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Veröffentlicht am 23.12.2017

Eine unglaubliche Geschichte voller Kraft, Poesie, Musik und Wildheit!

Wintersong
0

Allgemeines:

Titel: Wintersong
Autor: S. Jae-Jones
Genre: Fantasy
Verlag: ivi (1. Dezember 2017)
ISBN-10: 3492704581
ISBN-13: 978-3492704588
ASIN: B0713PQY68
Seitenzahl: 464 Seiten
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Wintersong
Autor: S. Jae-Jones
Genre: Fantasy
Verlag: ivi (1. Dezember 2017)
ISBN-10: 3492704581
ISBN-13: 978-3492704588
ASIN: B0713PQY68
Seitenzahl: 464 Seiten
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
Originaltitel: Wintersong
Preis: 11,99€ (Kindle-Edition)
15€ (Broschiert)



Inhalt:

-Eine alte Legende,
ein dunkles Reich unter der Erde,
eine unmögliche Liebe-


An jenem Tag, an dem das alte Jahr stirbt und die Grenze zwischen den Reichen der Kobolde und der Menschen verwischt, wandelt der Erlkönig durch die Welt der Sterblichen, auf der Suche nach einer Braut. Diese muss ihm in sein Reich unter der Erde folgen, den König ehelichen und sterben – denn nur durch ihren Tod wird die Wiedergeburt des neuen Jahres gewährleistet.
Seit ihrer Kindheit kennt die 18-jährige Liesl die Sage um den unheimlichen, faszinierenden Erlkönig. Als ein mysteriöser Fremder auftaucht und Liesls Schwester entführt, weiß Liesl: Nur sie kann ihre Schwester noch aus den Fängen des Erlkönigs befreien, indem sie ihm in sein Reich folgt und ihn anstelle ihrer Schwester selbst heiratet. Doch wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Während Liesl noch versucht, ihre Gefühle zu verstehen, arbeiten die alten Gesetze der Unterwelt bereits gegen sie...


Bewertung:


WOW!
Gleich als mir dieser Auftakt einer zweibändigen Saga rund um die Sage des Erlkönigs in der Verlagsvorschau des Piper-Verlags ins Auge gesprungen ist, wusste ich, dass dieses Buch entweder ein kleines Wunder oder eine riesige Enttäuschung werden würde. Und so sollte ich Recht behalten. Bei dieser Geschichte scheiden sich die Geister extrem, ich gehöre jedoch ganz eindeutig zur vergötternden Fraktion. Dieser Geschichte wohnt eine unglaubliche Kraft, Poesie, Musik und Wildheit inne, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.


"Ich werde es genießen, mit dir zu spielen", sagte er leise. Dann beugte er sich vor und ich spürte die kalte Berührung seines Atems auf meinen Lippen.
"Viel Glück, Elisabeth."



Schon das Cover ist eine wahre Augenweide. Der weiße Hintergrund mit den grau-bläulichen Einfärbungen entführt in eine winterliche Stimmung, welche durch die winterlichen, roten Vogelbeeren, welche den einzigen Farbklecks des Covers darstellen, noch bekräftigt wird. Ich finde dieses farbgebende Element sehr passend, hätte mich aber noch mehr über Erlenkätzchen gefreut, da diese einen genaueren Bezug zur Geschichte haben. Durch die aufflatternde, schwarze Vogelsilhouetten und dem Schatten eines Mädchens in einem wehenden Kleid, erhält das Cover eine magische, düstere aber verspielte Note. Der Titel thront in Großbuchstaben im Zentrum des Ganzen und ist mit einem schwarzen Faden verziert. Ich finde diese Gestaltung wirklich unfassbar schön und um einiges besser gelungen als das der englischen Ausgabe (links). Letzteres ist zwar auch hübsch, mir aber zu verträumt und nicht so atmosphärisch.
Das Beste an der Gestaltung ist jedoch das Innenleben des Romans. In mehrere Teile und übergeordnet in Abschnitte eines Musikstückes geteilt (Ouvertüre, Intermezzo, ...) ist es mit wunderschönen Zitaten und dem auch auf dem Cover zusehenden Kranz aus Beeren gesäumt, welche jede der liebevoll ausgewählten Kapitelüberschriften umgibt.
Die Geschichte beginnt nach einer vorangestellten Danksagung zauberhaft wie ein echtes Märchen mit den Worten:


"Es war einmal ein kleines Mädchen, das seine Musik für einen kleinen Jungen in den Wäldern spielte."


Und im Stil eines düsteren, leidenschaftlichen, zauberhaften und magisch berührenden Märchens geht diese Geschichte weiter. Inhalt der Geschichte ist die Sage vom Erlkönig, welche ursprünglich aus dem Dänischen kommt und von Johann Wolfgang von Goethe in der bekannten Ballade "Erlkönig" dargestellt wird. Ungewöhnlich ist dabei, dass gerade eine Amerikanerin auf die Idee kommt, diese europäische Sage an einem deutschen Schauplatz neu aufzurollen. Ich persönlich hatte mit dieser Sage bisher noch nicht viel zu tun - klar kannte ich die Ballade, wer genau der Erlkönig ist und was er macht, war mir jedoch nicht bewusst. Meiner Meinung nach ist die Sage jedoch ganz famos umgesetzt, auch wenn die vielen Klischees am Anfang (die Protagonisten ernähren sich praktisch nur von Würstchen und Sauerkraut) und die seltsamen Namensabkürzungen wie Liesel, Hansel, Käthe, Sepperl und Co mir etwas aufstießen. Von einer von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen geprägte Umwelt wechselt der Roman jedoch sehr bald in eine düstere, dunkle Fantasiewelt, die gleichzeitig schillernd schön und grausig schrecklich ist. Wie auch schon die Ballade stellt der Roman die Natur, verkörpert vom schrecklich schönen Erlkönig und seiner Unheilsschar an Kobolden, nicht von ihrer ästhetischen oder gar religiösen Seite dar, sondern gibt ihr eine lockende, bezaubernde, beglückende und tötende Weise. Es entsteht eine Geschichte voller Gefühle und Seele, in der die Musik eine wichtige Rolle als Träger dieser Empfindungen und Tiefe spielt.


"Ich improvisierte, ich experimentierte, ich schweifte umher. (...) Ich wollte frei sein. Ich würde die Welt so formen, dass sie zu der Musik in meiner Seele passte. Bach, Händels und Haydens Musik war aus dem Kopf heraus entstanden. Meine entstand aus dem Herzen. Ich war kein Mozart, der mit einer göttlichen Gabe gesegnet war. Ich war Maria Elisabeth Ingeborg Vogler, sterblich und fehlbar."


Ich-Erzählerin ist die 19-jährige Liesl, die mit ihrer Familie, der schönen Käthe, dem begabten Geiger Josef, einem als Vater Trunkenbold und einer schönen Wirtin als Mutter, in der Provinz Bayerns etwa im 18. Jahrhundert zur Lebzeit Mozarts lebt. Das unscheinbare Mädchen, das zwischen ihrer schönen Schwester und ihrem virtuosen Bruder untergeht, hat nur einen Lebensinhalt: die Musik. Zwischen all ihrer Mittelmäßigkeit ihres Daseins, ihrem guten Benehmen, ihrer Rücksicht, ihrem Anstand, ihrer Zurückhaltung schlummert eine wilde, ungezähmte Gabe, die an die Oberfläche drängt - eine Leidenschaft für Sonaten, Bagatellen, Symphonien, Etüden, Chaconne und allen anderen Ansammlungen von Tönen. Inspiriert wird sie von der Schönheit der Natur in ihrem Koboldhain hinter dem Haus und vor allem von ihm: ihrem Koboldkönig.


"Wenn du endlich den Teil deiner Selbst befreist, den du so verzweifelt verleugnest". Er legte mir die Hand in den Nacken. "Den Teil, von dir, den ich wollte, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Dann wirst du mein sein, Elisabeth." Er beugte sich über mich. "Ganz und gar."



Als Kind glaubte sie an die Sage, die ihr ihre Großmutter Constanze immer erzählte und spielte der Sagengestalt zur Ehre im Koboldhain ihre Musik vor, doch mit zunehmendem Alter versteckte sie die Fantasie, die Musik und den Koboldkönig immer tiefer in ihrem Herzen und widmete sich anderen Dingen. Als jedoch eines Tages ein unheimlicher, gut aussehender Fremder auftaucht und Liesls Schwester Käthe mit sich nimmt, kommt alles wieder hoch. Um ihre Schwester zu retten, folgt sie dem schrecklichen wie faszinierenden Erlkönig in die Unterwelt um ein Versprechen zu erfüllen, das sie ihm vor langer Zeit gegeben hat. Das Versprechen ganz ihm zu gehören, für die Ewigkeit...


"Elisabeth." Die Art, wie er meinen Namen aussprach ließ mein Herz flattern. "Willst du mich heiraten?"


Diese "alte-Sage-trifft-auf-Jugendbuch-Geschichte" wird durch eines ganz besonders gemacht: der Liebe zur Musik, die jede Seite verströmt. Die tönend bewegten Formen, die sich vor allem auf die zwei Instrumente Klavier und Geige konzentrieren sind Mittelpunkt des Stückes. Bald wird klar, dass der Titel "WinterSONG" wörtlich zu nehmen ist. Durch den sehr blumigen, teilweise sogar lyrisch und poetisch anklingenden Schreibstil wird die klassische Musik Vivaldis, Haydns, Mozarts und nicht zuletzt Elisabeths selbst, auf wundervolle Art und Weise magisch und erlebbar gemacht. Trotz des ausführlichen Glossars an musikalischen Fachbegriffen am Ende des Buches sollte man jedoch ein wenig eigene Begeisterung für die Musik mitbringen, um Liesls Leidenschaft nachvollziehen zu können und sich nicht an den Beschreibungen über das Komponieren und das Spielen von Werken zu stören. Ich bin selbst ein riesiger Fan von Musik, egal ob im klassischen Bereich, oder im eher moderneren Pop und Rock (ich bevorzuge eher Rock) und konnte daher alles fühlen, was Elisabeth so berührend aus ihrer Perspektive schildert. Um meinen Eindruck verstärken zu können, habe ich beim Lesen Vivaldis "Vier Jahreszeiten", die hier ein wichtige Rolle spielen - vor allem das zauberhafte Largo des Winters wird hier zum Schlüsselmotiv - und natürlich Franz Schuberts wundervolle Vertonung der Sage zum "Erlkönig" angehört, auf die das Buch auch eindeutig anspielt.


"Irgendwo in der Ferne erklingt eine Geige. Der Koboldkönig. Ich lege die Hände auf die Tasten und folge ihm. Weil unsere Körper uns nicht im Weg stehen, kann unser wahres Selbst emporsteigen und tanzen. Seines verschlungen, komplex und geheimnisvoll, meines unkonventionell und emotional. Dennoch passen wir irgendwie zusammen, harmonisch und komplementär. Kontrapunktisch ohne jeden Missklang. Und langsam beginne ich zu verstehen..."


Durch die wundersame, lebendige Darstellung der Musik in Kombination mit dem dunklen, geheimnisvollen Setting der Unterwelt mit der Gestalt des Erlkönigs entwickelt das Buch bald eine ganz eigene, unglaublich fesselnde Atmosphäre, die mich wie der Gesang der Loreley in ihren Bann gezogen und mitgerissen hat, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Wie S. Jae-Jones es hinbekommen hat, ungezähmte, wilde, Leidenschaft, zarten, liebevollen Gefühlen gegenüberzustellen, die Kobolde und ihren König gleichsam unheimlich wie faszinierend zu gestalten, sodass man sich wie auch Elisabeth unglaublich lebendig und tot zugleich fühlt, ist wirklich unfassbar!


"Von all meinen sterblichen Gefühlen war Hoffnung das schlimmste. All die anderen konnte ich leicht ertragen und leicht beiseiteschieben: Zorn flammte auf und brannte dann aus, Trauer hellte sich nach und nach auf und Glück schäumte auf und verschwand. Aber Hoffnung... Hoffnung war stur. Wie Unkraut kehrte sie immer wieder zurück ganz gleich, wie oft ich sie ausriss. Und Hoffnung schmerzte. Sie schmerzte, als die Kleeblüten meiner Schwester welkten und starben. Sie schmerzte, wann immer ich die Klänge von Josefs Geige hörte, die aus der oberen Welt in a-Moll meinen Namen rief.
Also versuchte ich mein bestes, die Hoffnung zu ersticken, denn ihr Zwilling war Verzweiflung und diese war unendlich schlimmer."


Abgerundet wird diese Geschichte, die eigentlich nur recht wenig Handlungskraft besitzt, durch die Charaktere, deren Entwicklung, Gefühle und Beziehung zueinander. Die junge Elisabeth ist eine sehr vielseitige Protagonistin. Auf der einen Seite ist da die gezähmte, selbstlose, konventionelle Fassade des langweiligen, reizlosen und mittelmäßigen Mädchens, auf der anderen Seite eine wilde Ungestüm, die in ihr zusammen mit der Musik wohnt und die durch ihren Koboldkönig geweckt wird. Man kann sich anfangs schlecht mit ihr identifizieren, da unklar ist, was übrig bleibt, wenn sie all ihre Fassaden vor ihren Sehnsüchten und Wünschen ablegt. Als sie es jedoch endlich schafft, sich selbst zu erfassen wird klar, warum der Erlkönig sie so sehr haben will und was er in ihr sieht: ein Mädchen mit Musik in der Seele, einer Stimme, die gehört werden will.


"Ich betrachtete mein Königreich. Chaos. Grausamkeit. Hemmungslosigkeit. Ich hatte mich immer zurückgehalten, war immer züchtig gewesen. Doch jetzt wollte ich größer sein, heller, besser; ich wollte kapriziös sein, boshaft und verschlagen. (...) Ich war übersehen und ignoriert worden - die unscheinbare, triste, praktische, tatenlose Schwester. Hier in der Unterwelt jedoch war ich die Sonne, um die sich die Welt drehte. Liesl, das Mädchen war langweilig, schlicht und folgsam gewesen. Elisabeth, die Frau war eine Königin."


Der Koboldkönig ist jedoch der eigentliche Reiz der Geschichte. Sein Charakter ist sehr schwer zu fassen, da es auf der einen Seite den Erlkönig gibt, den dunklen Herrscher der Unterwelt, der unsterbliche Herr des Unheils, auf der anderen Seite aber der widersprüchliche und empfindsame Mann, der der Rolle dienen muss, der Krone, die ihn in der Unterwelt festhält. Die Geschichte geht nicht soweit, seinen Charakter klar zu teilen und eine Hälfte davon zu verteufeln und somit eine "Die Schöne und das Biest" - Geschichte zu machen. Beide Seiten des Koboldkönigs haben ihre Daseinsberechtigung, gehören zu seinem Charakter und Elisabeth liebt auch das Monster in ihm, wie er ihre Hässlichkeit liebt. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Buch also von den vorgegebenen Mustern an Liebesromanen: er darf als Monster erscheinen, aber dennoch asketische, wichtigtuerische, fromme und eigenwillige Züge haben und Spiele lieben, sie darf hässlich, unvollkommen und unscheinbar sein. Zwei verlorene Gestalten, die über die Musik zusammen finden und von uralten Regeln der Magie wieder getrennt werden.


"Und dann spielen wir miteinander. Unsere Tempi passen sich einander an, unser gemeinsamer Rhythmus wird immer wilder. Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin ein wildes Geschöpf, eine Kreatur des Waldes, des Sturms und der Nacht. Ich renne durch Träume und Fantasien, durch die Geschichten meiner Kindheit, durch all das Dunkle und Unheimliche und Fremdartige und Sonderbare. Ich bin ursprünglich. Ich bestehe aus Musik und Magie und dem Erlkönig.
Ich bin verloren."


Das Ende ist voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit. Kein schönes Ende, aber akzeptabel, da noch ein weiterer Teil erscheinen soll, wie ich hörte.
Eindeutig mein Highlight des Winters 2017!!!



Fazit:


Eine Geschichte über zwei verlorene Gestalten, die über die Musik zusammen finden und von uralten Regeln der Magie wieder getrennt werden mit einer eigenen Stimme, unglaubliche Kraft, Poesie, Musik und Wildheit. Die vielen widersprüchlichen Gefühle wie Liebe, Dunkelheit, Schmerz und nicht zuletzt der poetische Stil der Autorin machen das Buch zu einem absoluten Must-Read und meinem Highlight des Winters 2017!

Veröffentlicht am 26.11.2017

"Einfach weiter schwimmen!"

Nur noch ein einziges Mal
3

Allgemeines:

Titel: Nur noch ein einziges Mal
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740302
ISBN-13: 978-3423740302
ASIN: B074P5TWCX
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Nur noch ein einziges Mal
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740302
ISBN-13: 978-3423740302
ASIN: B074P5TWCX
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Seitenzahl: 416 Seiten
Preis: 14,95€ (Broschiert)
10,99€ (Kindle-Edition)
Originaltitel: It Ends With Us



Inhalt:

Eine Achterbahn der Gefühle

Als Lily Ryle kennenlernt, scheinen all ihre Träume wahr zu werden: eine neue Stadt, der erste Job und dann noch Ryle – überaus attraktiv, überaus wohlhabend und überaus erfolgreich. Vergessen scheint Lilys schwierige Kindheit. Vergessen auch Atlas, ihre erste Liebe, der gegenüber von Lily squattete – bis ihr Vater die beiden erwischte und Atlas von heute auf morgen verschwand. Und dann steht Atlas auf einmal vor ihr. Als Ryle von ihrer gemeinsamen Vorgeschichte erfährt, weckt dies seine Eifersucht …


Bewertung:

Diese Rezension möchte ich mal ausnahmsweise mit den Worten einer Autorin beginnen. Colleen Hoover schreibt im Nachwort zum Roman:

"Früher habe ich immer behauptet, ich würde Bücher schreiben, um meine Leser zu unterhalten, nicht um irgendeine Botschaft weiterzugeben oder andere von meiner Meinung zu irgendeinem Thema zu überzeugen. Bei diesem Buch war das anders."

Und das tut es, es vermittelt wirklich eine Botschaft, die gleichermaßen herzzerreißend wie wichtig ist. Wenn ihr das genaue Thema noch nicht kennt, mit dem sich das Buch auseinandersetzt, dann hört genau an dieser Stelle mit dem Lesen meiner Rezension auf und lasst die Handlung einfach auf euch zu kommen. Verliebt euch Hals über Kopf in die Charaktere und erlebt die leidenschaftliche Liebesgeschichte mit all ihrer Kraft.
Seid aber gewarnt: Diese Geschichte wird euch am Ende das Herz brechen!

Als ich mir überlegt habe, wie genau ich dieses Buch nun bewerten soll, ist mir aufgefallen, dass ich bisher keinem einzigen Colleen Hoover Buch volle 5 Sterne verteilt habe, da ich finde, dass ein 5 Sterne Buch immer noch eine richtige Botschaft vermitteln muss. Das Genre Young Adult tut sich damit immer etwas schwer, wie ich finde. Die Charaktere haben immer schrecklich berührende Probleme, die Dramatik ufert aus, doch dadurch wirkt die Handlung recht fiktional und weit weg, auch wenn man die Gefühle der Protagonisten hautnah erleben kann.
Hier ist das ganz anders. Die Geschichte hat eine schwer zu beschreibende realistische Bodenständigkeit, die mich viel mehr berühren konnte, als alle ihre vorangegangenen Bücher. In meinen Augen ist "Nur noch ein einziges Mal" ihr bisher stärkstes, intensivstes und auch ihr persönlichstes Werk und ich habe wirklich jedes ihrer Bücher gelesen!


Erster Satz: "Ich sitze auf der gemauerten Brüstung einer Dachterrasse, blicke zwölf Stockwerke tief auf Boston hinunter und denke an Selbstmord."


Doch erstmal zum Cover: Dazu ein riesiges Hoch auf die Coverdesigner, die endlich mein stummes Flehen erhört haben, aus den Erfolgen der Originaltitel zu lernen und gefälligst wenigstens die dort präsentierten Hauptmotive beizubehalten. In dies Fall wäre es der zerschlagene Orchideenzweig, der sich sowohl auf dem amerikanischen Original (rechts) als auch auf der deutschen Übersetzung (links) wiederfinden lässt. Da das Cover ansonsten schlicht weiß gehalten ist und das typische dtv-meets-Colleen-Hoover- Design aufweist, gefällt es mir sogar fast besser als das Original. Die rote Schrift ist sehr groß, wirkt fast schon aufdringlich und präsentiert den erstmal nichtssagenden Titel neben der Orchidee auf eine ganz eindringliche Art und Weise, die mir erst nach dem Lesen des Buches aufgefallen ist. Auch beim Titel teilen sich die beiden Ausgaben meine Zustimmung. Der englische Titel hat dabei ein kleines Bisschen die Nase vorn, da er schon das hoffnungsvolle Ende vorausdeutet, während der deutsche Titel den tragisch traurigen Zwiespalt porträtiert, in dem Lily steckt. Der Entscheidung, seinem Herzen vor dem Verstand den Vortritt zu lassen und zu verzeihen, wo es nichts mehr zu verzeihen gibt, eine neue Chance zu geben, wo es eigentlich schon zu spät ist und sich einzureden, dass man das "nur noch ein einziges Mal" tolerieren würde...


"Oft erscheint es einfacher, den gewohnten Weg weiterzugehen, auch wenn er dornig ist, als sich der Angst zu stellen, ins Unbekannte zu springen, ohne zu wissen, ob man auf den Füßen landen wird."


Denn um genau diesen Zwiespalt dreht sich das ganze Buch. Lily und Ryle lernen sich auf einer Dachterrasse kennen, nachdem sie beide einen schweren Tag hinter sich hatten. Trotz dass sie sich noch nie zuvor begegnet sind, fühlen sich die beiden sofort zueinander hingezogen und beschließen, sich gegenseitig zu helfen, in dem sie sich "nackte Wahrheiten" erzählen und im Glauben, dass sie sich sowieso nie mehr wiedersehen, über ihre gnadenlosen Wahrheit hinwegkommen können. Nach dieser einen wundersamen, seltsamen aber doch eindrucksvollen Begegnung sehen sie sich lange Zeit nicht wieder, müssen aber ständig aneinander denken. Die Monate vergehen und es kommt wie es kommen musste - sie treffen sich zufällig wieder und es scheint, als ob das Schicksal sie unbedingt zusammenbringen will. Obwohl sie so unterschiedlich zu seien schienen, merken sie doch das sie perfekt für den anderen zu sein scheinen und können sich nicht voneinander fernhalten.


"Vielleicht muss man sich die Liebe nicht als einen Kreis vorstellen, der sich schließt, sondern als an- und abschwellende Welle, genau wie die Menschen, denen man im Laufe eines Lebens begegnet. (...) Manchmal gerät man ganz unerwartet in eine Welle, deren Sog einen mit sich reißt. Ryle ist diese Welle für mich und jetzt gleite ich auf ihrer schimmernden Oberfläche entlang."


Doch gerade, als die beiden endlich zusammenfinden können, entdeckt Lily mehr und mehr Seiten von Ryle, die sie so nie erwartet hätte. Als dann auch noch Lilys Jugendliebe Atlas wieder in ihrem Leben auftaucht, eskaliert die Situation immer mehr, da Lily Ryle von einer Seite zu sehen bekommt, die sie nie wieder an einer Person sehen wollte. Nun steht sie selbst plötzlich vor einer Entscheidung, für die sie ihre Mutter immer verachtet hat und muss für sich selbst herausfinden, wie weit sie für das Gelübde "in guten wie in schlechten Zeiten" gehen will. So wird die Erfüllung ihres größten Traumes bald zu einem Albtraum...


"Menschen tun manchmal Dinge, die schlimm sind. Aber was den Charakter eines Menschen ausmacht, sind nicht die Fehler, die er begeht, sondern wie er sich anschließend verhält. Ob er daraus lernt, statt sich herauszureden. (...) "Lily." Er streicht mit seinem Daumen über meinen. "Ich liebe dich." Ich fühle seien Worte mit jeder Zelle meines Körpers. Und als ich "Ich liebe dich auch" flüstere, ist das die nackteste Wahrheit, die ich jemals ausgesprochen habe."


Alles was über den offiziellen Klapptext und meine schon recht eindeutige Zusammenfassung herausgeht ist ein schrecklicher Spoiler. Wer also bis jetzt immer noch ahnungslos weiterliest. Aufhören!
Es geht um Häusliche Gewalt. Ganz direkt, ungeschönt und in all der nötigen Kontroverse ist hier eine Geschichte gezeichnet, die auf der einen Seite schön und voller Liebe war, auf der anderen aber viel Hass und Gewalt verbarg. Gleich im Vorwort der Autorin wird klar, dass auch sie schon Kontakt mit diesem Thema hatte, was auch erklärt, wie die Autorin es so treffend schafft, dass man als Leser Verständnis für all ihre Protagonisten entwickelt. Als Außenstehender kann man leicht urteilen und nicht nachvollziehen, warum 85% aller Frauen ihre prügelnden Männer nicht auf der Stelle verlassen, genauso wenig wie man verstehen kann, wie man als Mann seine Frau gleichzeitig so lieben und hassen kann. Diese Geschichte will nicht Paradebespiel für dieses Thema sein, sie will einfach nur Verständnis dafür schaffen, wie schwierig es ist, jemandem nicht zu verzeihen, den man liebt und dazu aufzurufen, seine eigenen Grenzen abzustecken und nicht verschieben zu lassen!


"Du hattest so Recht."
"Womit?"
Er küsst mich noch mal. "Du hast mich gewarnt, dass ich dich nicht mehr vergessen würde, wenn ich dich einmal gehabt hätte, weil du wie eine Droge wärst. Aber du hast mir nicht gesagt, dass du die stärkste Droge bist, die es gibt. Eine, nach der man sofort süchtig wird."



Ein wichtiger Teil, der zum gelingen dieser Botschaft beigetragen hat, sind die Charaktere. Colleen Hoover versteht es wie keine andere Autorin, Gefühle darzustellen, sie auf authentische Charaktere zu übertragen und uns damit zu berühren. Ihre Hauptprotagonistin Lily Bloom wird deshalb der Leidenskumpane des Lesers, der sich genau wie sie durch all diese verwirrenden und gegensätzlichen Gefühle hindurchkämpfen muss. Man lernt die junge Lily als starke, selbstbewusste Frau kennen, die für sich und für andere einsteht und sich ihren Traum verwirklicht, als sie einen eigenen Blumenladen in Boston aufmacht. Von ihrer schweren Kindheit mit ihrem prügelnden Vater geprägt, ist sie sich sicher, niemals wie ihre schwache Mutter bei einem gewalttätigen Mann bleiben zu würden. Als sie aber selbst in eine ähnliche Situation kommt und Ryle in einem ersten Streit die Hand ausrutscht, gerät alles, was sie über sich selbst und ihre Vergangenheit gedacht hat, ins Wanken.
Und sie bemerkt, dass sich die unbändige Liebe zu einem Mann, der einen auf Händen trägt, auch wenn ihm Affekt mal die Hand ausrutscht, nicht so leicht abstellen lässt. Nun steht sie vor derselben Entscheidung wie ihre Mutter. Soll sie ihn verlassen, oder ihm noch weitere Chancen geben?


"Womöglich kann man sich nie ganz von einem Menschen lösen, den man einmal wirklich geliebt hat."


Als wir Ryle zum ersten Mal kennenlernten, wirkte er auf mich irgendwie seltsam arrogant und war mir mit seiner direkten Art irgendwie suspekt. Während wir ihn zusammen mit Lily näher kennenlernen, wird ein Bild von ihm gezeichnet, das fast schon zu perfekt ist um wahr sein zu können: gutaussehend, Neurochirurg, ehrgeizig, wohlhabend, eine nette Familie, charmant, reich, einfühlsam,... In ihm steckt so viel Liebenswertes und Gutes, aber leider auch einiges, was man nicht tolerieren kann: Jähzorn, Gewalttätigkeit, Eifersucht. Als er das Gefühl hat, Lily betrüge ihn mit ihrer Jugendliebe Atlas, kommen diese Eigenschaften hervor und Lily muss entscheiden, ob ihr die schlechten oder die guten Eigenschaften wichtiger sind.


"Ich gehe auf ihn zu, greife nach seinen Händen und sage ihm nichts als die nackte Wahrheit. "Weißt du noch, was du damals auf der Dachterrasse zu mir gesagt hast. Du hast gesagt: So etwas wie schlechte Menschen gibt es nicht. Wir sind alle bloß Menschen, die manchmal schlechte Dinge tun." Er nickt und drückt meine Hände. "Du bist kein schlechter Mensch, Ryle."


Dieser Konflikt bleibt nicht nur der innere Zwiespalt der Charaktere - man spürt als Leser all die Liebe, die die beiden füreinander empfinden trotz der Vorkommnisse, den Schmerz, den sie sich gegenseitig zufügen, ohne es zu wollen. All das wird durch den wunderbaren Schreibstil wirklich super rübergebracht. Und vor allem die Zerrissenheit Lilys, die sie spürt während sie Ryles Verhalten auf der einen Seite verurteilt, es aber vor sich selbst zu rechtfertigen versucht. Ich habe mich selbst ständig dabei erwischt, wie ich Lilys Verhaltensweise nachahmte und dachte "ach ja, der arme Kerl hatte eine schwierige Vergangenheit und konnte sich einmal nicht beherrschen, ist ja nicht so schlimm, es tut ihm ja leid und er hat versprochen, es nie wieder zu tun...". Man bekommt auch Ryles Schmerz gut präsentiert, seine Reue und sein Selbsthass. Er möchte nicht das Ungeheuer sein, er möchte Lily vor den Ungeheuern beschützen. Das merkt man ihm eindeutig an, aber ist das genug?
Lilys Zerrissenheit wurde zu meiner Zerrissenheit, ihre inneren Konflikte wurden zu meinen. Ich habe ihre Liebe gespürt, ihren Hass und alles dazwischen, bis mir irgendwann gekommen ist: "nein, das ist absolut nicht genug. Es ist nicht in Ordnung, dass er manchmal Ausrutscher hat. Das ist häusliche Gewalt und sie hat das Recht und sogar die Pflicht sich zu wehren". Durch den ganzen Schmerz, der sich direkt in mein Herz gebohrt hat, kann man als Leser an dem Erkenntnisgewinn Lilys teilhaben und die Botschaft hinter der Geschichte gut verstehen.


"Es fühlt sich an, als wäre Ryle gestorben. Ich kann die Traurigkeit in mir mit Worten gar nicht beschreiben, so unermesslich groß ist sie. Es ist, als wäre ich eine einzige offene Wunde. Ich habe meinen engsten Freund verloren, meinen Geliebten, den Mann, mit dem ich mein Leben verbringen wollte, meinen Anker. Aber es gibt einen Unterschied. Da ist noch ein anderes Gefühl in mir, das normalerweise nicht zur Trauer gehört.
Hass!"



Es gab viele Stellen, an denen ich nicht wollte, dass das, was da gerade geschah, wirklich passierte, an denen ich mit einer Heftigkeit, die ich selten beim Lesen erlebt habe, wollte, dass Colleen Hoover die Geschichte anders gestaltet. Dass die Charaktere nicht so handeln, wie sie gehandelt haben. Das sich das Leben zweier Menschen nicht durch die Tat eines Momentes so drastisch - und auch unwiderruflich - ändert. Ich habe „Nur noch ein einziges Mal“ geliebt, weil ich es gleichzeitig gehasst habe. Und genau das macht diese unglaublich gute Konstruktion, wirklich aus!

Nach langem Nachdenken hab ich dann doch noch einen Kritikpunkt gefunden, über den ich mich noch kurz beschweren möchte: der zweite Handlungsstrang um Lilys Jugendliebe Atlas Corrigan, der gerade zu Beginn des Buches sehr ausführlich beleuchtet wurde, geht im letzten Drittel sehr unter und verläuft vor dem Epilog fast im Nichts. Durch Tagebucheinträge der 15jährigen Lily in Form von Briefen an die US-amerikanische Schauspielerin, Moderatorin, Komikerin, Autorin aber vor allem Showmasterin Ellen DeGeneres erfahren wir neben dem eigentlichen Plot rund um Lily und Ryle, auch über Lilys Vergangenheit mit Atlas eine ganze Menge. Diese steten Einschübe aus der Vergangenheit werden so auf sehr interessante Art und Weise präsentiert, sodass der Handlung ein zusätzlicher roter Faden verliehen wird, der dem Leser hilft, sich zu orientieren, wenn die eigentliche Handlung Zeitsprünge von mehreren Monaten vollführt.


"Manchmal muss man das, was einem am meisten am Herzen liegt, am weitesten wegschieben, weil es gleichzeitig das ist, was einem am meisten wehtut."


Als sie Atlas, den sie seit einem traumatischen Erlebnis in der Vergangenheit nicht mehr gesehen hat, plötzlich in einem Restaurant in Boston wiedersieht, beginnt sie, ihre alten Tagebücher noch einmal durchzulesen, sodass wir als Leser Atlas schon kennen, als er erneut in ihr Leben tritt. Dem Handlungsstrang rund um diese verbotene Liebe aus ihrer Jugend, haftet eine gewisse Tragik und Melancholie an, weshalb er mir sehr gut gefallen hat. Als Jugendlicher wohnte Atlas in einem verlassenen Haus neben Lily, nachdem er von seinen Eltern herausgeworfen wurde. Lily hilft ihm, über die Runden zu kommen und rettet ihn somit nicht nur rein physisch sondern vor allem psychisch vor dem Abgrund. Zusammen sehen sie sich die Shows von Ellen DeGeneres an und lieben den Film "Findet Nemo". Dories Aufmunterung an Marlin "Einfach schwimmen", also einfach weiterzumachen, um allem Schlechten zu entgehen, wird ihr Insider. Als sie sich schließlich wieder begegnen, ist es Lily, die seine Hilfe braucht und er hilft ihr dabei, "einfach weiter zu schwimmen". Das fand ich in der Gesamtheit ein einfach wunderbarer Handlungsstrang, sodass ich von Anfang an für Atlas war, der viel sanftmütiger, zäher und vor allem einfühlsamer ist, als Kyle. Er würde Lily niemals wehtun und sie vor allen Übeln der Welt beschützen. Dass er zeitweise zu wenig Raum geboten bekommt, ist verständlich, da die Autorin mit ihrer Haupthandlung schon einen ganz schönen Brocken fabriziert hat, vor allem am Ende hätte ich mir aber dann doch eine etwas schleichender Entwicklung gewünscht.

"Ja, ich weine. Aber bald werde ich mich besser fühlen. So ist das nun mal mit Menschen und ihren Gefühlen. Eine alte, schlecht vernarbte Wunde muss aufgerissen werden, damit sie richtig verheilen kann."


Ansonsten bleibt die Geschichte bis zum Ende spannend, da man schlecht einschätzen kann, wie Lily sich entscheiden wird. Einige schicksalhaften Umstände, die außerdem auf sie zukommen (die die das Buch gelesen haben, wissen welche Umstände ich meine und können bestimmt nachvollziehen, dass ich durch diese wunderschönen Schilderungen etwas abgelenkt war... ) zeihen das Ende nochmal dramatisch in die Länge, bis der Prolog endlich das Happy End bringt und uns von unseren grausamen Seelenqualen erlöst. Als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun - eine einmalige Achterbahn der Emotionen!

Um die Botschaft, von der ich die ganze Zeit geredet habe, noch einmal klar blau auf weiß abgedruckt zu haben, hier noch das Ende von Lilys letztem Brief an Ellen DeGeneres, welches gleichzeitig mein Lieblingszitat darstellt:

"Ich denke an die Menschen, die vor mir in dieser Situation waren. An die, die nach mir in diese Situation kommen werden. Wiederholen wir alle, nachdem wir durch die Hand des geliebten Menschen Gewalt erfahren mussten, die immer gleichen Worte in unserem Kopf? "In guten wie in schlechten Zeiten, in Reichtum und in Armut, in Gesundheit wie in Krankheit , bis dass der Tod uns scheidet"?
Vielleicht ist es an der Zeit, uns klarzumachen, dass man dieses Gelübde nicht wörtlich nehmen muss. In guten wie in schlechten Zeiten.
Scheiß drauf, verdammt.
Deine Lily."



Fazit:


Meine nackte Wahrheit: Ich liebe (liebe liebe) dieses Buch und hasse (hasse hasse) es zugleich! Wirklich unglaublich!

Veröffentlicht am 26.11.2017

"Einfach weiter schwimmen!"

Nur noch ein einziges Mal
0

Allgemeines:

Titel: Nur noch ein einziges Mal
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740302
ISBN-13: 978-3423740302
ASIN: B074P5TWCX
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Nur noch ein einziges Mal
Autor: Colleen Hoover
Verlag: dtv (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3423740302
ISBN-13: 978-3423740302
ASIN: B074P5TWCX
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Seitenzahl: 416 Seiten
Preis: 14,95€ (Broschiert)
10,99€ (Kindle-Edition)
Originaltitel: It Ends With Us



Inhalt:

Eine Achterbahn der Gefühle

Als Lily Ryle kennenlernt, scheinen all ihre Träume wahr zu werden: eine neue Stadt, der erste Job und dann noch Ryle – überaus attraktiv, überaus wohlhabend und überaus erfolgreich. Vergessen scheint Lilys schwierige Kindheit. Vergessen auch Atlas, ihre erste Liebe, der gegenüber von Lily squattete – bis ihr Vater die beiden erwischte und Atlas von heute auf morgen verschwand. Und dann steht Atlas auf einmal vor ihr. Als Ryle von ihrer gemeinsamen Vorgeschichte erfährt, weckt dies seine Eifersucht …


Bewertung:

Diese Rezension möchte ich mal ausnahmsweise mit den Worten einer Autorin beginnen. Colleen Hoover schreibt im Nachwort zum Roman:

"Früher habe ich immer behauptet, ich würde Bücher schreiben, um meine Leser zu unterhalten, nicht um irgendeine Botschaft weiterzugeben oder andere von meiner Meinung zu irgendeinem Thema zu überzeugen. Bei diesem Buch war das anders."

Und das tut es, es vermittelt wirklich eine Botschaft, die gleichermaßen herzzerreißend wie wichtig ist. Wenn ihr das genaue Thema noch nicht kennt, mit dem sich das Buch auseinandersetzt, dann hört genau an dieser Stelle mit dem Lesen meiner Rezension auf und lasst die Handlung einfach auf euch zu kommen. Verliebt euch Hals über Kopf in die Charaktere und erlebt die leidenschaftliche Liebesgeschichte mit all ihrer Kraft.
Seid aber gewarnt: Diese Geschichte wird euch am Ende das Herz brechen!

Als ich mir überlegt habe, wie genau ich dieses Buch nun bewerten soll, ist mir aufgefallen, dass ich bisher keinem einzigen Colleen Hoover Buch volle 5 Sterne verteilt habe, da ich finde, dass ein 5 Sterne Buch immer noch eine richtige Botschaft vermitteln muss. Das Genre Young Adult tut sich damit immer etwas schwer, wie ich finde. Die Charaktere haben immer schrecklich berührende Probleme, die Dramatik ufert aus, doch dadurch wirkt die Handlung recht fiktional und weit weg, auch wenn man die Gefühle der Protagonisten hautnah erleben kann.
Hier ist das ganz anders. Die Geschichte hat eine schwer zu beschreibende realistische Bodenständigkeit, die mich viel mehr berühren konnte, als alle ihre vorangegangenen Bücher. In meinen Augen ist "Nur noch ein einziges Mal" ihr bisher stärkstes, intensivstes und auch ihr persönlichstes Werk und ich habe wirklich jedes ihrer Bücher gelesen!


Erster Satz: "Ich sitze auf der gemauerten Brüstung einer Dachterrasse, blicke zwölf Stockwerke tief auf Boston hinunter und denke an Selbstmord."


Doch erstmal zum Cover: Dazu ein riesiges Hoch auf die Coverdesigner, die endlich mein stummes Flehen erhört haben, aus den Erfolgen der Originaltitel zu lernen und gefälligst wenigstens die dort präsentierten Hauptmotive beizubehalten. In dies Fall wäre es der zerschlagene Orchideenzweig, der sich sowohl auf dem amerikanischen Original (rechts) als auch auf der deutschen Übersetzung (links) wiederfinden lässt. Da das Cover ansonsten schlicht weiß gehalten ist und das typische dtv-meets-Colleen-Hoover- Design aufweist, gefällt es mir sogar fast besser als das Original. Die rote Schrift ist sehr groß, wirkt fast schon aufdringlich und präsentiert den erstmal nichtssagenden Titel neben der Orchidee auf eine ganz eindringliche Art und Weise, die mir erst nach dem Lesen des Buches aufgefallen ist. Auch beim Titel teilen sich die beiden Ausgaben meine Zustimmung. Der englische Titel hat dabei ein kleines Bisschen die Nase vorn, da er schon das hoffnungsvolle Ende vorausdeutet, während der deutsche Titel den tragisch traurigen Zwiespalt porträtiert, in dem Lily steckt. Der Entscheidung, seinem Herzen vor dem Verstand den Vortritt zu lassen und zu verzeihen, wo es nichts mehr zu verzeihen gibt, eine neue Chance zu geben, wo es eigentlich schon zu spät ist und sich einzureden, dass man das "nur noch ein einziges Mal" tolerieren würde...


"Oft erscheint es einfacher, den gewohnten Weg weiterzugehen, auch wenn er dornig ist, als sich der Angst zu stellen, ins Unbekannte zu springen, ohne zu wissen, ob man auf den Füßen landen wird."


Denn um genau diesen Zwiespalt dreht sich das ganze Buch. Lily und Ryle lernen sich auf einer Dachterrasse kennen, nachdem sie beide einen schweren Tag hinter sich hatten. Trotz dass sie sich noch nie zuvor begegnet sind, fühlen sich die beiden sofort zueinander hingezogen und beschließen, sich gegenseitig zu helfen, in dem sie sich "nackte Wahrheiten" erzählen und im Glauben, dass sie sich sowieso nie mehr wiedersehen, über ihre gnadenlosen Wahrheit hinwegkommen können. Nach dieser einen wundersamen, seltsamen aber doch eindrucksvollen Begegnung sehen sie sich lange Zeit nicht wieder, müssen aber ständig aneinander denken. Die Monate vergehen und es kommt wie es kommen musste - sie treffen sich zufällig wieder und es scheint, als ob das Schicksal sie unbedingt zusammenbringen will. Obwohl sie so unterschiedlich zu seien schienen, merken sie doch das sie perfekt für den anderen zu sein scheinen und können sich nicht voneinander fernhalten.


"Vielleicht muss man sich die Liebe nicht als einen Kreis vorstellen, der sich schließt, sondern als an- und abschwellende Welle, genau wie die Menschen, denen man im Laufe eines Lebens begegnet. (...) Manchmal gerät man ganz unerwartet in eine Welle, deren Sog einen mit sich reißt. Ryle ist diese Welle für mich und jetzt gleite ich auf ihrer schimmernden Oberfläche entlang."


Doch gerade, als die beiden endlich zusammenfinden können, entdeckt Lily mehr und mehr Seiten von Ryle, die sie so nie erwartet hätte. Als dann auch noch Lilys Jugendliebe Atlas wieder in ihrem Leben auftaucht, eskaliert die Situation immer mehr, da Lily Ryle von einer Seite zu sehen bekommt, die sie nie wieder an einer Person sehen wollte. Nun steht sie selbst plötzlich vor einer Entscheidung, für die sie ihre Mutter immer verachtet hat und muss für sich selbst herausfinden, wie weit sie für das Gelübde "in guten wie in schlechten Zeiten" gehen will. So wird die Erfüllung ihres größten Traumes bald zu einem Albtraum...


"Menschen tun manchmal Dinge, die schlimm sind. Aber was den Charakter eines Menschen ausmacht, sind nicht die Fehler, die er begeht, sondern wie er sich anschließend verhält. Ob er daraus lernt, statt sich herauszureden. (...) "Lily." Er streicht mit seinem Daumen über meinen. "Ich liebe dich." Ich fühle seien Worte mit jeder Zelle meines Körpers. Und als ich "Ich liebe dich auch" flüstere, ist das die nackteste Wahrheit, die ich jemals ausgesprochen habe."


Alles was über den offiziellen Klapptext und meine schon recht eindeutige Zusammenfassung herausgeht ist ein schrecklicher Spoiler. Wer also bis jetzt immer noch ahnungslos weiterliest. Aufhören!
Es geht um Häusliche Gewalt. Ganz direkt, ungeschönt und in all der nötigen Kontroverse ist hier eine Geschichte gezeichnet, die auf der einen Seite schön und voller Liebe war, auf der anderen aber viel Hass und Gewalt verbarg. Gleich im Vorwort der Autorin wird klar, dass auch sie schon Kontakt mit diesem Thema hatte, was auch erklärt, wie die Autorin es so treffend schafft, dass man als Leser Verständnis für all ihre Protagonisten entwickelt. Als Außenstehender kann man leicht urteilen und nicht nachvollziehen, warum 85% aller Frauen ihre prügelnden Männer nicht auf der Stelle verlassen, genauso wenig wie man verstehen kann, wie man als Mann seine Frau gleichzeitig so lieben und hassen kann. Diese Geschichte will nicht Paradebespiel für dieses Thema sein, sie will einfach nur Verständnis dafür schaffen, wie schwierig es ist, jemandem nicht zu verzeihen, den man liebt und dazu aufzurufen, seine eigenen Grenzen abzustecken und nicht verschieben zu lassen!


"Du hattest so Recht."
"Womit?"
Er küsst mich noch mal. "Du hast mich gewarnt, dass ich dich nicht mehr vergessen würde, wenn ich dich einmal gehabt hätte, weil du wie eine Droge wärst. Aber du hast mir nicht gesagt, dass du die stärkste Droge bist, die es gibt. Eine, nach der man sofort süchtig wird."



Ein wichtiger Teil, der zum gelingen dieser Botschaft beigetragen hat, sind die Charaktere. Colleen Hoover versteht es wie keine andere Autorin, Gefühle darzustellen, sie auf authentische Charaktere zu übertragen und uns damit zu berühren. Ihre Hauptprotagonistin Lily Bloom wird deshalb der Leidenskumpane des Lesers, der sich genau wie sie durch all diese verwirrenden und gegensätzlichen Gefühle hindurchkämpfen muss. Man lernt die junge Lily als starke, selbstbewusste Frau kennen, die für sich und für andere einsteht und sich ihren Traum verwirklicht, als sie einen eigenen Blumenladen in Boston aufmacht. Von ihrer schweren Kindheit mit ihrem prügelnden Vater geprägt, ist sie sich sicher, niemals wie ihre schwache Mutter bei einem gewalttätigen Mann bleiben zu würden. Als sie aber selbst in eine ähnliche Situation kommt und Ryle in einem ersten Streit die Hand ausrutscht, gerät alles, was sie über sich selbst und ihre Vergangenheit gedacht hat, ins Wanken.
Und sie bemerkt, dass sich die unbändige Liebe zu einem Mann, der einen auf Händen trägt, auch wenn ihm Affekt mal die Hand ausrutscht, nicht so leicht abstellen lässt. Nun steht sie vor derselben Entscheidung wie ihre Mutter. Soll sie ihn verlassen, oder ihm noch weitere Chancen geben?


"Womöglich kann man sich nie ganz von einem Menschen lösen, den man einmal wirklich geliebt hat."


Als wir Ryle zum ersten Mal kennenlernten, wirkte er auf mich irgendwie seltsam arrogant und war mir mit seiner direkten Art irgendwie suspekt. Während wir ihn zusammen mit Lily näher kennenlernen, wird ein Bild von ihm gezeichnet, das fast schon zu perfekt ist um wahr sein zu können: gutaussehend, Neurochirurg, ehrgeizig, wohlhabend, eine nette Familie, charmant, reich, einfühlsam,... In ihm steckt so viel Liebenswertes und Gutes, aber leider auch einiges, was man nicht tolerieren kann: Jähzorn, Gewalttätigkeit, Eifersucht. Als er das Gefühl hat, Lily betrüge ihn mit ihrer Jugendliebe Atlas, kommen diese Eigenschaften hervor und Lily muss entscheiden, ob ihr die schlechten oder die guten Eigenschaften wichtiger sind.


"Ich gehe auf ihn zu, greife nach seinen Händen und sage ihm nichts als die nackte Wahrheit. "Weißt du noch, was du damals auf der Dachterrasse zu mir gesagt hast. Du hast gesagt: So etwas wie schlechte Menschen gibt es nicht. Wir sind alle bloß Menschen, die manchmal schlechte Dinge tun." Er nickt und drückt meine Hände. "Du bist kein schlechter Mensch, Ryle."


Dieser Konflikt bleibt nicht nur der innere Zwiespalt der Charaktere - man spürt als Leser all die Liebe, die die beiden füreinander empfinden trotz der Vorkommnisse, den Schmerz, den sie sich gegenseitig zufügen, ohne es zu wollen. All das wird durch den wunderbaren Schreibstil wirklich super rübergebracht. Und vor allem die Zerrissenheit Lilys, die sie spürt während sie Ryles Verhalten auf der einen Seite verurteilt, es aber vor sich selbst zu rechtfertigen versucht. Ich habe mich selbst ständig dabei erwischt, wie ich Lilys Verhaltensweise nachahmte und dachte "ach ja, der arme Kerl hatte eine schwierige Vergangenheit und konnte sich einmal nicht beherrschen, ist ja nicht so schlimm, es tut ihm ja leid und er hat versprochen, es nie wieder zu tun...". Man bekommt auch Ryles Schmerz gut präsentiert, seine Reue und sein Selbsthass. Er möchte nicht das Ungeheuer sein, er möchte Lily vor den Ungeheuern beschützen. Das merkt man ihm eindeutig an, aber ist das genug?
Lilys Zerrissenheit wurde zu meiner Zerrissenheit, ihre inneren Konflikte wurden zu meinen. Ich habe ihre Liebe gespürt, ihren Hass und alles dazwischen, bis mir irgendwann gekommen ist: "nein, das ist absolut nicht genug. Es ist nicht in Ordnung, dass er manchmal Ausrutscher hat. Das ist häusliche Gewalt und sie hat das Recht und sogar die Pflicht sich zu wehren". Durch den ganzen Schmerz, der sich direkt in mein Herz gebohrt hat, kann man als Leser an dem Erkenntnisgewinn Lilys teilhaben und die Botschaft hinter der Geschichte gut verstehen.


"Es fühlt sich an, als wäre Ryle gestorben. Ich kann die Traurigkeit in mir mit Worten gar nicht beschreiben, so unermesslich groß ist sie. Es ist, als wäre ich eine einzige offene Wunde. Ich habe meinen engsten Freund verloren, meinen Geliebten, den Mann, mit dem ich mein Leben verbringen wollte, meinen Anker. Aber es gibt einen Unterschied. Da ist noch ein anderes Gefühl in mir, das normalerweise nicht zur Trauer gehört.
Hass!"



Es gab viele Stellen, an denen ich nicht wollte, dass das, was da gerade geschah, wirklich passierte, an denen ich mit einer Heftigkeit, die ich selten beim Lesen erlebt habe, wollte, dass Colleen Hoover die Geschichte anders gestaltet. Dass die Charaktere nicht so handeln, wie sie gehandelt haben. Das sich das Leben zweier Menschen nicht durch die Tat eines Momentes so drastisch - und auch unwiderruflich - ändert. Ich habe „Nur noch ein einziges Mal“ geliebt, weil ich es gleichzeitig gehasst habe. Und genau das macht diese unglaublich gute Konstruktion, wirklich aus!

Nach langem Nachdenken hab ich dann doch noch einen Kritikpunkt gefunden, über den ich mich noch kurz beschweren möchte: der zweite Handlungsstrang um Lilys Jugendliebe Atlas Corrigan, der gerade zu Beginn des Buches sehr ausführlich beleuchtet wurde, geht im letzten Drittel sehr unter und verläuft vor dem Epilog fast im Nichts. Durch Tagebucheinträge der 15jährigen Lily in Form von Briefen an die US-amerikanische Schauspielerin, Moderatorin, Komikerin, Autorin aber vor allem Showmasterin Ellen DeGeneres erfahren wir neben dem eigentlichen Plot rund um Lily und Ryle, auch über Lilys Vergangenheit mit Atlas eine ganze Menge. Diese steten Einschübe aus der Vergangenheit werden so auf sehr interessante Art und Weise präsentiert, sodass der Handlung ein zusätzlicher roter Faden verliehen wird, der dem Leser hilft, sich zu orientieren, wenn die eigentliche Handlung Zeitsprünge von mehreren Monaten vollführt.


"Manchmal muss man das, was einem am meisten am Herzen liegt, am weitesten wegschieben, weil es gleichzeitig das ist, was einem am meisten wehtut."


Als sie Atlas, den sie seit einem traumatischen Erlebnis in der Vergangenheit nicht mehr gesehen hat, plötzlich in einem Restaurant in Boston wiedersieht, beginnt sie, ihre alten Tagebücher noch einmal durchzulesen, sodass wir als Leser Atlas schon kennen, als er erneut in ihr Leben tritt. Dem Handlungsstrang rund um diese verbotene Liebe aus ihrer Jugend, haftet eine gewisse Tragik und Melancholie an, weshalb er mir sehr gut gefallen hat. Als Jugendlicher wohnte Atlas in einem verlassenen Haus neben Lily, nachdem er von seinen Eltern herausgeworfen wurde. Lily hilft ihm, über die Runden zu kommen und rettet ihn somit nicht nur rein physisch sondern vor allem psychisch vor dem Abgrund. Zusammen sehen sie sich die Shows von Ellen DeGeneres an und lieben den Film "Findet Nemo". Dories Aufmunterung an Marlin "Einfach schwimmen", also einfach weiterzumachen, um allem Schlechten zu entgehen, wird ihr Insider. Als sie sich schließlich wieder begegnen, ist es Lily, die seine Hilfe braucht und er hilft ihr dabei, "einfach weiter zu schwimmen". Das fand ich in der Gesamtheit ein einfach wunderbarer Handlungsstrang, sodass ich von Anfang an für Atlas war, der viel sanftmütiger, zäher und vor allem einfühlsamer ist, als Kyle. Er würde Lily niemals wehtun und sie vor allen Übeln der Welt beschützen. Dass er zeitweise zu wenig Raum geboten bekommt, ist verständlich, da die Autorin mit ihrer Haupthandlung schon einen ganz schönen Brocken fabriziert hat, vor allem am Ende hätte ich mir aber dann doch eine etwas schleichender Entwicklung gewünscht.

"Ja, ich weine. Aber bald werde ich mich besser fühlen. So ist das nun mal mit Menschen und ihren Gefühlen. Eine alte, schlecht vernarbte Wunde muss aufgerissen werden, damit sie richtig verheilen kann."


Ansonsten bleibt die Geschichte bis zum Ende spannend, da man schlecht einschätzen kann, wie Lily sich entscheiden wird. Einige schicksalhaften Umstände, die außerdem auf sie zukommen (die die das Buch gelesen haben, wissen welche Umstände ich meine und können bestimmt nachvollziehen, dass ich durch diese wunderschönen Schilderungen etwas abgelenkt war... ) zeihen das Ende nochmal dramatisch in die Länge, bis der Prolog endlich das Happy End bringt und uns von unseren grausamen Seelenqualen erlöst. Als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun - eine einmalige Achterbahn der Emotionen!

Um die Botschaft, von der ich die ganze Zeit geredet habe, noch einmal klar blau auf weiß abgedruckt zu haben, hier noch das Ende von Lilys letztem Brief an Ellen DeGeneres, welches gleichzeitig mein Lieblingszitat darstellt:

"Ich denke an die Menschen, die vor mir in dieser Situation waren. An die, die nach mir in diese Situation kommen werden. Wiederholen wir alle, nachdem wir durch die Hand des geliebten Menschen Gewalt erfahren mussten, die immer gleichen Worte in unserem Kopf? "In guten wie in schlechten Zeiten, in Reichtum und in Armut, in Gesundheit wie in Krankheit , bis dass der Tod uns scheidet"?
Vielleicht ist es an der Zeit, uns klarzumachen, dass man dieses Gelübde nicht wörtlich nehmen muss. In guten wie in schlechten Zeiten.
Scheiß drauf, verdammt.
Deine Lily."



Fazit:


Meine nackte Wahrheit: Ich liebe (liebe liebe) dieses Buch und hasse (hasse hasse) es zugleich! Wirklich unglaublich!

Veröffentlicht am 28.08.2017

Ich denke - selbst!

Das Monophon
0

Allgemeines:

Titel: Das Monophon
Autor: Elisabeth Zöller
Verlag: Carl Hanser Verlag (30. September 2013)
Genre: Roman
ASIN: B00F4XHNDU
ISBN-10: 3446243100
ISBN-13: 978-3446243101
Seitenzahl: 160 Seiten
Preis: ...

Allgemeines:

Titel: Das Monophon
Autor: Elisabeth Zöller
Verlag: Carl Hanser Verlag (30. September 2013)
Genre: Roman
ASIN: B00F4XHNDU
ISBN-10: 3446243100
ISBN-13: 978-3446243101
Seitenzahl: 160 Seiten
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
12,90€ (Gebundene Ausgabe)



Inhalt:

Eines Tages steht in Mathildas Stadt ein seltsamer Apparat auf dem Marktplatz: das Monophon. Angeblich soll es für Unterhaltung und Frohsinn, aber auch für Ordnung und Sauberkeit sorgen … Und da sind auch die schwarzen Wärter, die mit ihren Uniformen und ihren strengen Gesichtern schön und gruselig zugleich aussehen. In der Stadt herrscht eine ganz neue Stimmung. Es wird gesungen und getanzt zur Musik aus dem Monophon. Doch manchmal wird die Monophonstimme scharf und gibt Befehle. Ist es ein Spiel? Angst macht sich breit. Langsam wird Mathilda und ihren Freunden klar, was zu tun ist: Sie müssen das Monophon unschädlich machen.

Eine zeitlose Parabel über Faschismus und Widerstand. Poetisch, nachdenklich, klug.


Bewertung:

"Das Monophon" - Dieses Buch habe ich als Kind gelesen und nie richtig verstanden, wahrscheinlich war ich einfach noch zu klein für dessen schwierigen Inhalt, weshalb ich es vor kurzem nochmal rausgeholt und gelesen habe. Erst dann ist mir aufgefallen, was für ein wirklich tolles
Kinderbuch ich da eigentlich im Schrank stehen hatte, ohne es zu wissen.


"Es liegt etwas in der Luft. Etwas, was noch nie da war..."

Wie funktioniert Faschismus? Keine leichte Frage, selbst für einen Erwachsenen lässt es sich nicht in wenigen Sätzen erklären, dieses bedeutungsschwere Phänomen der europäischen Geschichte, wie soll man dann Kindern nahebringen, wie es zu einem solchen Terrorregime kommen kann und was es bedeutet, verfolgt zu werden? Dafür gibt es jede Menge Aufarbeitungsbücher, die sich mit dem Thema befassen, Einzelschicksale erklären und historische Begebenheiten in den Gesamtzusammenhang einordnen. An jeder Schule wird das Thema "3. Reich" einmal durchgenommen. Und doch wirkt dieses Thema schon so weit weg für uns. Viele Kinder ordnen Hitler schon in dieselbe Schublade wie zum Beispiel Napoleon - "ganz weit weg im letzten Jahrhundert". Gerade deshalb finde ich es so besonders, wie Elisabeth Zöller in ihrem Kinderbuch "Das Monophon" an dieses Thema herangeht. Sie erzählt keine historischen Ereignisse, die weit weg erscheinen, von Menschen, die leiden, sondern zeigt am Beispiel einer fiktiven Kleinstadt in einer nicht genauer definierten Gegenwart, wie schnell aus einer vielfältigen Gesellschaft ein faschistisches System werden kann. Man verfolgt das Geschehen zusammen mit den Protagonisten und kann dabei einiges lernen und nachdenken. Denn durch die alltägliche Einführung wird klar: die gezeigte Handlung könnte auch mir passieren, in meiner Stadt, alle lassen sich mitreißen und schwups lebt man in einer Gesellschaft, in der eindeutig etwas schief läuft und es zu spät ist, umzukehren. Wir erleben, wie sich die kleine Stadt, in der Mathilda lebt, Schritt für Schritt verändert und was eine Stimme ausrichten kann, wenn alle mitmachen...


Erster Satz: "Ich heiße Mathilda und sitze in meinem Baum."


Es beginnt ganz harmlos, die kleine Mathilda lebt in einer kleinen Stadt, hat Freunde, geht zur Schule und sitzt träumend in einem Baum als es passiert. Der große schwarze Kasten mit dem goldfarbenen Trichter, den sechs Männer auf den Marktplatz schieben, sieht aus wie ein überdimensionales Grammophon. Ein Monophon sei das, erklärt der Bürgermeister den erstaunten Bewohnern der kleinen Stadt. Der Name ist Programm: „Mono“ ist das griechische Wort für „eins“, „Phon“ bedeutet „Ton“, denn schon bald gibt es den Ton an. Auf den ersten Blick scheint das eine großartige Sache zu sein, denn die Melodien, die aus dem Schalltrichter aufsteigen, machen die Menschen fröhlich, lassen sie singen und tanzen. Auch Mathilda und ihre Freunde sind fasziniert, können es kaum erwarten, bis wieder die magischen Töne des Monophons durch die Straßen klingen, bewegen sich zur Musik – und sind einfach nur glücklich.

Doch eines Tages verkündet der Bürgermeister: Alle Sommersprossigen sollen sich auf dem Marktplatz versammeln. Das klingt nach einer großen Ehre – jeder wäre gern dabei. In einer feierlichen Prozession werden sie aus der Stadt geführt. Wohin, erfährt niemand. Denn sie kehren nicht zurück. Mathildas Mutter wird misstrauisch und warnt sie, sich lieber von diesem schwarzen Kasten fern zu halten. Und sie behält Recht: Als wenig später die Rothaarigen und die Stotterer ebenfalls die Stadt auf Nimmerwiedersehen verlassen, fällt es auch Mathilda zunehmend schwer, den Befehlen der Schwarzhemden zu gehorchen. In das blaue Buch, in dem sie ihre Gedanken notiert, schreibt sie: „Ich bin ein Selbstdenker, ein Selbstbestimmer!“. Dass die Interessen der Gemeinschaft nun grundsätzlich Vorrang haben sollen, bereitet ihr Unbehagen.


"Sie wollen herrschen.
Sie wollen Macht.
Sie wollen die Herren sein.
Sie nennen es Geheimnis.
Ich nenne es Terror."



Als die Forderungen des Monophons immer diffuser werden, greifen Angst und Misstrauen um sich. Wer nicht für die Entwicklung ist, ist gegen die Entwicklung und wird verstoßen. Immer mehr Menschen verschwinden, weil sie Außenseiter sind. Die Starken geben den Ton an. Mathilda bekommt immer mehr Angst und weiß nicht, was sie tun soll. Mitmachen, obwohl sie ein schlechtes Gefühl bei der Sache hat, oder sich lieber abgrenzen um dann vielleicht als Außenseiter in Gefahr zu kommen?

Erst als ihre Lehrerin ihr mit der Geschichte um David und Goliath Mut macht, weiß sie was zu tun ist: das Monophon muss weg! Zusammen mit verbliebenen Freunden und ihrer Familie schmiedet sie einen Plan, denn man kann auch als vermeintlich Schwacher erfolgreich Widerstand leisten...


"Gemeinschaft macht stark", tönt es. "Zusammen für uns." Immerzu wiederholt es diese Sätze. Kann ich denn nie mehr allein sein? Ganz für mich? Und ohne den Lärm?"


Man kann wunderbar mit nachvollziehen, was nach und nach in der Stadt passiert, kann verfolgen, wie es Mathilda und ihren Freunden geht, seit das Monophon in der Stadt steht. Aus der ich-Perspektive erzählt das junge Mädchen, was sie fühlt, während sie sich von einer Monophon-Anhängerin in eine Monophon-Gegnerin wandelt und beobachtet, wie diese Unterteilung der Menschen überhaupt zustande kommt. Die erste Faszination, die dann später mit dem
Entsetzen angesichts der wachsenden Unterdrückung kämpft, das Unbehagen, das in ihr wächst, dann die Angst, die sie lähmt und die Entschlossenheit, die sie packt, weil sie versteht, dass sie etwas ändern muss! Man sieht, wozu Menschen gebracht werden, die sich unterordnen und blind der Masse folgen. Freundschaften zerbrechen, Familien werden auseinandergerissen Mitläufer wenden sich gegen die Zweifler. All das ist so aufbereitet, dass es auch ein Kind verstehen kann und sich automatisch die Frage stellt: „Wie würde ich mich verhalten?“. Mathilda ist dabei ein gutes Vorbild - sympathisch, authentisch und gut zu verstehen. Sie tut das richtige, sieht ihre eigene Freiheit als wichtiges Gut an und kämpft um diese nicht zu verlieren. All ihre wichtigen Gedanken und Erlebnisse schreibt sie in ihr kleines blaues Büchlein. Wörter, Gedichte, kurze Geschichten - sie notiert, was sie bewegt und lässt uns daran teilhaben. Eine wirklich interessante Art und Weise, uns Leser Gefühle zu vermitteln. Ich denke nur, dass gerade die Gedichte und Bilder für Kinder sehr schwer zu verstehen sind und viele Andeutungen einfach übergangen werden.
Der Schreibstil ist zwar einfach gehalten, wird aber durch einfallsreiche Beschreibungen und die vielen Gedichte oder andere Schnörkel schön ausgeschmückt.


"Mein blaues Buch liegt vor mir, draußen jault das Monophon. Da baue ich in mein blaues Buch eine Seite mit Stille ein.
STILLE
Doch die Stille ist zu dick, zu fett, zu grell. Sie brüllt fast. Ich mache eine neue Seite:

STILLE

Die Stille ist nun auf dem Blatt. Und wenn ich sie lange anschaue, ist sie auch in mir."


Das Buch selbst zieht keine direkten Vergleiche mit vergangenen Ereignissen, sodass man das Buch als Parabel losgelöst von der Geschichte lesen kann. Es macht aber natürlich Sinn, das Buch im richtigen Zusammenhang zu besprechen. Das kann in der Schule sein, aber auch einfach zuhause. Vom Hersteller ist ein Alter von 10 bis 12 Jahren empfohlen, was ich nicht so passend finde. Zwar sind die Hauptpersonen in diesem Alter und der Stil ist auch angemessen einfach gehalten, doch um das geschriebene wirklich verstehen und darüber nachdenken zu können, muss man meines Erachtens noch ein wenig älter sein, vor allem wenn das Buch außerhalb der Schule gelesen und nicht besprochen wird. Ich war 10, als ich das Buch gelesen habe und konnte nichts damit anfangen, ich erinnere mich noch an das seltsame und beklemmende Gefühl, das nach dem Lesen übrig geblieben ist. Und das ist ja nicht der Sinn der Sache. Denn das Buch wird nicht wie so oft am Ende sehr hoffnungslos und trüb, am Ende kann in dieser Geschichte der Widerstand siegen, was Mut macht, sich gegen die Masse zu stellen und seine eigene Meinung zu vertreten. Es wird ganz eindeutig klar gemacht, wie wichtig es ist, seine Meinung frei äußern, selbst über sich, seine Zeit, seine Freunde, sein Leben bestimmen zu können, und nicht wegen eines körperlichen Merkmals oder einer anderen Meinung diskriminiert zu werden. Und das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn die Gefahr des Faschismus ist noch längst nicht gebannt und kann abgehakt in Richtung Vergangenheit kategorisiert werden, sondern ist hier und heute immer noch ein wichtiges Thema.


"Die Stille
ist zurückgekehrt.
Ich kann sie wieder hören.
Ich denke - selbst.
Ich spreche - selbst.
Ich schweige - selbst.
So bin ich."



Mit dem Cover ist dem Verlag ein Volltreffer gelungen. Mit schwarz-weißen Streifen umrahmt ist der schwarze Kasten des Monophons zusehen. Zusammen mit dem olivgrünen Trichter des Tongeräts bildet er den Mittelpunkt der Geschichte ab - im Zentrum des ansonsten weißen Covers. Mit dem großen, recht krakeligen Titel, der sich über die obere Hälfte des Bildes erstreckt ergibt dies ein hübsches und sehr stimmiges Gesamtbild. Auch innerhalb der Buchdeckel ist das Design einfach wunderbar. Die Kapitel haben einfallsreiche Namen und werden mit detailreichen Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Illustratorin Verena Ballhaus geschmückt. Darin wird in einer einfachen Strichzeichnung eine wichtige Aussage des Kapitels nochmals unterstrichen, man muss aber sehr genau nachdenken, um die Message wirklich verstehen zu können. Für Kinder stellen sie also wahrscheinlich nur ein wenig Verzierung da.


Fazit:

Ein wundervolles Kinderbuch, das aber für jedes Alter Klarheit schaffen und berühren kann. Ein Roman, der sensibilisiert und ermutigt, selbst die Stimme zu erheben.

Veröffentlicht am 28.08.2017

Ich denke - selbst!

Das Monophon
0

Allgemeines:

Titel: Das Monophon
Autor: Elisabeth Zöller
Verlag: Carl Hanser Verlag (30. September 2013)
Genre: Roman
ASIN: B00F4XHNDU
ISBN-10: 3446243100
ISBN-13: 978-3446243101
Seitenzahl: 160 Seiten
Preis: ...

Allgemeines:

Titel: Das Monophon
Autor: Elisabeth Zöller
Verlag: Carl Hanser Verlag (30. September 2013)
Genre: Roman
ASIN: B00F4XHNDU
ISBN-10: 3446243100
ISBN-13: 978-3446243101
Seitenzahl: 160 Seiten
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
12,90€ (Gebundene Ausgabe)



Inhalt:

Eines Tages steht in Mathildas Stadt ein seltsamer Apparat auf dem Marktplatz: das Monophon. Angeblich soll es für Unterhaltung und Frohsinn, aber auch für Ordnung und Sauberkeit sorgen … Und da sind auch die schwarzen Wärter, die mit ihren Uniformen und ihren strengen Gesichtern schön und gruselig zugleich aussehen. In der Stadt herrscht eine ganz neue Stimmung. Es wird gesungen und getanzt zur Musik aus dem Monophon. Doch manchmal wird die Monophonstimme scharf und gibt Befehle. Ist es ein Spiel? Angst macht sich breit. Langsam wird Mathilda und ihren Freunden klar, was zu tun ist: Sie müssen das Monophon unschädlich machen.

Eine zeitlose Parabel über Faschismus und Widerstand. Poetisch, nachdenklich, klug.


Bewertung:

"Das Monophon" - Dieses Buch habe ich als Kind gelesen und nie richtig verstanden, wahrscheinlich war ich einfach noch zu klein für dessen schwierigen Inhalt, weshalb ich es vor kurzem nochmal rausgeholt und gelesen habe. Erst dann ist mir aufgefallen, was für ein wirklich tolles
Kinderbuch ich da eigentlich im Schrank stehen hatte, ohne es zu wissen.


"Es liegt etwas in der Luft. Etwas, was noch nie da war..."

Wie funktioniert Faschismus? Keine leichte Frage, selbst für einen Erwachsenen lässt es sich nicht in wenigen Sätzen erklären, dieses bedeutungsschwere Phänomen der europäischen Geschichte, wie soll man dann Kindern nahebringen, wie es zu einem solchen Terrorregime kommen kann und was es bedeutet, verfolgt zu werden? Dafür gibt es jede Menge Aufarbeitungsbücher, die sich mit dem Thema befassen, Einzelschicksale erklären und historische Begebenheiten in den Gesamtzusammenhang einordnen. An jeder Schule wird das Thema "3. Reich" einmal durchgenommen. Und doch wirkt dieses Thema schon so weit weg für uns. Viele Kinder ordnen Hitler schon in dieselbe Schublade wie zum Beispiel Napoleon - "ganz weit weg im letzten Jahrhundert". Gerade deshalb finde ich es so besonders, wie Elisabeth Zöller in ihrem Kinderbuch "Das Monophon" an dieses Thema herangeht. Sie erzählt keine historischen Ereignisse, die weit weg erscheinen, von Menschen, die leiden, sondern zeigt am Beispiel einer fiktiven Kleinstadt in einer nicht genauer definierten Gegenwart, wie schnell aus einer vielfältigen Gesellschaft ein faschistisches System werden kann. Man verfolgt das Geschehen zusammen mit den Protagonisten und kann dabei einiges lernen und nachdenken. Denn durch die alltägliche Einführung wird klar: die gezeigte Handlung könnte auch mir passieren, in meiner Stadt, alle lassen sich mitreißen und schwups lebt man in einer Gesellschaft, in der eindeutig etwas schief läuft und es zu spät ist, umzukehren. Wir erleben, wie sich die kleine Stadt, in der Mathilda lebt, Schritt für Schritt verändert und was eine Stimme ausrichten kann, wenn alle mitmachen...


Erster Satz: "Ich heiße Mathilda und sitze in meinem Baum."


Es beginnt ganz harmlos, die kleine Mathilda lebt in einer kleinen Stadt, hat Freunde, geht zur Schule und sitzt träumend in einem Baum als es passiert. Der große schwarze Kasten mit dem goldfarbenen Trichter, den sechs Männer auf den Marktplatz schieben, sieht aus wie ein überdimensionales Grammophon. Ein Monophon sei das, erklärt der Bürgermeister den erstaunten Bewohnern der kleinen Stadt. Der Name ist Programm: „Mono“ ist das griechische Wort für „eins“, „Phon“ bedeutet „Ton“, denn schon bald gibt es den Ton an. Auf den ersten Blick scheint das eine großartige Sache zu sein, denn die Melodien, die aus dem Schalltrichter aufsteigen, machen die Menschen fröhlich, lassen sie singen und tanzen. Auch Mathilda und ihre Freunde sind fasziniert, können es kaum erwarten, bis wieder die magischen Töne des Monophons durch die Straßen klingen, bewegen sich zur Musik – und sind einfach nur glücklich.

Doch eines Tages verkündet der Bürgermeister: Alle Sommersprossigen sollen sich auf dem Marktplatz versammeln. Das klingt nach einer großen Ehre – jeder wäre gern dabei. In einer feierlichen Prozession werden sie aus der Stadt geführt. Wohin, erfährt niemand. Denn sie kehren nicht zurück. Mathildas Mutter wird misstrauisch und warnt sie, sich lieber von diesem schwarzen Kasten fern zu halten. Und sie behält Recht: Als wenig später die Rothaarigen und die Stotterer ebenfalls die Stadt auf Nimmerwiedersehen verlassen, fällt es auch Mathilda zunehmend schwer, den Befehlen der Schwarzhemden zu gehorchen. In das blaue Buch, in dem sie ihre Gedanken notiert, schreibt sie: „Ich bin ein Selbstdenker, ein Selbstbestimmer!“. Dass die Interessen der Gemeinschaft nun grundsätzlich Vorrang haben sollen, bereitet ihr Unbehagen.


"Sie wollen herrschen.
Sie wollen Macht.
Sie wollen die Herren sein.
Sie nennen es Geheimnis.
Ich nenne es Terror."



Als die Forderungen des Monophons immer diffuser werden, greifen Angst und Misstrauen um sich. Wer nicht für die Entwicklung ist, ist gegen die Entwicklung und wird verstoßen. Immer mehr Menschen verschwinden, weil sie Außenseiter sind. Die Starken geben den Ton an. Mathilda bekommt immer mehr Angst und weiß nicht, was sie tun soll. Mitmachen, obwohl sie ein schlechtes Gefühl bei der Sache hat, oder sich lieber abgrenzen um dann vielleicht als Außenseiter in Gefahr zu kommen?

Erst als ihre Lehrerin ihr mit der Geschichte um David und Goliath Mut macht, weiß sie was zu tun ist: das Monophon muss weg! Zusammen mit verbliebenen Freunden und ihrer Familie schmiedet sie einen Plan, denn man kann auch als vermeintlich Schwacher erfolgreich Widerstand leisten...


"Gemeinschaft macht stark", tönt es. "Zusammen für uns." Immerzu wiederholt es diese Sätze. Kann ich denn nie mehr allein sein? Ganz für mich? Und ohne den Lärm?"


Man kann wunderbar mit nachvollziehen, was nach und nach in der Stadt passiert, kann verfolgen, wie es Mathilda und ihren Freunden geht, seit das Monophon in der Stadt steht. Aus der ich-Perspektive erzählt das junge Mädchen, was sie fühlt, während sie sich von einer Monophon-Anhängerin in eine Monophon-Gegnerin wandelt und beobachtet, wie diese Unterteilung der Menschen überhaupt zustande kommt. Die erste Faszination, die dann später mit dem
Entsetzen angesichts der wachsenden Unterdrückung kämpft, das Unbehagen, das in ihr wächst, dann die Angst, die sie lähmt und die Entschlossenheit, die sie packt, weil sie versteht, dass sie etwas ändern muss! Man sieht, wozu Menschen gebracht werden, die sich unterordnen und blind der Masse folgen. Freundschaften zerbrechen, Familien werden auseinandergerissen Mitläufer wenden sich gegen die Zweifler. All das ist so aufbereitet, dass es auch ein Kind verstehen kann und sich automatisch die Frage stellt: „Wie würde ich mich verhalten?“. Mathilda ist dabei ein gutes Vorbild - sympathisch, authentisch und gut zu verstehen. Sie tut das richtige, sieht ihre eigene Freiheit als wichtiges Gut an und kämpft um diese nicht zu verlieren. All ihre wichtigen Gedanken und Erlebnisse schreibt sie in ihr kleines blaues Büchlein. Wörter, Gedichte, kurze Geschichten - sie notiert, was sie bewegt und lässt uns daran teilhaben. Eine wirklich interessante Art und Weise, uns Leser Gefühle zu vermitteln. Ich denke nur, dass gerade die Gedichte und Bilder für Kinder sehr schwer zu verstehen sind und viele Andeutungen einfach übergangen werden.
Der Schreibstil ist zwar einfach gehalten, wird aber durch einfallsreiche Beschreibungen und die vielen Gedichte oder andere Schnörkel schön ausgeschmückt.


"Mein blaues Buch liegt vor mir, draußen jault das Monophon. Da baue ich in mein blaues Buch eine Seite mit Stille ein.
STILLE
Doch die Stille ist zu dick, zu fett, zu grell. Sie brüllt fast. Ich mache eine neue Seite:

STILLE

Die Stille ist nun auf dem Blatt. Und wenn ich sie lange anschaue, ist sie auch in mir."


Das Buch selbst zieht keine direkten Vergleiche mit vergangenen Ereignissen, sodass man das Buch als Parabel losgelöst von der Geschichte lesen kann. Es macht aber natürlich Sinn, das Buch im richtigen Zusammenhang zu besprechen. Das kann in der Schule sein, aber auch einfach zuhause. Vom Hersteller ist ein Alter von 10 bis 12 Jahren empfohlen, was ich nicht so passend finde. Zwar sind die Hauptpersonen in diesem Alter und der Stil ist auch angemessen einfach gehalten, doch um das geschriebene wirklich verstehen und darüber nachdenken zu können, muss man meines Erachtens noch ein wenig älter sein, vor allem wenn das Buch außerhalb der Schule gelesen und nicht besprochen wird. Ich war 10, als ich das Buch gelesen habe und konnte nichts damit anfangen, ich erinnere mich noch an das seltsame und beklemmende Gefühl, das nach dem Lesen übrig geblieben ist. Und das ist ja nicht der Sinn der Sache. Denn das Buch wird nicht wie so oft am Ende sehr hoffnungslos und trüb, am Ende kann in dieser Geschichte der Widerstand siegen, was Mut macht, sich gegen die Masse zu stellen und seine eigene Meinung zu vertreten. Es wird ganz eindeutig klar gemacht, wie wichtig es ist, seine Meinung frei äußern, selbst über sich, seine Zeit, seine Freunde, sein Leben bestimmen zu können, und nicht wegen eines körperlichen Merkmals oder einer anderen Meinung diskriminiert zu werden. Und das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn die Gefahr des Faschismus ist noch längst nicht gebannt und kann abgehakt in Richtung Vergangenheit kategorisiert werden, sondern ist hier und heute immer noch ein wichtiges Thema.


"Die Stille
ist zurückgekehrt.
Ich kann sie wieder hören.
Ich denke - selbst.
Ich spreche - selbst.
Ich schweige - selbst.
So bin ich."



Mit dem Cover ist dem Verlag ein Volltreffer gelungen. Mit schwarz-weißen Streifen umrahmt ist der schwarze Kasten des Monophons zusehen. Zusammen mit dem olivgrünen Trichter des Tongeräts bildet er den Mittelpunkt der Geschichte ab - im Zentrum des ansonsten weißen Covers. Mit dem großen, recht krakeligen Titel, der sich über die obere Hälfte des Bildes erstreckt ergibt dies ein hübsches und sehr stimmiges Gesamtbild. Auch innerhalb der Buchdeckel ist das Design einfach wunderbar. Die Kapitel haben einfallsreiche Namen und werden mit detailreichen Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Illustratorin Verena Ballhaus geschmückt. Darin wird in einer einfachen Strichzeichnung eine wichtige Aussage des Kapitels nochmals unterstrichen, man muss aber sehr genau nachdenken, um die Message wirklich verstehen zu können. Für Kinder stellen sie also wahrscheinlich nur ein wenig Verzierung da.


Fazit:

Ein wundervolles Kinderbuch, das aber für jedes Alter Klarheit schaffen und berühren kann. Ein Roman, der sensibilisiert und ermutigt, selbst die Stimme zu erheben.