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Veröffentlicht am 12.06.2023

Da ist er: ein neuer, großer Irving

Der letzte Sessellift
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Wenn die Vorfreude mindestens so groß ist, wie der Roman seitenschwer! Und wenn ich mich in wunderbarer Frühlingsluft in die kalte Winterlandschaft von Aspen wünsche – dann muss es ein ganz besonderer ...

Wenn die Vorfreude mindestens so groß ist, wie der Roman seitenschwer! Und wenn ich mich in wunderbarer Frühlingsluft in die kalte Winterlandschaft von Aspen wünsche – dann muss es ein ganz besonderer Autor sein.
John Irving ist dieser Autor für mich. „Witwe für ein Jahr“ gehört für mich zu den großen Romanen, die mich schon über so viele Jahre in Gedanken begleiten. Und den ich immer, immer wieder zur Hand nehme. Und was wären Literatur- und Filmgeschichte ohne „Gottes Werk und Teufels Beitrag“?! Leuchtend rote Äpfel erinnern mich stets an Homer und Dr. Larch.
Dementsprechend hoch und noch viel höher waren meine Erwartungen an „Der letzte Sessellift“. Und dann endlich die ersten Seiten – und die erste Verwirrung. So viele Namen, wo ist die Geschichte?
Doch dann habe ich sie gefunden oder der Roman vielleicht eher mich. Hat mich gepackt, festgehalten, nicht mehr losgelassen. Denn all das, was ich mir erhofft hatte, da war es! Figuren, so herzerwärmednd wie skurril in ihrer Zeichnung. Eine Handlung, gekonnt und vielschichtig konstruiert und für mich so unvorhersehbar in ihren Entwicklungen, Wendungen, der Metaphysik als durchgängigem Motiv. Und vor allem und ganz viel davon: Die Geschichte ist ein Statement, so politisch, ein Appell für Gleichheit, Gleichberechtigung, der Liebe zum Menschen, unabhängig von seinem Geschlecht, biologischen und sozialen Konstruktionen und Zuschreibungen.
Ich möchte nicht so weit gehen, ihn als eine Pflichtlektüre zu bezeichnen – für diejenigen, die es bisher nicht verstanden haben und eine Gesellschaft, die sich in einem steten Entwicklungsprozess befindet. Über 1.000 Seiten Handlung sind nicht für jeden zugänglich. Und doch ist der Roman wichtig. Sehr sogar.
Doch vor allem ist er für mich eins: ein großes, reichhaltiges, so schönes Lesevergnügen! Ein Buch zum Entdecken, Erkennen, Darübernachdenken. Und eine Geschichte, die neue Erinnerungen an den für mich so besonderen Autor schafft. Nur das Skifahren, das ist nach wie vor nichts für mich. Lieber bleib ich doch in der warmen Frühlingsluft, mit einem seitenschweren Roman in der Hand.

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Veröffentlicht am 20.05.2023

Eine Geschichte wie eine Prophezeiung

Blue Skies
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Wasser, das Dir bis zum Hals steht. Hitze, die alles verbrennt und entzündet, was ihr ausgesetzt ist.
Die Folgen des Klimawandels mögen uns häufig noch abstrakt erscheinen, nach Sciene-Fiction klingen ...

Wasser, das Dir bis zum Hals steht. Hitze, die alles verbrennt und entzündet, was ihr ausgesetzt ist.
Die Folgen des Klimawandels mögen uns häufig noch abstrakt erscheinen, nach Sciene-Fiction klingen oder ein Schreckgespenst von zumeist jungen Menschen sein, die für ihre Protestaktionen ihr Leben riskieren. Doch hat die Apokalypse bereits begonnen. Und wir sind ein Teil von ihr. Und mittendrin.
T. C. Boyle lässt mit „Blue Skies“ keinen Zweifel zu: Das Wetter wandelt sich, die Erde gerät aus dem Gleichgewicht. Und er lässt uns die Folgen von steigenden Temperaturen, Überflutungen und die Verzweiflung der Menschen, die um ihr Leben und Fortbestehen fürchten müssen, hautnah spüren. Seine Figuren sind diesem Prozess dabei hilflos ausgesetzt, kämpfen zum Teil entschlossen gegen die nahende Katastrophe an, erleben ihre Ohnmacht, ihre Vergänglichkeit.
Extrem sind jedoch nicht nur die Verhältnisse, die Lebensbedingungen, die Kräfte der Natur, die auf und ihre Leben wirken, auch seine Charaktere erscheinen so. Cat, die „Python Mom“, eine Influencerin, die sich in Florida mit einem Bacardi-Botschafter ein gemeinsames Leben aufbaut. Und der von Dauerregen und Sturmfluten im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggespült wird.
In Kalifornien kämpfen Ottilie, ihr Mann Frank und ihr Sohn Cooper dagegen mit den Auswirkungen von sengender Hitze, Dürre und Bränden, welche die Gegend zu entvölkern drohen. Cooper als Insektenforscher und körperliches Opfer seiner Forschungsobjekte erscheint dabei zu Beginn der Geschichte fanatisch-mahnend, ein Pessimist und Schwarzseher, was die Auswirkungen der Menschheit auf die Erde anbelangt. Doch wird er zum eigentlichen Propheten. Und wir alle Zeugen eines umfangreichenden Artensterbens.
Nach und nach schleicht sich das Grauen in die Geschichte, steigert sich, wird zur eigentlichen Apokalypse. Die Auswirkungen des Klimawandels erscheinen dabei so erschreckend real, werden von Boyle so glaubwürdig, realistisch und authentisch geschildert, dass mir der Atem stockte. Gänsehaut sich auf meinen Armen ausgebreitete. Und ich den Roman nicht aus der Hand legen konnte. Auch er liest sich wie eine Prophezeiung. Wie die Warnung vor unserem Untergang.

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Veröffentlicht am 19.04.2023

Familiengeschichte und Feuerwerk unter den Palmen Malibus

Malibu Rising
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Spätestens seit „Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ leuchten meine Augen, wenn ich den Namen „Taylor Jenkins Reid“ lese – und unzählige Schmetterlinge fangen in meinem Bauch ganz aufgeregt an zu flattern.
Ein ...

Spätestens seit „Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ leuchten meine Augen, wenn ich den Namen „Taylor Jenkins Reid“ lese – und unzählige Schmetterlinge fangen in meinem Bauch ganz aufgeregt an zu flattern.
Ein wenig fühlte ich mich dann auch wie ein Kleinkind an Weihnachten, als ich „Malibu Rising“ in meinen Händen halten und mit mir in meine gemütliche Leseecke tragen konnte. Was mich dann erwartete: wunderbare Lesestunden und eine Geschichte, die mich so sehr fesselte, dass mich selbst die erste warme Frühlingssonne nicht mehr vor die Tür locken konnte.
Wer ein traumhaftes Liebesgeschichte unter den Palmen Malibus erwartet, wird große Augen machen – und die Stadt mit all ihren Facetten kennenlernen. Denn auch, wenn Beachboys und Surfing in den hohen Wellen vor Malibus Küsten nicht zu kurz kommen – ganz im Gegenteil! –, sind die Riva-Geschwister in ihrer Kindheit und Jugend nicht gerade vom Glück verwöhnt. Ihr Leben ist ein harter Kampf, der nur dank ihrer Liebe füreinander zu gewinnen ist. Doch die Wogen und Auswirkungen sind bis in die Gegenwart zu spüren, eine Gegenwart, die in der Geschichte letztendlich aus einem einzigen Tag besteht: dem Tag der legendären Sommerparty der Rivas.
Cocktailschirmchen, Wasserspiele und Flirts, Flirts, Flirts – all das darf auf der Party selbstverständlich nicht fehlen, doch wird den Lesern noch viel mehr geboten. Denn dort, wo die High Society Malibus sich trifft, fallen bald die Hemmungen. Und die Kleider und Grenzen gleich dazu. Und wie in der guten klassischen Tragödie erreicht die gesamte Handlung hier ihren Höhepunkt, Konflikte verschärfen sich, brechen auf, Geheimnisse treten zu Tage und zünden im wahrsten Sinne des Wortes ein großes Feuerwerk.
Nach diesem fulminanten Finale tauche ich langsam wieder auf aus der Welt unter Palmen und gleißendem Sonnenschein und nehme überrascht das warme Frühlingslicht vor meinem Fenster war. Der Ausflug nach Malibu war ein intensiver, fesselnder Trip in das von Reid geschaffene Universum und ein wunderbarer Lesegenuss nicht nur für die grauen Regentage. Und jetzt hoffe ich darauf, ganz bald den nächsten Roman von Taylor Jenkins Reid in den Händen halten zu können und mich erneut mit ihr auf eine Abenteuerreise zu begeben.

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Veröffentlicht am 27.03.2023

Wie eine Lieblingsmelodie, die Dir im Kopf bleibt

Melody
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Ein neuer Suter! Meine Erwartungen waren hoch, und ungeduldig war ich dazu. Beides zu Recht. Denn der Roman ist all das, was ich mir so erhofft habe: ein Pageturner – intelligent, amüsant und wunderbar ...

Ein neuer Suter! Meine Erwartungen waren hoch, und ungeduldig war ich dazu. Beides zu Recht. Denn der Roman ist all das, was ich mir so erhofft habe: ein Pageturner – intelligent, amüsant und wunderbar raffiniert konstruiert. Eine Überraschungsbox an Wendungen, Wirrungen und Enthüllungen. Ein Buch zum Gernhaben und immer wieder Lesen.
Der Kern der Geschichte: ein Geheimnis. Ein ungelöstes Rätsel. Eine große Liebe. Und all das will der ehemalige Unternehmer und Nationalrat Peter Stotz nicht mit ins Grab nehmen, aus welchem Grunde er den jungen Juristen Tom Elmer engagiert hat – als seinen Nachlassverwalter, Zuhörer, Hüter all des Ungesagten. Und als denjenigen, der die Fäden ordnet und den einen oder anderen Strang des Lebens für die Nachwelt auch aussortiert.
Ebenso wie die schöne Melody über Jahrzehnte von Dr. Stotz gedanklich Besitz ergriffen hat, ist auch Tom schon bald von der Geschichte über die Verschwundene, die schöne Verlobte fasziniert und in ihren Bann gezogen. All das Erfahrene, all das in der Vergangenheit Geschehene will sich nicht zu einem Ganzen zusammensetzen, das Bild bleibt mehr als unscharf und rätselhaft. Ebenso wie die zahlreichen Portraits der jungen Frau, die bei seinem Auftraggeber reliquiengleich die Wände zieren.
Nicht nur Tom lassen die Fragen keine Ruhe, was mit Melody geschehen, ob sie möglicherweise noch am Leben ist – mir als Leserin geht es genauso. In meinem Kopf sind ebensoviele Varianten des Möglichen wie es Hinweise zu geben scheint. Oder eben auch keine. Und auch ich möchte mich an ihre Spur heften, möchte endlich Klarheit haben und muss aus diesem Grunde immer weiterlesen. Möglichst ohne Pausen. Ungestört. In einem Guss. Dass ich so belohnt werden würde – aber ich will ja nichts verraten! Mich nur freuen über diese wunderbaren Lesestunden. Diesen fesselnden Roman. Den neuen Suter.

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Veröffentlicht am 19.03.2023

Der Körper, der dort liegt, ist nicht tot

Mary & Claire
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Frankenstein – das berühmte Monster, die Kreatur, die sich gegen ihren Schöpfer wendet! Doch was steckt eigentlich hinter dem Text? Wer ist die Schöpferin dieser Geschichte, genreprägend und unvergessen ...

Frankenstein – das berühmte Monster, die Kreatur, die sich gegen ihren Schöpfer wendet! Doch was steckt eigentlich hinter dem Text? Wer ist die Schöpferin dieser Geschichte, genreprägend und unvergessen über die Jahrhunderte?
Markus Orths hat sich der bekannten Schriftstellerin angenommen, hat Mary Shelley in seinem Roman von frühester Jugend an begleitet, das Leben vor und während ihres Schaffens betrachtet. Doch nicht nur das, denn Mary ist es nicht allein, die im Mittelpunkt seines Romans steht! Ihre Halbschwester Claire Clairmont, nicht weniger talentiert und ebenso schillernd in ihrer Persönlichkeit, ist eine ihrer wichtigsten Bezugspersonen ihr Leben lang, so wie ihr späterer Ehemann Percy Shelley, Aristokrat, Schriftsteller, der Liebhaber beider Frauen.
Und da sind sie auch schon, die gesellschaftlichen Konventionen, die der Roman immer wieder in Frage stellt, die Grenzen und Fesseln, welche das Trio, die Ménage-à-trois, nicht zu akzeptieren bereit ist, der Freiheitsdrang und der Wunsch nach Selbstverwirklichung, die Mary, Claire und Percy leiten und in ihrem Leben und Schaffen antreiben. Dieser Bruch mit dem Bekannten, der Aufbau ihrer eigenen Welt machen aus, was letztlich ihre künstlerischen Entwicklungen vorantreibt, was Werke so ungewöhnlich wie revolutionär – gerade für Frauen ihrer Zeit – in ihrer Entstehung erst ermöglicht.
Ihr Umfeld aus Freigeistern und Egozentrikern weist ihnen hierbei oftmals Wege, spornt an, öffnet geistige Türen und wirft diese auch wieder zu. Ganz vorne und für sich, das Dreiergespann und die damalige Literaturszene von besonderer Bedeutung ist hierbei Lord Byron – ein großer Dichter, ein Mensch aus Abgründen und Scheußlichkeiten. Und mit schaffendem und zugleich zerstörerischem Charakter auf Mary, Percy und insbesondere Claire. Ohne ihn wäre wohl nie der Funke entzündet worden, der Frankenstein ins Leben bringt, doch bringt er auch Verderben und Tod.
Fiktion und Fakten, Dichtung und Wahrheit – Orths hat ein raffiniertes Geflecht aus Recherche und Ideenreichtum geschaffen, einen wunderbaren Roman, ein Stück Zeitgeschichte in poetischer Sprache. Und er hat Frauen eine Bühne gegeben, die ihnen zu ihrer Zeit verwehrt blieb, hat sie aus dem Schatten der Gesellschaft geholt – sie in die Herzen der Leser geschrieben. „Der Körper, der dort liegt, ist nicht tot.“ Markus Orths hat ihn wieder mit Leben gefüllt.

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