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Veröffentlicht am 06.04.2018

Spannend bis zum Schluss, Protagonistin zu perfekt

Die steinerne Schlange
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In „Die steinerne Schlange“ von Iny Lorentz geht es um die Germanin Gerhild, die mit ihrem Stamm vor dem Limes, der Grenze zum römischen Reich, lebt. Sie gelten als Freunde der Römer, doch diese wollen ...

In „Die steinerne Schlange“ von Iny Lorentz geht es um die Germanin Gerhild, die mit ihrem Stamm vor dem Limes, der Grenze zum römischen Reich, lebt. Sie gelten als Freunde der Römer, doch diese wollen mehr Land ihr Eigen nennen und der machtgierige Anführer der römischen Truppen, Quintus, will außerdem Gerhild als seine Geliebte. Sie widersetzt sich, aber nach dieser Blamage sinnt er auf Rache. Nicht nur die verstreuten germanischen Stämme kämpfen um ihr Bestehen gegen die römische Übermacht, auch Gerhild muss fortan auf der Hut vor ihrem neuen Feind sein.

Gut gefallen hat mir zunächst die Ausstattung: Im hinteren Teil des Buches befindet sich ein Personenverzeichnis, zum einen der handelnden, sowie aber auch der historischen Personen. Es gibt einen kleinen Glossar mit den wichtigsten Begriffen – für mich vor allem wichtig für die Bezeichnungen, der römischen Einheiten, um deren Größe einschätzen zu können. Zuletzt folgen noch eine Karte der Umgebung und ein Nachwort zum historischen Hintergrund. Letzteres ist mir in historischen Roman immer außerordentlich wichtig, um ein Gefühl dafür zu kriegen, ob es sich theoretisch tatsächlich so hätte abspielen können, wie in dem Roman geschildert. Auch über eine Karte freue mich immer sehr, vor allem, wenn – wie hier – einige Orte vorkommen, die viele Tagesreisen auseinander liegen. Diesmal fand ich die Karte allerdings außerordentlich unübersichtlich. Der Limes ist eingezeichnet, sowie haufenweise römische Kastelle, Flüsse und große Städte. So ziemlich keine der bezeichneten Ortschaften hatte für den Roman allerdings eine Bedeutung, während die vielen Schauplätze der Geschichte auf der Karte nicht zu finden sind. Der Sinn dessen hat sich mir noch nicht ganz erschlossen.

Die Geschichte wird im personalen Erzählstil geschildert. Dabei wechseln die Perspektiven zwischen Gerhild und Quintus, sowie einigen anderen Personen hin und her. Dass hier Perspektiven von beiden verfeindeten Lagern aufgegriffen werden, hilft dem Leser jederzeit zu wissen und zu verstehen, wer was plant und welche – nach außen eventuell geheimen – Motive derjenige hat. Außerdem fiebert man stets mit, ob Gerhild rechtzeitig an diese Informationen gelangt und die Situation zu ihren Gunsten wenden kann.

Bis zur letzten Seite empfand ich die Handlung als sehr spannend. Zuerst hatte ich mich davor gedrückt, diese über 600 Seiten zu beginnen, doch man kommt so schnell vorwärts, weil man immer begierig darauf ist, zu erfahren, wie es weitergeht. Dazu kommen recht kurze Kapitel, die zu mehreren Teilen mit schicksalsträchtigen Überschriften zusammengefasst sind. Kaum beginnt ein neuer Teil, verweist die Überschrift auf spannende Ereignisse, die bevorstehen, sodass man nicht anders kann, als weiterzulesen. Auch hier ist der Perspektivwechsel sehr gelungen, da sich der Leser stets dort befindet, wo etwas Interessantes passiert. Für mich hatte das Buch so gut wie keine Längen, auch wenn ich zum Teil lieber weiter bei Gerhild bleiben wollte, als das Geschehen an einem anderen Ort zu besuchen.

Gerhild ist leider auch mein ganz großes Kritikpunkt. Sie hat alles und kann alles. Sie ist klug, mutig, schön, kann sehr gut reiten, hat eine hervorragende Orientierung, wird im Handumdrehen zu einer ausgezeichneten Schwertkämpferin, die es mit mehreren Soldanten gleichzeitig aufnehmen kann (weil sie natürlich als kleines Kind mit ihrem Vater geübt hat), ist eine perfekte Anführerin, Jägerin, Bogenschützin mit außerordentlicher Treffsicherheit, kann beruhigen, motivieren und ist dabei auch noch selbstlos und jeder, ob Mann, Frau, Kind oder Greis, liebt sie. Sie hat außerdem ein hervorragendes, scheinbar stummes, Pferd, welches sie nie durch ein Schnauben oder Wiehern verrät, immer die richtigen Bewegungen macht und fast unverwundbar zu sein scheint. Außerdem gelangt sie in den Besitz des mächtigsten Schwertes (an sich ein sehr schöner Handlungsstrang, aber in Kombination mit allem anderen einfach zu viel) und ihr Vorrat an Pfeilen scheint unendlich. Es wird schnell deutlich: Sie ist einfach zu perfekt. Sie hat keine Ecken und Kanten und auch wenn sich der Leser ihrem Bann nicht entziehen kann, sie einfach sympathisch finden muss, macht sie das etwas langweilig.

Die eingewobene Liebesgeschichte war natürlich von Anfang an abzusehen, aber das schlägt für mich nicht so negativ ins Gewicht. Bei dem Autorenpaar ist es bekannt und man weiß, worauf man sich einlässt. Das Happy End ist garantiert und jeder, wirklich jeder, der „Guten“ findet doch am Ende eine Person zum heiraten und alt werden. Etwas kitschig, aber wie gesagt, ich wusste, worauf ich mich einlasse.

Insgesamt liegt also ein Roman vor, der trotz seines Umfangs mit einer durchweg spannenden Handlung überzeugen kann. Für die zu perfekte Protagonistin ziehe ich einen Punkt ab, sodass ich zu 4 von 5 Sternen komme.

Veröffentlicht am 29.03.2018

Zäher Start, grandioses Finale

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen?
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„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten ...

„The Woman in the Window“ von A. J. Finn ist Doktor Anna Fox. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich in schwerer Agoraphobie – Platzangst - manifestiert. Sie kann seit Monaten das Haus nicht verlassen, nimmt viele Medikamente zu sich und genauso viel Alkohol. Zudem leidet sie sehr unter der Trennung von ihrem Mann und ihrer Tochter. Ihre Tage verbringt sie vor allem damit, ihre Nachbarn zu beobachten. Besonders die neue Familie gegenüber weckt ihr Interesse. Als sie dort eines Abends einen Mord beobachtet, will sie zu Hilfe eilen. Doch nachdem ihre Phobie sie vor dem Haus in die Ohnmacht zwingt, glaubt ihr niemand, was sie gesehen hat. Halluzinationen unter Medikamenten und Drogen, oder ist doch etwas Wahres an ihren Beobachtungen?

A. J. Finn schreibt die Geschichte aus Annas Ich-Perspektive. Der Leser erlebt so direkt mit, wie Annas Krankheit ihre Gedanken bestimmt und ihr Leben beherrscht. Zu Beginn ist noch nicht klar, was die posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst hat und erst nach und nach wird durch Rückblicke aufgelöst, was genau passiert ist. Die Beschreibungen ihrer Gefühle und Gedanken sind für den Leser beklemmend, doch man wird auch sehr neugierig, wie es zu all dem kam. Früh manifestiert sich eine Ahnung, aber einige Details bleiben lange im Verborgenen, sodass dieser Erzählstrang seine Anziehungskraft nicht verliert.

Allgemein sind die Kapitel sehr kurz gehalten, was das Lesen sehr angenehm macht, kann man doch eben ein paar Seiten lesen und findet dann wieder eine gute Stelle zum Pausieren. Gerade am Anfang war dies wichtig, denn dort entwickelt sich die Handlung eher langsam weiter. Natürlich möchte man wissen, was Anna passiert ist, aber der Mord und die Frage, ob er real ist oder nicht, spielt zu Beginn noch keine Rolle. Auch nach dem Ereignis kommt die Aufklärung zunächst schleppend voran. Zum Ende hin nimmt die Spannung dann allerdings rasant Fahrt auf. Es gibt einige ungeahnte Wendungen, die in einem grandiosen Finale enden, sodass die letzten 50 Seiten nur so dahinfliegen. Insgesamt hätten es aber ruhig circa 100 Seiten weniger sein können.

Einen zu großen Teil nimmt auch Annas Leidenschaft, die schwarz-weiß Thriller, ein. Für Fans dieses Genres sicherlich ein interessanter Zusatz. Es werden allerdings so viele Szenen, Details und Dialoge aus diesen Filmen wiedergegeben, dass es für Leser, die damit weniger anfangen können, zwischendurch etwas mühsam verläuft. Man ertappt sich dabei, diese Szenen flüchtiger zu lesen, was nicht der Sinn in einem Roman sein kann.

Besonders gut gefallen hat mir, dass am Ende des Buches alle offenen Fragen beantwortet werden. Es gibt keine losen Enden und die vormals unstimmigen Punkte und Ungewissheiten fügen sich zu einem logischen Ganzen zusammen. Das ist ein Anspruch, den nicht immer alle Bücher für mich erfüllen können. Bei dieser Geschichte denkt der Leser am Ende aber, dass alles zusammenpasst und kann die Buchdeckel zufrieden zuklappen.

Insgesamt eine hervorragende, wenn auch nicht neue, Idee mit unvorhersehbaren Ereignissen. Der Spannungshöhepunkt am Ende kann allerdings nicht vollständig über den langsamen Start und die teils zähe Mitte hinwegtrösten. Daher 4 von 5 Sternen.

Veröffentlicht am 03.02.2018

Neue Aspekte statt alte Klischees, Cliffhanger inklusive

Berühre mich. Nicht.
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„Berühre mich. Nicht“ ist der erste Teil einer Dilogie von Laura Kneidl. Protagonistin ist Sage, die nur mit wenigen Habseligkeiten und einem leeren Konto in Melview, Nevada ankommt. Sie konzentriert sich ...

„Berühre mich. Nicht“ ist der erste Teil einer Dilogie von Laura Kneidl. Protagonistin ist Sage, die nur mit wenigen Habseligkeiten und einem leeren Konto in Melview, Nevada ankommt. Sie konzentriert sich darauf, ihr altes Leben hinter sich zulassen und an der Uni neu zu beginnen. Aber das ist nicht so leicht, sind Angststörungen, vor allem vor Männern, ein permanenter Begleiter, den sie aus Maine mitgebracht hat, zusammen mit vielen hässlichen Erinnerungen. Als sie an der Uni auf Luca trifft, ist sie zunächst gelähmt vor Panik, doch nach kurzer Zeit stellt sie fest, dass er jemand ist, zu dem sie gerne Vertrauen aufbauen würde, jemand, er ihr Hoffnung gibt. Doch ihre Ängste haben sie fest im Griff.

Mit diesem Buch ist Laura Kneidl ihr Durchbruch gelungen, daher wenig verwunderlich, dass es das erste war, welches ich von ihr gelesen habe.
Der Autorin gelingt es darin, die verschiedenen Gefühle, die in Sage miteinander ringen, sehr eindringlich zu beschreiben. Da es zudem komplett aus ihrer Perspektive geschrieben ist, fühlt man sehr stark mit Sage mit und kann sich gut in sie hineinversetzen, obwohl das beim Thema „Angststörungen“ normalerweise nicht so leicht ist. Man ertappt sich dabei, wie man selbst als Leser allen Männern, die in dem Buch auftauchen, gegenüber skeptisch wird und erstmal das schlimmste annimmt. Während man zunächst nur erahnen kann, was Sage zugestoßen ist, wird es schnell Gewissheit und man leidet mit ihr. Dies hat Laura Kneidl hervorragend in Worte gekleidet.

Auch die Charaktere, die sie erschaffen hat, gefallen mir sehr gut. Die Autorin ist selbst erst 27 und kann vermutlich daher Studenten mit authentischer Persönlichkeit erschaffen. Jeder ist ein anderer Charakter, aber alle sind glaubhaft und man kann viele, bezogen auf ihr Wesen, eigenen Freunden und Bekannten zuordnen.
Im Gegensatz dazu, erscheint mir Luca absolut konstruiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden wie ihn wirklich gibt, und das nicht, weil ich ihn für einen Traumtyp oder ähnliches halte. Er vereint einfach so viele Gegensätze in sich und ist gleichzeitig so perfekt in allem, dass er nicht realistisch erscheint. Das hält ihn für mich als Leser immer etwas auf Distanz und ich werde nicht richtig warm mit ihm. Da er nach der Protagonistin der wichtigste Charakter im Buch ist, ist dies sehr schade.

Durch den Klappentext weiß man natürlich, dass sich zu Luca eine Liebesbeziehung entwickeln wird. Dennoch ist es spannend, dies Schritt für Schritt mit zu verfolgen. Dass es hier betont langsam vorwärts geht, ist zwar Sage‘ Ängsten geschuldet, für den Storyverlauf allerdings eine nette Abwechslung zu sonstigen Liebesgeschichten, wo das Pärchen so schnell unzertrennlich ist, dass man es gar nicht nachvollziehen oder „miterleben“ kann.

Viele Aspekte der Liebesgeschichte entsprechen wiederrum den gängigen Klischees des Genres. Dazu gehört vor allem das Ende. Ich begann mit diesem Buch einen Tag bevor der zweite Teil veröffentlicht wurde. Von diesem hatte ich die Inhaltsangabe bewusst noch nicht gelesen und war mir sicher, dass ich es nicht (oder zumindest nicht allzu bald) kaufen würde. Da hatte ich auch noch nicht geahnt, dass das Ende von Teil 1 einen gewaltigen Cliffhanger bereithalten würde. Von seinem Inhalt ist dieser sehr häufig in Liebesromanen zu finden und dennoch hat er mich gepackt. Es ist zwar offensichtlich, was in Teil 2 passieren wird, aber ich will unbedingt wissen wie es dazu kommt. Ende meiner Geschichte daher: ich gehe diese Woche noch in den Buchladen und kaufe Teil 2. Netterweise hat die Autorin sich in der Danksagung noch für dieses Ende entschuldigt.

Insgesamt bringt das Thema der Angststörungen und Sage‘ Vergangenheit so viele neue Aspekte in dieses fast schon verbrauchte Genre, dass ich über die wenigen verbleibenden Klischees sehr leicht hinwegsehen kann. Einen Abzug gibt es trotzdem für Lucas unrealistischen und unnahbaren Charakter. Ob der Cliffhanger positiv oder negativ zu Buche schlägt, habe ich bis zum Ende diese Rezension noch nicht entschieden. Somit komme ich zu 4 von 5 Sternen und einem neuen Buch auf dem Wunschzettel.

Veröffentlicht am 23.01.2018

Über die Liebe zur Musik

Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
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„Es war einmal ein Plattenladen“ – so beginnt nicht nur der neue Roman von Rachel Joyce „Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“, sondern dieser Plattenladen steht auch im Zentrum der 1988 beginnenden ...

„Es war einmal ein Plattenladen“ – so beginnt nicht nur der neue Roman von Rachel Joyce „Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“, sondern dieser Plattenladen steht auch im Zentrum der 1988 beginnenden Geschichte. Protagonist ist Frank, in den Vierzigern und eingefleischter Vinyl-Liebhaber. CDs, die immer weiter auf dem Vormarsch sind, kommen ihm keinesfalls über die Schwelle. Sein Laden, ebenso wie die anderen Geschäfte in der Unity Street, floriert zwar nicht, aber anstatt des Geldes wegen, führt er seinen Laden vor allem, um den Menschen mit Musik zu helfen. Dabei ist ihm sein ganz besonderes Talent von Nutzen: Er kann in jedem Menschen hören, welches Lied dieser am dringlichsten braucht, um wieder glücklich zu werden. In jedem Menschen? Nein, denn eines Tages steht eine Frau in grünem Mantel vor seinem Schaufenster und in dieser hört Frank nur Stille. Fortan versucht er herauszufinden, was es mit dieser mysteriösen Frau auf sich hat und gleichzeitig die Unity Street vor Vandalismus und dem Aufkauf durch eine Immobiliengesellschaft zu beschützen.

Die verschiedenen Kapitel des Buches (zumeist benannt nach Musikstücken) sind unregelmäßig aus der Gegenwart in 1988 und aus Franks Kindheit und Jugend beschrieben. Während der Leser in der Vergangenheit miterlebt, wie Franks Liebe zur Musik entstand und wie er alles darüber von seiner Mutter Peg gelernt hat, lernen wir diese und die schwierige Beziehung zu ihrem Sohn kennen. In der Gegenwart liegt der Fokus sehr klar auf der Frau in grün und welche Geheimnisse sie umgeben. Gleichzeitig bangt man um die Ladenbesitzer und Anwohner der Unity Street, die füreinander eine kleine Familie sind.

Wann immer Rachel Joyce in den Szenen ein Musikstück einfließen lässt, hat man die Melodie sofort im Ohr. Kennt man es hingegen nicht, gibt es im Anhang eine komplette Playlist zum Nachhören, was ich für einen tollen Einfall halte. Die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Genres macht den besonderen Reiz der Zusammenstellung aus. Im Gegensatz zu einigen anderen Lesern, konnte ich die Stücke allerdings nicht während des Lesens hören: ich habe immer versucht, Franks Interpretation darin zu erkennen und konnte mich nicht mehr auf das Lesen konzentrieren. Das ist natürlich nicht dem Buch geschuldet und soll hier nur als Hinweis Erwähnung finden.

Ein weiterer, entscheidender Aspekt in der Qualität dieses Romans sind die Charaktere. Frank, beschrieben als Bär von einem Mann, ist so voller Freundlichkeit und Gutmütigkeit, aber auch Prinzipientreue, dass man ihn sich direkt als Nachbar wünscht. Die anderen Ladenbesitzer sind jeder für sich so vielschichtig, dass sie sehr authentisch wirken. Hier gibt es Sympathieträger, aber auch Charaktere, die ich nicht mochte, doch gerade das macht das Bild einer echten, lebendigen Straße aus. Ganz im Gegensatz dazu: die Frau in grün. Während der Leser nach und nach mehr über sie erfährt, ihre Geheimnisse gelüftet werden und selbst nach einem großen Zeitsprung Erlebnisse aus ihrer Sicht geschildert werden, blieb sie für mich stets kalt und wenig lebendig. Sie zeigt kaum Emotionen und wenn, dann wirken diese auf mich wie von einem schlechteren Schauspieler – auswendig gelernt und unecht. Das ist wirklich schade, weil sie so eine zentrale Rolle in der Geschichte und in Franks Leben spielt.

Den Verlauf der Geschichte kann man nicht als spannend bezeichnen. Natürlich ist es interessant, die Geheimnisse um die Frau in grün zu ergründen und Kapitel für Kapitel neu zu spekulieren. Auch die Abschnitte aus Franks Kindheit werfen zunächst viele Fragen auf und enden zum Teil mit einem Cliffhanger. Am Ende klärt sich jedoch alles auf, mal mehr, mal weniger zufriedenstellend. Der Verlauf ist sehr klassisch vorgezeichnet, einzig Außergewöhnliches: ein großer Zeitsprung zum Ende des Buches. Allerdings denke ich, dass Spannung auch gar nicht das ist, was der Roman vermitteln will. Das zentrale Thema ist und bleibt die Musik und wie diese uns ein Leben lang begleitet.

Rachel Joyce versteht es ausgezeichnet die Magie, die der Musik innewohnt, durch geschriebenes Wort zu vermitteln – ganz sicher eine Kunst, die nur wenige Autoren beherrschen. Für das etwas eilige Ende und vor allem den Charakter der Frau in grün ziehe ich aber einen Punkt ab, sodass ich zu 4 von 5 Sternen komme.

Veröffentlicht am 25.12.2017

Spannend und witzig, Protagonistin mangelhaft

Silber - Das zweite Buch der Träume
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In „Silber – Das zweite Buch der Träume“ von Kerstin Gier – dem zweiten Teil der Trilogie – erkundet die 17-jährigen Liv Silber weiter die Traumwelt. Gerade ihren Freund Henry sieht sie dort öfter als ...

In „Silber – Das zweite Buch der Träume“ von Kerstin Gier – dem zweiten Teil der Trilogie – erkundet die 17-jährigen Liv Silber weiter die Traumwelt. Gerade ihren Freund Henry sieht sie dort öfter als in der realen Welt, während sich die anderen Personen aus den Traumkorridoren zurückgezogen haben. Doch immer wieder muss sie feststellen, dass Henry Geheimnisse vor ihr hat. Zu kämpfen hat sie außerdem mit Secrecy, die viel zu viel von ihr weiß, sowie der furchtbaren Großmutter von Grayson und Florence, die es der Patchwork-Familie nicht leicht macht.

Im Großen und Ganzen sind viele positive Aspekte aus dem ersten Teil erhalten geblieben.

Kerstin Giers Schreibstil ist leicht zu lesen. Auch das Layout fördert diese Leichtigkeit: Es sind weniger Zeilen pro Seite als normal, und der Abstand zwischen ihnen ist etwas größer, sodass das Buch sehr schnell von der Hand geht. Die Kapitel sind kurz, dadurch gibt es immer gute Gelegenheiten, eine Pause einzulegen.

Schön sind immer noch die schwarz-weißen Blumenranken am Rand der ersten Seite eines Kapitels. Der optisch ebenfalls hervorgehobene Eintrag des „Tittle-Tattle-Blog“ gibt den neusten Tratsch der Schule wieder und erinnert stark an Gossip Girl. Im ersten Teil war ich diesbezüglich schon zwiegespalten: ich möchte unbedingt wissen, wer dahinter steckt (nach Teil 2 noch mehr als vorher schon), aber es ist keine wirklich neue Idee. Da es aber nur ein Nebenstrang ist, ziehe ich dafür nicht allzu viele Punkte ab.

Im Ausblick auf Band 3 hat die Autorin angekündigt, dieses Geheimnis zu lüften und ich bin total gespannt und hoffe auf ein logisches, nicht enttäuschendes Ergebnis. Bezüglich weiterer kommenden Handlungen bleibt Kerstin Gier bewusst vage, aus Sorge, ihren eigenen Ankündigungen nicht gerecht zu werden. Das macht zwar nicht so neugierig, wie die Ankündigung nach Teil 1, ist für mich aber trotzdem vollkommen in Ordnung, da so niemand enttäuscht wird.

Im gleichen Atemzug schrieb sie, dass sie den Ausblick in Teil 1 auf Teil 2 nicht komplett erfüllt hat. Bis zu diesem Punkt war mir das nicht aufgefallen und hat mich somit auch nicht gestört. Die Handlung in Teil 2 ist hervorragend, so wie sie ist. Ich habe einige Male lachen müssen (mehr als in Teil 1), aber es gibt auch viele aufregende Passagen. Ein paar wenige Szenen empfand ich sogar als gruselig – eine perfekte Mischung. Wie auch in Teil 1 gibt es am Ende des zweiten Teils noch eine kleine Wendung, die mich wieder überrascht hat, sich aber gut in die Geschichte einfügt.

Ein absolutes Highlight ist die neu eingeführte Großmutter. Bei fast allem, was sie sagt, stockte mir der Atem, wie jemand so unverschämt und unhöflich sein kann, sich selbst aber für etwas Besseres hält. Kerstin Gier versteht es hier außergewöhnlich gut, einen Antagonist zu erzeugen, für den kein Leser Verständnis aufbringen kann und auf den er seinen Ärger projizieren kann.

In meiner Rezension zu Teil 1 schrieb ich, wie sympathisch ich Liv finde. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt allerdings einen mehrere Seiten (oder Kapitel) umfassenden Zeitraum, in dem ich ihr Verhalten und ihre Reaktion unrealistisch finde. Sie erfährt ein furchtbares Geheimnis über Henry, zeigt sich aber nur kurz verletzt oder bestürzt. Bei den nächsten Gelegenheiten lässt sie sich sofort wieder von ihm einwickeln, anstatt ihn zu meiden und ihm die kalte Schulter zu zeigen. Livs Verhalten empfand ich hier als absolut unauthentisch.

Immer noch fehlt mir die Erklärung, warum bestimmte Personen durch die Traumkorridore wandeln können. Es verbleibt noch ein Teil der Trilogie um dies aufzuklären. Ich hoffe – wie auch bei der Auflösung wer hinter Secrecy steckt -, dass diese Erklärung kommt und vor allem schlüssig ist. Für mich ist die Trilogie sonst rückwirkend verdorben.

Zusammenfassend ist die Idee der Autorin immer noch genial. Die Handlung hat mir besser gefallen als in Teil 1, die Protagonistin Liv etwas weniger. Für ihre mangelnde Authentizität in einer der entscheidenden Szenen des Buchs, gibt es einen Stern Abzug, sodass ich den zweiten Teil mit insgesamt 4 von 5 Sternen bewerte.