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Veröffentlicht am 15.09.2016

Was es bedeutet, Jude zu sein

Shylock
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Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock ...

Zum 400. Todestag von William Shakespeare hat der Verlag Hogarth eine Reihe von narrativen Neubearbeitungen der alten Shakespeare-Texte in Auftrag gegeben. Howard Jacobson legt als Auftragsarbeit “Shylock is my Name“ auf der Grundlage des Shakespeare-Stücks „The Merchant of Venice“ vor. Jacobson erscheint in zweifacher Hinsicht qualifiziert für diese Aufgabe. Er hat als ehemaliger Lehrer und Shakespeare-Forscher 1978 zusammen mit Wilbur Sanders das Buch „Shakespeare´s Magnanimity. Four Tragic Heroes, Their Friends and Families“ veröffentlicht, und er ist Jude und damit prädestiniert, sich zu Fragen der jüdischen Identität zu äußern, zumal er dies auch in seinen letzten Romanen - zum Beispiel in The Finkler Question – ausgiebig getan hat.
In „Shylock Is My Name“ gibt es einen zweiten Juden, nämlich den reichen Kunstsammler und Philanthropen Simon Strulovitch. Zu Beginn des Romans treffen sich beide auf einem Friedhof in Cheshire, wo Shylock sich in Zwiesprache mit seiner geliebten, vor langer Zeit gestorbenen Frau Leah befindet. Strulovitch steht am Grab seiner Mutter. Shylock und Strulovitch kommen ins Gespräch, und Strulovitch lädt seinen Doppelgänger in sein Haus ein. Über weite Strecken des Romans werden beide ausführlich jüdische Fragen, Antisemitismus und die Erziehung von Töchtern diskutieren, die vor ungeeigneten, nicht-jüdischen Bewerbern geschützt werden müssen. Shylock fühlt sich von seiner Tochter Jessica verraten, weil sie den Ring, den ihm einst Leah geschenkt hat, versetzt und von dem Erlös einen Affen gekauft hat. Strulovitch sorgt sich um seine schöne frühreife Tochter Beatrice, die sich mit dem zweitklassigen Fußballer Gratan Howsome eingelassen hat. Es gibt in Abwandlung der Shakespeare-Figuren viele weitere Personen, zum Beispiel Plurabelle und D´Anton als moderne Version von Portia und Antonio. Einige dieser Figuren sind stark überzeichnet und wirken wie Karikaturen, vor allem Anna Livia Plurabelle Cleopatra A Thing Of Beauty Is A joy Forever Christine, genannt Plurabelle.
Im Roman hat Strulovitch den Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung gegenüber D´Anton, der für den Fußballer Gratan Howsome bürgt für den Fall, dass dieser nicht fristgerecht mit Beatrice aus Venedig zurückkehrt. In diesem Fall geht es nicht um ein Pfund Fleisch, sondern um Beschneidung. Auch im Roman passiert dem Schuldner nichts. Dafür verschwindet Shylock im Roman am Schluss nicht sang- und klanglos, sondern bekommt die Gelegenheit zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für religiös motiviertes Erbarmen.
Es passiert nicht viel in diesem Roman. Im Wesentlichen wird diskutiert, meist darüber, was es bedeutet Jude zu sein in feindseliger, nicht-jüdischer Umgebung. Es geht immer wieder um Antisemitismus, Stereotypen und die Bedeutung der Beschneidung. Der Autor scheint besessen zu sein von diesen Themen und der nicht-jüdische Leser reagiert darauf genauso befremdet wie auf die Darstellung von Vater-Tochter-Beziehungen und die exzessive Kontrolle von Beatrice durch ihren Vater. Die dargestellte Welt ist mir so fremd, dass sich meine Begeisterung über den Roman in Grenzen hält. Sprachlich hervorragend, aber insgesamt zu theorielastig.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Weg ist das Ziel

Die Sommer mit Lulu
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In Peter Nichols Roman “Die Sommer mit Lulu“ (Originaltitel: The Rocks) geht es um Lulu Davenport und Gerald Rutledge, deren Ehe noch während der Hochzeitsreise im August 1948 scheiterte. Beide haben Mallorca ...

In Peter Nichols Roman “Die Sommer mit Lulu“ (Originaltitel: The Rocks) geht es um Lulu Davenport und Gerald Rutledge, deren Ehe noch während der Hochzeitsreise im August 1948 scheiterte. Beide haben Mallorca nie verlassen, leben noch immer im gleichen Ort, haben sich aber seitdem kaum jemals gesehen. Lulu hat die von Gerald so dringend gewünschte Aussprache über ein Geschehnis in der Vergangenheit immer verweigert. Als sie beide schon in den 80ern sind und ihre Ehe fast 60 Jahre zurückliegt, begegnen sie sich eines Tages durch Zufall. Gerald will das Gespräch erzwingen. Sie streiten und stürzen von den Klippen ins Meer.
Das besondere an diesem Roman ist seine ungewöhnliche Erzählstruktur. Der Autor erzählt die Geschichte rückwärts, beginnend im Jahr 2005 mit dem Tod der beiden Protagonisten bis zum Jahr 1948, als ein noch unbekanntes Ereignis die Liebenden für immer trennte. Niemand weiß, was damals passiert ist, auch nicht Aegina , Geralds Tochter aus zweiter Ehe mit der Spanierin Paloma und auch nicht Luc, Lulus Sohn aus der kurzen Ehe mit Bernard. Der Leser verfolgt die Geschichte, bewegt sich auf diesen alles entscheidenden Moment zu und gewinnt somit Erkenntnisse über etwas, das längst passiert ist, nicht über ein Geschehen in der Zukunft. Der Autor macht deutlich, worum es ihm geht. Er stellt ein Zitat aus dem Ithaka-Gedicht von Konstantinos Kafavis an den Anfang. Nicht das Ziel ist das Entscheidende, sondern der Weg dorthin, d.h. wichtige Erfahrungen und ein Zugewinn an Erkenntnissen.
In dem Roman spielen nicht nur die genannten Personen eine Rolle, sondern eine Vielzahl von Freunden, die jahrzehntelang die Sommer in dem von Lulu geführten Hotel Los Roques verbringen. Hier findet jeder von ihnen Aufnahme – auch in schwierigen Lebenssituationen und ohne finanzielle Mittel. Die Sommer auf einer wunderschönen Insel vor ihrer touristischen Erschließung mit Wein, Weib und Gesang sind eine Seite. Es gibt aber auch noch eine dunklere, die von sexuellen Übergriffen inklusive Vergewaltigung über Drogenschmuggel bis zu einem betrügerischen Grundstücksdeal reicht, bei dem Gerald seinen geliebten, jahrzehntelang gehegten Olivenhain für eine lächerliche Summe zugunsten einer nicht gewollten massiven Bebauung einbüßt.
Weitere Themen sind Geralds schriftstellerische Tätigkeit und seine Segeltouren auf den Spuren des Odysseus. Er hat darüber ein hoch gelobtes Werk geschrieben, das später noch einmal neu aufgelegt wird. Segeln und die Antike sind wichtige Themen im Roman.
Der umfangreiche Roman liest sich nicht schlecht, erfordert aber etwas Geduld. Am Ende gibt es mit der Rückkehr zum Jahr 2005 einen positiven Ausblick. Ein ungewöhnliches Buch.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Neues aus Fjällbacka

Die Schneelöwin
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Es ist Winter in Fjällbacka. Erica Falck ist eine erfolgreiche Schriftstellerin. In ihrem neuen Roman will sie über die reale Geschichte Laila Kowalskas, die 1975 brutal ihren Ehemann Vladek ermordet hatte, ...

Es ist Winter in Fjällbacka. Erica Falck ist eine erfolgreiche Schriftstellerin. In ihrem neuen Roman will sie über die reale Geschichte Laila Kowalskas, die 1975 brutal ihren Ehemann Vladek ermordet hatte, schreiben. Bisher hat sich Laila geweigert, mit irgendjemanden über die damaligen Ereignisse zu reden. Auch die Besuche von Erica in der Haftanstalt sind anfangs nicht sehr ergiebig. Laila redet gern, aber über andere Themen. Zur gleichen Zeit wird die seit Monaten vermisste Victoria Hallberg auf einer Landstraße von einem Auto erfasst. Ihr Körper weist schwerste Misshandlungsspuren auf. Wenig später stirbt sie an ihren schweren Verletzungen im Krankenhaus in Uddevalla. Ericas Ehemann, der Kommissar Patrik Hedström und sein Team von der Polizeidienststelle Tanum übernehmen die Ermittlungen. Damals verschwand Victoria spurlos auf dem Heimweg von Perssons Reitschule, und es gibt weitere fünf Mädchen im gleichen Alter, die in den letzten zwei Jahren verschwunden sind. Auch wenn Patrik mit Außenstehenden nicht über die aktuellen Ermittlungen reden darf, weiht er seine Ehefrau ein. Er ist immer wieder beeindruckt von ihrer Kombinationsfähigkeit. Und auch dieses Mal ist sie den Ermittlungen der Polizei einen Schritt voraus. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem aktuellen Fall und dem Mord an Vladek Kowalska im Jahr 1975? Warum ist Laila gerade jetzt bereit, mit Erica zu sprechen? Je länger sie miteinander reden, desto mehr vermischen sich Vergangenheit und Gegenwart.
"Die Schneelöwin" ist Band neun der Serie um Kommissar Patrik Hedström und seine erfolgreiche Frau Erica Falck. Wieder führt die Autorin umfangreiches und dem Leser der Reihe inzwischen gut bekanntes Personal in die Geschichte ein. Erzählt wird auf zwei Zeitebenen. Die Geschichte um Laila und ihre Familie in der Vergangenheit und die Ermittlungen im Fall der verschwundenen Mädchen in der Gegenwart. Auch das Familienleben der Eheleute Hedström/Falck mit ihren drei Kindern und die privaten Probleme ihrer Schwester Anna kommen darin nicht zu kurz. Das ist stellenweise für den Leser sehr ermüdend und lässt nicht so richtig Spannung aufkommen. Auch hätten die Rückblenden in die Vergangenheit, die für mich am interessantesten in diesem Roman sind, weiter ausgebaut werden können . Camilla Läckberg geht in ihrem neuen Roman der Frage nach, was Eltern ihren Kindern antun können. Und wie weit sind sie bereit, ihre Kinder zu beschützen? Außerdem thematisiert sie Gewalt in der Ehe und schreibt über Männer, die Frauen hassen und ihnen Unvorstellbares antun. Wie jeder Kriminalroman der Autorin bietet auch "Die Schneelöwin" überraschende Wendungen und hat ein offenes Ende. Das mag nicht jedem Leser gefallen. Mich konnte der Kriminalroman nicht überzeugen. Er wirkt unstrukturiert und ziemlich beliebig in der Zusammenführung von Begebenheiten und Personen. Vielleicht ist es auch so, dass irgendwann alles gesagt ist und sich keine neuen interessanten Handlungsabläufe und Personenkonstellationen mehr finden lassen. Ich weiß nicht, ob ich einem weiteren Roman der Serie eine Chance geben werde.

Veröffentlicht am 08.04.2024

Wer hat Leo Ahorn getötet?

Lichtjahre im Dunkel
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In München verschwindet der Schreibwarenhändler Leo Ahorn spurlos. Seine Frau Viola engagiert Privatdetektiv Tabor Süden, weil sie auf keinen Fall die Polizei einschalten will. Sie ist nicht einmal sicher, ...


In München verschwindet der Schreibwarenhändler Leo Ahorn spurlos. Seine Frau Viola engagiert Privatdetektiv Tabor Süden, weil sie auf keinen Fall die Polizei einschalten will. Sie ist nicht einmal sicher, dass sie ihren Mann wiedersehen möchte. Die Ehe war am Ende, die Firma kurz vor der Insolvenz. Süden befragt die Ehefrau und den Nachbarn Georg Kramer, der früher das Umzugsunternehmen seines Vaters geführt hat, sowie einige Kneipenbekanntschaften des Verschwundenen und das Personal seiner Stammkneipe. Einige Tage bleibt die Suche ergebnislos. Dann wird in dem Auto eines Nachtclubbesitzers eine männliche Leiche gefunden. Es handelt sich um Leo Ahorn. Georg Kramer gerät immer stärker unter Verdacht, weil Ahorn ihn immer wieder um ein Darlehen gebeten hat, um ein neues Unternehmen zu gründen. Es gibt zudem Zeugen für einen Streit der beiden Männer in der Nacht von Leos Verschwinden. In dem Lokal hielt sich auch immer wieder ein Mann namens Sandro Fels auf, der Ahorn und Kramer beobachtete. Auch er gehört zu den Verdächtigen.
Im Lauf der Geschichte erfährt der Leser, wie die Schicksale dieser vier Menschen – Leo und Viola Ahorn, Georg Kramer und Sandro Fels – zusammenhängen. Erstaunlicherweise haben mehrere dieser Personen in ihrem Leben bereits getötet. Wer war es nun wirklich? Das mag spannend klingen, ist es aber nicht wirklich. Mir hat Friedrich Anis neuer Roman nicht besonders gefallen. Es passiert zu wenig, und die Darstellung ist viel zu breit. Für mich ist “Lichtjahre im Dunkel“ jedenfalls nicht Anis stärkstes Buch.

Veröffentlicht am 29.12.2022

Harry Holes unendliche Geschichte

Blutmond
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In Jo Nesbøs 13. Roman aus der Serie um Harry Hole ist dieser nach dem grausamen Mord an seiner Frau Rakel als obdachloser Alkoholiker in Los Angeles gestrandet. Als in Norwegen zwei junge Frauen ermordet ...

In Jo Nesbøs 13. Roman aus der Serie um Harry Hole ist dieser nach dem grausamen Mord an seiner Frau Rakel als obdachloser Alkoholiker in Los Angeles gestrandet. Als in Norwegen zwei junge Frauen ermordet werden und ein schwerreicher Immobilienmakler unter Verdacht gerät, engagiert er Hole für eine knappe Million, um seine Unschuld zu beweisen. Hole braucht diese Summe, um seiner Bekannten Lucille zu helfen. Lucille, eine einst reiche und berühmte Schauspielerin, schuldet der Drogenmafia diesen Betrag und wird umgebracht, wenn sie nicht innerhalb kürzester Zeit zahlt. Hole stellt ein seltsames Ermittlungsteam zusammen, zu dem ein inzwischen zum Koksdealer gewordener ehemaliger Schulfreund, ein korrupter Polizist und ein totkranker Psychologe gehören.
Schnell wird der Leser unerbittlich in eine wendungsreiche Geschichte hineingezogen, aus der es kein Entrinnen gibt und fällt auf falsche Fährten herein, um am Ende festzustellen, dass die Lösung ganz woanders liegt.
Ich habe die Serie um Harry Hole geliebt und mit großer Begeisterung Jahr um Jahr auf einen neuen Roman von Jo Nesbø gewartet. Seine Bücher waren etwas Besonderes für mich. Zum einen, weil der Autor den Leser mit seinen ausgeklügelten Fällen lange Zeit auf die falsche Fährte schickt, zum anderen, weil er routiniert und spannungsgeladen schreibt. Doch jetzt finde ich, dass es der Autor in seinem letzten Roman gewaltig übertrieben hat. Die Täter, egal, aus welchem Grund sie sich rächen wollen, sind immer gestörter, die ausgeklügelten Mordmethoden immer widerlicher. Eine detaillierte Schilderung blutigen Gemetzels bereitet mir kein Lesevergnügen. Nach dem Ende zu urteilen, wird es auch noch einen 14. Band geben. Was der Autor auch mit seinem völlig kaputten Protagonisten weiter plant, ich werde es nicht erfahren. Leb wohl Harry Hole. Für mich ist die Serie zu Ende.