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Veröffentlicht am 05.10.2017

OMG - Man muss dieses Buch einfach lieben!

Love and Confess
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Allgemeines:

Titel: Love and Confess
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (20. November 2015)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740124
ISBN-13: 978-3423740128
ASIN: B016AOI8DA
Originaltitel: ...

Allgemeines:

Titel: Love and Confess
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (20. November 2015)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740124
ISBN-13: 978-3423740128
ASIN: B016AOI8DA
Originaltitel: Confess
Seitenzahl: 400 Seiten
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
12,95€ (broschiert)



Inhalt:

"Ich werde dich immer lieben, Auburn", flüsterte er an meinem Mund. "Selbst dann noch, wenn ich es nicht mehr kann."

Vor fünf Jahren hat Auburn ihre erste große Liebe in Dallas zurücklassen müssen, verbunden mit einem Schmerz, den sie bis heute nicht ganz überwunden hat. Als sie eines Abends im Schaufenster einer Kunstgalerie Briefe mit anonymen Bekenntnissen entdeckt, ist sie zutiefst berührt, denn auch sie trägt ein Geheimnis mit sich. Niemand soll von ihrer Vergangenheit wissen – vor allem nicht Owen, der junge Künstler mit den grünen Augen, der sich von den Geschichtenanderer Menschen für seine Bilder inspirieren lässt. Vom ersten Augenblick an fühlt sie sich zu ihm hingezogen und Owen geht es nicht anders. Die beiden verlieben sich mit ungeahnter Wucht ineinander. Doch auch Owen hat ein Geheimnis, das alles zu zerstören droht, was ihnen wichtig ist . . .


Bewertung:

Fast jeder Freund von Young Adult und Liebesromanen hat ihren Namen schon einmal gehört: Colleen Hoover. Diese Autorin ist einfach der Hammer - eine Frau mit einem unfassbaren Stil, die mit ihrem tollen Talent, krass emotionale, mega spannende und ultra poetische Stories in die Welt zu setzen, zu meinen absoluten Lieblingsautoren gehört. Von ihr habe ich bis jetzt fast alles gelesen und geliebt. Ihre "Will und Layken - Trilogie", "Zurück ins Leben geliebt", "Maybe Someday", "Nächstes Jahr am selben Tag", all das konnte mich begeistern, natürlich war es keine Frage, dass ich auch "Love and Confess" unbedingt lesen wollte. Ich muss zugeben, bei diesem Buch bin ich dem Hype erlegen und musste es mir einfach wünschen. Es ist dann erstmal eine Weile auf meinem SuB rumgegammelt, doch tadaaaa, ich hab´s geschafft, es doch noch recht zeitnah zu lesen. Mal wieder habe ich nur ein Wort um meinen Eindruck zu beschreiben, das diesmal witziger Weise auch sehr gut zum Inhalt passt: OMG!


Erster Satz: "In dem Wissen, dass ich heute zum letzten Mal hier sein werde, stoße ich die Schwingtür auf und trete in die Eingangshalle."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover. Das Cover ist mal wieder im typischen "Colleen Hoover meets dtv Verlag Style" gehalten. Das bedeutet violette, warme Farbgebung mit dunklen Schattierungen, Farbverlauf nach oben ins Weiße, der Titel in Lila unter dem großen, dominanten Namen der Autorin. Viele ihrer Cover sind grundsätzlich so gehalten, doch dieses Mal bin ich von dieser Komposition wirklich begeistert!
Im Zentrum des Bildes ist das Profil eines Mädchens zusehen, das mit Acryl Farben in violett und Schwarz auf dem weißen Untergrund angerissen wird. Die Art, wie das Mädchen die Augen niedergeschlagen hat, passt einfach perfekt zu Auburn und auch die Art der Farben stellt eine wunderbare Verbindung zum Inhalt dar. Den Titel finde ich ebenfalls super getroffen, denn er spiegelt genau den Inhalt wieder und klingt sogar noch gut. Auffallend ist, dass die Seiten ungewöhnlich dick sind, sodass der Roman mit seinen 400 Seiten relativ dick aussieht, sich jedoch wie im Fluge weggelesen lässt. Mir gefällt das Gefühl von stabilen, dicken Seiten in den Händen sehr gut.
An dieser Stelle also ein ganz großes Lob an die Designer bei "Colleen Hoover meets dtv Verlag" - ich finde sowohl den Titel, den Klapptext als auch das Cover wunderbar und sogar besser als das Original - und dass muss etwas heißen, denn das ist auch wunderschön.


“Ich spüre seinen Blick in meinem gesamten Körper und es zieht mich mit jeder einzelnen Faser zu ihm hin. Sämtliche Zweifel (…) starren mir ins Gesicht, und ich weiß wieder, wie es sich anfühlen muss, wenn man wirklich etwas für jemanden empfindet.”


Nun gleich zu einem weiteren Punkt, den das Buch zu einem ganz besonderen Erlebnis macht: die wunderschönen, einmaligen Bilder von Künstler Danny O‘Connor, die auf berührende Art und Weise in das Buch mit eingebunden sind und die man beim Taschenbuch auf den Innenseiten der zwei Klapplaschen groß und in Farbe bewundern kann. Vor allem das großartige Porträt von Auburn (unten, mittig) passt wunderbar und ergänzt den Roman als einfach fantastische Idee der Autorin. Schon die Idee, die Gedanken eines Künstlers mit einfließen zu lassen und der schriftlichen Seite auch noch eine visuelle zur Seite zu stellen, hat mir gut gefallen. So muss man nicht alles seiner Fantasie überlassen und bekommt passende Anregungen präsentiert.

Ebenfalls ein Highlight ist Owens im Buch präsentierte Inspiration für seine Bilder. Die zahlreichen, echten Geständnisse, die zum Teil sehr interessant und bewegend, teilweise aber auch sehr erschütternd sind, machen das Buch zu etwas ganz Besonderem und lassen die Geschichte in greifbare Nähe heranrücken.


"Es gibt Geheimnisse, die niemals zu Geständnissen werden sollten!"


Jetzt habe ich schon ganz viel verraten, von Owens Kunst, Geständnissen und Auburn geredet, doch wie passt diese Geschichte, die aus so vielen interessanten Puzzlesteinen besteht, zusammen?
Eigentlich hat Auburn eine konkrete Vorstellung davon, wie ihr Leben in Zukunft verlaufen soll, jetzt da sie nach Dallas gezogen ist und ihre Ziele endlich in Sichtweite sind. Für Fehler oder Chaos ist absolut kein Platz, wo sie doch noch immer den Verlust ihrer großen Liebe Adam zu verkraften hat. Doch dann begegnet sie auf der Suche nach einem Job dem talentierten Künstler Owen, dessen einzigartige Bilder sie zutiefst berühren und der ihr Leben sowie ihre Pläne gehörig durcheinander bringt. Seit Jahren hat sie sich nicht mehr so zu jemandem hingezogen gefühlt und Owen scheint das Gleiche für sie zu empfinden. Aber die Vergangenheit legt ihrer Beziehung Steine in den Weg, denn genau wie Auburn hat auch Owen Geheimnisse. Geheimnisse, durch die Auburn verlieren könnte, was ihr in ihrem Leben am Wichtigsten ist …

"Na gut, wenn du es schwörst." Sie hält mir die Tür auf. "Aber ich warne dich trotzdem - nur für den Fall. Ich kann mindestens so laut schreien wie Jamie Lee Curtis in Halloween."
Sie zeigt mir, wo das Bad ist. Sobald ich die Tür hinter mir zugemacht habe, stütze ich mich aufs Waschbecken und starre kopfschüttelnd in den Spiegel. Ich versuche, mir zu sagen, dass alles Zufall ist: dass sie heute vor meiner Tür stand. Dass sie meine Bilder anscheinend gut findet. Dass wir beide mit zweitem Namen Mason heißen.
Aber...es könnte auch Schicksal sein."


Mal wieder haben unsere beiden Protagonisten mit schweren Schicksalen und Rückschlägen im Leben zu kämpfen. Auch Spoilergründen muss ich hier leider vage bleiben, aber es geht viel um Verantwortung, Zukunft, Drogenmissbrauch, Erpressung und Ungerechtigkeit. Schwierige Themen, die angesprochen werden und Colleen Hoover schafft es mal wieder grandios, aus ihnen eine leidenschaftliche, mitreißende und authentische Geschichten zu zaubern, die noch jedes ach so kalte Leserherz berührt. Dabei ist die Handlung eigentlich recht einfach konzipiert, anders als in ihren anderen Werken gibt es eigentlich keine so richtige Wendung, natürlich kommen unerwartete Sachen ans Licht, doch das Meiste kann man sich vorher schon durch leise Andeutungen erschließen. Doch das ist vollkommen in Ordnung, denn dieses Buch erhält seine Einzigartigkeit nicht durch die Wendungen, sondern vielmehr durch kleine, herzergreifende "OMGOMGOMG - Szenen", (wenn ich von OMG spreche meine ich natürlich Owen Mason Gentry), die den Leser dazu veranlassen, sofort zum "Binch Reading" über zu gehen und jede einzelne Seite suchtartig in sich aufzuziehen, wie ein staubtrockener Schwamm, der nach Wasser lechzt. Dieses Buch hat mich weinen lassen, lachen, mit fühlen, mich dazu gebracht zu schmunzeln, die Nase rümpfen und ein paar Mal auch dazu, es kurz wegzulegen. Doch vor allem hat es mich berührt und einfach mitgerissen!!!


“Genau das ist es, was mir Angst macht. (…) Wenn ich diesmal auf mein Herz höre, werde ich danach vielleicht nie mehr in der Lage sein, es wieder zu ignorieren.”

Colleen Hoover besitzt einfach das Talent aus wenigen Worten die größten Gefühle heraus zu locken und so eigentlich aus dem Nichts ein riesiges Gefühlschaos und Drama zu erschaffen.
Dabei schafft sie es seltsamer Weise, nie ins Kitschige abzurutschen oder zu dick aufzutragen. Einen großen Bestandteil dazu trägt natürlich der unvergleichliche Schreibstil bei. Man merkt dem Buch eindeutig an, dass es eins ihrer ersten war - gerade bei der Schilderung gewisser Dinge ist sie noch recht schüchtern, doch auch hier hat ihr Stil begeistert!
Schon so oft habe ich das geschrieben: Wenn ich ein Buch von dieser Autorin aufschlage und die ersten paar Zeilen lese, dann komme ich nach Hause. Es ist ein wohlig warmes Gefühl und ich fühle mich in der Atmosphäre jedes einzelnen Buches der Autorin absolut geborgen und möchte gar nicht mehr auftauchen. Wie gewohnt spielt die Autorin nur so mit Worten. Nicht nur die vielen immer wiederkehrenden Sprüche, die die Charaktere als Insider austauschen, nein. Sie findet in jeder Situation genau die richtigen Formulierungen, um nur so mit unseren Emotionen zu spielen und kennt dabei kein Tabu, wenn es darum geht, uns Leser zu quälen.


"Ist es das jetzt? Endet es so?" Ich nicke, obwohl es das Letzte ist, was ich will. Aber es ist das Ende. "Manchmal bekommen wir keine zweite Chance, Owen. Manchmal enden die Dinge einfach." Er verzieht das Gesicht. "Wir haben doch noch nicht einmal eine erste Chance gehabt!"


Die Charaktere sind dieses Mal auch wieder das Herzstück des Romans. Abwechselnd wird aus der Sicht von Owen und Auburn erzählt, die beide wunderbare und authentische Erzähler abgeben, wobei Auburn ein wenig mehr im Vordergrund steht. Schon im Prolog, der sich um ihre Vergangenheit dreht, kann man erkennen, dass es vor allem um ihre Geschichte geht.
Auburn ist 21 Jahre alt, seit kurzem Friseurin in Dallas und hat für ihre jungen Jahre schon mehr Verantwortung, als gut für sie ist. Was es damit auf sich hat, verrate ich nicht
Trotz dass sie manchmal ein kleines Problem mit ihrem Selbstbewusstsein hat, würde ich sie als taff und stark bezeichnen. Aus vielen gut ausgearbeiteten Widersprüchen, Stärken und Schwächen, ergibt sich ein absolut authentischer, gut durchdachter und liebenswerter Charakter. So ist strahlt sie im einen Moment vor selbstbewusster Ausgeglichenheit und ist die Lebenslust persönlich, während sie im nächsten Moment vor anderen Menschen kuscht und schlechte Behandlung über sich ergehen lässt, wenn etwas auf dem Spiel steht, dass ihr etwas bedeutet. Erst durch Owen, der ihr einen neuen Blickwinkel auf ihr Leben schenkt, kann sie sich weiterentwickeln und ihre Verantwortung annehmen. Wunderbar mit anzusehen!


“Es ist, als hätte sie Angst, ich könnte ihrer inneren Leinwand Pinselstriche hinzufügen, die sie für immer verändern würden, wenn ich ihr zu nahe käme. Und das kann ich gut nachvollziehen. Mir geht es nämlich umgekehrt genauso.”


Auch von Owen (Owen Mason Gentry - OMG) bin ich wirklich begeistert, so hat es Colleen Hoover mal wieder geschafft, das Abbild eines perfekten Mannes in Worte zu kleiden. Owen ist Maler und besitzt ein eigenes Atelier, in dem er die anonymen Geständnisse anderer Menschen mit Acrylfarben auf Leinwände bringt und schließlich verkauft. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt, denn die Beziehung zu seinem reichen Anwalt-Vater ist seit einigen Jahren nicht mehr so, wie sie zwischen Vater und Sohn sein sollte. Natürlich ist er nicht nur erfolgreich, weltoffen und kreativ, sondern sieht auch noch unfassbar gut aus und hat eine wahnsinnig sympathische Art - kämpferisch, mitfühlend, selbstlos, verständnisvoll. Er weiß einfach immer und zu jederzeit das Richtige zu tun oder zu sagen, um die Herzen von Hauptfigur Auburn und dem jeweiligen Leser bzw. der Leserin hinter den Zeilen höher schlagen zu lassen. Ist das nicht ein wenig utopisch? Naja, egal, Liebesromane sind ja zum Träumen da - und das hat bei mir auch geklappt...

Neben den beiden hat das Buch noch eine ganze Reihe weiterer, toller Charaktere zu bieten. Aus Spoilergründen kann ich leider nicht viel verraten, aber mein absoluter Liebling war neben AJ Auburns Mitbewohnerin. Sie hat einfach eine ganz besondere, spießige Art, die man einfach genial finden muss.


„Es gibt Menschen, die man kennenlernt, und solche, die man schon vom ersten Moment an kennt. Owen gehörte definitiv zur zweiten Sorte.“


Ja, und dann ist das Buch auch schon wieder vorbei gewesen und das Ende war im Anmarsch. Es ging mir zum Schluss alles ein klein wenig zu schnell und zu glatt von der Bühne, doch da das Happy End dann noch mal die ganze Schnulz-Palette aufführt, war das schnell vergessen. In den letzten Seiten erfahren wir endlich Owens ominöse Verbindung zu Auburns Vergangenheit, die über all schon so unheilschwanger angedeutet wurde, obwohl die wirkliche Enthüllung eher ein unausgesprochenes Geständnis an uns Leser ist und weder für Herzschmerz noch für Probleme sorgt. Das hat mich dann wirklich beruhigt, denn noch mehr Probleme hätte ich definitiv nicht mehr verkraftet. Stattdessen bekommen wir einen Abgang präsentiert, der so voller Charme, Tragödie und Liebe ist, das jedem weiblichen Leser (und bestimmt auch männlichen) die Tränen kommen.

Ich hoffe, nach meiner ganzen Lobrede ist die Message angekommen. Wenn nicht, nun noch mal ganz deutlich: LEST DIESES BUCH!


„Ich verliere mich nicht, weil ich spüre, dass ich endlich gefunden worden bin.“



Fazit:

Kurz und knapp formuliert: Man muss dieses Buch einfach lieben!

Veröffentlicht am 29.09.2017

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung

Die Schlange von Essex
1

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: B07143NJZZ
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Originaltitel: The Essex Serpent
Seitenzahl: 496 Seiten
Preis: 24€ (gebundene Ausgabe)
17,99€ (Kindle-Edition)
Link: Hier klicken!
!Britischer Buchpreis für den besten Roman des Jahres 2016!



Inhalt:

London im Jahr 1893:

Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Cora Seaborne vom Gerücht hört, der mythische Lindwurm von Essex sei zurückgekehrt und fordere die ersten Menschenleben, muss sie sich das unbedingt ansehen. Cora, eine Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins, vermutet hinter dem Sagengeschöpf eine bislang unbekannte Tierart. Auch der Vikar von Aldwinter, William Ransome, glaubt den Gerüchten nicht, und versucht, seine Gemeinde zu beruhigen. Zwischen Cora und Will entspinnt sich eine besondere Beziehung und obwohl sie in rein gar nichts einer Meinung sind, fühlen sie sich unausweichlich zueinander hingezogen...


Bewertung:

DISCLAIMER: Vielen Dank an die Verlagsgruppe Lübbe für das Bereitstellen eines Vorableseexemplars!!!

Seltsam! Das war das Wort, das mir schon beim Betrachten des Covers durch den Kopf ging, sich während des Lesens des ersten Satzes bestätigt und mich durch das ganze Buch hinweg begleitet hat. Dabei wechselten sich gleichermaßen in positiven wie auch negativem Sinne interessant-seltsame, gruselig-seltsame sowie nervig-seltsame Situationen ab, die aber insgesamt ein so stimmiges und spezielles Gesamtbild ergeben, sodass ich nicht wirklich weiß, wie ich diesen Roman bewerten soll.

Denn dies ist absolut kein Buch, dass man einfach für Zwischendurch mal schnell lesen kann - teilweise ist das Vorrankommen schon fast Arbeit und ich habe auch über zwei Wochen an den gerade mal 500 Seiten gelesen, was für mich eine ellenlange Zeit ist. Um nicht den Anschluss in den poetischen, verschnörkelten Darstellungen zu verlieren, muss man ganz genau aufpassen, zwischen den Zeilen lesen und viel darüber nachdenken, wie etwas gemeint sein könnte. Dabei gehen schillernde Außergewöhnlichkeit und atmosphärische Widersprüche so einzigartig einher, dass man von all den Eindrücken geradezu erschlagen wird. Gerade dafür hat das englischsprachige Original den Preis für das beste Buch des Jahres bekommen und die deutsche Leserschaft erwartet die Veröffentlichung am heutigen Tag gespannt. Ich bin noch am Überlegen, ob ich dieses Werk nun wirklich genial und des Preises würdig sehen oder als mir persönlich zu seltsam abtun soll, doch Genialität und Verrücktheit liegen ja oft sehr nah beieinander...


Erster Satz: "Ein junger Mann geht unter dem kalten Vollmond am Ufer des Blackwaters spazieren."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover, dass mit seinem wilden, einzigartigen und doch irgendwie friedlich wirkendem Muster perfekt ins Gesamtbild passt. Ich würde es nicht wirklich als schön bezeichnen - mit den orangenen Pflanzen und der grünen Schlange auf dem schwarzen Untergrund wirkt es mir irgendwie zu unruhig - doch es hat etwas hypnotisierendes, etwas einzigartiges, was auch das Buch an sich hat. Man fühlt sich sofort an die rauen Salzwiesen Aldwinters erinnert, an das Ungeheuer, das dort droht. Es ist dem englischen Original und allen anderen Übersetzungen sehr ähnlich gestaltet. Auch der Titel passt sehr gut und ist dem englischen direkt nachempfunden. Unter dem bedruckten Schutzumschlag der gebundenen Ausgabe findet man einen dunkelgrünen Buchdeckel mit geriffeltem Schlangenmuster zusehen, wenn man das buch in der Hand hält, kann man die einzelnen Schuppen spüren. Unterstrichen wird der Gesamteindruck dann noch durch das orangene Lesebändchen und die weißen Blumenranken auf orangenem Untergrund, die ähnlich denen auf dem Cover, die Innenseite des Buches verzieren. Eine wirklich wunderbar runde und besondere Gestaltung! Ob so etwas sein muss, damit das Buch dann 24€ kosten darf, ist eine andere Frage, über die man diskutieren könnte...

Ich gebe ganz offen zu, dass ich mich beim Anfragen dieses Buches auf meinen ersten Eindruck und auf den erhaltenen Preis verlassen habe und nach dem ersten Drittel recht enttäuscht war.
Die Geschichte von Cora, William und der Schlange von Essex beginnt sehr langsam und wird in sehr ruhigen und intensiven Tönen erzählt. Zuerst befasst ich die Autorin damit, uns ihre sehr speziellen und einzigartigen (man kann auch "seltsamen" sagen) Charaktere nahezubringen, ohne sie uns jemals durchschauen zu lassen. Auch wenn der Einstieg durchaus gut gemacht ist, habe ich sehr lange gebraucht, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen bin. Wir werden der starrsinnigen Witwe Cora Seaborne zur Seite gestellt, die versucht, sich nach dem Tod ihres Mannes selbst zu verwirklichen. Zusammen mit ihrer sozialistisch überzeugten Freundin und Haushälterin Martha und ihrem leicht autistischen Sohn zieht es sie aufs Land hinaus, wo sie ihre neuen Freiheiten zu genießen versucht. Als überzeugte Hobby- Paläontologin entpuppt sich Essex, bald als Goldgrube, denn dort wird ein Volksmärchen anscheinend lebendig: im Blackwater soll eine gruselige Kreatur hausen, die Kinder klaut, Männer ertränkt und die Bewohner von Aldwinter für ihre Sünden büßen lassen soll - die Schlange von Essex. Ganz zum Leiden des Aldwinter Pfarrers William Ransome, der diese Geschichte für Unfug hält und Cora anhält, seine Gemeinde nicht mit solchen Spinnereien zu verunsichern. Aus einer ersten Meinungsverschiedenheit entwickelt sich bald eine Beziehung in der redegewandten Opposition und unausgesprochenen Anziehungskraft miteinander ringen...

Durchaus spannend geht es nach dem Einstieg weiter - dabei hat dieser historische Roman nichts von einem Abenteuer, mehr von einem leisen Selbstfindungsbuch einer Frau, die nicht in die Gesellschaft passen zu scheint. Eigentlich nicht so ganz mein Genre - etwas hat mich aber so fasziniert, dass ich es trotzdem spannend fand. Diese sonderbare Art und Weise des Feingefühls, mit dem die Autorin Szenen kreiert, sodass sie gleichzeitig sehr fremd und fern, wie auch vertraut und berührend wirken, ist wirklich einzigartig. Durch die eigenwillige Erzählweise, in der die Szenen ineinander übergehen, die Perspektiven so fließend wechseln, große Zeitspannen schnell überbrückt werden und die Handlung so schnell vorbeizieht, dass man es gar nicht bemerkt, ist es sehr schwierig mit dem Lesen aufzuhören und nicht zu vermeiden, dass man dann irgendwie doch hinabgezogen wird, in die Dunkelheit Aldwinters und die geheimnisvollen Tiefen des Blackwaters. Das Buch lebt nicht von der packenden Handlung, sondern viel mehr von den sehr speziellen und einzigartigen Charakteren, die Sarah Perry mit sehr viel Liebe, Kreativität und Engagement erschaffen hat. Sarah Perry hat keinen wilden, spannungsgeladenen „Page Turner“ geschrieben, sondern einen sehr atmosphärischen und bisweilen düsteren, ungewöhnlichen historischen Roman, der einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Der Schreibstil der Autorin ist wirklich einmalig und ich denke im englischen Original viel eindrucksvoller. So sind einige Kleinigkeiten etwas seltsam übersetzt und man stockt ein wenig, wenn von "die Strand" die Rede ist, was dann eine Straße meint oder irgendwelche Zeitkugeln herunterfallen. Ansonsten werden vor allem Landschaften sehr atmosphärisch beschrieben und zeitweise verdichtete schon poetisch anmutende Formulierungen entführen uns in das kleine Städtchen Aldwinter.


"Wichtig ist nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle. Ich kann den Äther nicht sehen, und doch spüre ich ihn bei jedem Atemzug und brauche ihn zum Leben. Ich fühle es, da kommt etwas auf uns zu, früher oder später; merken Sie sich meine Worte. Es war schon einmal hier, wie Sie selbst wissen, und es wird sich wieder zeigen - wenn nicht zu meinen Lebzeiten, dann zu Ihren, oder denen Ihrer Kinder oder Kindeskinder; und deshalb werde ich mich rüsten, Hochwürden, und ich würde Ihnen raten, es mir gleichzutun."


Das Geheimnis der Schlange in Essex nimmt leider nur eine gewisse Nebenrolle ein. Ich habe mich natürlich die ganze Zeit über gefragt, was es denn jetzt mit diesem mysteriösen Ungeheuer auf sich hat, das Cover, Titel und Klapptext so eindeutig beschreibt. Gibt es sie wirklich, oder ist sie nur ein Sinnbild für die Angst der Leute, die eine Erklärung für die Geschehnisse brauchen, die sie sich nicht erklären können. Seit der Entdeckung eines Ertrunkenen an Neujahr, fühlt sich das Dorf unsicher und unter Beobachtung. Warum ist die Schlange, die der Legende nach die Gegend schon 1669 mit seinen ledernen Flügeln und schnappendem Schnabel terrorisierte, nun zurückgekehrt? Was haben die Dorfbewohner falsch gemacht? Wo haben sie sich versündigt? An dieser Stelle nutzt Perry die symbolische Wirkung ihres Ungeheuers aus, um eine Gesellschaft zu zeichnen, die immer noch weit hinter der Aufklärung zurück hängt und charakterisiert durch die Reaktionen auf sie die Charaktere.

Für Cora, die gerne ein echtes Ungeheuer sehen würde, verkörpert die Schlange ein Wenig von der Überraschung, dem Entzücken, der Freiheit, der Entlassung aus der Welt, die nun durch den Tod ihres Mannes greifbar scheint. Für Will hingehen bedeutet die Schlange nur Ärger, ebenso wie die Wissenschaft. Menschen bräuchten die Sicherheit der Religion, oder sie beginnen, Dämonen zu erfinden - Geologie und Evolution seien nur in Mode, Theorien kommen und gehen, Gott bleibt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie ständig aneinander geraten, der gläubige, gebildete Dorfpfarrer mit dem gesicherten Leben und die modern denkende Cora, die zwar reich und attraktiv ist, sich aber kleidet wie ein Mann und gerne im Dreck herumwühlt.

Ihre angeregten Konversationen und Diskussionen werden dem Leser zu einem großen Teil in Briefform präsentiert. Das verleiht der Handlung noch einmal einen sehr viel persönlicheren Charakter, und wir erfahren viel über Cora und ihre Person, da der Briefwechsel nicht nur zwischen William und ihr, sondern auch zwischen Cora und ihren anderen Freunden stattfindet. Dieser rege Briefwechsel ermöglicht es, größere Zeitspannen elegant zu überbrücken und zeigt außerdem, welchen Stellenwert Freundschaft einnehmen kann, wenn die Auffassungen grundverschieden sind. Denn trotz der vielen Diskussionen fliegen bald die Funken zwischen den beiden, wie wir natürlich von Anfang an geahnt hatten.


"Was suchen Sie hier?" "Das weiß ich noch nicht. Meine Freiheit vielleicht. Ich habe zu lange mit Hemmnissen gelebt. Sie fragen mich, warum ich im Schlamm wühle? Weil ich es aus meiner Kindheit kenne. Ich habe kaum jemals Schuhe getragen, ich habe Ginster für den Kräuterlikör gepflückt und Teiche gesehen, die vor Frösche brodelten. Aber dann kam Michael... (..) Aber jetzt bin ich frei!"


Gut gefallen hat mir, dass wir hier nicht die typische Liebesgeschichte präsentiert bekommen, denn Will ist glücklich verheiratet und auch Cora nicht gewillt eine Beziehung einzugehen - es ist von Anfang an klar, dass da nichts daraus werden kann.
In ihren verzweifelten Versuchen, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu leugnen, bringen die beiden auch ihre Freunde durcheinander und immer wieder wird gezeigt, dass Liebe auch zerstören kann: Luke Garrett, Londons bester junger Chirurg, verliert in seiner verzweifelten Verliebtheit zu Cora seine operativen Fähigkeiten bei einem Unfall; George Spencer, der reiche Freund Lukes versucht, sich durch den Sozialismus Coras Begleiterin Martha zu nähern, deren Herz nur für die Gerechtigkeit schlägt; Williams schöne Ehefrau Stella, die an einer Krankheit sterbend die Herzen ihrer Familie bricht; Martha, die Cora auf eine gewisse Art liebt und Angst hat, sie als Freundin zu verlieren, Charles und Katherine Ambrose, die konservativen Freunde aus der High Society, die großzügig ihr Bestes tun, um ihren Freunden zu helfen und mitleiden müssen, Francis, Coras autistischer Sohn, der mit Liebe und Verständnis wenig anfangen kann und sich gerne mit seinen gesammelten Kostbarkeiten zurückzieht,... die verschiedenen Arten von Liebe, die hier in diesem Buch gezeigt werden sind vielfältig und haben doch alle etwas gemeinsam: sie verursachen viel Schmerz.

Im Mittelpunkt des Ganzen stehen also eindeutig Cora und ihre Beziehungen zu verschiedenen Leuten, die alle auf sehr verschiedene Art und Weisen intensiv sind. Cora an sich ist eine super Protagonistin - hier ein großes Lob an die Autorin, die es geschafft hat einen Charakter zu kreieren, der gleichzeitig echt, widersprüchlich, eigenwillig, liebenswert, seltsam, störrisch, schön, hässlich und einfach nur glaubwürdig erscheint. Ihre Vergangenheit ist höchst fragwürdig, es gibt einige Andeutungen, die aber nie ganz geklärt werden. Früh ist sie an einen älteren Mann geraten, der sie nach seinen Wünschen formen wollte und es sogar geschafft hat. Obwohl er Cora nicht gut behandelt hat, hat sie ihn auf ihre Art geliebt, was sie nicht davon abhält, eine gewisse Art der Erleichterung zu verspüren, als er verstirbt. Denn jetzt kann sie endlich sich selbst sein. Dass sie noch nicht so genau weiß, wer dieser neue Jemand sein soll, stellt man allzu bald fest, denn sich widerspricht ich ständig selbst, lässt sich nur von ihren Gefühlen leiten und bringt dadurch ihr ganzes Umfeld ganz schön durcheinander.

Auch die anderen Charaktere sind sehr gut und authentisch dargestellt, alle verkörpern ein kleines Stück der Mentalität dieser Zeit um 1893 herum - dem Viktorianischen Zeitalter. Immer wieder springt das Buch zwischen der Stadt London mit seinen zivilisierten Gesellschaftsregeln und Problemen und den Salzwiesen Aldwinters umher. Dabei wird medizinischer Fortschritt im Gegensatz zum Glauben thematisiert, Feminismus, aber auch die sozialistische Ideen, die nach der Industrialisierung entstanden. Man bekommt viele Armenviertel gezeigt, sieht dass die Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer leidet, Wohnungen fehlen, hat aber auch einen Einblick in das Leben der reicheren und in ihre Gedanken. So redet zum Beispiel Charles Ambrose, der sonst ein anständiger Mann ist, von den niedrigen Wesen, die es zu nichts besserem gebracht haben, und eine andere Art behandelt zu werden gar nicht verdienen.


"Unvorstellbar, dass er jahrelang den ihm zugewiesenen Platz eingenommen und sich ohne zu Murren in die riesige malmende Maschinerie namens London eingefügt hatte. Wenn er heute um sich blickte, sah er einen kranken Körper in den letzten Fieberzuckungen - die Krankheit strömte durch Verkehrsadern zu Wasser und zu Lande, und in den Hallen und Fabriken sammelt sich das Gift. Nun war er aufgewacht."


Auch gesellschaftliche Strukturen, von denen Cora absolut kein Freund ist, werden thematisiert. Sehr interessant ist, dass Cora, die eigentlich offen gegen diese Strukturen und Rollenbilder rebelliert, indem sie unanständige Dinge tun, sich unweiblich kleidet, manchmal aber wieder davon eingeholt zu werden scheint und dann ein Seidenkleid trägt und Dinner Partys veranstaltet - sie also Anflüge von Scham empfindet, eben weil sie sich nicht verhält oder nicht so fühlt, wie von ihr erwartet wird. Und wie sie das wiederum dann so lächerlich findet, dass sie diese Gedanken wieder verwirft.

Insgesamt ergibt sich also ein vielfältiges Bild, die diese vergangene Zeit nicht nur als verklemmte und von Religion und Etikette versklavten Ära darstellt, sondern auch hervorhebt, dass es viele Menschen gab, die begonnen haben anders zu denken und einen Sinn für das Absonderliche entwickelt haben.

Und nur durch diesen Sinn für das Absonderliche muss ich schlussendlich auch sagen, dass ich das Buch doch faszinierend und empfehlenswert fand, auch wenn es wirklich seltsam ist. Gerade das sehr unkonventionelle Ende hat mir wieder sehr gut gefallen. Also zählt hier auch, was wir von den tausend komischen Schullektüren aus den vorherigen Jahrhunderten mitgenommen haben: Gute Literatur muss eben manchmal ein wenig abstrus sein!



Fazit:

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung - eine etwas andere Darstellung des Viktorianischen Zeitalters, die ich nur jedem empfehlen kann!

Veröffentlicht am 29.09.2017

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung

Die Schlange von Essex
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Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: B07143NJZZ
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Originaltitel: The Essex Serpent
Seitenzahl: 496 Seiten
Preis: 24€ (gebundene Ausgabe)
17,99€ (Kindle-Edition)
!Britischer Buchpreis für den besten Roman des Jahres 2016!



Inhalt:

London im Jahr 1893:

Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Cora Seaborne vom Gerücht hört, der mythische Lindwurm von Essex sei zurückgekehrt und fordere die ersten Menschenleben, muss sie sich das unbedingt ansehen. Cora, eine Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins, vermutet hinter dem Sagengeschöpf eine bislang unbekannte Tierart. Auch der Vikar von Aldwinter, William Ransome, glaubt den Gerüchten nicht, und versucht, seine Gemeinde zu beruhigen. Zwischen Cora und Will entspinnt sich eine besondere Beziehung und obwohl sie in rein gar nichts einer Meinung sind, fühlen sie sich unausweichlich zueinander hingezogen...


Bewertung:

Seltsam! Das war das Wort, das mir schon beim Betrachten des Covers durch den Kopf ging, sich während des Lesens des ersten Satzes bestätigt und mich durch das ganze Buch hinweg begleitet hat. Dabei wechselten sich gleichermaßen in positiven wie auch negativem Sinne interessant-seltsame, gruselig-seltsame sowie nervig-seltsame Situationen ab, die aber insgesamt ein so stimmiges und spezielles Gesamtbild ergeben, sodass ich nicht wirklich weiß, wie ich diesen Roman bewerten soll.

Denn dies ist absolut kein Buch, dass man einfach für Zwischendurch mal schnell lesen kann - teilweise ist das Vorrankommen schon fast Arbeit und ich habe auch über zwei Wochen an den gerade mal 500 Seiten gelesen, was für mich eine ellenlange Zeit ist. Um nicht den Anschluss in den poetischen, verschnörkelten Darstellungen zu verlieren, muss man ganz genau aufpassen, zwischen den Zeilen lesen und viel darüber nachdenken, wie etwas gemeint sein könnte. Dabei gehen schillernde Außergewöhnlichkeit und atmosphärische Widersprüche so einzigartig einher, dass man von all den Eindrücken geradezu erschlagen wird. Gerade dafür hat das englischsprachige Original den Preis für das beste Buch des Jahres bekommen und die deutsche Leserschaft erwartet die Veröffentlichung am heutigen Tag gespannt. Ich bin noch am Überlegen, ob ich dieses Werk nun wirklich genial und des Preises würdig sehen oder als mir persönlich zu seltsam abtun soll, doch Genialität und Verrücktheit liegen ja oft sehr nah beieinander...


Erster Satz: "Ein junger Mann geht unter dem kalten Vollmond am Ufer des Blackwaters spazieren."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover, dass mit seinem wilden, einzigartigen und doch irgendwie friedlich wirkendem Muster perfekt ins Gesamtbild passt. Ich würde es nicht wirklich als schön bezeichnen - mit den orangenen Pflanzen und der grünen Schlange auf dem schwarzen Untergrund wirkt es mir irgendwie zu unruhig - doch es hat etwas hypnotisierendes, etwas einzigartiges, was auch das Buch an sich hat. Man fühlt sich sofort an die rauen Salzwiesen Aldwinters erinnert, an das Ungeheuer, das dort droht. Es ist dem englischen Original und allen anderen Übersetzungen sehr ähnlich gestaltet. Auch der Titel passt sehr gut und ist dem englischen direkt nachempfunden. Unter dem bedruckten Schutzumschlag der gebundenen Ausgabe findet man einen dunkelgrünen Buchdeckel mit geriffeltem Schlangenmuster zusehen, wenn man das buch in der Hand hält, kann man die einzelnen Schuppen spüren. Unterstrichen wird der Gesamteindruck dann noch durch das orangene Lesebändchen und die weißen Blumenranken auf orangenem Untergrund, die ähnlich denen auf dem Cover, die Innenseite des Buches verzieren. Eine wirklich wunderbar runde und besondere Gestaltung! Ob so etwas sein muss, damit das Buch dann 24€ kosten darf, ist eine andere Frage, über die man diskutieren könnte...

Ich gebe ganz offen zu, dass ich mich beim Anfragen dieses Buches auf meinen ersten Eindruck und auf den erhaltenen Preis verlassen habe und nach dem ersten Drittel recht enttäuscht war.
Die Geschichte von Cora, William und der Schlange von Essex beginnt sehr langsam und wird in sehr ruhigen und intensiven Tönen erzählt. Zuerst befasst ich die Autorin damit, uns ihre sehr speziellen und einzigartigen (man kann auch "seltsamen" sagen) Charaktere nahezubringen, ohne sie uns jemals durchschauen zu lassen. Auch wenn der Einstieg durchaus gut gemacht ist, habe ich sehr lange gebraucht, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen bin. Wir werden der starrsinnigen Witwe Cora Seaborne zur Seite gestellt, die versucht, sich nach dem Tod ihres Mannes selbst zu verwirklichen. Zusammen mit ihrer sozialistisch überzeugten Freundin und Haushälterin Martha und ihrem leicht autistischen Sohn zieht es sie aufs Land hinaus, wo sie ihre neuen Freiheiten zu genießen versucht. Als überzeugte Hobby- Paläontologin entpuppt sich Essex, bald als Goldgrube, denn dort wird ein Volksmärchen anscheinend lebendig: im Blackwater soll eine gruselige Kreatur hausen, die Kinder klaut, Männer ertränkt und die Bewohner von Aldwinter für ihre Sünden büßen lassen soll - die Schlange von Essex. Ganz zum Leiden des Aldwinter Pfarrers William Ransome, der diese Geschichte für Unfug hält und Cora anhält, seine Gemeinde nicht mit solchen Spinnereien zu verunsichern. Aus einer ersten Meinungsverschiedenheit entwickelt sich bald eine Beziehung in der redegewandten Opposition und unausgesprochenen Anziehungskraft miteinander ringen...

Durchaus spannend geht es nach dem Einstieg weiter - dabei hat dieser historische Roman nichts von einem Abenteuer, mehr von einem leisen Selbstfindungsbuch einer Frau, die nicht in die Gesellschaft passen zu scheint. Eigentlich nicht so ganz mein Genre - etwas hat mich aber so fasziniert, dass ich es trotzdem spannend fand. Diese sonderbare Art und Weise des Feingefühls, mit dem die Autorin Szenen kreiert, sodass sie gleichzeitig sehr fremd und fern, wie auch vertraut und berührend wirken, ist wirklich einzigartig. Durch die eigenwillige Erzählweise, in der die Szenen ineinander übergehen, die Perspektiven so fließend wechseln, große Zeitspannen schnell überbrückt werden und die Handlung so schnell vorbeizieht, dass man es gar nicht bemerkt, ist es sehr schwierig mit dem Lesen aufzuhören und nicht zu vermeiden, dass man dann irgendwie doch hinabgezogen wird, in die Dunkelheit Aldwinters und die geheimnisvollen Tiefen des Blackwaters. Das Buch lebt nicht von der packenden Handlung, sondern viel mehr von den sehr speziellen und einzigartigen Charakteren, die Sarah Perry mit sehr viel Liebe, Kreativität und Engagement erschaffen hat. Sarah Perry hat keinen wilden, spannungsgeladenen „Page Turner“ geschrieben, sondern einen sehr atmosphärischen und bisweilen düsteren, ungewöhnlichen historischen Roman, der einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Der Schreibstil der Autorin ist wirklich einmalig und ich denke im englischen Original viel eindrucksvoller. So sind einige Kleinigkeiten etwas seltsam übersetzt und man stockt ein wenig, wenn von "die Strand" die Rede ist, was dann eine Straße meint oder irgendwelche Zeitkugeln herunterfallen. Ansonsten werden vor allem Landschaften sehr atmosphärisch beschrieben und zeitweise verdichtete schon poetisch anmutende Formulierungen entführen uns in das kleine Städtchen Aldwinter.


"Wichtig ist nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle. Ich kann den Äther nicht sehen, und doch spüre ich ihn bei jedem Atemzug und brauche ihn zum Leben. Ich fühle es, da kommt etwas auf uns zu, früher oder später; merken Sie sich meine Worte. Es war schon einmal hier, wie Sie selbst wissen, und es wird sich wieder zeigen - wenn nicht zu meinen Lebzeiten, dann zu Ihren, oder denen Ihrer Kinder oder Kindeskinder; und deshalb werde ich mich rüsten, Hochwürden, und ich würde Ihnen raten, es mir gleichzutun."


Das Geheimnis der Schlange in Essex nimmt leider nur eine gewisse Nebenrolle ein. Ich habe mich natürlich die ganze Zeit über gefragt, was es denn jetzt mit diesem mysteriösen Ungeheuer auf sich hat, das Cover, Titel und Klapptext so eindeutig beschreibt. Gibt es sie wirklich, oder ist sie nur ein Sinnbild für die Angst der Leute, die eine Erklärung für die Geschehnisse brauchen, die sie sich nicht erklären können. Seit der Entdeckung eines Ertrunkenen an Neujahr, fühlt sich das Dorf unsicher und unter Beobachtung. Warum ist die Schlange, die der Legende nach die Gegend schon 1669 mit seinen ledernen Flügeln und schnappendem Schnabel terrorisierte, nun zurückgekehrt? Was haben die Dorfbewohner falsch gemacht? Wo haben sie sich versündigt? An dieser Stelle nutzt Perry die symbolische Wirkung ihres Ungeheuers aus, um eine Gesellschaft zu zeichnen, die immer noch weit hinter der Aufklärung zurück hängt und charakterisiert durch die Reaktionen auf sie die Charaktere.

Für Cora, die gerne ein echtes Ungeheuer sehen würde, verkörpert die Schlange ein Wenig von der Überraschung, dem Entzücken, der Freiheit, der Entlassung aus der Welt, die nun durch den Tod ihres Mannes greifbar scheint. Für Will hingehen bedeutet die Schlange nur Ärger, ebenso wie die Wissenschaft. Menschen bräuchten die Sicherheit der Religion, oder sie beginnen, Dämonen zu erfinden - Geologie und Evolution seien nur in Mode, Theorien kommen und gehen, Gott bleibt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie ständig aneinander geraten, der gläubige, gebildete Dorfpfarrer mit dem gesicherten Leben und die modern denkende Cora, die zwar reich und attraktiv ist, sich aber kleidet wie ein Mann und gerne im Dreck herumwühlt.

Ihre angeregten Konversationen und Diskussionen werden dem Leser zu einem großen Teil in Briefform präsentiert. Das verleiht der Handlung noch einmal einen sehr viel persönlicheren Charakter, und wir erfahren viel über Cora und ihre Person, da der Briefwechsel nicht nur zwischen William und ihr, sondern auch zwischen Cora und ihren anderen Freunden stattfindet. Dieser rege Briefwechsel ermöglicht es, größere Zeitspannen elegant zu überbrücken und zeigt außerdem, welchen Stellenwert Freundschaft einnehmen kann, wenn die Auffassungen grundverschieden sind. Denn trotz der vielen Diskussionen fliegen bald die Funken zwischen den beiden, wie wir natürlich von Anfang an geahnt hatten.


"Was suchen Sie hier?" "Das weiß ich noch nicht. Meine Freiheit vielleicht. Ich habe zu lange mit Hemmnissen gelebt. Sie fragen mich, warum ich im Schlamm wühle? Weil ich es aus meiner Kindheit kenne. Ich habe kaum jemals Schuhe getragen, ich habe Ginster für den Kräuterlikör gepflückt und Teiche gesehen, die vor Frösche brodelten. Aber dann kam Michael... (..) Aber jetzt bin ich frei!"


Gut gefallen hat mir, dass wir hier nicht die typische Liebesgeschichte präsentiert bekommen, denn Will ist glücklich verheiratet und auch Cora nicht gewillt eine Beziehung einzugehen - es ist von Anfang an klar, dass da nichts daraus werden kann.
In ihren verzweifelten Versuchen, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu leugnen, bringen die beiden auch ihre Freunde durcheinander und immer wieder wird gezeigt, dass Liebe auch zerstören kann: Luke Garrett, Londons bester junger Chirurg, verliert in seiner verzweifelten Verliebtheit zu Cora seine operativen Fähigkeiten bei einem Unfall; George Spencer, der reiche Freund Lukes versucht, sich durch den Sozialismus Coras Begleiterin Martha zu nähern, deren Herz nur für die Gerechtigkeit schlägt; Williams schöne Ehefrau Stella, die an einer Krankheit sterbend die Herzen ihrer Familie bricht; Martha, die Cora auf eine gewisse Art liebt und Angst hat, sie als Freundin zu verlieren, Charles und Katherine Ambrose, die konservativen Freunde aus der High Society, die großzügig ihr Bestes tun, um ihren Freunden zu helfen und mitleiden müssen, Francis, Coras autistischer Sohn, der mit Liebe und Verständnis wenig anfangen kann und sich gerne mit seinen gesammelten Kostbarkeiten zurückzieht,... die verschiedenen Arten von Liebe, die hier in diesem Buch gezeigt werden sind vielfältig und haben doch alle etwas gemeinsam: sie verursachen viel Schmerz.

Im Mittelpunkt des Ganzen stehen also eindeutig Cora und ihre Beziehungen zu verschiedenen Leuten, die alle auf sehr verschiedene Art und Weisen intensiv sind. Cora an sich ist eine super Protagonistin - hier ein großes Lob an die Autorin, die es geschafft hat einen Charakter zu kreieren, der gleichzeitig echt, widersprüchlich, eigenwillig, liebenswert, seltsam, störrisch, schön, hässlich und einfach nur glaubwürdig erscheint. Ihre Vergangenheit ist höchst fragwürdig, es gibt einige Andeutungen, die aber nie ganz geklärt werden. Früh ist sie an einen älteren Mann geraten, der sie nach seinen Wünschen formen wollte und es sogar geschafft hat. Obwohl er Cora nicht gut behandelt hat, hat sie ihn auf ihre Art geliebt, was sie nicht davon abhält, eine gewisse Art der Erleichterung zu verspüren, als er verstirbt. Denn jetzt kann sie endlich sich selbst sein. Dass sie noch nicht so genau weiß, wer dieser neue Jemand sein soll, stellt man allzu bald fest, denn sich widerspricht ich ständig selbst, lässt sich nur von ihren Gefühlen leiten und bringt dadurch ihr ganzes Umfeld ganz schön durcheinander.

Auch die anderen Charaktere sind sehr gut und authentisch dargestellt, alle verkörpern ein kleines Stück der Mentalität dieser Zeit um 1893 herum - dem Viktorianischen Zeitalter. Immer wieder springt das Buch zwischen der Stadt London mit seinen zivilisierten Gesellschaftsregeln und Problemen und den Salzwiesen Aldwinters umher. Dabei wird medizinischer Fortschritt im Gegensatz zum Glauben thematisiert, Feminismus, aber auch die sozialistische Ideen, die nach der Industrialisierung entstanden. Man bekommt viele Armenviertel gezeigt, sieht dass die Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer leidet, Wohnungen fehlen, hat aber auch einen Einblick in das Leben der reicheren und in ihre Gedanken. So redet zum Beispiel Charles Ambrose, der sonst ein anständiger Mann ist, von den niedrigen Wesen, die es zu nichts besserem gebracht haben, und eine andere Art behandelt zu werden gar nicht verdienen.


"Unvorstellbar, dass er jahrelang den ihm zugewiesenen Platz eingenommen und sich ohne zu Murren in die riesige malmende Maschinerie namens London eingefügt hatte. Wenn er heute um sich blickte, sah er einen kranken Körper in den letzten Fieberzuckungen - die Krankheit strömte durch Verkehrsadern zu Wasser und zu Lande, und in den Hallen und Fabriken sammelt sich das Gift. Nun war er aufgewacht."


Auch gesellschaftliche Strukturen, von denen Cora absolut kein Freund ist, werden thematisiert. Sehr interessant ist, dass Cora, die eigentlich offen gegen diese Strukturen und Rollenbilder rebelliert, indem sie unanständige Dinge tun, sich unweiblich kleidet, manchmal aber wieder davon eingeholt zu werden scheint und dann ein Seidenkleid trägt und Dinner Partys veranstaltet - sie also Anflüge von Scham empfindet, eben weil sie sich nicht verhält oder nicht so fühlt, wie von ihr erwartet wird. Und wie sie das wiederum dann so lächerlich findet, dass sie diese Gedanken wieder verwirft.

Insgesamt ergibt sich also ein vielfältiges Bild, die diese vergangene Zeit nicht nur als verklemmte und von Religion und Etikette versklavten Ära darstellt, sondern auch hervorhebt, dass es viele Menschen gab, die begonnen haben anders zu denken und einen Sinn für das Absonderliche entwickelt haben.

Und nur durch diesen Sinn für das Absonderliche muss ich schlussendlich auch sagen, dass ich das Buch doch faszinierend und empfehlenswert fand, auch wenn es wirklich seltsam ist. Gerade das sehr unkonventionelle Ende hat mir wieder sehr gut gefallen. Also zählt hier auch, was wir von den tausend komischen Schullektüren aus den vorherigen Jahrhunderten mitgenommen haben: Gute Literatur muss eben manchmal ein wenig abstrus sein!



Fazit:

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung - eine etwas andere Darstellung des Viktorianischen Zeitalters, die ich nur jedem empfehlen kann!

Veröffentlicht am 03.09.2017

"Unwetter haben keine Angst!"

Die Perfekten
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Allgemeines:

Titel: Die Perfekten
Autor: Caroline Brinkmann
Verlag: ONE, Imprint der Bastei Lübbe AG (25. August 2017)
Genre: Dystopie
ASIN: B071F17NDH
ISBN-10: 3846600490
ISBN-13: 978-3846600498
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die Perfekten
Autor: Caroline Brinkmann
Verlag: ONE, Imprint der Bastei Lübbe AG (25. August 2017)
Genre: Dystopie
ASIN: B071F17NDH
ISBN-10: 3846600490
ISBN-13: 978-3846600498
Seitenzahl: 608 Seiten
Preis: 18€ (Gebundene Ausgabe)
13,99€ (Kindle-Edition)




Inhalt:

"Mein Name ist Rain. Ich gehöre zu denen, die man Ghosts nennt. Mit meiner Mutter lebe ich außerhalb des Systems. Wir sind unsichtbar. Über uns allen thronen die Gesegneten. Sie gelten als perfekt. Aber das bin ich auch!"

Rain und ihre Mutter Storm sind auf ständiger Flucht vor den Gesegneten, einer perfekten Weiterentwicklung der Menschen, die das Land Hope regieren. Wie für alle Menschen, die aufgrund ihrer Gene in der perfekten Welt keinen Platz haben, ist die einzige Chance zu überleben, dass sie unsichtbar bleiben. Rain missachtet diese Regel und schließt Freundschaft mit dem Jungen Lark. Doch gerade, als sie beginnt, ihn in ihr Herz zu lassen, verrät er sie an die Soldaten der Gesegneten. Eigentlich wäre das ihr sicheres Todesurteil, doch stattdessen erfährt Rain etwas Unglaubliches. Sie ist gar kein Ghost. Sie ist perfekt. Eine Gesegnete.



Bewertung:


Als ich den Klapptext dieses Buches gelesen habe, wusste ich gleich: das wird gut! Und mein erster Eindruck hat mich nicht getäuscht. Gerade in Zeiten, in denen billige Dystopien, die sich gleichen wie ein Haar dem anderen den Markt überschwemmen, um noch ein kleines bisschen Erfolg vom Dystopien-Hype abzukriegen, bin ich umso begeisterter, wenn ich einmal ein wirklich originelles Beispiel dieses Genres finde, das mich überzeugen kann. Und dieses Buch hat mich überzeugt. Ein wenig wie "Legend" von Marie Lu, ein wenig wie die berühmten "Hunger Games" von Susanne Collins, ein wenig wie "Die rote Königin" von Victoria Aveyard und ganz viel ganz anders.


"Sie ist Rain. Der Regen. Der Neuanfang."


Das Cover ist sehr hübsch anzusehen und passt sehr gut. Der weiß-pinke Titel ist sehr dominant und füllt die gesamte Größe des Coverbildes aus, dahinter ist das Gesicht eines Mädchens zu sehen. Mit der Kapuze und dem Titel sieht es ein wenig aus, als wolle sie sich verstecken. Die strahlendgrünen Augen sind mit dem Titel die einzigen Farbklecke auf dem sonst grauen Hintergrund. Dass alles so dunkle gehalten ist, passt gut zu den Aschewolken Greys, dem hauptsächlichen Setting, die linke untere Ecke bildet ein Lichtblick, der dann für Aventin stehen könnte. Eigentlich störe ich mich an echten Personen auf Coverbildern, doch dieses Gesicht passt für mich sehr gut zu Rain - mit dem direkten Blick, der den Leser geradewegs anzusehen scheint, der dunklen Kapuze und den stimmigen Körpermerkmalen wird sie gut wiedergegeben. Die gebundene Ausgabe ist außerdem sehr groß und angenehm zu lesen bedruckt und kann mit einem Lesebändchen punkten, das dieselbe Farbe trägt, wie der Titel auf dem Cover. Auch der Klapptext gefällt mir gut - er bringt den Leser zusammen mit der sonstigen Gestaltung schon mal in die düstere Science-Fiction Stimmung über das Schicksal eines Mädchens in der Ungerechtigkeit des Landes Hope.


Erster Satz: "An Rains Sechzehntem Geburtstag nahm ihre Mutter sie in den Arm und flüsterte: "Für mich bist du perfekt."


Zu Beginn meiner Rezension habe ich gesagt, das Buch sei mal wieder eine gute Dystopie. Mit gut meine ich gut ausgearbeitet, gut nachvollziehbar und vor allem gut rückzubeziehen. Denn was soll eine Dystopie denn eigentlich tun außer zu unterhalten? Ein pessimistischen Zukunftsbildes zeichnen, welches auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen, vor deren Folgen warnen oder auf aktuelle Missstände hinweisen soll. Und das passt hier alles. Neben dem dystopischen Weltbild sind auch Dinge wie technische Neuerungen und Erfindungen gar nicht soweit hergeholt und gut vorstellbar. So wirkt der dargestellte Weltenentwurf greifbar und realistisch. Die Handlung verwirrt, verstört, verzaubert wie die großen Reihen der Dystopien - jedoch ohne diese kopieren zu wollen. Obwohl unsere Wirklichkeit (noch) nicht dem entspricht, was hier beschrieben wird, kann man sich doch zumindest vorstellen, dass wir uns irgendwann dorthin entwickeln könnten – und das ist eine unbehagliche Vorstellung, die genau das erfüllt, was ich mir von einer guten Dystopie erwarte.


"Du bist der Regen", flüsterte ihre Mutter. "Die Hoffnung." "Ich bin nichts, nur ein Schatten", flüsterte Rain. "Alles beginnt mit einem Tropfen. Einem Tropfen, dem Milliarden weitere Tropfen folgen."


Die ungerechte Welt, die die Autorin hier erschaffen hat, ist diesmal vor allem auf die Gene der Menschen bezogen, nach deren Qualität sie ihren Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen. Während die herrschenden Gesegneten in Luxus leben und nur die G Einsen auf einen Aufstieg hoffen dürfen, wird den unteren Klassen, den Zweien und Dreien der Zugang zu genug Nahrung, sauberem Trinkwasser, Medikamenten und Bildung versperrt. Schließlich streben die Gesegneten eine Welt an, in der Zweien und Dreien ausgestorben und alle ein perfektes genmaterial vorzuweisen haben. Diese Idee ist evolutionsbiologisch eigentlich sinnvoll und auch gut erklärt, bietet aber vor allem Stoff für viele Diskussionen. Wie kann man Gene nach Qualität unterscheiden? Und ist der gesamte Genpool der Menschheit, die Ausrottung von Krankheiten und der Aufbau einer stabilen, friedlichen Welt nur zu schaffen, in dem "minderwertige Menschen" durch Geringschätzung aussortiert werden, indem sie früher sterben und sie sich nicht fortpflanzen dürfen?


„Nicht die Gene machen einen Menschen perfekt, sondern sein Wesen.
Vergiss das nicht, mein Herz."


In krassem Gegensatz dazu stehen die Gesegneten, die Perfekten Herrscher Aventins. Wunderschöne, gesunde, starke und intelligente Supermenschen, die das Land regieren, gottgleich verehrt werden und im Luxus leben, während die Arbeiter in den ärmeren Zirkeln sich die Lunge verätzen, weil in den Fabriken keine Filteranlagen installiert sind. Und all das in einem Land das „Hope“ heißt – was für eine Ironie! Diese heftigen Unterschiede in der Bevölkerung an sich sind sehr mitreißend erklärt und das Leid, in dem die Menschen leben weckt in jedem Leser seinen Gerechtigkeitssinn. Die Welt ist schlüssig und nicht überquellend mit Details aufgebaut, einige für die erste Handlung unwichtige Infos und Bereiche des Lebens werden einfach weggelassen. Da das Buch in naher Zukunft noch eine Fortsetzung erhalten soll, ist das aber verständlich und zu entschuldigen.


"Kennst du den Geist,
der sich nachts umhertreibt?
Er singt mit dem Regen,
wild und verwegen.
Er trommelt den Takt,
den Takt, den die Freiheit,
nur für ihn bereit hat."


Super fand ich auch die Darstellung der "alten Zeit", also unserer Gegenwart. Es wird gesagt, dass die Menschen den Planeten ausgesaugt und ausgebeutet haben und sich dann um die letzten Überreste noch bekriegten, was die ganze Erde zerstört hat, auf der anderen Seite berichtet Rain aber auch wehmütig von dieser Vergangenheit und stellt sie sich schön vor. Sie liest Bücher, in denen ein "gewisser Herr Weihnachten" gerne viel Zimt benutzt und wundert sich über die Fantasien der Menschen, die sich Geschichten ausdachten, die sie nicht versteht und wundert sich über den Einfluss des mächtigen Donalds, dessen Name sie überall auf alten Ruinen findet (McDonalds). Die vielen kleine Anspielungen machen das Buch wirklich besonders und lockern und dunkel Atmosphäre etwas auf.


"Sie eilte zum Fenster und presste ihre Stirn gegen das Glas. Für einen Moment stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, fliegen zu können. Fliegen wie die Menschen mit den Flügeln, die Rose so geliebt hatte. Plötzlich verstand sie, warum sich jemand etwas Derartiges ausdachte. Es war der Wunsch frei zu sin. Frei wie ein Vogel."


Dazu trägt auch der Schreibstil seinen Teil bei. Wie bei vielen Jugendbüchern ist er recht schlicht. Besonders aufgefallen ist mir jedoch, dass speziell verkommene Wörter oder Neuheiten wie zum Beispiel das Nutztier "Kaf" (Kreuzung aus Schaf und Kuh) nicht genauer erklärt werden, als wüssten wir Leser automatisch bescheid. Manche Wörter werden einfach wie beiläufig eingestreut und erst viel später oder gar nicht erklärt. Das fand ich wirklich interessant, denn man konnte sich eigentlich immer erschließen, was gemeint war. Einzig der Ausruf "Kallisto", der ständig vorkommt, hat mich dauerhaft verwirrt, bis ich dann darauf gekommen bin, dass er einfach einen Fluch darstellte. Neben diesen Kleinigkeiten vermochte er der flüssige und sehr lebhaft geschriebene Stil, mich durchgängig zu fesseln. Angesichts der 600 Seiten war ich am Anfang etwas skeptisch, doch ich flog irgendwann geradezu durch die Handlung, ohne auf die Seitenzahlen zu sehen und war - schwups - plötzlich am Ende.


"Wie jeder von uns hast du nur einen Platz auf dieser Welt gesucht, und du hast ihn in meinem Herzen gefunden."


Neben den Genen gibt es noch eine weitere Unterteilung des Landes Hope - geographisch in verschiedene Zirkel. Hier wurde ich dann doch sehr an Panem erinnert, die 'goldene' Hauptstadt Aventin, in der die Reichen, Schönen und Priviligerten wohnen und von dort aus regieren erinnerte mich an das "Kapitol". Die verschiedenen Zirkel, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind und dementsprechend benannt wurden, sind den "Distrikten" sehr ähnlich. Neben landwirtschaftlich geprägten Gebieten wie Green oder Azure, dem reichen Kultursektor Ruby, den Minenzirkeln Pitch, und nicht zuletzt Aventin, der goldene Hauptstadt der Gesegneten und Begabten spielt die Haupthandlung vor allem in dem kleinen Fabrikzirkel Grey, der wie der Name schon verrät grau, trist und trostlos ist. Mit der vom Smog der Maschinen verseuchten Luft, der Asche auf den Straßen, der hungernden Bevölkerung und den vielen krankheitsverbreitenden Werratten ist die Stadt keineswegs ein schöner Ort zum Verweilen, so ist es nicht verwunderlich, dass sich hier die Brutstädte eines Widerstandes bildet. Den zunehmenden Einfluss der Rebellen auf die Einwohner Greys sind wirklich gut dargestellt. So kann man gut mit verfolgen, wie die Unzufriedenheit und Unmut über die Regierung die Menschen in die Arme der Rebellen treibt. Die Rebellen nennen sich Spines, die "Wilden, Freien, Echten und Gerechten", die endlich mehr Gerechtigkeit von der Herrschern aus Aventin fordern und dabei Angst, Schrecken und Tod verbreiten. In dieser Welt zwischen skrupellosen, verzweifelten Rebellen und mächtigen, eiskalten Gesegneten leben die beiden Hauptcharaktere Lark und Rain, die beide etwas anders denken und sich an die Hoffnung klammern, irgendwann aus Grey herauszukommen und in der Gesellschaft aufzusteigen. Doch der Smog und die Verzweiflung zwingen sie zu schrecklichen Taten, die sie in ganz andere Richtungen treiben, als gedacht... eine düstere Geschichte voll Hoffnung, Andersartigkeit, Ungerechtigkeit und einem Kampf um die Freiheit beginnt.


"Du erinnerst die Menschen an etwas, das vor langer Zeit verloren ging."
"An was?"
"An Märchen. Daran, dass das Unmögliche möglich ist. Die Augen von Hope sind auf dich gerichtet. Du bist vom Ghost in den Himmel gestiegen, als wären dir über Nacht Flügel gewachsen. Du bist aus der Asche emporgestiegen, um uns Hoffnung auf ein besseres Leben zu geben. Du bist der Samen, der in den Köpfen und Herzen der Menschen wächst und blüht. Der Samen einer Idee."
"Einer Idee?"
"Die Idee, dass auch die Ärmsten fliegen können. Bishop presste seine Finger auf sein Herz. "Die Idee, dass sich die Welt ändern kann. Du kannst die Welt ändern!"


An seiner Spitze steht die junge Rain. Als rechtlose Ghost, einem nicht registrierten Mensch, der durch die unerlaubte Fortpflanzung von der niederen Klasse entstanden, wird sie gejagt und hat nicht die Erlaubnis zu Existieren. Aus ihrer Perspektive wird berichtet, jedoch bietet die personale Erzählsicht mal eine erfrischende Abwechslung zum ewigen Ich-Erzähler, der bei Jugendbüchern dominiert. Rain ist eine Kämpferin. Eine wirklich sympathische junge Frau, die für ihre Prinzipien einsteht und versucht, das Richtige zu tun. Ihre Mutter Storm, mit der sie sich auch ohne Worte versteht, hat sie zu einer taffen, selbst denkenden und zielstrebigen Frau erzogen, die sich nicht über ihr Leben beschwert, obwohl sie dazu allen Grund hätte. Denn das junge Mädchen hat es nicht leicht, ist es gewohnt nirgends zuhause zu sein, ständig abhauen zu müssen und ein Dasein im Schatten führen zu müssen. Täglich kämpft sie um ihr Überleben im Smog Greys, hat sich dafür ein gesundes Misstrauen fremden Menschen gegenüber angelegt und kennt die Tricks, wie man nicht auffallen kann. Umso schwerer fällt es ihr, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, als herauskommt, dass sie eine Gesegnete ist. Perfekt, wunderschön, von ihrer Mutter entführt und in ein Leben als Schatten gezwungen. Bam! Dieser Schlag ins Gesicht sitzt und ihr Weltbild ist aus den Fugen geraten. Umso beeindruckender ist es, wie sie sich von den geänderten Umständen nicht unterkriegen lässt, sondern weiter für den Frieden kämpft - als Rajana, die verschollene Prinzessin, die aus der Asche aufstieg und so den einfachen Menschen Hoffnung schenkt. Ihre Waffen sind nicht mehr ihre Fäuste und ein Elektroschocker, sie kämpft stattdessen mit Worten, Outfits und Auftritten. Doch der Hass und die Angst sitzen tief in den Herzen der Bürger Hopes. Bald muss sie sich entscheiden, was sie sein will. So lässt sich weitere Gewalt nicht verhindern, und der Krieg macht auch nicht vor den Mauern Aventins Halt.


"Ich gebe dir die Möglichkeit, frei zu wählen, was du sein willst. Wild oder gezähmt? Gerecht oder gesegnet? Rain oder Rajana?"


Der zweite Protagonist, dessen Sichtweise Rains manchmal abwechselt, ist Lark. Auch wenn der junge Mann eine G1 ist und ein halbwegs sicheres Leben führt, hat er es nicht leicht. Er will es unbedingt zu einem guten Job bringen, damit er mit seiner Familie in Sicherheit außerhalb von den giftigen Dämpfen Greys leben kann und sich die wichtigen Medikamente für seine kleine Schwester Rose - eine kranke G3 - leisten kann. Deshalb wird er Anwärter auf eine Ausbildung zum Sentinal, der Polizei Hopes, die für Recht und Ordnung sorgen soll. Doch seine Geheimnisse bringen ihn in einen Zwiespalt, der ihn fast kaputt macht, denn Schatten aus seiner Vergangenheit haben noch eine Rechnung mit ihm offen, die ihn zu schrecklichen Taten zwingen. Nicht zuletzt, die junge Frau zu verraten, die er gerade kennengelernt hat und die ihn seltsam berührt - Rain.
Auch er ist ein sehr starker Charakter, der von seiner Vergangenheit und der Dunkelheit Greys geprägt wurde. Gleichzeitig ist er aber auch ein Familienmensch und kümmert sich um seine kranke Schwester, die er über alles liebt. Für sie begeht er dunkle Deals und macht eine Menge Fehler. Je mehr man Lark kennenlernt, umso besser versteht man sein Denken und Handeln. Er ist motiviert, stark und bereit, alles für die zu tun, die er liebt: Koste es, was es wolle.


"Wir sind in der Asche geboren, aber wir werden nicht in ihr sterben, richtig?" "Richtig." Sein Handrücken streifte den ihren, und für einen Moment wagten sie zu träumen. Von Zitronenkuchen. Und einer anderen Welt."


Neben den beiden Hauptprotagonisten bezaubern uns noch eine ganze Reihe super gezeichneter Nebencharaktere, die alle einen schönen Teil der Geschichte einnehmen.
Mein Liebling ist mit Abstand Rose, die kleine süße Schwester von Lark. Mit ihrer herzlichen, leicht schrägen und unschlagbar positiven Art ist sie einfach liebenswert. Obwohl sie es nicht leicht hat, lässt sie den Kopf nicht hängen und ihre übersprudelnde Fantasie zauberte mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Auch Pi, Rains kleine Fuchsmanguste (ähnlich eines Frettchens), ist mir sehr ans Herz gewachsen.
Dann ist da noch Storm, die kämpferische und stürmische Mutter Rains, die eine Menge Geheimnisse birgt und immer weiter in den Abgrund zu rutschen scheint, obwohl sie eigentlich nur ihre Tochter beschützen will, ganz im Gegensatz zu Rains - Rajanas - richtigen Eltern Aurelia und Tiberius, die eiskalten, kalkulierenden Gesegneten, denen sie nicht trauen kann. In der neuen Umgebung, die ebenso feindselig erscheint wie die grauen Wüsten ihres Heimatzirkels sind ihr Capman, also ihr Imageberater Bishop und die junge Gesegnete Andromeda ein Lichtblick. Sie helfen ihr, sich in der modernen Luxusgesellschaft zu recht zu finden, doch kann sie sich von der Bequemlichkeit verführen lassen und den beiden wirklich vertrauen…? Wem kann man wirklich glauben? Was ist richtig? Was ist falsch? All diese Fragen habe ich mir immer wieder gestellt, während ich das Buch gelesen habe. Es ist spannend, aufwühlend und nervenzerreißend. Man weiß nie, was als Nächstes geschieht, es ist absolut nicht vorhersehbar und das gefiel mir besonders gut.


"Der Regen gibt Hoffnung, mein Herz. Vielleicht gab es Hoffnung. Sie durfte nicht verzweifeln. Sie musste glauben. Unwetter haben keine Angst..."


Das Netz um Rain und Lark zieht sich immer weiter zu, die Spannung steigt konstant an und die Handlung gipfelt auf ein Finale zu, als die Bewohner Hopes sich auflehnen. Ein letzter Kampf, der noch einmal alles geben will - es machte mich sprachlos, es machte mich wütend, ich fieberte mit und konnte kaum atmen -, der dann aber leider für meinen Geschmack in zu vielen unübersichtlichen und hektischen Szenen versank. Auch der aller letzte Schluss ging mir etwas zu schnell und lässt viele Handlungsstränge offen ohne einen wirklichen Cliffhanger zu haben. Wegen dieser letzten 30 Seiten habe ich mich entschieden, keine 5 Sterne zu vergeben, sondern ein wenig abzuziehen. Ich freue mich auf jeden Fall riesig auf den nächsten Teil!


"Regen und Sturm. Das waren sie. Niemand mochte Unwetter, aber es war ein schöner Gedanke, denn als Unwetter braucht man sich nicht zu fürchten."



Fazit:


Eine mega spannende Dystopie der Extraklasse. Caroline Brinkmann verstört, berührt, fasziniert, bezaubert und begeistert mit diesem Sci-Fi-Auftakt, der nicht nur für Genre-Liebhaber ein literarischer Leckerbissen ist. Meine uneingeschränkte Empfehlung!

Veröffentlicht am 03.09.2017

"Unwetter haben keine Angst!"

Die Perfekten
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Allgemeines:

Titel: Die Perfekten
Autor: Caroline Brinkmann
Verlag: ONE, Imprint der Bastei Lübbe AG (25. August 2017)
Genre: Dystopie
ASIN: B071F17NDH
ISBN-10: 3846600490
ISBN-13: 978-3846600498
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: Die Perfekten
Autor: Caroline Brinkmann
Verlag: ONE, Imprint der Bastei Lübbe AG (25. August 2017)
Genre: Dystopie
ASIN: B071F17NDH
ISBN-10: 3846600490
ISBN-13: 978-3846600498
Seitenzahl: 608 Seiten
Preis: 18€ (Gebundene Ausgabe)
13,99€ (Kindle-Edition)



Inhalt:

"Mein Name ist Rain. Ich gehöre zu denen, die man Ghosts nennt. Mit meiner Mutter lebe ich außerhalb des Systems. Wir sind unsichtbar. Über uns allen thronen die Gesegneten. Sie gelten als perfekt. Aber das bin ich auch!"

Rain und ihre Mutter Storm sind auf ständiger Flucht vor den Gesegneten, einer perfekten Weiterentwicklung der Menschen, die das Land Hope regieren. Wie für alle Menschen, die aufgrund ihrer Gene in der perfekten Welt keinen Platz haben, ist die einzige Chance zu überleben, dass sie unsichtbar bleiben. Rain missachtet diese Regel und schließt Freundschaft mit dem Jungen Lark. Doch gerade, als sie beginnt, ihn in ihr Herz zu lassen, verrät er sie an die Soldaten der Gesegneten. Eigentlich wäre das ihr sicheres Todesurteil, doch stattdessen erfährt Rain etwas Unglaubliches. Sie ist gar kein Ghost. Sie ist perfekt. Eine Gesegnete.



Bewertung:


Als ich den Klapptext dieses Buches gelesen habe, wusste ich gleich: das wird gut! Und mein erster Eindruck hat mich nicht getäuscht. Gerade in Zeiten, in denen billige Dystopien, die sich gleichen wie ein Haar dem anderen den Markt überschwemmen, um noch ein kleines bisschen Erfolg vom Dystopien-Hype abzukriegen, bin ich umso begeisterter, wenn ich einmal ein wirklich originelles Beispiel dieses Genres finde, das mich überzeugen kann. Und dieses Buch hat mich überzeugt. Ein wenig wie "Legend" von Marie Lu, ein wenig wie die berühmten "Hunger Games" von Susanne Collins, ein wenig wie "Die rote Königin" von Victoria Aveyard und ganz viel ganz anders.


"Sie ist Rain. Der Regen. Der Neuanfang."


Das Cover ist sehr hübsch anzusehen und passt sehr gut. Der weiß-pinke Titel ist sehr dominant und füllt die gesamte Größe des Coverbildes aus, dahinter ist das Gesicht eines Mädchens zu sehen. Mit der Kapuze und dem Titel sieht es ein wenig aus, als wolle sie sich verstecken. Die strahlendgrünen Augen sind mit dem Titel die einzigen Farbklecke auf dem sonst grauen Hintergrund. Dass alles so dunkle gehalten ist, passt gut zu den Aschewolken Greys, dem hauptsächlichen Setting, die linke untere Ecke bildet ein Lichtblick, der dann für Aventin stehen könnte. Eigentlich störe ich mich an echten Personen auf Coverbildern, doch dieses Gesicht passt für mich sehr gut zu Rain - mit dem direkten Blick, der den Leser geradewegs anzusehen scheint, der dunklen Kapuze und den stimmigen Körpermerkmalen wird sie gut wiedergegeben. Die gebundene Ausgabe ist außerdem sehr groß und angenehm zu lesen bedruckt und kann mit einem Lesebändchen punkten, das dieselbe Farbe trägt, wie der Titel auf dem Cover. Auch der Klapptext gefällt mir gut - er bringt den Leser zusammen mit der sonstigen Gestaltung schon mal in die düstere Science-Fiction Stimmung über das Schicksal eines Mädchens in der Ungerechtigkeit des Landes Hope.


Erster Satz: "An Rains Sechzehntem Geburtstag nahm ihre Mutter sie in den Arm und flüsterte: "Für mich bist du perfekt."


Zu Beginn meiner Rezension habe ich gesagt, das Buch sei mal wieder eine gute Dystopie. Mit gut meine ich gut ausgearbeitet, gut nachvollziehbar und vor allem gut rückzubeziehen. Denn was soll eine Dystopie denn eigentlich tun außer zu unterhalten? Ein pessimistischen Zukunftsbildes zeichnen, welches auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen, vor deren Folgen warnen oder auf aktuelle Missstände hinweisen soll. Und das passt hier alles. Neben dem dystopischen Weltbild sind auch Dinge wie technische Neuerungen und Erfindungen gar nicht soweit hergeholt und gut vorstellbar. So wirkt der dargestellte Weltenentwurf greifbar und realistisch. Die Handlung verwirrt, verstört, verzaubert wie die großen Reihen der Dystopien - jedoch ohne diese kopieren zu wollen. Obwohl unsere Wirklichkeit (noch) nicht dem entspricht, was hier beschrieben wird, kann man sich doch zumindest vorstellen, dass wir uns irgendwann dorthin entwickeln könnten – und das ist eine unbehagliche Vorstellung, die genau das erfüllt, was ich mir von einer guten Dystopie erwarte.


"Du bist der Regen", flüsterte ihre Mutter. "Die Hoffnung." "Ich bin nichts, nur ein Schatten", flüsterte Rain. "Alles beginnt mit einem Tropfen. Einem Tropfen, dem Milliarden weitere Tropfen folgen."


Die ungerechte Welt, die die Autorin hier erschaffen hat, ist diesmal vor allem auf die Gene der Menschen bezogen, nach deren Qualität sie ihren Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen. Während die herrschenden Gesegneten in Luxus leben und nur die G Einsen auf einen Aufstieg hoffen dürfen, wird den unteren Klassen, den Zweien und Dreien der Zugang zu genug Nahrung, sauberem Trinkwasser, Medikamenten und Bildung versperrt. Schließlich streben die Gesegneten eine Welt an, in der Zweien und Dreien ausgestorben und alle ein perfektes genmaterial vorzuweisen haben. Diese Idee ist evolutionsbiologisch eigentlich sinnvoll und auch gut erklärt, bietet aber vor allem Stoff für viele Diskussionen. Wie kann man Gene nach Qualität unterscheiden? Und ist der gesamte Genpool der Menschheit, die Ausrottung von Krankheiten und der Aufbau einer stabilen, friedlichen Welt nur zu schaffen, in dem "minderwertige Menschen" durch Geringschätzung aussortiert werden, indem sie früher sterben und sie sich nicht fortpflanzen dürfen?


„Nicht die Gene machen einen Menschen perfekt, sondern sein Wesen.
Vergiss das nicht, mein Herz."


In krassem Gegensatz dazu stehen die Gesegneten, die Perfekten Herrscher Aventins. Wunderschöne, gesunde, starke und intelligente Supermenschen, die das Land regieren, gottgleich verehrt werden und im Luxus leben, während die Arbeiter in den ärmeren Zirkeln sich die Lunge verätzen, weil in den Fabriken keine Filteranlagen installiert sind. Und all das in einem Land das „Hope“ heißt – was für eine Ironie! Diese heftigen Unterschiede in der Bevölkerung an sich sind sehr mitreißend erklärt und das Leid, in dem die Menschen leben weckt in jedem Leser seinen Gerechtigkeitssinn. Die Welt ist schlüssig und nicht überquellend mit Details aufgebaut, einige für die erste Handlung unwichtige Infos und Bereiche des Lebens werden einfach weggelassen. Da das Buch in naher Zukunft noch eine Fortsetzung erhalten soll, ist das aber verständlich und zu entschuldigen.


"Kennst du den Geist,
der sich nachts umhertreibt?
Er singt mit dem Regen,
wild und verwegen.
Er trommelt den Takt,
den Takt, den die Freiheit,
nur für ihn bereit hat."


Super fand ich auch die Darstellung der "alten Zeit", also unserer Gegenwart. Es wird gesagt, dass die Menschen den Planeten ausgesaugt und ausgebeutet haben und sich dann um die letzten Überreste noch bekriegten, was die ganze Erde zerstört hat, auf der anderen Seite berichtet Rain aber auch wehmütig von dieser Vergangenheit und stellt sie sich schön vor. Sie liest Bücher, in denen ein "gewisser Herr Weihnachten" gerne viel Zimt benutzt und wundert sich über die Fantasien der Menschen, die sich Geschichten ausdachten, die sie nicht versteht und wundert sich über den Einfluss des mächtigen Donalds, dessen Name sie überall auf alten Ruinen findet (McDonalds). Die vielen kleine Anspielungen machen das Buch wirklich besonders und lockern und dunkel Atmosphäre etwas auf.


"Sie eilte zum Fenster und presste ihre Stirn gegen das Glas. Für einen Moment stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, fliegen zu können. Fliegen wie die Menschen mit den Flügeln, die Rose so geliebt hatte. Plötzlich verstand sie, warum sich jemand etwas Derartiges ausdachte. Es war der Wunsch frei zu sin. Frei wie ein Vogel."


Dazu trägt auch der Schreibstil seinen Teil bei. Wie bei vielen Jugendbüchern ist er recht schlicht. Besonders aufgefallen ist mir jedoch, dass speziell verkommene Wörter oder Neuheiten wie zum Beispiel das Nutztier "Kaf" (Kreuzung aus Schaf und Kuh) nicht genauer erklärt werden, als wüssten wir Leser automatisch bescheid. Manche Wörter werden einfach wie beiläufig eingestreut und erst viel später oder gar nicht erklärt. Das fand ich wirklich interessant, denn man konnte sich eigentlich immer erschließen, was gemeint war. Einzig der Ausruf "Kallisto", der ständig vorkommt, hat mich dauerhaft verwirrt, bis ich dann darauf gekommen bin, dass er einfach einen Fluch darstellte. Neben diesen Kleinigkeiten vermochte er der flüssige und sehr lebhaft geschriebene Stil, mich durchgängig zu fesseln. Angesichts der 600 Seiten war ich am Anfang etwas skeptisch, doch ich flog irgendwann geradezu durch die Handlung, ohne auf die Seitenzahlen zu sehen und war - schwups - plötzlich am Ende.


"Wie jeder von uns hast du nur einen Platz auf dieser Welt gesucht, und du hast ihn in meinem Herzen gefunden."


Neben den Genen gibt es noch eine weitere Unterteilung des Landes Hope - geographisch in verschiedene Zirkel. Hier wurde ich dann doch sehr an Panem erinnert, die 'goldene' Hauptstadt Aventin, in der die Reichen, Schönen und Priviligerten wohnen und von dort aus regieren erinnerte mich an das "Kapitol". Die verschiedenen Zirkel, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind und dementsprechend benannt wurden, sind den "Distrikten" sehr ähnlich. Neben landwirtschaftlich geprägten Gebieten wie Green oder Azure, dem reichen Kultursektor Ruby, den Minenzirkeln Pitch, und nicht zuletzt Aventin, der goldene Hauptstadt der Gesegneten und Begabten spielt die Haupthandlung vor allem in dem kleinen Fabrikzirkel Grey, der wie der Name schon verrät grau, trist und trostlos ist. Mit der vom Smog der Maschinen verseuchten Luft, der Asche auf den Straßen, der hungernden Bevölkerung und den vielen krankheitsverbreitenden Werratten ist die Stadt keineswegs ein schöner Ort zum Verweilen, so ist es nicht verwunderlich, dass sich hier die Brutstädte eines Widerstandes bildet. Den zunehmenden Einfluss der Rebellen auf die Einwohner Greys sind wirklich gut dargestellt. So kann man gut mit verfolgen, wie die Unzufriedenheit und Unmut über die Regierung die Menschen in die Arme der Rebellen treibt. Die Rebellen nennen sich Spines, die "Wilden, Freien, Echten und Gerechten", die endlich mehr Gerechtigkeit von der Herrschern aus Aventin fordern und dabei Angst, Schrecken und Tod verbreiten. In dieser Welt zwischen skrupellosen, verzweifelten Rebellen und mächtigen, eiskalten Gesegneten leben die beiden Hauptcharaktere Lark und Rain, die beide etwas anders denken und sich an die Hoffnung klammern, irgendwann aus Grey herauszukommen und in der Gesellschaft aufzusteigen. Doch der Smog und die Verzweiflung zwingen sie zu schrecklichen Taten, die sie in ganz andere Richtungen treiben, als gedacht... eine düstere Geschichte voll Hoffnung, Andersartigkeit, Ungerechtigkeit und einem Kampf um die Freiheit beginnt.


"Du erinnerst die Menschen an etwas, das vor langer Zeit verloren ging."
"An was?"
"An Märchen. Daran, dass das Unmögliche möglich ist. Die Augen von Hope sind auf dich gerichtet. Du bist vom Ghost in den Himmel gestiegen, als wären dir über Nacht Flügel gewachsen. Du bist aus der Asche emporgestiegen, um uns Hoffnung auf ein besseres Leben zu geben. Du bist der Samen, der in den Köpfen und Herzen der Menschen wächst und blüht. Der Samen einer Idee."
"Einer Idee?"
"Die Idee, dass auch die Ärmsten fliegen können. Bishop presste seine Finger auf sein Herz. "Die Idee, dass sich die Welt ändern kann. Du kannst die Welt ändern!"


An seiner Spitze steht die junge Rain. Als rechtlose Ghost, einem nicht registrierten Mensch, der durch die unerlaubte Fortpflanzung von der niederen Klasse entstanden, wird sie gejagt und hat nicht die Erlaubnis zu Existieren. Aus ihrer Perspektive wird berichtet, jedoch bietet die personale Erzählsicht mal eine erfrischende Abwechslung zum ewigen Ich-Erzähler, der bei Jugendbüchern dominiert. Rain ist eine Kämpferin. Eine wirklich sympathische junge Frau, die für ihre Prinzipien einsteht und versucht, das Richtige zu tun. Ihre Mutter Storm, mit der sie sich auch ohne Worte versteht, hat sie zu einer taffen, selbst denkenden und zielstrebigen Frau erzogen, die sich nicht über ihr Leben beschwert, obwohl sie dazu allen Grund hätte. Denn das junge Mädchen hat es nicht leicht, ist es gewohnt nirgends zuhause zu sein, ständig abhauen zu müssen und ein Dasein im Schatten führen zu müssen. Täglich kämpft sie um ihr Überleben im Smog Greys, hat sich dafür ein gesundes Misstrauen fremden Menschen gegenüber angelegt und kennt die Tricks, wie man nicht auffallen kann. Umso schwerer fällt es ihr, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, als herauskommt, dass sie eine Gesegnete ist. Perfekt, wunderschön, von ihrer Mutter entführt und in ein Leben als Schatten gezwungen. Bam! Dieser Schlag ins Gesicht sitzt und ihr Weltbild ist aus den Fugen geraten. Umso beeindruckender ist es, wie sie sich von den geänderten Umständen nicht unterkriegen lässt, sondern weiter für den Frieden kämpft - als Rajana, die verschollene Prinzessin, die aus der Asche aufstieg und so den einfachen Menschen Hoffnung schenkt. Ihre Waffen sind nicht mehr ihre Fäuste und ein Elektroschocker, sie kämpft stattdessen mit Worten, Outfits und Auftritten. Doch der Hass und die Angst sitzen tief in den Herzen der Bürger Hopes. Bald muss sie sich entscheiden, was sie sein will. So lässt sich weitere Gewalt nicht verhindern, und der Krieg macht auch nicht vor den Mauern Aventins Halt.


"Ich gebe dir die Möglichkeit, frei zu wählen, was du sein willst. Wild oder gezähmt? Gerecht oder gesegnet? Rain oder Rajana?"


Der zweite Protagonist, dessen Sichtweise Rains manchmal abwechselt, ist Lark. Auch wenn der junge Mann eine G1 ist und ein halbwegs sicheres Leben führt, hat er es nicht leicht. Er will es unbedingt zu einem guten Job bringen, damit er mit seiner Familie in Sicherheit außerhalb von den giftigen Dämpfen Greys leben kann und sich die wichtigen Medikamente für seine kleine Schwester Rose - eine kranke G3 - leisten kann. Deshalb wird er Anwärter auf eine Ausbildung zum Sentinal, der Polizei Hopes, die für Recht und Ordnung sorgen soll. Doch seine Geheimnisse bringen ihn in einen Zwiespalt, der ihn fast kaputt macht, denn Schatten aus seiner Vergangenheit haben noch eine Rechnung mit ihm offen, die ihn zu schrecklichen Taten zwingen. Nicht zuletzt, die junge Frau zu verraten, die er gerade kennengelernt hat und die ihn seltsam berührt - Rain.
Auch er ist ein sehr starker Charakter, der von seiner Vergangenheit und der Dunkelheit Greys geprägt wurde. Gleichzeitig ist er aber auch ein Familienmensch und kümmert sich um seine kranke Schwester, die er über alles liebt. Für sie begeht er dunkle Deals und macht eine Menge Fehler. Je mehr man Lark kennenlernt, umso besser versteht man sein Denken und Handeln. Er ist motiviert, stark und bereit, alles für die zu tun, die er liebt: Koste es, was es wolle.


"Wir sind in der Asche geboren, aber wir werden nicht in ihr sterben, richtig?" "Richtig." Sein Handrücken streifte den ihren, und für einen Moment wagten sie zu träumen. Von Zitronenkuchen. Und einer anderen Welt."


Neben den beiden Hauptprotagonisten bezaubern uns noch eine ganze Reihe super gezeichneter Nebencharaktere, die alle einen schönen Teil der Geschichte einnehmen.
Mein Liebling ist mit Abstand Rose, die kleine süße Schwester von Lark. Mit ihrer herzlichen, leicht schrägen und unschlagbar positiven Art ist sie einfach liebenswert. Obwohl sie es nicht leicht hat, lässt sie den Kopf nicht hängen und ihre übersprudelnde Fantasie zauberte mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Auch Pi, Rains kleine Fuchsmanguste (ähnlich eines Frettchens), ist mir sehr ans Herz gewachsen.
Dann ist da noch Storm, die kämpferische und stürmische Mutter Rains, die eine Menge Geheimnisse birgt und immer weiter in den Abgrund zu rutschen scheint, obwohl sie eigentlich nur ihre Tochter beschützen will, ganz im Gegensatz zu Rains - Rajanas - richtigen Eltern Aurelia und Tiberius, die eiskalten, kalkulierenden Gesegneten, denen sie nicht trauen kann. In der neuen Umgebung, die ebenso feindselig erscheint wie die grauen Wüsten ihres Heimatzirkels sind ihr Capman, also ihr Imageberater Bishop und die junge Gesegnete Andromeda ein Lichtblick. Sie helfen ihr, sich in der modernen Luxusgesellschaft zu recht zu finden, doch kann sie sich von der Bequemlichkeit verführen lassen und den beiden wirklich vertrauen…? Wem kann man wirklich glauben? Was ist richtig? Was ist falsch? All diese Fragen habe ich mir immer wieder gestellt, während ich das Buch gelesen habe. Es ist spannend, aufwühlend und nervenzerreißend. Man weiß nie, was als Nächstes geschieht, es ist absolut nicht vorhersehbar und das gefiel mir besonders gut.


"Der Regen gibt Hoffnung, mein Herz. Vielleicht gab es Hoffnung. Sie durfte nicht verzweifeln. Sie musste glauben. Unwetter haben keine Angst..."


Das Netz um Rain und Lark zieht sich immer weiter zu, die Spannung steigt konstant an und die Handlung gipfelt auf ein Finale zu, als die Bewohner Hopes sich auflehnen. Ein letzter Kampf, der noch einmal alles geben will - es machte mich sprachlos, es machte mich wütend, ich fieberte mit und konnte kaum atmen -, der dann aber leider für meinen Geschmack in zu vielen unübersichtlichen und hektischen Szenen versank. Auch der aller letzte Schluss ging mir etwas zu schnell und lässt viele Handlungsstränge offen ohne einen wirklichen Cliffhanger zu haben. Wegen dieser letzten 30 Seiten habe ich mich entschieden, keine 5 Sterne zu vergeben, sondern ein wenig abzuziehen. Ich freue mich auf jeden Fall riesig auf den nächsten Teil!


"Regen und Sturm. Das waren sie. Niemand mochte Unwetter, aber es war ein schöner Gedanke, denn als Unwetter braucht man sich nicht zu fürchten."



Fazit:

Eine mega spannende Dystopie der Extraklasse. Caroline Brinkmann verstört, berührt, fasziniert, bezaubert und begeistert mit diesem Sci-Fi-Auftakt, der nicht nur für Genre-Liebhaber ein literarischer Leckerbissen ist. Meine uneingeschränkte Empfehlung!