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Veröffentlicht am 12.07.2023

Ein realistischer Klimaroman

Und dann verschwand die Zeit
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Das High House steht unweit einer kleineren, englischen Stadt auf einer Anhöhe. Es bringt ideale Voraussetzungen mit, um als Selbstversorgerhaus genutzt zu werden: es gibt einen Obst- und Gemüsegarten, ...

Das High House steht unweit einer kleineren, englischen Stadt auf einer Anhöhe. Es bringt ideale Voraussetzungen mit, um als Selbstversorgerhaus genutzt zu werden: es gibt einen Obst- und Gemüsegarten, eine Mühle und einen Gezeitentümpel, mit dessen Hilfe Strom produziert werden kann. Auch gibt es eine Scheune mit Vorräten, als Caro und ihr kleiner Halbbruder Pauly dort einziehen.

Francesca, Paulys Mutter und Caros Stiefmutter, hatte das High House geerbt und so auf Vordermann gebracht, dass einige wenige Personen dort überleben können im Fall einer Überschwemmung. Francesca und Caros und Paulys Vater engagieren sich im Kampf gegen die Klimakrise und eines Tages ist es soweit, dass Caro sich mit ihrem kleinen Bruder von London aus auf dem Weg zum High House machen soll, um sich vor der drohenden Überflutung in Sicherheit zu bringen.

Dort angekommen, werden sie von Grandy und seiner Enkelin Sally in Empfang genommen. Die beiden hatte Francesca gebeten, das Haus instand zu halten, damit es bereit ist für Pauly und Caro.

Sally, Caro und Pauly erzählen im Buch jeweils ihre Version der Geschichte.

Das Buch spielt in einer nicht weit entfernten Zukunft in England.

Es gibt mittlerweile immer mehr Romane, die den Klimawandel thematisieren. Bei "Und dann verschwand die Zeit" hatte ich eine ganz andere Geschichte vermutet, als ich mir die Beschreibung im Klappentext durchlas. Ich wurde positiv überrascht. Es geht nicht um eine reißerische Geschichte, in der vier Menschen das fast Unmögliche schaffen und eine Überschwemmung überleben und sich autark hervorragend im High House versorgen können.

Es geht natürlich auch ums Überleben und wie es den Hauptfiguren gelingt, aber nicht nur auf der primären Ebene, sondern auch wie es innen in ihnen ausschaut. Welche Gefühle bewegen sie, wie haben sie sich im Laufe der Zeit entwickelt und wie nehmen sie die Situation wahr?

Die Geschichte entwickelt sich ganz langsam. Erst einmal erfährt man als Leser*in, wie Sally mit Grandy zusammenlebte, wie Caro mit Pauly und der Stiefmutter klar kam und dann kommt die Zeit im High House und immer wieder Rückblicke. Irgendwann hat man wirklich das Gefühl, dass die Zeit verschwindet bzw. die Ebenen der Geschichte verschwimmen. Gleichzeitig bekommt man das Gefühl, mehr zu verstehen.

Diese Gedankenwelt ist das, was das Buch so fesselnd für mich macht. Es geht um Eifersucht, um das Gefühl, nicht genug zu sein und ganz stark um Einsamkeit und um Miteinander. Sally, Caro und Pauly - alle drei reifen im Laufe der Zeit und übernehmen auf unterschiedlichste Art und Weise Verantwortung für das Überleben der anderen und das eigene.

Es werden die Dinge angesprochen, die die drei im Laufe der Zeit lernen und wie sie mit Verlust umgehen und welche Dinge für sie Priorität hatten und später für sie Priorität haben. Es gewährt einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben und zeigt, wie wichtig eine Gemeinschaft ist, um zu überleben. Worauf können wir uns jetzt verlassen und was wird fehlen, wenn jegliche Infrastruktur fehlt?

"Und dann verschwand die Zeit" ist kein fröhliches Buch, es ist auch nicht unbedingt ein optimistisches Buch, aber es ist ein Buch, dass zum Nachdenken anregt. Was wird alles verschwinden, wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie wir es kennen? Wie ist eine Welt ohne die medizinische Versorgung, die wir kennen? Wie funktioniert Überleben, wenn man nicht wegen jeder Kleinigkeit in den nächstgelegenen Laden kann, um etwas Notwendiges zu ersetzen? Nach dem Überleben der Flut fängt für die Bewohner von High House das Überleben erst an.

Und trotzdem gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer bzw. diesen Moment, der trägt. Es ist die Gemeinschaft, die Liebe der Eltern oder der Älteren, die versuchen, die Jüngeren zu retten. Das Bedrückende am Buch ist, dass es so nah ist. Es beschreibt etwas, das so eintreten kann, nämlich das große Landstriche überflutet werden und die Klimakrise so nah ist, dass es nicht reicht, punktuell zu helfen, sondern dass das "normale" Leben nicht mehr möglich ist. Es regt zum Nachdenken an.

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Veröffentlicht am 21.07.2022

Ein wuchtiges Familienepos

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen
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Barnaba Carbonaro kommt als alter Mann nach München zurück, um eines der vielen Familienporträts machen zu lassen, die ihm so wichtig sind. Er wächst Ende des 19. Jahrhunderts auf Sizilien auf. Als Sohn ...

Barnaba Carbonaro kommt als alter Mann nach München zurück, um eines der vielen Familienporträts machen zu lassen, die ihm so wichtig sind. Er wächst Ende des 19. Jahrhunderts auf Sizilien auf. Als Sohn eines gefallenen, arbeitsscheuen Priesters und einer Wunderheilerin reicht es hinten und vorne nicht, um den Sohn auf die Schule zu schicken. Also beginnt er schon früh zu arbeiten, um das Überleben der Familie zu sichern. Und doch schafft er es aus seiner engen Welt nach Deutschland, um sich dort etwas aufzubauen.

arnaba Carbonaro ist als Hauptcharakter des Buches kein Sonnenschein, den jede*r gleich ins Herz schließt. Er ist hitzköpfig, sehr von sich überzeugt, ein Macho wie er im Buche steht und trotzdem ist seine Mama sein Mittelpunkt bzw. er ist ihr verpflichtet, wie es sich für einen Sizilianer der damaligen Zeit gehörte. Selfmade Mann beschreibt ihn gut. Ein Mann, der nur wenig Herzlichkeit und Charme versprüht.

Dies empfinde ich allerdings als äußerst wohltuend im Gegensatz zu Geschichten, in denen die Hauptcharaktere allesamt nett, beliebt und wunderschön sind. Barnaba ist ein Mensch mit vielen Schwächen, wie aus dem echten Leben gegriffen.

Seine große Liebe zu Deutschland beginnt im Polizeipräsidium und wird sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen, aber nicht immer einfach sein. Auch seine anderen Liebesbeziehungen sind nicht immer einfach und ich weiß nicht, ob seine Liebe zu Deutschland nicht größer ist als die zu seinen Frauen.

Die Beschreibungen Mario Giordanos machen ihn dann doch ein wenig liebens- oder bemitleidenswert, ich schwanke da noch immer. Es sind wuchtige Beschreibungen, die diesem Familienepos den Stempel aufdrücken und ihm einen ganz eigenen Charme mitgeben.

Mit „Terra di Sicilia Die Rückkehr des Patriarchen“ gelingt es Mario Giordano, einen in eine andere Zeit, eine andere Welt zu bringen.

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Veröffentlicht am 15.07.2022

Spannende Geschichte in afrikanischer Fantasywelt

A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von Solstasia
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Malik setzt alles daran, ein Teilnehmer der Spiele zu werden und Karina hat nur ein Ziel, jemanden zum König zu machen, damit sie sein Herz bekommt, um ihre Mutter wiederzubeleben, denn Karina ist innerlich ...

Malik setzt alles daran, ein Teilnehmer der Spiele zu werden und Karina hat nur ein Ziel, jemanden zum König zu machen, damit sie sein Herz bekommt, um ihre Mutter wiederzubeleben, denn Karina ist innerlich noch nicht bereit zu herrschen. Mit dieser Inhaltsbeschreibung ist die Marschroute des Buches klar.

Jetzt könnte man meinen, dass der Drops an dieser Stelle schon gelutscht ist und man weiß, wie die Geschichte weiter geht. Zum Glück ist das weit gefehlt, denn jetzt geht es erst los. Es gibt einiges an Spannungen, Intrigen und Geheimnisse im Reich und besonders in der Hauptstadt und ganz besonders im persönlichen Umfeld der jungen Königin. Macht macht nicht nur sexy, sondern auch neidisch.

Es gibt Geister, Menschen, die mit Geistern reden können, es geht um Verlust, Ungerechtigkeit und tiefe Gefühle, also alles, was eine gute und spannende Geschichte braucht, um die Leser*innen zu fesseln. Dazu kommt noch eine ungewöhnlich farbenfrohe Welt als Kontrast zu den ernsten Geschehnissen und überraschende Wendungen im Lauf der Erzählung.

Es ist spannend erzählt und auch die Traumata, die die Romanfiguren mit sich tragen, werden einfühlsam beschrieben. Es wird dem Alter der Charaktere entsprechend beschrieben, was bekanntlich nicht immer gelingt in Bücher, in denen jüngere Menschen die Hauptrolle spielen. Hier ist es so.

Gut gefallen hat mir auch, dass es in dem Buch keine monumentalen Schlachten gibt mit endlosen Kampfbeschreibungen, sondern mehr um Machtspielchen, Geheimnisse, Ungerechtigkeit und Zwischenmenschliches. Es ist ab 14, aber wie viele Jugendbücher auch gut für Erwachsene geeignet. Gerade bei Fantasy verwischt sich da die Altersgrenze oft.

Es ist ein gelungener Debütroman und ich freue mich schon sehr auf den zweiten Teil. Wer also Lust auf eine richtig gut erzählte Fantasygeschichte hat, ist mit „A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von Solstasia“ gut bedient und kann sich auf einen Lesenachmittag freuen, bei dem man das Buch nicht gerne aus der Hand legen mag.

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Veröffentlicht am 11.07.2022

Wie viel Osten steckt im Westen?

Lenin auf Schalke
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Die Betrachtung geht immer nur von Westen nach Osten. Zeit dies zu ändern, findet Schlüppi und schickt seinen Kumpel in den Westen. Aber nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo es weh tut, nach Gelsenkirchen. ...

Die Betrachtung geht immer nur von Westen nach Osten. Zeit dies zu ändern, findet Schlüppi und schickt seinen Kumpel in den Westen. Aber nicht irgendwohin, sondern dorthin, wo es weh tut, nach Gelsenkirchen. Aus der „Stadt der tausend Feuer“ ist mittlerweile eine arme Stadt geworden. Arbeitslosigkeit prägt das Stadtbild. Wie viel Osten gibt es so tief im Westen zu entdecken? Auf diese Spurensuche begibt sich Gregor Sander mit „Lenin auf Schalke“.

Was sich so lustig anhört, ist auch humorvoll geschrieben. Allerdings ist der ernste Hintergrund durchaus zu lesen und Sander nähert sich dem „Pott“ bzw. Gelsenkirchen so, dass bei allem Spaß am Wort der Respekt vor den Menschen und der Lage vor Ort bleibt. Er beschreibt in „Lenin auf Schalke“ viele Klischees, aber sowohl im Osten als auch im Westen und trifft in meinen Augen genau den richtigen Ton, um sich dem Thema anzunähern. Denn die Menschen im Ruhrgebiet sind hart im Nehmen und immer für einen guten Spruch zu haben.

Den Spieß einmal umzudrehen und zu schauen, wie der Westen mit Strukturwandel umgeht, ist eine gute Idee, denn in der Tat werden solche Reportagen nur über Oststädte, die schon deutlich bessere Tage gesehen haben, geschrieben. Aber es gibt diese Städte auch im Westen der Republik und vergleichbare Entwicklungen.

Es werden Zeiten verherrlicht, die zwar im wirklichen und im übertragenen Sinne viel Kohle gebracht haben, aber gar nicht immer so herrlich waren. Denn, wenn man sein Leben in einer Zeche verbracht hat, war man mit Eintritt ins Rentenalter nicht mehr topfit.

Als Schlüppi dann nach Gelsenkirchen kommt, nimmt die ganze Geschichte noch einmal Fahrt auf und nach den vorher eher sachlichen Recherchearbeiten geht ans Eingemachte und in die Kneipen bzw. nicht. Wenn der eine Teil des Gelsenkirchner Herzens aus Kohle besteht, ist der andere Teil der dort ansässige Fußballverein, Schalke 04. Auch hier nähert sich Gregor Sander mit Respekt und Ironie und passenderweise geht es auf „Das Schalke-Fan-Feld“ (dies sind 1904 Grabstätten).

Gregor Sander findet die Stellen, an denen es weh tut, die traurig sind und gleichzeitig nicht ohne eine gewisse Ironie betrachtet werden können. So ist der Schalker Markt, auf dem alles begann mit dem großen S04, heute eine Parkplatz. Ömer ist natürlich stolzer Büdchenbesitzer, denn das Ruhrgebiet ohne Büdchen geht nicht. Auch die Ostseite in ihm kommt nicht zu kurz und so ist es bei allem Witz und aller Ironie ein Buch über Identität.

„Lenin auf Schalke“ ist ein kurzweiliges Buch, sehr gut und unterhaltsam geschrieben und es bringt den Osten und den Westen ein wenig näher zusammen, denn so weit sind wir gar nicht voneinander entfernt.

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Veröffentlicht am 04.07.2022

Mehr Sachlichkeit bei der Klimadiskussion

Der Weg aus der Klimakrise
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Svend Andersen beschäftigt sich in seinem Buch „Der Weg aus der Klimakrise“ mit den Ursachen bzw. der Ursache der Klimakrise und nicht mit den Auswirkungen.

Statt sich auf Nebenkriegsschauplätze zu konzentrieren, ...

Svend Andersen beschäftigt sich in seinem Buch „Der Weg aus der Klimakrise“ mit den Ursachen bzw. der Ursache der Klimakrise und nicht mit den Auswirkungen.

Statt sich auf Nebenkriegsschauplätze zu konzentrieren, sollten wir uns auf diese eine Sache konzentrieren und alles tun, um die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre zu senken, dies ist sein Handlungsvorschlag.

Die auf die Ursache der Klimakrise reduzierte Sichtweise ist mit Sicherheit eine große Hilfe, das Problem Klimakrise auf den Kern zurückzuführen. Hierbei hilft die Mischung aus Erklärungen von Fachtermini und wissenschaftlichen Zusammenhängen und die persönlichen Erfahrungen des Autors.

Gut gefällt mir auch, dass Svend Andersen hier noch einmal sehr dringlich darauf hinweist, wie wichtig es ist, dass die Politik endlich aufhören muss zu reden, sondern etwas tun muss, nämlich die richtigen Regeln aufstellen, um die Unternehmen, Kommunen und Regierungen in die Pflicht zu nehmen. Auch dass es eine unserer wichtigsten Aufgaben ist, hier Einfluss zu nehmen (zusätzlich dazu, z. B. häufiger Rad zu fahren oder den Bus zu nehmen und weniger Fleisch zu essen). Je häufiger wir Fragen an die Politker*innen stellen, in der Kommune nachhaken, wie es denn um eine Strategie zur Bewältigung der Klimakrise bestellt ist, desto eher wird etwas passieren.

Insgesamt fand ich das Buch und die Fokussierung auf die Senkung der Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre sehr einleuchtend und vor allem auch sehr sachlich, was eine Zutat ist, von der wir im Kampf gegen die Klimakrise noch zu wenig haben. Auch die Erklärung, warum wir vom Zertifikatehandel abkehren müssen, ist sehr einleuchtend und gut erklärt und man fragt sich am Ende des Buches, warum denn, verdammte Hacke, nicht endlich gehandelt wird.

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