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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.01.2023

Einfach großartig!

Kopfarbeit
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„Kopfarbeit“ liest sich wie eine Liebeserklärung an die Neurochirurgie und an das menschliche Gehirn. Dabei geht es keineswegs darum den Mythos der „Halbgötter in Weiß“ weiter zu nähren, sondern vielmehr ...

„Kopfarbeit“ liest sich wie eine Liebeserklärung an die Neurochirurgie und an das menschliche Gehirn. Dabei geht es keineswegs darum den Mythos der „Halbgötter in Weiß“ weiter zu nähren, sondern vielmehr darum dem Leser einen ganz realistischen Einblick in dieses chirurgische Kunsthandwerk zu bieten. Man bekommt nicht nur hochinteressante Einblicke in die Anatomie und Funktionsweise des Gehirns, sondern lernt auch die verschiedensten Krankheitsprofile kennen und erfährt wie enorm risikoreiche Eingriffe durch das Zusammenwirken modernster Technologien und bestens aufeinander abgestimmten Hochleistungsteams erst möglich gemacht werden.
 Das Tor in diese faszinierende Welt wird uns geöffnet von Autor Prof. Dr. Peter Vajkoczy. Der Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Berliner Charité gehört zu den renommiertesten Neurochirurgen weltweit und erzählt hier anhand von ausgewählten Beispielen aus seiner jahrzehntelangen Berufserfahrung von den schlimmsten und den schönsten Seiten der Neurochirurgie.

Für ein Sachbuch hat mir der Schreibstil wirklich außergewöhnlich gut gefallen. Besonders bei den Beschreibungen der verschiedenen Operationen habe ich nicht selten den Atem angehalten, weil ich so mit dem Team, vor allem aber mit den Patienten mitgefiebert habe. Die Atmosphäre im Operationssaal war so greifbar und mitreißend. Es gab Passagen, die sich wirklich so spannend gelesen haben wie eine True Crime Erzählung.
Natürlich wird man auch regelmäßig mit fachspezifischen Ausdrücken konfrontiert, aber Prof. Dr. Vajkoczy erklärt sehr verständlich und präzise anatomische Besonderheiten, chirurgische Instrumente, medizinische Gerätschaften und die einzelnen Abläufe während des chirurgischen Eingriffs. Als medizinische Laie habe ich wirklich eine Menge lernen können.
Schließlich hat mich dieses Buch auch sehr durch seine Emotionalität und Nahbarkeit beeindruckt. Ganz entgegen dem gängigen Klischee des selbstsüchtigen Rockstar-Chirurgen stehen hier zu jedem Zeitpunkt Demut, Verantwortungsbewusstsein, Teamwork und Selbstreflektion im Vordergrund. Immer wieder verdeutlicht Prof. Dr. Vajkoczy, dass die Neurochirurgie keine One-Man-Show ist, sondern jeder individuelle Eingriff der Mammutleistung einer ganzen Gruppe hochspezialisierter Fachkräfte entspricht. Und obwohl man durchaus etwas über seinen persönlichen Werdegang erfährt und auch den Menschen hinter dem weißen Kittel ein wenig kennenlernen darf, wird allen Beteiligten z.B. den Pflegekräften, Anästhesisten, Kollegen etc. Aufmerksamkeit und Hochachtung entgegengebracht. Allem voran, und auch das hat mich sehr berührt, legt Prof. Dr. Vajkoczy sein Hauptaugenmerk beim Erzählen auf seine Patienten. Er stellt dem Leser jeden Patient, jede Patientin vor. Damit meine ich nicht den Tumor, das Aneurysma oder in anderen Worten das medizinische Profil, sondern immer erst den Menschen. Man bekommt die Gelegenheit sie kennenzulernen, ihr Leben, ihre Angehörigen und ihre Persönlichkeit und gerade deshalb hat mich jeder Erfolg und jede Niederlage beim Lesen auch zutiefst berührt.

Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass „Kopfarbeit“ mich schwer beeindruckt und enorm begeistert hat. Die Faszination für die Neurochirurgie und die Komplexität des menschlichen Gehirns und Nervensystems ist definitiv auf mich übergesprungen und die Leseempfehlung für dieses Buch ergibt sich ganz von selbst.

Veröffentlicht am 16.01.2023

Nur ein Zahlendreher - mehr hat es nicht gebraucht, um Hannahs und Daveys Welt völlig auf den Kopf zu stellen

The Man I Never Met – Kann man lieben, ohne sich zu kennen?
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Hannah steht mit bibbernden Hände und ziemlich zerzausten Haaren vor ihrem Londoner Fitnessstudio und wünscht sich nach dem Spinning-Kurs nur eine ausgiebige Dusche, als sie einen Anruf bekommt, der ihr ...

Hannah steht mit bibbernden Hände und ziemlich zerzausten Haaren vor ihrem Londoner Fitnessstudio und wünscht sich nach dem Spinning-Kurs nur eine ausgiebige Dusche, als sie einen Anruf bekommt, der ihr Leben für immer verändern soll. Nicht, dass sie damit gerechnet hätte, nein. Sie kennt die amerikanische Nummer auf der Anzeige gar nicht und erst recht nicht den Anrufer, der sich als ein Davey aus Texas entpuppt.
Davey, der eigentlich seinen potentiellen neuen Arbeitgeber in London hatte erreichen wollen, hat selbst auch nicht damit gerechnet Hannah am anderen Ende der Leitung zu finden. Zu dem Zeitpunkt hätte wohl keiner der Beiden gedacht, dass aus diesem sehr kurzen, aber netten Gespräch etwas erwächst, das sich ganz stark nach Liebe anfühlt. Denn bei dem einen Telefonat soll es nicht bleiben. Nachrichten wandeln sich allmählich in stundenlange Telefonate und diese wiederrum werden irgendwann zu Videocalls.
Eigentlich klingt es reichlich absurd Gefühle für eine Person zu entwickeln, der man noch nie persönlich begegnet ist. Aber Hannah und Davey spüren dieselbe wachsende Zuneigung zueinander und mit der Jobzusage in der Tasche und einem fixen Umzugstermin scheint die ganze Angelegenheit gar nicht mehr so absurd. Denn wenn Davey erst einmal in London ist, haben sie alle Zeit der Welt ihre Gefühle zu erkunden, nicht wahr?
So weit soll es jedoch nie kommen, denn als Daveys Umzug vor der Tür steht, ist dieser plötzlich nicht mehr zu finden.
„The man I never met“ ist der erste zeitgenössische Roman von Autorin Elle Cook und erscheint am 14.Februar 2023 bei Rütten & Loening Berlin.
Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, dieses Buch zu beschreiben. Der Klappentext, besonders die Idee, dass sich die Protagonisten auf so ungewöhnliche Weise näherkommen, hat mich gleich angefixt und ich hatte große Lust diese Geschichte zu lesen. Dabei habe ich die ganze Zeit mit einer lockeren, charmanten und humorvollen Handlung gerechnet, doch zwischen den farbenfrohen Buchdeckeln befand sich ungleich viel mehr. Auf keinen Fall habe ich erwartet, dass mich dieses Buch auf die beste-schlimmste Weise leiden lassen würde. Ich hab so viel mit den Protagonisten mitgefiebert und mitgelitten, mich geärgert und gefreut, das hats zu einer unglaublich tollen Leseerfahrung gemacht.
Tatsächlich entwickelt sich die Geschichte von Hannah und Davey in den ersten Kapiteln ganz genauso, wie ich es erwartet hatte. Es ist ungemein mitreißend und romantisch, wie die beiden einander kennenlernen und trotz der Distanz sehr nahekommen. Diese romantische Leichtigkeit ist allerdings nur von kurzer Dauer. Ich will ungern mehr zu der Wendung und weiteren Handlung verraten, um den Überraschungseffekt nicht zu verderben also sag ich nur das: Der Herzschmerz überfällt einen blitzartig, wie eine schwere Krankheit, nur um mühevoll und Seite für Seite durch Worte geheilt zu werden.
Das Ende war zwar unendlich kitschig und würde bestimmt jede Hallmark-Love-Story in den Schatten stellen, aber nachdem einem beim Lesen das Herz immer und immer wieder in kleine Stücke gerissen wird, war das genau das richtige, um die Geschichte abzuschließen.
Natürlich ist eine packende Story nur die halbe Miete. Schreibstil und Figuren haben ihr übriges getan. Elle Cook hat ein gutes Gespür dafür Emotionen einzufangen und rüberzubringen und hat dabei eine so locker-leichte Erzählweise, dass die Seiten nur so dahinfliegen. Geschrieben ist die Geschichte in der ich Perspektive, wobei man als Leser die Gelegenheit bekommt, aus der Sicht von Hannah als auch von Davey zu lesen. Zwar ist der Erzählanteil von Hannah deutlich größer, die Davey-Kapitel waren aber gut platziert und haben sich sehr gut in das Gesamtgefüge der Handlung eingefügt. Ich fand diese Wechsel super, weil man dadurch beide Protagonisten mit all ihren Gefühlen, Ängsten und Beweggründen viel besser kennenlernt. Da die beiden einander – ganz im Sinne des Titels – lange Zeit nicht begegnen, wird es dem Leser dadurch auch ermöglicht nachzuvollziehen, was bei Hannah und Davey tatsächlich passiert.
Hannah fand ich als Protagonistin super. Sie wirkt klug, nahbar und ist allgemein sehr sympathisch. Alles gute Voraussetzungen, um beim Lesen mit ihr mitzufiebern. Für mich waren aber ihre Ecken und Kanten ungleich spannender. Sie hat doch einige Charakterschwächen und, ich will nicht lügen, einige ihrer Entscheidungen haben mich wirklich schwer geärgert, aber umso besser war es dann zu lesen, dass sie aus ihren Fehlern was für sich gelernt hat. Sie ist durchaus reflektiert und man kann mitverfolgen, wie sie als Person wächst.
Dasselbe lässt sich im Grunde genommen auch über Davey sagen. Er ist so mühelos attraktiv, selbstbewusst und sympathisch, doch im Laufe der Geschichte lernt man noch ganz andere Seiten an ihm kennen. Auch er muss Hürden überwinden und an den Herausforderungen des Lebens wachsen.
Ich konnte auf jeder Seite dieses Buches spüren, wie viel Herzblut die Autorin in diese Geschichte hat einfließen lassen und nach dem Lesen des Nachworts hat sich dieses Gefühl nur bestärkt. Sehr eindringlich und zutiefst persönlich erzählt Elle Cook was sie zum Schreiben von „The man I never met“ bewogen hat und ich kann wirklich nur jedem, der dieses Buch liest oder lesen will, nahelegen auch dem Nachwort die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
Abschließend bleibt mir eigentlich nur zu sagen, dass „The man I never met” jetzt schon ein Jahreshighlight ist und ich es wirklich nur wärmstens empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 02.11.2022

Ein außergewöhnlich guter Roman

Als die Welt zerbrach
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"Als die Welt zerbrach" kann im Grunde als Fortsetzung oder "Spin-off" zu John Boyne's Bestseller Roman "Der Junge im gestreiften Pyjama" verstanden werden. Die zentralen Themen dieses Romans sind Schuld, ...

"Als die Welt zerbrach" kann im Grunde als Fortsetzung oder "Spin-off" zu John Boyne's Bestseller Roman "Der Junge im gestreiften Pyjama" verstanden werden. Die zentralen Themen dieses Romans sind Schuld, (fehlende) Aufarbeitung und auch die generationsübergreifende Last und Trauer, die sich aus einem weltbewegenden Trauma ergeben.
Es ist unglaublich fesselnd geschrieben und die Geschichte ist meisterhaft ausgearbeitet. Für mich ist "Als die Welt zerbrach" in jeder Hinsicht wie die große Schwester von "Der Junge im gestreiften Pyjama". Während letzterer auf bewegende Weise, aber durch Bruno's kindlicher Naivität und Unschuld das Grauen von Auschwitz betrachtet, ist diese Fortsetzung erwachsener, schonungsloser und eindringlicher als sein Vorgänger. Ich empfehle auf jeden Fall den "ersten Teil" vorher gelesen zu haben, da es doch viele Bezüge zu der Handlug gibt, die auch wichtig für das Verständnis beim Lesen sind.

Man folgt der Erzählung von Gretel Fernsby, einer wohlhabenden Mit-Neunzigerin, die im heutigen Mayfair ein geruhsames Leben als Witwe führt. Doch Gretel war nicht immer eine Fernsby. Einst hatte sie einen deutschen Namen getragen. Sie hatte einen einflussreichen Vater, eine wunderschöne Mutter, Bruno, ihren liebenswerten Bruder und sogar einen Schwarm, in den sie im zarten Alter von 12 ganz vernarrt gewesen ist.
Doch eines Tages war ihr Bruder verschwunden, der Führer besiegt, der Krieg verloren und Gretel fand sich in einer neuen Welt wieder, in der die Tochter des Teufels keinen Platz hatte.
Während sie versucht dem Chaos am Ende des zweiten Weltkrieges zu entkommen und gleichzeitig auch ihrer eigenen Schuld, wird sie immer wieder von den Erinnerungen an Auschwitz, ihre Eltern und ihrer tragischen Rolle beim Tod ihres Bruders eingeholt. Im Laufe ihres Lebens wird sie noch viele Namen tragen, doch keiner vermag sie von ihrer Trauer und den schwer-lastenden Schuldgefühlen zu befreien.
Erst als in der Wohnung unter ihr neue Nachbarn einziehen, scheint sie die Vergangenheit entgültig einzuholen. Es sind nämlich diese Nachbarn, die schöne und oh-so-unglückliche Madelyn, ihr in sich gekehrter kleiner Sohn Henry, der ihrem Bruder Bruno so ähnlich ist und der kaltschnäutziger Vater und berühmter Filmproduzent Alex, die sie schon bald in eine Lage bringen, in der sie sich mit ihren dunkelsten Geheimnissen auseinander setzen muss.
Stück für Stück und punktuiert setzt sich Gretel's Geschichte zusammen, während die Handlung gekonnt von der heutigen Zeitlinie, in eine bewegte und nomadische Vergangenheit springt, spitzen sich die Ereignisse zu, bis Vergangenheit und Gegenwart schließlich aufeinander prallen. Gretel hat eine kluge, einnehmende und auch kompromisslose Art, die mich sofort in den Bann gezogen hat. Gerade zu Anfang erinnert sie ein wenig an eine klassische Cosy-Crime-Heldin, die mit ihrer gemütlichen Art den bösen Machenschaften ihrer neuen Nachbarn auf die Schliche kommt.
Doch schon bald und je mehr man über ihre Vergangenheit erfährt, desto grauer wird ihr Charakter.

Besonders in den Nachkriegsjahren hat sie viele ihrer Schuldgefühle und Verantwortung unter der Decke ihres jungen Alters vergraben. Während der Ereignisse vom ersten Teil war sie gerade mal 12 Jahre alt, vielleicht 14 als der Krieg endete. Sie redete sich ein, sie habe nicht gewusst, was hinter dem Zaun vor sich ging, habe die NS-Indoktrination gar nicht so sehr verinnerlicht und auch generell nicht allzu viel von dem verstanden, was damals vor sich ging. Doch je tiefer man in ihre Vergangenheit eintaucht, umso klarer wird, dass sie sich die ganze Zeit in die eigene Tasche lügt. Die Erinnerung an ihren Besuch in Auschwitz an der Seite ihres Vaters und Kurt (ihres Schwarms), die Bestätigung, die sie von beiden gesucht hat, wann immer sie Gesten und Ideologien wiederholte, und schließlich das Wiedersehen mit Kurt Jahre später, waren für mich Schlüsselszenen, die verdeutlichen, dass sie doch sehr viel mehr von dem verstanden hat was passiert war.
Ich fand Gretel's Figur emotional enorm herausfordernd. Sie hat in mir eine verworrene Mischung hervorgerufen aus Sympathie für die alte Frau, die sie geworden war, Mitgefühl, für das was sie durchmachen musste (besonders in Paris) und Verachtung, wegen der Lügen, die sie sich selbst und anderen erzählt hat. Beispielweise war die Unterhaltung zwischen Gretel und Kurt in dem Café für mich unglaublich schwer zu lesen. Dieses eine Mal hat sie zugelassen, dass die Mauern von Lügen, die sie in ihrem Inneren errichtet hat, ein wenig Licht durchlassen und enthüllen, was tief in ihr verborgen lag. Boyne hat es geschafft, dass Gretel wirklich nie nur schwarz oder nur weiß geblieben ist, sondern hat immer genau so viel Information beigesteuert, dass man auf dem Drahtseil nicht auf einer Seite herunterfällt.

Auf die Handlung will ich gar nicht groß eingehen, nur dass der Schluss in meinen Augen sehr passend war. Ein Happy End ist nicht zu erwarten, genauso wenig wie es bei "der Junge im gestreiften Pyjama" zu erwarten war. Dafür hinterlässt einen dieser Roman aufgewühlt, emotional aufgeraut, vielleicht sogar ein wenig ruhelos, weil es für eine solche Geschichte einfach schwerlich ein "perfektes" Ende geben kann. Es gibt keine Gewinner, keine vollkommene Gerechtigkeit, keine Absolution.

"Als die Welt zerbrach" ist beileibe keine leichte Lektüre. Die Geschichte ist rau, einfühlsam und vielschichtig, gräbt sich tief in dei Gedanken- und Gefühlswelt seiner Leser und Leserinnen ein und lässt einen nicht so schnell wieder los. John Boyne ist ein Meister der Erzählung und hat sich in diesem Roman mit Geschick und Entschlossenheit den dunkelsten Aspekten der menschlichen Natur angenommen. Ein grandioses Buch und uneingeschränkt empfehlenswert!

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.07.2022

Knallharter Krimi mit knallhartem Ermittler

Princess Margarita Illegal
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“Princess Margarita Illegal“ ist der zweite Teil der von Stephen Mack Jones geschaffenen Krimi-Reihe rund um den Detroiter Ex-Cop und Ex Marine August Snow. Er knüpft nahtlos an die Ereignisse des ersten ...

“Princess Margarita Illegal“ ist der zweite Teil der von Stephen Mack Jones geschaffenen Krimi-Reihe rund um den Detroiter Ex-Cop und Ex Marine August Snow. Er knüpft nahtlos an die Ereignisse des ersten Teils an, es ist allerdings nicht zwingend nötig diesen zu kennen.
Dieses Buch ist in meinen Augen ein wirklich genialer Kriminal-Roman und kombiniert tolle Charaktere, einen fesselnden Plot und unerwartete Wendungen mit einem sehr authentischen Einblick in die Menschen und Probleme der Stadt Detroit.
Der Protagonist, engagiertes Mitglied in Detroit’s Mexicantown und wichtiger Teil der Community, wird durch einen Bekannten aus seiner Zeit als Polizist in eine Mordermittlung hineingezogen, die viele Fragen aufwirft. Eine unbekannte Mexikanerin wurde aus dem Detroit River gezogen und weder ihre Verkleidung als Prinzessin noch die schlimmen Verletzungen, die sie vor ihrem Tod erlitten haben muss, scheinen einen Sinn zu ergeben.
Von den Behörden hat die junge Frau keine Gerechtigkeit zu erwarten, also nimmt sich August des Falles an und stößt schon bald auf eine Spur, die ihn nah an die dunkelsten Abgründe der Gesellschaft führt.
Jones Schreibstil hat mir sehr gefallen. Mit seinem zynischen und ungefilterten Tonus hat der Erzählstil etwas von der Atmosphäre eines Film Noir, ist aber gleichzeitig temporeich und modern, was das Buch ungleich mitreißender macht. Auch Jones Detailliebe sticht heraus. Seine Beschreibungen der Figuren und insbesondere der Stadt kreieren ein unglaublich echtes und authentisches Bild von Mexicantown und seiner Bewohner. Kleinigkeiten wie z.B. das Essen, die auf den Ersten Blick unerheblich erscheinen, tragen ganz stark dazu bei, sich beim Lesen in die Community versetzt zu fühlen. Ich war sehr schnell von der Geschichte und ihrer Atmosphäre eingenommen.
August als Protagonist hat mich ebenfalls schnell von sich überzeugt. Er hat das Herz am rechten Fleck und gute Intentionen, ist allerdings auch bereit gewisse Grenzen zu übertreten. Weder schwarz noch weiß bewegt er sich häufiger mal in einer moralischen und ethischen Grauzone. In Kombination mit seinen derben Sprüchen und dem trockenen Humor hat er etwas von Stirb Langsams John McClane.
Schließlich mochte ich auch die Handlung sehr. Es dauert ein wenig bis sich richtig Spannung aufbaut, allerdings wird es früh genug ordentlich turbulent. Der Handlungsverlauf bietet einige überraschende Wendungen und verbindet die Elemente eines spannenden Detektivromans mit denen eines atemlosen Großstadt-Thrillers.
Natürlich gab es die ein oder andere Szene, die in der Realität vermutlich nicht so abgelaufen wäre, allerdings wirkt der Roman trotz der gehörigen Portion Waffen und Gewalt auch tragisch realistisch.
Wer also auf der Suche nach einem düsteren, atmosphärischen Krimi ist, sollte es definitiv einmal mit „Princess Margarita Illegal“ versuchen.

Veröffentlicht am 12.07.2022

Geistreich, unterhaltsam und voll mit wertvollen Denkanstößen

Von hier betrachtet sieht das scheiße aus
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"Von hier betrachtet sieht das scheiße aus", der Debütroman von Autor Max Osswald, sticht bereits durch seinen Titel aus der Menge heraus. Und der Name ist Programm:
Ben Schneider (29) ist im Leben festgefahren. ...

"Von hier betrachtet sieht das scheiße aus", der Debütroman von Autor Max Osswald, sticht bereits durch seinen Titel aus der Menge heraus. Und der Name ist Programm:
Ben Schneider (29) ist im Leben festgefahren. Genauer noch befindet er sich in einer ermüdenden Endlosschleife aus Belanglosigkeit und Erschöpfung. Erschöpfung durch die immer gleichen Sorgen, die immer gleiche Arbeit in der seelenvernichtenden Wirtschaftsprüfungskanzlei und die immer gleiche, allumfassende Einsamkeit, die in seinem Leben Einzug gehalten hat.
Aber Ben hat die Schnauze voll von diesem "Kreislauf beschwerlicher Scheiße" und trifft einen folgenschweren Entschluss: Er will sterben.
Und noch eine Sache steht fest: Sein Tod soll keineswegs so mittelmäßig werden, wie sein Leben. Also engagiert Ben einen Auftragskiller, der ihn in genau 50 Tagen die Lichter ausknipsen soll.
Klingt düster? Ist es auch. Max Osswald hat sich hier ein sehr ernstes Thema zum Schreiben gewählt und trifft damit genau den Zahn der Zeit. In einer Gesellschaft, die uns bereits von Klein auf einzutrichtern versucht, das Geld und Karriere der Maßstab allen Seins sind und die Chancen im Leben an die eigene Leistung und Produktivität gebunden sind, haben sicher schon so einige im Laufe ihres Lebens an ihrem Werdegang gezweifelt und sich auf die Suche nach persönlichen Glück begeben.
In einer ganz ähnlichen Ausgangslage begegnen wir dem Protagonisten dieses Romans. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass Ben vom Leben nichts mehr erwartet. Mit seinen 29 Jahren ist er verbittert, von Zynismus zerfressen und hat sich jedwedes Schönreden erfolgreich abtrainiert. Für ihn gibt es nur die gnadenlose, zuweilen bitterböse und ungefilterte Wahrheit. Doch genau diese kompromisslose Ehrlichkeit des Protagonisten gibt dem ganzen Roman eine herrlich humorvolle Note.
Mir hat „Von hier betrachtet sieht das scheiße aus“ wirklich gut gefallen und ich finde es ist ein außergewöhnliches und beeindruckendes Roman-Debüt. Es ist diese Kombination aus Düsternis und humorvoller Spitzzüngigkeit, die mir auf Anhieb gefallen hat.
Der Schreibstil ist packend und modern und die Seiten fliegen binnen kürzester Zeit nur so dahin. Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, weil ich es nicht beiseitelegen könnte.
Ich sollte dabei erwähnen, dass sich Osswald sehr expliziter Sprache bedient (was angesichts des Titels keine Riesenüberraschung ist) und damit vielleicht nicht jedermanns Geschmack trifft. Meiner Meinung nach hat das aber auch sehr gut zum Charakter der Geschichte und des Protagonisten gepasst.
Zuletzt haben mir auch die Kapitel und einzelne Gestaltungselemente im Buch sehr gefallen, sozusagen das Tüpfelchen auf dem i.

Geschrieben wird in der Ich-Perspektive, sodass man uneingeschränkten Zugang zu den Gedanken und Gefühlen Bens bekommt. Das fand ich super, denn so erhält seine Figur schnell Kontur und wird nahbarer. Dadurch wurde es auch um einiges leichter seinen düsteren Gedanken zu folgen und sich in ihn hineinzuversetzen. Mit seiner sarkastischen und der negativen Grundeinstellung wirkt er zwar nicht immer sympathisch, aber als Figur sehr echt.
Ben ist in der Tat ein außergewöhnlicher Protagonist und hat eine sehr mitreißende Entwicklung gemacht. Von seiner anfänglichen Lähmung durch die Last seines eigenen Lebens beginnt er in seinen letzten 50 Tagen weitere drastische Veränderungen vorzunehmen und scheint sich dabei nach und nach aus seinem Käfig zu befreien. Dabei fand ich wirklich gut, dass der Autor hier auf jedwede rosarot geschmückte Szene neuentfachter Lebensfreude verzichtet hat und Ben sich stattdessen langsam und ausführlich mit seiner Situation befassen musste.
Dabei ergibt sich so manch eine überraschende Situation oder neue Begegnung, die auch den Leser den ein oder anderen Denkanstoß mit auf den Weg gibt.
Unterm Strich ist „Von hier betrachtet sieht das scheiße aus“ ein sehr gelungenes Erstlingswerk. Kurzweilig und doch ungewöhnlich lädt es seine Leser ein auf eine Suche nach den Sinnbringenden Dingen des Lebens und macht Mut sein Leben einzig nach den eigenen Ansprüchen und Wünschen auszugestalten.
Ich hoffe, wir werden noch einiges von Max Osswald hören, bis dahin kann ich aber nur jedem nahelegen, diesem Roman eine Chance zu geben.