Everything's gonna be okay™?
Es ist kein wohliges Gefühl, das einen beim Lesen der Hochhausspringerin überkommt. Julia von Lucadous Debüt schildert eine nicht allzu weit von unserer Realität entfernte Dystopie, die uns darüber nachdenken ...
Es ist kein wohliges Gefühl, das einen beim Lesen der Hochhausspringerin überkommt. Julia von Lucadous Debüt schildert eine nicht allzu weit von unserer Realität entfernte Dystopie, die uns darüber nachdenken lässt, welche eingeschlagenen Wege wir vielleicht nicht weiter gehen sollten und was wirklich wichtig ist im Leben.
Zum Inhalt:
Riva ist erfolgreiche Hochhausspringerin, als sie plötzlich in eine depressive Verstimmung fällt, fast nur noch schweigend auf dem Boden sitzt und nicht mehr zum Training geht.
Hitomi ist Psychologin, die von Rivas Arbeitgeber dazu beauftragt wird, Riva aus ihrer Misere zu holen und wieder zum Springen zu animieren.
Meine Meinung:
Das Buch liest sich beinahe wie ein Film. Zu Beginn zoomen wir uns aus dem Universum kommend auf die Welt und beobachten fasziniert den Sprung einer Hochhausspringerin. Hochhausspringen ist eine an Turmspringen anmutende Sportart, die nur mithilfe eines "Jumpsuits™" nicht tödlich endet.
Daraufhin wechselt die Erzählperspektive und Ich-Erzählerin Hitomi erhält das Wort. Aus der (Kamera-)Perspektive beobachten wir mit ihr gemeinsam Riva: Eine athletische junge Frau mit vielen Fans und einer großen Karriere. Zunächst ist völlig unklar, warum sie sich aus ihrem erfolgreichen Leben zurückzieht. Sowohl Hitomi als auch Rivas Partner Aston verzweifeln nach und nach und auch dem Leser wird das Gefühl der Machtlosigkeit Hitomis im Laufe der Geschichte immer klarer vor Augen geführt.
Denn obwohl sie alle möglichen Hebel in Bewegung setzt und dabei letztlich auch einen innovativen, auf Riva zugeschnittenen Weg verfolgt, wird sie von ihrem Arbeitgeber mangels gewünschter Ergebnisse immer wieder negativ bewertet.
Diese im Roman geschilderte offene Bewertungskultur betrifft nicht nur das Arbeitsverhalten der Menschen, sondern auch deren körperliche Gesundheit wird permanent überwacht. Ist Hitomis Herzfrequenz zu hoch, wendet sie automatisch Beruhigungsstrategien an. Schläft oder bewegt sie sich zu wenig, kommt eine unter dem Deckmantel der Besorgnis geäußerte Anweisung des Vorgesetzten, dass sie sich mehr um sich selbst kümmern solle.
Alles ist also auf Effizienz ausgelegt in dieser Gesellschaft und als Mitglied bekommt man im Gegenzug für sein Funktionieren einen begehrten Platz in der privilegierten Stadt, dessen Verlust eine die Protagonistin Hitomi dauerhaft begleitende Angst und auch ihr Motor zum Weitermachen ist. Denn schafft man es nicht, die Anforderungen zu erfüllen, droht die Ausweisung in die Peripherien.
Da wir als Leser an Hitomis Wahrnehmung gebunden sind und sie bereits in einem Kinderaufzuchthaus der Stadt groß geworden ist, erfahren wir zwar leider nicht viel darüber, wie genau es in den Peripherien aussieht; aber diese Erzählperspektive lässt uns auch mit- und weiterdenken und besonders intensiv erfahren, wie es ist, ein Teil der dargestellten Welt zu sein.
Man hat zwischendurch ein wenig das Gefühl, dass die Geschichte eine Weile auf der Stelle tritt. Zu lange tut sich nichts mit Riva. Aber in Kombination mit dem klaren, emotionsarmen Schreibstil wird dem Leser auf diese Weise das Gefühl für die Situation der heimlichen Protagonistin Hitomi perfekt übermittelt: Sie schafft es trotz aller Analysen nicht, Riva wieder zum Funktionieren zu bringen, die Abhängigkeit von Rivas Verhalten ist existenzbedrohend hoch, deren Nichtstun schmerzt und lässt auch Hitomi in die Abstiegsspirale geraten.
Die Frage nach dem Warum von Rivas Ausstieg ist also lediglich eine zentrale Handlungskomponente. Die Verfolgung von Hitomis Leben, das sich im Absturz befindet, und die Frage, ob sie es schafft, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, stellt einen zweiten wesentlichen Handlungskern dar.
Fazit:
'Die Hochhausspringerin' schildert detailgetreu eine auf Effizienz und Funktionalität getrimmte "schöne neue Welt". Ein Roman, der durch seine besondere Sprache und genauen Beobachtungen zu fesseln vermag, und der zum Nachdenken anregt. Klare Leseempfehlung!