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Veröffentlicht am 22.07.2022

Roadtrip durch Frankreich

Die Paradiese von gestern
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Es ist das Jahr 1990 und Ella und René, ein junges Paar aus Ostdeutschland, befinden sich auf einer Reise durch Frankreich. Sie lassen sich treiben, finden sich auf der Dune du Pilat während eines Gewitters ...

Es ist das Jahr 1990 und Ella und René, ein junges Paar aus Ostdeutschland, befinden sich auf einer Reise durch Frankreich. Sie lassen sich treiben, finden sich auf der Dune du Pilat während eines Gewitters wieder und stoßen nur zufällig auf das Château Violet. Das Schloss ist ein ehemaliges Weingut, an dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat und das nur noch von der Besitzerin, Madame de Violet, und einem Diener bewohnt wird.

Der als kurze Übernachtung geplante Aufenthalt verlängert sich schon bald, verknüpft die Figuren miteinander und lässt unterschiedliche Welten aufeinanderprallen: den Osten mit dem Westen, die Vergangenheit mit der Gegenwart. Die Charaktere hängen Welten und Vorstellungen nach, die es nicht mehr gibt oder noch nie gab und die nur in ihnen selbst weiterleben. So träumt Charlotte, die Gräfin, von dem florierenden Schloss aus den alten Tagen, Alain, der Sohn und Erbe träumt von seiner Kindheit und Ella und René projizieren Erwartungen auf den jeweils anderen, die diese(r) nicht zu erfüllen imstande ist. Die Figuren stehen sich damit manchmal selbst im Weg und werden, durch das Annehmen neuer Sichtweisen, dazu gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.

“[S]ie waren auf der Suche nach einem Frankreich, das es seit über hundert Jahren nicht mehr gab und das sie aus den Romanen von Balzac, Flaubert und Maupassant kannten. Sie fuhren in eine neue Welt, um die alte darin zu finden, und dabei folgten sie ausschließlich ihren romantischen Vorstellungen."

Man muss sich als Leser schon einlassen auf diesen Roman, dessen Figuren nicht immer zu überzeugen vermögen. René und Ella wirken zuweilen melodramatisch und ihre Streitereien scheinen an den Haaren herbeigezogen. Aber diese Schwächen werden wettgemacht durch die Geschichte der Familie der Violets und das Schicksal der Gräfin, die durchaus anschaulich und lebendig erzählt werden. Und dann ist es vor allem die Atmosphäre, die den Roman trägt. Dieser Roadtrip durch Frankreich, der ganz große Lust darauf macht, selbst ins Auto zu steigen und loszufahren. Deshalb lohnen sich die über fünfhundert Seiten dann doch, trotz Schwächen.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Von Missgeschicken, Ausrutschern und dem ganz normalen Familienalltag

Meine kleine Welt
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Mit “Meine kleine Welt” sind Kolumnen von Ewald Arenz bei Ars Vivendi erschienen, die zwischen 2007 und 2009 in den Nürnberger Nachrichten veröffentlicht wurden.

Arenz schildert in ihnen auf geistreiche ...

Mit “Meine kleine Welt” sind Kolumnen von Ewald Arenz bei Ars Vivendi erschienen, die zwischen 2007 und 2009 in den Nürnberger Nachrichten veröffentlicht wurden.

Arenz schildert in ihnen auf geistreiche und humorvolle Weise den Familienalltag seines Alter Egos Heinrich. Dieser muss mal vor der Haustür übernachten, weil Otto, das jüngste Kind, ihn lieber aussperrt, um fernsehen zu können. Oder er muss tatenlos mitansehen, wie die Kinder mit ihrem Verhalten die restlichen Kinobesucher verscheuchen. Schließlich wird auch die geplante Türkeireise zur Katastrophe, als der kleine Otto am Flughafen laut fragt, warum sie denn Terroristen seien, nachdem die Mutter die Kinder mehrmals als solche bezeichnet hatte.

Die Kolumnen sind unterhaltsam, pointiert und eignen sich hervorragend für zwischendurch, wenn man gerade Lust auf einen kurzen leichten Text hat. Selbstverständlich können sie nicht mit “Der große Sommer” und mit “Alte Sorten” mithalten, wie in zahlreichen Kritiken häufig erwähnt wurde, aber das müssen sie auch gar nicht. Sie sind kein Roman, erzählen keine Geschichte, die sich über mehrere hundert Seiten hinweg entfaltet. Sie machen auf ihre ganz eigene Art und Weise Freude. Und auch wenn sie kein Must-Read sind, so können sie in bestimmten Momenten die ideale Lektüre sein.

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Veröffentlicht am 22.07.2022

Ein italienischer Familienepos

Terra di Sicilia. Die Rückkehr des Patriarchen
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In “Terra di Sicilia” erzählt Mario Giordano die Lebensgeschichte seines Urgroßvaters Barnaba Carbonaro, der Ende des 19. Jahrhunderts in ärmlichen Verhältnissen auf Sizilien aufwächst. Sein Vater stirbt ...

In “Terra di Sicilia” erzählt Mario Giordano die Lebensgeschichte seines Urgroßvaters Barnaba Carbonaro, der Ende des 19. Jahrhunderts in ärmlichen Verhältnissen auf Sizilien aufwächst. Sein Vater stirbt früh und Barnaba muss fortan für sich und seine Mutter sorgen. Er arbeitet auf Zitrusplantagen, erregt den Zorn von einflussreichen Männern, muss fliehen, macht sich wiederum andere zu Freunden, verliebt sich und verliert dabei nie sein Ziel aus den Augen: eines Tages selbst ein Geschäftsmann zu werden. Und es gelingt ihm, denn Barnaba kann rechnen. Zahlen nehmen für ihn die Gestalt von Farben an, das Rechnen ist sein großes Talent. Es ist dieses Talent, das ihm schließlich einen Weg bis nach Deutschland ebnet.

“Terra di Sicilia” besticht zunächst durch seine schöne Aufmachung und durch seinen italienischen Titel. Doch die Struktur der Geschichte entpuppt sich schnell als etwas konstruiert und das Buch kommt fast wie ein Hollywood-Film daher, der nach großen Bilder strebt und sich immer wieder um Spannung bemüht. Manchmal überschreitet der Autor dabei die Grenze zum Kitschigen. Auch manche Vergleiche scheinen übertrieben: “Bis Maris gefasst, aber so zornig wieder herauskommt, dass draußen der Schnee taut”.

Der Roman hat somit Schwächen. Doch er hat durchaus auch starke Seiten. Erwähnt werden muss zum Beispiel die Atmosphäre Siziliens um die Jahrhundertwende, die Giordano gekonnt heraufbeschwört. Auch die vielen Details zum Zitrus-Anbau fügen sich nahtlos in die Handlung ein und sind überaus lesenswert.

Empfohlen werden kann der Roman mit Abzügen. Wenn einen als Leser manche Details nicht stören, wenn man mehr über das Leben in Sizilien um 1900 lernen möchte und dabei Konstruktion- und Stilfehler überlesen kann, dann hat dieser Roman das Potential, Freude zu bereiten.

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Veröffentlicht am 08.03.2022

Die Suche nach Liebe in der Big City

Love in the Big City
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Sang Young Park erzählt in “Love in the Big City” über das Leben eines jungen homosexuellen Mannes in Seoul. Young geht gerne in Bars und Clubs, trinkt, feiert und datet. So verbringt er zusammen mit seiner ...

Sang Young Park erzählt in “Love in the Big City” über das Leben eines jungen homosexuellen Mannes in Seoul. Young geht gerne in Bars und Clubs, trinkt, feiert und datet. So verbringt er zusammen mit seiner Freundin Jaehee, die gleichzeitig seine Mitbewohnerin ist, die Studentenjahre. Doch als Jaehee heiratet, muss Young diesen Lebensstil alleine fortführen, was nicht nur durch die Krebserkrankung seiner Mutter erschwert wird, sondern auch durch die Infektion mit HIV.

“Love in the Big City” ist ein ehrliches Buch, das das Leben in einer Gesellschaft zum Thema hat, in deren Mitte Homosexualität keinen Platz einnehmen darf. Doch Parks Fokus liegt nicht auf soziologischen Betrachtungen, sondern auf dem Innenleben der Hauptfigur, auf deren Liebes- und Sexualleben, auf dem sich ständigen Hin- und Herbewegen zwischen Bars, durchzechten Nächten und neuen Dates. Manchmal hat das etwas Tragisches und Trauriges, was jedoch eher unterschwellig zum Vorschein kommt, z.B. wenn von dem “langweiligen Leben” die Rede ist, das Young seiner Ansicht nach führt. Er ist, so scheint es, ständig auf der Suche nach Nähe, nach Liebe. Aber Liebe in der Big City zu finden, entpuppt sich als schwierig, vielleicht als unmöglich. Denn sogar die Mutter akzeptiert ihn nicht so, wie er ist und schickt ihn schon zu Schulzeiten in eine Psychiatrie, weil sie seine Homosexualität nicht akzeptieren will.

Trotz der interessanten Einblicke in die koreanische Gesellschaft und in den Alltag des Protagonisten, hat das Buch ab dem ersten Drittel, in dem es vor allem um die Freundschaft Youngs zu Jaehee geht, oft etwas lang und repetitiv gewirkt. Die Bekanntschaften Youngs wurden als Figuren zunehmend flacher, durchsichtiger. Es schien, als klammere sich die Geschichte an einzelne Momente und Gedanken, ohne dabei wirklich in die Tiefe zu gehen. Das hat das Leseerlebnis letztlich leider getrübt.

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Veröffentlicht am 02.03.2022

Vermag nicht ganz zu überzeugen

Chopinhof-Blues
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Der Roman „Chopinhof-Blues“ widmet sich Themen wie Familie, Beziehungen, Trauma und der Bewältigung von Vergangenem. Er teilt sich in drei Handlungsstränge auf. Da ist zunächst das Geschwisterpaar Katja ...

Der Roman „Chopinhof-Blues“ widmet sich Themen wie Familie, Beziehungen, Trauma und der Bewältigung von Vergangenem. Er teilt sich in drei Handlungsstränge auf. Da ist zunächst das Geschwisterpaar Katja und Tilo, die in einem Heim aufgewachsen sind, weil sie von ihrer Mutter vernachlässigt wurden. Adam und Aniko sind ein Paar, das aus Ungarn nach Wien eingewandert ist und deren Beziehung von Konflikten gekennzeichnet ist. Schließlich folgt der Leser Esra, einer Journalistin, die in Krisengebiete reist und auf ihrer letzten Reise nach Honduras Gewalt erfahren hat. Zum Ende des Romans werden diese Figuren zusammengeführt.

Der Roman wirkt an einigen Stellen etwas konstruiert und erlaubt es dem Leser dann nicht, in das Erzählte einzutauchen. Manchmal wirken Konflikte zwischen den Figuren nur schwer nachvollziehbar und auch ihre Ecken und Kanten scheinen nicht immer authentisch. Diese Unglaubwürdigkeit tritt im Roman leider öfters in den Vordergrund und äußert sich auf sprachlicher Ebene besonders in Dialogen, in denen die Charaktere sich in jedem zweiten Satz mit ihren Namen ansprechen, was die Dialoge holprig werden lässt. Bis zum Ende der Geschichte bleibt aus diesen Gründen daher eine Distanz zum Erzählten und zu den Figuren.

Dabei ist „Chopinhof-Blues“ kein schlechter Roman, denn alleine die Idee, unterschiedliche Menschen mit ihren ganz eigenen Schicksalen und Erfahrungen zueinander finden zu lassen, vermag zu überzeugen. Aber es bedarf einer Konzentration auf einen Kern, damit sich das Erzählte nicht verliert.

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