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Veröffentlicht am 24.02.2023

Des Donnerstagsmordclubs dritter Streich – ein ganz besonderer Fall

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel (Die Mordclub-Serie 3)
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Wie immer beginnt es einigermaßen harmlos: Die Vier vom Donnerstagsmordclub haben sich einen neuen interessanten Fall herausgesucht, den sie zu lösen beabsichtigen. Der Fall einer ermordeten Fernseh-Journalistin ...

Wie immer beginnt es einigermaßen harmlos: Die Vier vom Donnerstagsmordclub haben sich einen neuen interessanten Fall herausgesucht, den sie zu lösen beabsichtigen. Der Fall einer ermordeten Fernseh-Journalistin liegt schon zehn Jahre zurück und ihre Leiche wurde nie gefunden. Cold Cases sind ja bekanntlich ziemlich in Mode. Dafür scheut das Quartett wie gewöhnlich keine Kosten und Mühen. Etwas unruhig wird Elizabeth dann aber doch, als sie und ihr Mann Stephen von einem hünenhaften Wikinger entführt werden und Elizabeth den Auftrag erhält, einen ihr bekannten Ex-KGB-Chef zu töten – sonst stirbt ihre Freundin Joyce. Elizabeth wäre nicht Elizabeth, wenn sie nicht einen eigenen schlauen Plan entwickeln würde. Geheim halten lässt sich das Ganze vor ihren Mitstreitern natürlich nicht lange. Und so haben es Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron bald nicht nur mit TV-Stars und Influencern zu tun, sondern auch mit überführten Verbrechern, der Mafia, mit Cyber-Kriminellen und Bandenkriminalität. Wenn es weiter nicht ist!

Ich liebe diese Vier! Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron haben jeder so ihre
Eigenheiten und Schrullen, jeder hat ein besonderes Talent und Fähigkeiten, die sie für die Truppe unersetzlich machen. Es eint sie jedoch über allem anderen ihre unbedingte Loyalität und Freundschaft und auch ihre Hartnäckigkeit, dem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Schön finde ich zum einen, dass im nunmehr dritten Band auch die vergangenen Fälle ihre Spuren hinterlassen. Die Konsequenzen aus Band eins und zwei sind in diesem deutlich sichtbar, und zwar nicht nur in Personalien, sondern auch in der Handlung. Als Fan freut man sich natürlich vor allem, bekannte Figuren wiederzutreffen, die man neben den Hauptakteuren langsam aber sicher ebenfalls lieb gewonnen hat, wie zum Beispiel Bogdan, Donna oder Chris. Der Autor gibt auch diesen Raum und lässt sie sich weiterentwickeln, man darf einiges Geschehen aus deren Perspektiven wahrnehmen und gewinnt recht umfassende Einblicke. Großartig finde ich dabei auch, dass eine Figur wie etwa Connie, die im Vorgänger überführt wurde, wieder auftaucht. Ein Fall ist also nie wirklich abgeschlossen, sondern die Menschen und ihre Entscheidungen haben Auswirkungen auf alles Kommende.

Zum anderen schafft es der Autor einmal mehr, einen großartig humorvollen und wahnsinnig spannenden Krimi zu erschaffen, der nie ins Lächerliche abdriftet und der seine Figuren liebt und schätzt. Er zeigt auf, dass man die Seniorinnen und Senioren niemals unterschätzen sollte, findet aber auch den schmalen Grat im sensiblen Umgang mit alterstypischen Krankheiten wie Demenz. Dies berührt uns als Leser ebenso wie die im Buch Betroffenen. Als Krimi ist auch dieser geprägt von Elizabeths Geheimdienstvergangenheit und steckt voller Überraschungen und Wendungen. Die Geschichte ist komplex und verschachtelt und bewegt sich nach friedlichem Beginn in die unterschiedlichsten Richtungen. Man muss immer auf alles gefasst sein. Der Ursprungsfall wird dabei nicht vergessen, es ergeben sich aber immer mehr Handlungsstränge. Das Ganze entwickelt eine immense Dynamik und man hat fast den Eindruck, der Autor lässt seine Figuren einfach machen und ist selbst ganz gespannt, wie es ausgeht. Die Charaktere sind vielschichtig und auch nicht nur böse oder gut. Wenn etwa ein Möchtegern-Psychopath plötzlich zum Vermögensberater wird und ein Gewerkschaftler zum Fernsehstar, so ist das hier völlig normal. Jeder wird eingespannt und jeder hilft mit – den Vieren kann man sich eben nur schwer entziehen.

Fazit: Besser geht nicht! Der Autor bleibt seinen Figuren und seinem Stil treu und schafft es einmal mehr, trockenen Humor und Spannung in eine wundervolle Geschichte zu packen und gesteht auch vermeintlichen Nebenfiguren einen größer werdenden Raum zu. Auch wenn bei dem Quartett der eine ohne den anderen nur halb so gut wäre – meine Lieblinge sind Elizabeth und Joyce, deren Freundschaft ebenso überraschend wie innig ist und die sich aufs Trefflichste ergänzen. Bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 21.12.2022

Portrait des Untergangs eines Dorfes

Ginsterhöhe
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Schwer versehrt an Leib und Seele kehrt Albert Lintermann nach dem Ersten Weltkrieg auf seinen Hof in Wollseifen in der Hocheifel zurück, den er zusammen mit seinen Eltern bewirtschaftet. Sein bester Freund ...

Schwer versehrt an Leib und Seele kehrt Albert Lintermann nach dem Ersten Weltkrieg auf seinen Hof in Wollseifen in der Hocheifel zurück, den er zusammen mit seinen Eltern bewirtschaftet. Sein bester Freund ist gefallen, seine Frau reagiert mit Ekel und Ablehnung auf sein entstelltes Äußeres.
Trotzdem findet Albert nach und nach durch Arbeit und durch seine Freunde in die Dorfgemeinschaft zurück und bringt den Hof zu neuer Blüte. Doch dunkle Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, die Nationalsozialisten werden immer mächtiger und wählen schließlich ausgerechnet einen Ort ganz in der Nähe aus, wo sie ein Schulungszentrum errichten. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, nehmen die Alliierten die Region besonders ins Visier.

Die Geschichte des Dorfes Wollseifen, dem seine Nähe zum Reichsschulungszentrum Vogelsang zum Verhängnis wurde, wird hier grandios und schnörkellos erzählt. Die Autorin verbindet Familiengeschichte und Gesellschaftsroman und bettet sie ein in die historischen Ereignisse um das Dorf Wollseifen. Sehr strukturiert und manchmal regelrecht nüchtern beschreibt sie die Geschichte des Dorfes, versteht es aber außerordentlich gut, die Spannung unterschwellig und subtil aufzubauen. Die gelingt meines Erachtens vor allem mit den Einschüben des Tagebuchs des Lehrers Faßbender, der die Ereignisse emotional beschreibt und klug kommentiert. Der Leser erhält so einen intimeren, einfühlsameren Blick auf das Geschehen und die unterschwelligen Gefühle der Menschen als durch die mitunter eher sachliche Perspektive der eigentlichen Geschichte.

Formal ist die Erzählung in drei Teile gegliedert. Der erste beschreibt die Zeit nach Alberts Rückkehr, die trotz Rezession eine Zeit des Aufbaus und der Blüte ist. Im zweiten Teil kommen die Nationalsozialisten an die Macht und gewinnen auch immer mehr Einfluss im Dorf. Der dritte Teil schließlich beginnt mit dem Krieg und endet mit der Besieglung des Schicksals des Dorfes. Dabei stehen immer die Menschen im Dorf im Mittelpunkt, die eigentlich nur eines wollen: in Ruhe leben, arbeiten und ihre Kinder großziehen. Auffällig und beeindruckend ist der große Zusammenhalt, der sich durch alle Zeiten zieht. Mich begeisterten vor allem diese kleinen, alltäglichen Dinge, wie die für mich sehr authentischen Beschreibungen des dörflichen Alltags, der harten Arbeit, aber auch der Hilfsbereitschaft und der großen Bauernschläue, die die Bewohner immer eine Lösung finden lassen. Die Dorfbewohner beweisen auch, dass sich Tradition und Moderne keineswegs ausschließen. Auf der einen Seite sind sie traditionell, naturverbunden, gläubig, auf der anderen Seite treiben sie den Fortschritt voran, glauben an die modernen Errungenschaften wie Elektrizität und fließendes Wasser und haben sogar ein Kaufhaus. Für sie geht es immer weiter und es ist selbstverständlich, dass man einander hilft.

Das Buch lebt von den Beschreibungen der Dorfgemeinschaft und des Miteinanders, aber auch in großem Umfang von den einzelnen Charakteren, die vielschichtig und tiefgründig aufgebaut sind. Sicherlich gibt es auch Nebenfiguren, von denen manche nicht wieder auftauchen, andere hingegen treten in unterschiedlicher Gewichtung noch einmal ins Rampenlicht. Hauptfigur und Fokus der Geschichte ist Albert Lintermann, an dessen Figur man nicht nur die Traumata eines Menschen aufgezeigt bekommt, der im ersten Weltkrieg gekämpft und einen zweiten erleben muss, sondern an dem man auch sieht, wie jemand immer wieder Rückschläge erleidet und doch nie den Fleiß, die Hoffnung und die Fähigkeit zu lieben verliert. Viel zu lachen hat Albert wahrlich nicht, er ist auch insgesamt kein fröhlicher Mensch und unterdrückt Gefühle eher, doch wie er neuen Lebensmut schöpft und immer wieder neu beginnt, ließ mich intensiv mit ihm mitfühlen. Im Laufe der Zeit treten seine Gefühle auch immer mehr an die Oberfläche, und je mehr er sie zulässt, desto emotionaler wird der Erzählstil. Dies äußert sich besonders in den Passagen, wenn es um seine Kinder oder um Leni geht, aber auch um die sterbenden Gefühle für seine Frau Bertha, die mir nebenbei bemerkt mit ihrer Oberflächlichkeit und Wehleidigkeit ziemlich gegen den Strich ging. Andere starke Charaktere sind zum Beispiel Lenis Tochter Hildegard oder Marie Felten, deren Schicksal mich ebenfalls sehr berührt hat. Deren Geschichte wird unabhängig von Alberts in nebeneinander laufenden Handlungssträngen erzählt, ist aber gut eingebunden in die Hauptgeschichte und spannend im Kontext des Dorfes.

Fazit: Fesselnde Darstellung des Schicksals des Dorfes Wollseifens und seiner Bewohner, die durch tiefgründige Charaktere und Authentizität besticht. Besonders durch die einfühlsame Beschreibung der Schicksale des Einzelnen wird die Tragik greifbar und die Geschichte lebendig. Liest sich nicht einfach so herunter, sondern hallt nach und macht nachdenklich.

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Veröffentlicht am 13.12.2022

Gar nicht so still ruht der See

Die letzte Party
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Ein See, genau an der Grenze zwischen Wales und England, ein kleines uriges walisisches Dorf auf der einen, ein modernes Neubaugebiet mit Ferienwohnungen auf der anderen Seite, deren jeweilige Bewohner ...

Ein See, genau an der Grenze zwischen Wales und England, ein kleines uriges walisisches Dorf auf der einen, ein modernes Neubaugebiet mit Ferienwohnungen auf der anderen Seite, deren jeweilige Bewohner sich misstrauisch beäugen und sich durch die anderen gestört fühlen. Um die Wogen zu glätten, gibt einer der Investoren, Rhys Lloyd, ein Kind des Dorfes und jetzt einigermaßen bekannter Sänger, eine rauschende Silvesterparty. Es gibt Champagner und Schnittchen. Am nächsten Tag beim Neujahrsschwimmen treibt ein Toter im See: Rhys Lloyd. Ermittlerin Ffion Morgan von der walisischen und Leo Brady von der englischen Seite sollen gemeinsam ermitteln. Was keiner ahnt: Die beiden hatten an Silvester einen One Night Stand miteinander und wollen ihre Bekanntschaft auf gar keinen Fall vertiefen. Der Fall Lloyd erweist sich als komplexer als gedacht und notgedrungen müssen die beiden ungleichen Ermittler kooperieren. Und bald stellt sich heraus, dass jeder mit Rhys Lloyd ein Hühnchen zu rupfen hatte, Ffion Morgan durchaus eingeschlossen.

Sehr spannender und ausgesprochen clever strukturierter Psychokrimi und pointierte Milieustudie, in dem keiner der Protagonisten die Wahrheit sagt und nichts ist, wie es scheint. Von der ersten Zeile an unglaublich fesselnd vermochte ich das Buch nicht aus der Hand zu legen, was sowohl an den vielschichtigen Charakteren als auch den detaillierten und bildhaften Umgebungsbeschreibungen lag. Die Autorin hat einen wundervollen Stil, man taucht direkt ein in den Plot und die Milieus, deren Vertreter, wie z.B. die Reality Soap Darstellerin, die abgehalfterten C-Promis, die Influencerin, die rebellische Jugendliche und viele mehr, glaubhaft und oft mit einer guten Portion Ironie dargestellt sind. Die Charaktere sind auch deshalb so überzeugend, weil sie jeder für sich eine Plattform bekommen, um die Geschehnisse zu kommentieren und die Motive für ihr Handeln und ihr Innerstes zu offenbaren. Die Gegenwart, die Zeit der Ermittlungen, erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Tagen und wird abwechselnd von Ffion und Leo erzählt. In Zeitsprüngen jedoch wird die Vergangenheit aus den verschiedenen Perspektiven aufgerollt und offenbart so nach und nach die tiefen Verletzungen und den Hass und was in der Silvesternacht wirklich geschah. Der Mord ist erst der Anfang für eine Reihe von Ereignissen, die die Ermittlungen und seine Aufklärung mit sich bringen, und die Welt ist danach nicht mehr, wie sie war. Es ist also keineswegs eine chronologisch erzählte Geschichte, die Spannung erschließt sich vielmehr subtil und langsam mit dem Aufdecken der Hintergründe. Jeder hatte ein Motiv, jeder ist sowohl Opfer als auch Täter, ist sowohl gut als auch böse.

So sehr die Perspektiven der einzelnen Personen fesseln, so fand ich die Persönlichkeiten von Ffion und Leo und ihre Geschichte am Faszinierendsten. Herrlich beider Kommentare über den anderen! Durch ihre Angst, Gefühle offenbaren zu müssen, deuten sie das Verhalten und die Äußerungen des anderen im kompletten Gegensatz zu dem, wie sie gemeint sind. Das ruft mehr als einmal skurrile Situationen hervor und bringt einen zum Schmunzeln. Naturgemäß haben sie den höchsten Anteil an Kapiteln, daran liegt es aber nicht nur, dass ich sie so bemerkenswert fand. Von Ffions sehr persönlicher Verstrickung in den Fall und der Entwicklung Leos lebt dieses Buch in einem sehr hohem Maße. So ist es denn auch mehr als logisch, dass Teil eins ziemlich genau auf der Hälfte des Buches mit einem Paukenschlag endet und ein neuer Teil aufgemacht wird, bei dem die Karten neu gemischt werden müssen. So erhalten die persönlichen Befindlichkeiten Ffions und Leos, ihr Privatleben und ihre persönlichen Niederlagen und Seelenqualen einen großen Raum, der Kriminalfall tritt aber niemals ins Hintertreffen, sondern ist immer präsent. So ist denn auch die Auflösung wie die ermittelnden Personen und die ganze Geschichte: überraschend, unkonventionell und zutiefst befriedigend.

Fazit: Müssen Sie lesen.

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Veröffentlicht am 27.11.2022

Opulenter Mittelalter-Roman mit starken Protagonisten – spitzenklasse!

Die Siegel des Todes
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Schwarzwald, Anfang des 14. Jahrhunderts: Das Leben meint es nicht gut mit dem jungen Elias. Ohne Erinnerung an sein früheres Leben fristet er ein trostloses Dasein beim Schinder Utz Herrlinger, der ihn ...

Schwarzwald, Anfang des 14. Jahrhunderts: Das Leben meint es nicht gut mit dem jungen Elias. Ohne Erinnerung an sein früheres Leben fristet er ein trostloses Dasein beim Schinder Utz Herrlinger, der ihn quält und demütigt und zudem in zwielichtige Machenschaften verstrickt zu sein scheint. Das einzige, das Elias aufrecht hält und ihm Hoffnung gibt, ist die Aussicht auf Flucht und sein Medaillon, zusammen mit dem Wunsch, eines Tages das Geheimnis seiner Herkunft aufzudecken. Zunächst nicht viel besser ergeht es der jungen Ranghild, deren heimische Bauernkate überfallen und abgefackelt wird. Völlig verwirrt und verzweifelt findet sie Unterschlupf bei der Kräuterfrau Gret, bei der sie in die Lehre geht. Ranghild und Elias führen unabhängig voneinander ihr Leben, versuchen ihren Weg zu gehen in einer Welt, die ihnen nichts schenkt, und ahnen nicht, wie tief ihr beider Schicksal miteinander verknüpft ist.

Großartiger, vielfältiger, spannender und abwechslungsreicher Historienroman, so bunt und gewaltig wie ein Renaissance-Gemälde, realistisch, authentisch, so komisch wie traurig – kurzum: so facettenreich, wie ich schon lange keine Geschichte mehr gelesen habe. Jede Figur mit vielschichtiger, sehr eigener Persönlichkeit ausgestattet und in bildhafter Sprache verfasst, die einen sofort in die Geschichte hineinzieht. Ist man erst einmal eingetaucht, gibt es kaum ein Herauskommen, ich geriet förmlich in einen Sog und lebte dermaßen mit als wäre ich dabei. Die zwei Handlungsstränge um Elias und Ranghild verlaufen lange Zeit parallel nebeneinander, jede für sich autark und fesselnd und komplett aus der Sicht des jeweiligen Hauptprotagonisten erzählt. Dementsprechend fokussieren sich die Beschreibungen der Handlung, des Erlebens und des Seelenlebens in diesen Passagen, die sich über mehrere Kapitel erstrecken können, denn auch auf die jeweilige Hauptfigur. Sind die anderen Charaktere auch stark herausgearbeitet, so kreisen sie doch, hat man den Eindruck, um den jeweiligen Stern und bilden so ihren Teil der Weiterentwicklung für Elias und Ranghild.

Formal ist die Geschichte in drei Bücher mit fortlaufenden Kapiteln unterteilt und erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa fünfzehn Jahren. Eingerahmt durch einen Prolog und Epilog, wobei ersterer einige Fragen aufwirft, die letzterer wunderbar auflöst. Der Autor bedient sich einer eingängigen Sprache und hat einen sehr gut zu lesenden Stil, der ausgezeichnet in die Zeit passt, in der seine Geschichte angesiedelt ist. Die vielen Begriffe, die man heute eventuell nicht mehr kennt, werden dankenswerterweise in einem ausführlichen Glossar erklärt, ebenso wie ein hilfreiches Personenregister vorangestellt ist.
In den zwei Handlungssträngen verfolgt man den Lebensweg Elias' und Ranghilds ab etwa deren 13. Lebensjahr. Bei Elias steht hierbei sein Streben, den Schleier seiner Herkunft zu lüften, im Vordergrund, Ranghilds Leben ist geprägt vom Streben nach – medizinischem – Wissen und dem Wunsch, Menschen zu heilen. Beide haben sehr ausgeprägte und eigene Charakterzüge, wobei bei beiden die herausragende Intelligenz, der Überlebenswillen und die Hilfsbereitschaft heraussticht. Interessant fand ich die sehr unterschiedlichen Lebenswege und wie sie mit schwierigen Situationen umgehen und sich als junge Menschen in einer ihnen nicht immer wohlgesonnen Gemeinschaft behaupten. Besonders Elias hat es zunächst nicht gut getroffen und muss mehr kämpfen, wird verfolgt und verhöhnt. Ranghild als Frau ist gezwungen, sich in einer Männerwelt zu behaupten und mitunter ist sie machtlos gegen rohe männliche Gewalt. Beide müssen oftmals reagieren, werden durch äußere Umstände zu Taten gezwungen oder müssen weiterzuziehen. Mir schien aber doch Elias aktiver sein Schicksal in die Hand zu nehmen, zum Beispiel als er sich gegen seinen Peiniger durchsetzt. Durch seine Hitzköpfigkeit reitet er sich allerdings gerne in Zwangslagen hinein, während Ranghild durch Argumente und Diplomatie zu überzeugen versucht. Erwähnt sei auch, dass beide das Glück haben, an wohlgesonnene Menschen zu geraten, die sehr prägend sind für ihr Weiterkommen und die ihnen helfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Toll fand ich außerdem, dass man als Leser einen tiefen Einblick in mittelalterliches Wissen bekommt, aber auch in das Alltagsleben der Menschen in unterschiedlichen Regionen. Beider Weg führt uns vom Schwarzwald in die wichtige Reichs- und Handelsstadt Regensburg und sogar nach Salerno, wo Medizingeschichte geschrieben wurde.

Fazit: Unbedingt lesenswerter, wunderbarer und für mich sehr stimmiger Mittelalterroman mit lebendigen Figuren, zum Eintauchen und Abtauchen bestens geeignet und mit nachhallender Wirkung. Ich fand sehr wohltuend, dass der Autor auf reißerisch-blutige Mittelalter-Klischees verzichtet und stattdessen Menschen und Handlungen beschreibt, die überzeugend wirken und gar nicht so weit weg von uns selbst sind. Das vermeintlich finst're Mittelalter ist bevölkert von ganz normalen Menschen, von Gauklern und Kaufleuten, von Studenten und Ärztinnen und von zwei jungen Leuten, die allen Widrigkeiten zum Trotz ihren Weg finden und – so ganz nebenbei – das Geheimnis ihrer Herkunft lüften. Einfach toll.

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Veröffentlicht am 07.11.2022

Glück auf! Familienchronik und Geschichte einer Bergbau-Region

Die Sehnsucht nach Licht
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Louisa Steiner lebt in Bad Schlema in Sachsen und ist wie ihre ganze Familie der Tradition der sächsischen Bergleute eng verbunden. Die Geschichten von früher sind so lebendig wie eh und je, noch heute ...

Louisa Steiner lebt in Bad Schlema in Sachsen und ist wie ihre ganze Familie der Tradition der sächsischen Bergleute eng verbunden. Die Geschichten von früher sind so lebendig wie eh und je, noch heute trinkt man das Radonwasser, für das die Region und besonders Bad Schlema berühmt wurde, und noch immer denkt man an verschwundene Verwandte und Bergleute, die im Berg geblieben sind. Auch ein Großonkel Louisas, Rudolf, ist von einem Tag auf den anderen verschwunden und wird noch immer schmerzlich vermisst, vor allem von seiner Schwester Irma, Louisas Lieblingstante. Als diese ihre alte Freundin Gretchen wiederfindet, werden die alten Geschichten erneut aufgewärmt. Louisa taucht immer weiter ein in ihre Familiengeschichte und beschließt, mehr über Rudolfs Verbleib herauszufinden. Als sie feststellt, dass seine Spur nach Russland führt, bildet sich eine wundersame Reisegruppe, die sich auf den Weg nach Moskau begibt und überraschende Entdeckungen macht.

Großartige, berührende und faszinierende Erzählung über eine in ihrer Region tief verwurzelte Familie und über die Geschichte eines Ortes und seiner Bewohner. Die Autorin lässt Menschen und ihre Sorgen und Nöte, aber auch ihre Freude und ihr Überlebenswillen, die Prachtbauten und Bergbauhütten, das Leben unter Tage und das darüber lebendig werden, man ist nicht nur einfach sofort drin, man taucht tief ein in ihre Welt, lebt, fühlt, weint und lacht mit ihnen und ist förmlich ein Teil von allem. Sehr geschickt verwebt die Autorin Gegenwart und Vergangenheit, was Louisa mühsam recherchieren und herausfinden muss, erfährt der Leser dank Rückblenden in die Vergangenheit aus der Sicht der damals lebenden Familienmitglieder. Der Leser erhält somit einen uneingeschränkten und wahrheitsgemäßen Blick auf die Geschehnisse, während die Protagonisten in der Gegenwart lediglich Teile erfahren und sich manches zusammenreimen müssen. Wunderbar ist dieses Zusammenspiel der Zeitebenen, die Fragen und Themen, die Louisa bewegen und die sie herauszufinden versucht, werden direkt im Folgekapitel in der Vergangenheit erzählt und manches Mal enthüllt sich so ein überraschendes Geheimnis. Die Kapitel, die in der Vergangenheit spielen, werden dabei vom Jahr 1908 an chronologisch erzählt. Auch wenn mitunter recht große Zeitsprünge dabei sind, entspinnt sich doch sukzessive die Geschichte einer Bergbaufamilie von der Kaiserzeit über den 1. Weltkrieg, vom Dritten Reich, dem 2. Weltkrieg über die DDR bis zu Wende. Es ist die Geschichte der Steiners, der Stammbaum Louisas, ihre Herkunft, und das Streben, der Fleiß, die Loyalität und die Verbundenheit untereinander werden wie das Mettenlicht und das Album für Freunde des Bergbaus weitergereicht.

Mich faszinierte besonders die anschauliche Darstellung des Alltags, angefangen mit dem kargen Leben in der Bergarbeiter-Kate Anfang des 20. Jahrhunderts über den Schrecken der Weltkriege, die Hungerjahre in der Nachkriegszeit und dann des langsam, aber stetigen Aufstiegs und der verbesserten Lebensumstände, aber auch die Entwicklung und das Erwachsenwerden der Familienmitglieder, wie sie ihren Weg gehen und selbst Familien gründen bis hin zu Louisas Generation. Die Figuren sind durchweg alle liebevoll und authentisch dargestellt, sie überzeugen durch ihre Stärken und Schwächen und sind zutiefst menschlich. Wie ein Fels in der Brandung und eine fortwährende Konstante ist hierbei Wilhelm, Louisas Urgroßvater, Bergmann durch und durch, aufrecht, ehrlich und treu und der Mensch, dem Louisa eng verbunden ist, obwohl sie sich nicht an ihn erinnern kann. Aber durch sein Album, das er ihr vermacht hat, beginnt sie sich mit ihrer
Geschichte und der ihrer Familie zu beschäftigen und erfährt dabei auch viel über sich selbst.

Fazit: Ein wunderschönes Buch und ein spannender historischer Roman über das Leben einer Familie, die ihrer Region und ihrem Beruf zutiefst verbunden sind. Man erfährt viel über den Bergbau, es wird auch gefachsimpelt, das Ganze ist aber nie langweilig und vor allem ist diese Familiengeschichte sehr berührend. Die Geschichte lebt von der Verknüpfung von Tradition und Moderne und von ihren Menschen, die ihre Traditionen bewahren und alles am Laufen halten. Sicherlich nicht das letzte Buch der Autorin, das ich gelesen habe!

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