedlich. Sie alle sind keine klassischen Sympathieträgerinnen, aber authentische und reizvolle Charaktere. Die Gedanken und Gefühle der Protagonistinnen lassen sich sehr gut nachvollziehen.

Thematisch wird ein breites Spektrum abgedeckt. Es geht um den Klimawandel, psychische Probleme, traumatische Erlebnisse, Gewalt und einiges mehr. Vor allem aber überdenken die drei Protagonistinnen ihre bisherigen Sichtweisen und ihre Leben, was Denkimpulse auslöst und mich ebenfalls zum Nachdenken angeregt hat. Zugleich werden sich in dem Roman einige Frauen wiederfinden können. Das Beckett-Stück bildet einen skurrilen, ja bizarren Rahmen und ist ein passender Hintergrund, der etliche Anknüpfungspunkte bietet.

Obwohl auf der Handlungsebene nicht viel passiert, entfaltet der Roman schon nach wenigen Seiten eine Sogkraft. Sie hält auf den rund 250 Seiten an.

Das künstlerisch anmutende Cover lässt sowohl an die Feuer als auch an die Frauen denken - eine gute Wahl. Der mehrdeutige deutsche Titel ist einerseits ansprechend, aber andererseits etwas irreführender als das englischsprachige Original („The Performance“).

Mein Fazit:
„Die Feuer“ von Claire Thomas ist ein eindringlicher und eindrucksvoller Roman. Eine empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 17.02.2022

Vor den Augen der Mitbewohner verhungert

Wir sind das Licht
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In einem Reihenhaus in den Niederlanden: Elisabeth van Hellingen stirbt an einem frühen Morgen an Unterernährung. Ihre drei Mitbewohner der Wohngruppe Klang & Liebe sind dabei. Peter Zwarts, Muriel de ...

In einem Reihenhaus in den Niederlanden: Elisabeth van Hellingen stirbt an einem frühen Morgen an Unterernährung. Ihre drei Mitbewohner der Wohngruppe Klang & Liebe sind dabei. Peter Zwarts, Muriel de Vree und Elisabeths Schwester Melodie sind ebenfalls abgemagert. Sie werden festgenommen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

„Wir sind das Licht“ ist der Debütroman von Gerda Blees.

Meine Meinung:
Aufgeteilt ist der Roman in 25 eher kurze Kapitel. Bei jedem wechselt die Erzählperspektive. Das Ungewöhnliche dabei: Erzählt wird nicht nur aus der Sicht von menschlichen Figuren, sondern auch aus der von Gegenständen und sogar eher abstrakten Begriffen. Das funktioniert - mit nur kleinen Unstimmigkeiten - sehr gut und sorgt für ein besonderes Lesevergnügen.

Die Handlung spielt in einer nicht näher beschriebenen Stadt in den Niederlanden. Sie erstreckt sich über wenige Tage. Erzählt wird chronologisch, unterbrochen von nur wenigen Rückblenden.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Die Ausdrucksweise variiert ausreichend zwischen den unterschiedlichen Perspektiven. Zudem verfügt der Roman - trotz der ernsten Thematik - über eine Menge Wortwitz.

Zu den vier Protagonisten bleibt man in gewisser Distanz. Das hält die Spannung aufrecht. Obwohl man nicht viele Details zu den persönlichen Hintergründen der Personen erfährt, wirken die Charaktere authentisch.

Inhaltlich ist der Roman beklemmend. Wie kann es so weit kommen, dass eine erwachsene Frau ohne Not an Unterernährung stirbt? Wie kann es sein, dass ihre Wohngemeinschaft tatenlos zugesehen hat? Diesen zwei Fragen geht die Geschichte nach, die lose auf einer wahren Begebenheit basiert: Die Autorin wurde von dem Tod einer Frau im Sommer 2017 inspiriert, die in einer Wohngruppe in Utrecht lebte. Im Roman werden die näheren Umstände eines solchen Vorfalls geschildert. Unfassbar und unbegreiflich ist mir das Ganze aber dennoch geblieben, und so soll es vermutlich auch sein. Der unnötige Tod hat mich betroffen und nachdenklich gemacht.

Thematisch ist der Roman durchaus sehr aktuell und hat auch gesellschaftspolitische Dimensionen. Es geht um psychische Manipulation, alternative Wahrheiten, das Negieren von wissenschaftlichen Tatsachen und ähnliche Aspekte, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.

Trotz der Dramatik der Ausgangssituation ist das Erzähltempo eher ruhig. Die Handlung auf den weniger als 240 Seiten ist darüber hinaus überschaubar. Dennoch konnte mich der Roman konstant fesseln. Schlüssig und stimmig ist für mich, dass die Geschichte nicht alle Fragen komplett beantwortet und Platz für eigene Interpretationen lässt.

Der deutsche Titel ist wortgetreu aus dem Niederländischen („Wij zijn Licht“) übernommen. Er passt sehr gut zum Inhalt. Das gilt auch für das ungewöhnliche Cover.

Mein Fazit:
„Wir sind das Licht“ von Gerda Blees ist ein aus erzählerischer und inhaltlicher Sicht sehr außergewöhnlicher und lesenswerter Roman. Eine empfehlenswerte Lektüre, die noch lange nachhallen wird.