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Veröffentlicht am 10.07.2022

Breit ausgewalzte Geschichte des Christentums

Herrschaft
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Tom Holland möchte hier zeigen, wie sehr das Christentum dazu beitrug, dass „wir im Westen wurden, was wir sind, und so denken, wie wir denken“, und dass seine Einflüsse auch in unseren heutigen „säkularen“ ...

Tom Holland möchte hier zeigen, wie sehr das Christentum dazu beitrug, dass „wir im Westen wurden, was wir sind, und so denken, wie wir denken“, und dass seine Einflüsse auch in unseren heutigen „säkularen“ Gesellschaften allgegenwärtiger sind, als es wohl selbst gläubigen Menschen bewusst ist und als die meisten Atheisten jemals zugeben würden.
Er verfolgt den Lauf der Geschichte von der Antike bis ins 21. Jahrhundert und versucht zu erklären, wie eine Glaubensrichtung, deren Gründer von einer Großmacht als Verbrecher hingerichtet wurde, die ganze Welt erobern, schließlich sogar selbst als Rechtfertigung für imperiale Bestrebungen dienen, aber beispielsweise auch Argumente für die Abschaffung der Sklaverei liefern konnte.

Es gibt dabei durchaus erhellende Einsichten, zahlreiche Themen werden unter einem neuen Blickwinkel betrachtet. So etwa, dass sich in der „Me too“ Bewegung Anklänge an die puritanische Sexualmoral finden, oder, dass bereits unsere Vorstellung, es gäbe eine Trennung in einen religiösen und einen nicht-religiösen Bereich, vom Christentum beeinflusst ist. Sogar Kritik am Christentum leitet sich regelmäßig von einem Bezugssystem ab, das selbst durch und durch christlich geprägt ist.

Die Ausführungen sind jedoch zu weitschweifig. So interessant viele historische Entwicklungslinien auch sind, hätten sie doch knapper und auf das wesentliche konzentriert dargestellt werden können.
Außerdem geht der Autor in seiner Betonung der Rolle des Christentums häufig zu weit.
Beispielsweise führt er keinen echten Beweis für seine Behauptung an, dass zahlreiche Grundannahmen der westlichen Gesellschaft und Prinzipien wie etwa die Menschenrechte „nicht aus der klassischen Antike, noch weniger aus der menschlichen Natur, sondern ganz klar aus der christlichen Vergangenheit“ stammen. Dabei könnte es doch auch, dass sich der - wie hier mehrmals konstatiert wird – (angesichts seiner Entstehungsgeschichte) unerwartete Erfolg des Christentums gerade daraus erklärt, dass viele seiner Grundgedanken und Vorschriften gut zur menschlichen Natur passen.

Doch trotz einiger Schwächen lohnt sich die Lektüre, bietet sie doch spannende Einsichten und eine ungewöhnliche Perspektive darauf, was den „Westen“ ausmacht. Auch wenn ich nicht allem zustimmen kann, regt es daher jedenfalls zum Nachdenken an.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Ein Kaiser mischt sich unters Volk

Der Kaiser reist inkognito
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Kaiser Joseph II war mit seiner Sympathie für die Aufklärung und seinen Reformbestrebungen seiner Zeit teilweise weit voraus, konnte aber zahlreichen Widerständen zum Trotz doch Akzente setzen, die Österreichs ...

Kaiser Joseph II war mit seiner Sympathie für die Aufklärung und seinen Reformbestrebungen seiner Zeit teilweise weit voraus, konnte aber zahlreichen Widerständen zum Trotz doch Akzente setzen, die Österreichs weitere Entwicklung prägten.
Dieses Buch beleuchtet eine (zumindest für mich) weniger bekannte Facette seiner Herrschaft: Mehr als ein Viertel seiner Regierungszeit verbrachte er mit Reisen, sowohl bis in die entlegensten Winkel seines Reiches als auch in Nachbarländer, immer mit dem Ziel, die wahren Verhältnisse zu erkunden und die Lebensrealitäten der einfachen Menschen kennen zu lernen.
Monika Czernin hat neun solche Reisen herausgegriffen und beschreibt sie anhand zahlreicher Originaldokumente. Vor allem Zitate aus Briefen und Tagebucheintragungen des Kaisers und seiner Mitreisenden geben dabei sehr unmittelbare Eindrücke ihrer Erlebnisse und Gedanken.
Obwohl die Reisen nicht wirklich inkognito waren, weil sich doch meist schnell herumgesprochen hat, um wen es sich bei „Graf Falkenstein“ in Wahrheit handelt, kam er der Bevölkerung doch sehr nahe, konnte die Folgen von Währungsverfall, Leibeigenschaft oder Handelsblockaden direkt aus den Berichten von Betroffenen erfahren. Doch auch Treffen mit gekrönten Häuptern oder Mitgliedern seiner weit verzweigten Familie standen auf dem Programm.
Die Autorin ordnet die Ereignisse außerdem in ihren größeren historischen Zusammenhang ein, beschreibt beispielsweise, wie der eine oder andere Landstrich unter die Herrschaft der Habsburger kam, welchen Widerständen sich Joseph am Wiener Hof (nicht zuletzt von seiner Mutter und Mitregentin Maria Theresia) oder auch seitens des Adels in den verschiedenen Ländern ausgesetzt sah und wie vielfältig das Reich und damit die zu lösenden Probleme waren.
Insgesamt ein lesenswertes Portrait einer interessanten Persönlichkeit wie auch einer wegweisenden Epoche.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Friedrichs Weg zur Macht

Schwert und Krone - Der junge Falke
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1147: Das deutsche Reich bereitet sich auf zwei Kreuzzüge vor: der eine geht ins Heilige Land, angeführt von König Konrad, an dem auch dessen Neffe Friedrich von Schwaben teilnimmt, der andere hat die ...

1147: Das deutsche Reich bereitet sich auf zwei Kreuzzüge vor: der eine geht ins Heilige Land, angeführt von König Konrad, an dem auch dessen Neffe Friedrich von Schwaben teilnimmt, der andere hat die Bekehrung der slawischen Wenden zum Ziel, nach dem Motto „Taufe oder Tod“. Dabei gäbe es auch zu Hause genügend Probleme wie schwelende Konflikte zwischen diversen Adeligen oder auch Hungersnöte.
Konrads Kreuzzug wird schließlich von Niederlagen und verheerenden Verlusten geprägt und seine Gegner aus dem Hause der Welfen wollen seine Schwäche nutzen, um ihren Einfluss auszuweiten. Auch sonst steht seine Herrschaft unter keinem guten Stern.
Friedrich, dessen Mutter Welfin war, versucht zwischen den Seiten zu vermitteln. Doch als sich der baldige Tod des Königs abzeichnet, muss er sich fragen, ob es nicht an der Zeit ist, selbst die Verantwortung für das Reich zu übernehmen.

Auch dieser zweite Teil der Reihe um Friedrich Barbarossa wird wieder aus vielen verschiedenen Perspektiven geschildert. Da ich die Protagonisten bereits aus dem ersten Band kannte, fiel es mir diesmal leichter, mich gleich zurecht zu finden, wer wer ist und auf wessen Seite steht. Die Figuren hatten für mich allerdings zu wenig „Tiefe“, ihre Charaktere (und oft auch wahren Motive) sind zu wenig greifbar. Dies könnte zwar durchaus beabsichtigt sein, betont die Autorin doch im Nachwort, dass sie bei der Darstellung realer historischer Persönlichkeiten eingeschränkter ist. Dennoch hätte es ein bisschen lebendiger zugehen können.
Schade auch, dass diesmal seltener aus weiblicher Sicht erzählt wird. Zwar kommen sehrwohl interessante Frauen vor, nicht zuletzt Friedrichs ungeliebte Gemahlin Adela oder Kunigunde von Plötzkau, deren Schicksal einige unerwartete Wendungen erfährt. Sie nehmen aber, je weiter die Handlung voranschreitet, immer weniger Raum ein, „verschwinden“ zeitweise geradezu.

Nichtsdestotrotz ist dies ein lesenswerter und gut recherchierter historischer Roman, der eine spannende Epoche der deutschen Geschichte behandelt.

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Veröffentlicht am 10.07.2022

Kurzweilige Geschichten rund um Sprachkontakte aller Arten

Als Humboldt lernte, Hawaiianisch zu sprechen
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In über 40 Beiträgen erzählen die Autorinnen von Kontakten zwischen Sprechern verschiedener Sprachen im Verlauf der letzten Jahrhunderte.
Man begegnet hier Regierungsbeamten, Missionaren, Händlern und ...

In über 40 Beiträgen erzählen die Autorinnen von Kontakten zwischen Sprechern verschiedener Sprachen im Verlauf der letzten Jahrhunderte.
Man begegnet hier Regierungsbeamten, Missionaren, Händlern und Forschern, lernt Menschen, die gewaltsam ihrer Heimat entrissen wurden, ebenso kennen wie solche, die ihr Glück freiwillig in der Fremde suchten. Sie alle einte der Wunsch oder die Notwendigkeit, neue Sprachen zu lernen und damit gewissermaßen in eine neue Welt einzutauchen. Viele bekannte Namen (wenngleich bisweilen in weniger bekannten Zusammenhängen) tauchen auf, es werden aber auch Personen vor den Vorhang geholt, deren Geschichte zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Die Texte sind jedoch eher oberflächlich. Auf jeweils drei bis fünf Seiten werden die wesentlichen Eckpunkte der jeweiligen Begegnungen und ihres historischen Kontextes beschrieben und mittels hübscher Zeichnungen illustriert.
Über die Sprachen als solches erfährt man dabei allerdings relativ wenig. Infokästen fassen ein paar Parameter zusammen wie Verbreitungsgebiet, Zahl der Sprecher oder rechtlicher Status und es gibt Beispiele für Begriffe, welche aus der Sprache aus- oder in diese eingewandert sind. Diese Abschnitte hätten aber besser aufeinander abgestimmt werden können. So soll „Safari“ sowohl aus dem Arabischen (Seite 14) als auch aus Kiswahili (Seite 110) abgeleitet sein, „Tattoo“ sowohl vom tahitischen Wort für „Zeichen“ (Seite 186) als auch vom samoanischen Wort für „kennzeichnen“ (Seite 202).
Informationen darüber, wie die Sprachen entstanden sind und sich verbreitet haben, welcher Sprachfamilie sie angehören etc finden sich nur hin und wieder mal in einem Nebensatz. Unter dem Punkt „Besonderheiten“ wird oft nur erwähnt, welche Schrift für eine Sprache verwendet wird.

Unterhaltsam ist die Lektüre aber allemal und die hochwertige Aufmachung mit den farbenfrohen Illustrationen erhöht den Lesespaß.
Ich habe doch einiges dazugelernt und viele Kapitel regen zum Nachdenken an, beispielsweise über das Verhältnis von Sprache und Macht.

Veröffentlicht am 10.07.2022

Rechtsprechung und Gerechtigkeit

Verweigerung
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Los Angeles 2019: Maya Seale ist eine vielbeschäftigte Strafverteidigerin. Ihre Erfolge in diesem Job liegen unter anderem daran, dass sie das Gerichtswesen bereits aus einer ganz anderen Perspektive erlebt ...

Los Angeles 2019: Maya Seale ist eine vielbeschäftigte Strafverteidigerin. Ihre Erfolge in diesem Job liegen unter anderem daran, dass sie das Gerichtswesen bereits aus einer ganz anderen Perspektive erlebt hat: Zehn Jahre zuvor war sie eine der zwölf Geschworenen in einem aufsehenerregenden Mordprozess. Es war ein Mordfall ohne Leiche, in dem ein junger schwarzer Lehrer angeklagt war, eine Schülerin aus einer einflussreichen Familie getötet zu haben.
Vor allem auf Mayas Betreiben hin erkannte die Jury auf nicht schuldig. Ein Fehlurteil, wie Medien und Öffentlichkeit überzeugt waren. Und auch einige der Geschworenen distanzierten sich von ihrer Entscheidung. Vor allem einer von ihnen machte Maya dabei persönliche Vorwürfe.
Aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums möchte ein Fernsehsender eine Dokumentation drehen und versammelt den Großteil der damaligen Geschworenen in einem Hotel. Ein Mord geschieht und Maya lernt das Justizsystem nochmal unter einem neuen Blickwinkel kennen: Diesmal als Mordverdächtige.
Diese in der Gegenwart angesiedelte Handlung wird ausschließlich aus Mayas Sicht geschildert. Dazwischen gibt es Rückblicke auf die Geschehnisse rund um den Prozess im Jahr 2009, wobei aus der Perspektive jedes Geschworenen genau ein Kapitel erzählt wird. Das macht die Lektüre abwechslungsreich und es ist interessant, das Zusammenspiel von Damals und Heute zu beobachten.

Maya ist eine sympathische Protagonistin, nur bisweilen fast ein bisschen zu idealistisch, schon beinahe naiv. Auch die Darstellung der übrigen Geschworenen, einer sehr diversen Gemeinschaft von Personen, die einander unter „normalen“ Umständen nie begegnet wären, hat mir gut gefallen. Schade, dass manche nur kurz gestreift werden, aber jeder Lebensgeschichte genauer nachzuspüren hätte natürlich zu weit geführt.
Durch die Kriminalfälle wird außerdem einige Spannung hineingebracht.
Das eigentliche Thema dieses Romans ist aber die Auseinandersetzung mit der Art, wie in den USA Verbrechen aufgeklärt und vor allem Urteile gefällt werden. So ist es beispielsweise auch und gerade für unschuldige Verdächtige meist besser, nicht mit der Polizei zu kooperieren. Auch geht es während eines Prozesses für beide Seiten ums Gewinnen und nicht um die Wahrheit. Letztere herauszufinden ist schließlich die Aufgabe von zufällig ausgewählten Geschworenen, die keine juristischen Vorkenntnisse haben und nicht wissen, was auf sie zukommen wird.

Auch wenn ich glaube (oder hoffe), dass manches etwas überzeichnet wird, regt dies doch zum Nachdenken darüber an, ob eine solche Art der Rechtsprechung tatsächlich zu Gerechtigkeit führen kann.

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