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Veröffentlicht am 06.11.2022

Maske der Gleichgültigkeit

Café Leben
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Henrietta Lockwood, 32 Jahre alt, lebt nach starren Regeln und scheut Kontakte. Nur ihre Eltern zählen zu ihren festen Kontakten, aber auch dieses Verhältnis ist unterkühlt und wirkt erzwungen. Sie hat ...

Henrietta Lockwood, 32 Jahre alt, lebt nach starren Regeln und scheut Kontakte. Nur ihre Eltern zählen zu ihren festen Kontakten, aber auch dieses Verhältnis ist unterkühlt und wirkt erzwungen. Sie hat ihren Job verloren, da sie anderen Menschen gegenüber empathielos ist und sich auch so verhält. Ihr einziger Freund ist ihr Hund Dave, der auch ein Außenseiter ist, da Henrietta ihn als unverträglich deklariert und mit ihm nur ihre eigenen Wege geht.
Nun hat Henrietta einen neuen Job bei einer palliativen Krebsambulanz gefunden, sie soll die Lebensgeschichten todgeweihter Menschen aufschreiben, damit diese etwas für ihre Nachwelt hinterlassen. Hier kommt nun die zweite Hauptprotagonistin zum Zug, denn Annie Doyle hat nur noch ein paar Wochen zu leben. Sie hatte ein schweres Leben, keine Kinder und möchte ihren Freunden ihre Geschichte präsentieren, die von zwei besonders schweren Schicksalsschlägen geprägt ist. Annies Schwester, mit der sie sich sehr gut verstand, verschwand spurlos und galt als im Kanal ertrunken. Die zweite Katastrophe war ihre Ehe mit einem Mann, der sie ständig schikanierte und sie als sein Eigentum betrachtete. Sie schaffte es nicht, sich von ihm zu lösen, bis das Schicksal sie durch einen Unfall von ihrem Peiniger befreite.
Durch die Auseinandersetzung mit Annies Leben kommen sich die beiden Frauen näher und Henrietta erkennt Parallelen zu ihrem eigenen Leben. Genau wie Annie hat sie einen Verlust erlitten, der ihr Leben geprägt hat. Ganz allmählich freunden sich die beiden Frauen an, doch die Deadline kommt bedrohlich näher. Und so erfahren wir als Leser nach und nach die Lebensgeschichte der beiden Frauen und sehen, was sie geprägt hat.
Und ganz allmählich legt Henrietta ihre Maske der Empathielosigkeit ab und empfindet Spuren von Liebe. Das klingt erstmal kitschig, aber das ist es nicht, man kann regelrecht spüren, wie sie anfängt, sich Sorgen zu machen und Interesse am Wohlergehen von Annie zu zeigen. Henrietta kann zum ersten Mal nach 23 Jahren weinen, was mich sehr berührt hat und was ich gut nachempfinden konnte.
Ich fand das Buch sehr spannend, obwohl es kein Krimi ist, denn die Lebenswege, die sich immer mehr füllten, sorgten für Interesse und Neugier. Teilweise haben die Ereignisse mich so berührt, dass ich in Gedanken noch lange damit beschäftigt war.
Bleibt noch zu sagen, dass ich den Schreibstil der Autorin sehr flüssig fand und mich im Café Leben wohlgefühlt habe. Die Autorin konnte die jeweilige Atmosphäre sehr gut einfangen und hat mit diesem Buch ein überzeugendes Erstlingswerk präsentiert.

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Veröffentlicht am 24.10.2022

Zu den Wurzeln der Wut

Verbrenn all meine Briefe
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Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht ...

Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht enttäuscht.
Auch hier geht es um das familiäre Miteinander. Alex realisiert, dass seine Familie (seine Frau und seine Kinder) bisweilen Angst vor ihm hat. Dies beunruhigt ihn, denn er ist davon überzeugt, dass er eine Wut in sich trägt, die wegen unerheblichen Anlässen plötzlich ausbricht. Woher kommt diese Wut?
Nachdem er gemeinsam mit einer Psychologin festgestellt hat, dass familiäre Disharmonien sich besonders häufig in der Familie mütterlicherseits befinden, beschließt er, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Er befürchtet, dass diese innerlich festgelegte Wut sonst auch im Verhalten seiner Kinder Fuß fasst. Also beginnt er mit Recherchen und fokussiert diese auf seinen Großvater Sven Stolpe, der ein erfolgreicher Schriftsteller war und in seinen Werken viel Persönliches einfließen ließ.
Der Roman beinhaltet drei Handlungsstränge. Zunächst die Gegenwart, in der sich Alex der Gefahr bewusst wird und handelt.
Sehr signifikant ist das Jahr 1932, denn da lernt seine Oma Karin, die bereits mit Sven verheiratet ist, ihre große Liebe kennen und lässt sich darauf ein. Aber ihre Ehe ist ein Gefängnis, aus dem sie nicht ausbrechen kann, eine 'Amour fou', sehr leidenschaftlich, aber mit folgenschweren Auswirkungen für die Liebenden. Als Sven Karins Untreue bemerkt, macht er ihr das Leben zur Hölle, und es gibt für Karin kein Entrinnen.
Der dritte Handlungsstrang beschreibt persönliche Erinnerungen, die Alex durch Besuche bei seinen Großeltern in den späten 80ern bewahrt hat und die seine Gedanken untermauern.
Der Autor beschreibt atmosphärisch dicht, wie zerrissen sich Karin zwischen den beiden Männern fühlt und wie verfahren ihre Lage ist. Man leidet förmlich mit ihr. Überhaupt empfindet man tiefes Mitleid, denn schon kurz nach der Verlobung fängt sie an, sich Svens Wünschen unterzuordnen und damit ihr eigenes Glück aufzugeben. Sven erkennt ihre prekäre Situation und demütigt sie auf brutale Weise, manchmal nur wegen Kleinigkeiten. Einige Szenen sind sehr berührend, und man muss erstmal darüber nachdenken.
Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut, denn er vermittelt Spannung so intensiv, wie sie in vielen Krimis nicht entsteht. Deshalb möchte ich eine eindeutige Lese Empfehlung aussprechen.

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Wiedersehen und Abschied

Die Wunderfrauen
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Jetzt wird es wohl ein endgültiger Abschied von den Wunderfrauen sein, nachdem ich bereits mit diesem Zusatzband nicht gerechnet hatte. Aber ich hatte mir ein Wiedertreffen erhofft.
Es war wie ein Wiedersehen ...

Jetzt wird es wohl ein endgültiger Abschied von den Wunderfrauen sein, nachdem ich bereits mit diesem Zusatzband nicht gerechnet hatte. Aber ich hatte mir ein Wiedertreffen erhofft.
Es war wie ein Wiedersehen mit alten Freundinnen, denn die vier Frauen sind mir doch ans Herz gewachsen. Ich fand es interessant zu erfahren, was in den vergangenen 20 Jahren passiert ist, denn mittlerweile sind sie zwischen ca. 60 und 70 Jahre alt. Ihre Freundschaft hat alle Schicksalsfügungen überlebt.
Das Buch ist eine Mischung aus diversen Romantypen, denn vom Kriminalroman bis zur Liebesgeschichte ist alles dabei. Für mich war es sehr spannend zu lesen, genau wie die drei Vorgängerbände. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Leser, die die Reihe bisher nicht kannten, Probleme haben, sich zurechtzufinden.
Dabei hat die Autorin in geschickter Weise alte Erinnerungen geweckt und darin neue Geschichten, auch aus der Vergangenheit, eingewoben. Schon im Prolog bahnt sich ein Kriminalfall an, und man rätselt, wer die Beteiligten sein könnten.
Das Buch macht Hoffnung und schenkt Trost, denn allen Frauen öffnen sich im Alter neue Perspektiven. Und auch diesmal zeigt sich wieder, dass der Zusammenhalt der vier Freundinnen jeder einzelnen Kraft gibt.
Der Schreibstil ist angenehm zu lesen und leicht verständlich. Der Perspektivenwechsel bereichert die Handlung. Auf jeden Fall macht sich auch Weihnachtsstimmung breit, denn alte Bräuche werden liebevoll geschildert.
Auf den letzten 20 Seiten gibt es einen Ausblick auf die neue Romanreihe der Autorin.
Es heißt nun leider Abschied nehmen, aber nicht ohne vorher eine Leseempfehlung auszusprechen, und zwar für die gesamte Reihe.

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Veröffentlicht am 14.09.2022

Spannend, anrührend und voller Überraschungen

Der Klang der Erinnerung
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Ich wurde auf das Buch aufmerksam, da es um die dramatischen Ereignisse in Aberfan/Wales geht, von denen ich durch die Serie 'The Crown' zum ersten Male gehört hatte. Somit hatte ich einen historischen ...

Ich wurde auf das Buch aufmerksam, da es um die dramatischen Ereignisse in Aberfan/Wales geht, von denen ich durch die Serie 'The Crown' zum ersten Male gehört hatte. Somit hatte ich einen historischen Roman erwartet, aber dieses Buch hat bei weitem mehr zu bieten. Es hat mich regelrecht in seinen Bann gezogen, ich konnte nicht aufhören zu lesen. Der Spannungsbogen war durchweg hoch, obwohl es kein Kriminalroman ist.
William Lavery, der Protagonist, hat in seinem jungen Leben schon einige traumatisierende Erlebnisse zu verzeichnen. Da ist als erstes der frühe Tod seines Vaters, der ihn besonders stark an die Mutter bindet, die ihn auch sehr vereinnahmt. William kann außerordentlich gut singen und wird Chorknabe in Cambridge, wo er seine Fähigkeiten so positiv entwickelt, dass er die Chance bekommt, ein berühmtes Solo zu singen. Doch auch hier kommt es zu tragischen Erlebnissen und William beschließt, Einbalsamierer zu werden, was ihn ins Familienunternehmen eintreten lässt. Auch hier ist er einer der besten, und er hat kaum seinen bravourösen Abschluss, als es ihn zu seinem mutigen Einsatz im Katastrophengebiet von Aberfan lockt, wo besonders viele Kinder starben. Seine Leistungen dort sind heldenhaft, aber hinterlassen Spuren, die Auswirkungen auf sein weiteres Leben haben....
Was mich sehr angenehm überrascht hat ist die feinfühlige Sprache, die die Autorin anwendet, um die verschiedenen, teils sehr extremen Situationen zu beschreiben. Ich fühlte mich immer in die jeweilige Szenerie hineinversetzt durch die sprachintensiven Elemente. Da ist z.B. das Heimweh, das William empfindet, als er das Internat in Cambridge besucht, es springt förmlich aus den Zeilen heraus und steckt den Leser an. Oder der 'blutergussblaue Himmel', den man sich gut vorstellen kann. Alles sehr beeindruckend!
Auch habe ich meinen Wissenshorizont erweitert, denn der Beruf des Einbalsamierers war mir aus der Neuzeit nicht bekannt. Das historische Erleben von Aberfan hat mich sehr betroffen gemacht.
Alles in allem hat mich das Buch total überzeugt, auch wenn das Ende ein wenig kitschig ist. Aber irgendwie ist dies der passende Ausgleich zu der Ernsthaftigkeit zuvor.
Ich kann das Buch nur empfehlen, es hat sich bei mir fest eingeprägt, und ich hoffe, dass noch viele Leser in diesen Genuss kommen.

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Veröffentlicht am 28.08.2022

Vom Ertragen einer demütigenden Ehe

Lügen über meine Mutter
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Ich habe lange überlegt, worum es in diesem Buch in erster Linie geht und bin dann auf diese Überschrift gekommen. Denn grundsätzlich fragt man sich immer wieder: warum lässt diese Frau sich das so lange ...

Ich habe lange überlegt, worum es in diesem Buch in erster Linie geht und bin dann auf diese Überschrift gekommen. Denn grundsätzlich fragt man sich immer wieder: warum lässt diese Frau sich das so lange gefallen? In den 80er Jahren war es nicht mehr so, dass eine Frau dem einmal geheirateten Mann ausgeliefert war, sie hätte sich sofort scheiden lassen können, besonders auf Grund der Tatsache, dass sie mit ihren Kenntnissen sicher einen Job gefunden hätte.
Es geht um ein junges Paar in einem kleinen Dorf im Hunsrück. Der Mann strebt nach Beförderung und sozialer Anerkennung, aber immer wenn er diesbezüglich einen Rückschlag erleidet, macht er dafür seine Frau verantwortlich bzw. deren Körperfülle, die in seinen Augen nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Immer wieder muss sie demütigende Szenen erleben und lässt diese an sich abprallen. Ihre Erfolge werden niedergemacht und kritisiert, ja sie wird sogar provoziert, z.B. indem er ihr Parfüm schenkt, was sie überhaupt nicht mag. Nie kommt es zu klärenden Gesprächen zwischen beiden, es ist eine Ehe mit geringer Kommunikationsbreite. Dabei hat man stets das Gefühl, dass diese intelligente Frau eine endgültige Lösung schaffen könnte, schlimmstenfalls dass sie ihn verlässt.
Ganz verlogen wird die Beziehung, als die Frau eine große Summe erbt, und der Mann große Pläne für die Zukunft macht. Durch finanzielle Unabhängigkeit könnte sie ein unbeschwertes und selbstbestimmtes Leben führen, aber sie wählt den einfacheren Weg und fügt sich ihrem Mann, besonders da er angesichts des Geldes seine Demütigungen ihr gegenüber reduziert.
Man hat als Leser stets das Gefühl, dass man der Frau helfen müsste, aus dieser kläglichen Situation zu entkommen. Dabei hat man nicht den Eindruck, dass die Frau generell zu schwach wäre, denn sie hat ihren eigenen Willen und setzt diesen durch, auch möchte sie ihre eigene Identität wahren. Ich denke, in den 80ern war die heutige Selbstverständlichkeit, eine unschöne Beziehung zu beenden, noch nicht so ausgeprägt und wurde mitbestimmt durch die Einstellung der eigenen Eltern und des sozialen Umfelds.
Ich habe das Buch gern gelesen und Vergleiche herangezogen zu einer Beziehung im näheren Bekanntenkreis, die auch so unglücklich verlief. Auch haben mir die Rückblicke auf die typischen 8oer-Attribute, wie z.B. die Bazookas, Makramee und auch die selbstgebastelten Hexen, die in den Fenstern hingen. Auch gab es Schmunzel Szenen, z.B. die Vertreibung der braunen Michaela
Besonders für alle diejenigen, die einen Bezug zu den 80ern haben, spreche ich eine eindeutige Leseempfehlung aus. Ein Buch, das die Aufnahme in die Longlist des Deutschen Buchpreises durchaus verdient hat!

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