Mittelmäßig tief gefallen
Viel wurde über dieses Buch gesagt - viele Zeitungen haben darüber geschrieben und auch innerhalb der Leserunde haben wir ausführlich diskutiert. Was bleibt? Ein Roman, der viele emotional anspricht und ...
Viel wurde über dieses Buch gesagt - viele Zeitungen haben darüber geschrieben und auch innerhalb der Leserunde haben wir ausführlich diskutiert. Was bleibt? Ein Roman, der viele emotional anspricht und der auch mich betroffen gemacht hat. Der aber letztlich eine Dystopie nutzt, um Kritik an der Jetzt-Zeit zu üben und einige Fehlstellen hat. Als Film kann ich ihn mir besser vorstellen.
Worum geht es?
Hitomi ist Wirtschaftspsychologin und soll die Hochhausspringerin Riva wieder zum Springen bringen, indem sie sie auf Schritt und tritt heimlich beobachtet. Denn Riva weigert sich seit Wochen und bringt damit den Plan durcheinander. Und das Leben Hitomis.
Die Figuren
Riva ist Ende 20 und springt seit 15 Jahren. Sie ist ein Medienstar, der sogar ein eigenes Getränk hat. Da wir Riva nur als Hitomis Sicht sehen und sie nur wenig tut, erfahren wir nur wenig. Riva bleibt ein Phantom.
Hitomi ist die Hauptfigur, weil Erzählerin. Sie ist eine privelegierte Frau, die als Kind in ein Aufzuchtheim gesteckt wurde und ihre Eltern nur selten sah. Während die Menschen aus den Peripherien darum kämpfen, in der Stadt zu leben, hat Hitomi dort angefangen - und hat ständig Angst, diesen Status zu verlieren. Hitomi kämpft gegen einen Feind, um immer bessere Zahlen, verkörpert durch ihren Chef Hugo.
[Spoiler] Doch obwohl sie Gutes bewirken will, gerät Hitomi in eine Abwärtsspirale. Sie will es allein schaffen und kämpft verbissen. Hitomi hat in der "Schule" die besten Anpassungswerte - am Ende scheitert sie daran, dass sie zu gut an die Werte der Gesellschaft angepasst ist. Denn sie ekelt sich vor den Peripherien - ein Ausstieg wäre für sie nie möglich. Gut veranschaulicht das eine Szene, in der die Kinder ans Meer fahren - Hitomie mag das Rauschen, ekelt sich aber vor dem Geruch und dem Wasser.[/Spoiler]
Die Welt
Die Welt im Roman ist grob gezeichnet - die Peripherien werden wenig beschrieben und wer in hohen Stockwerken wohnt, hat einen hohen Status.
Interessant finde ich, dass viele Dinge einen positive Sinn haben, im Kontext aber ins Gegenteil verkehrt werden: Hitomis gesundheitliche Parameter werden überwacht, aber sie bekommt nur den Tipp, sich mehr dem Optimum anzunähern. Sie soll Mindflussness-Übungen machen, die jedoch nicht fruchten. Wenn Entspannung zum Muss wird, verpufft der Effekt - ein toller Hinweis auf die heutige Welt. [Spoiler] Wenn Menschen aus der Gesellschaft ausscheiden, weil sie keinen Sinn für die Gesellschaft haben, werden sie dabei begleitet, damit sie angstfrei und ohne negative Gedanken sterben. Ein guter Gedanke. Aber da die Menschen zum Suizid gedrängt werden, nicht so gut. [/Spoiler]
Jeder ist für sich selbst verantwortlich - wenn er die Anforderungen nicht erfüllt, liegt das an ihm. Jeder soll das Optimum für die Gesellschaft leisten, auch wenn unklar ist, worin das Optimum besteht. Es ist krass, wie leicht Menschen manipulierbar sind.
Gut gefallen hat mir, dass es Blogs aus den Peripherien gibt, die das Leben in der Biofamilie schildern - die Sehnsucht nach einer "normalen" Familie ist da, selbst wenn man in einer künstlichen Familie aufgewachsen ist. Sie erinnern mich an Videos, in denen Leute vor anderen essen, damit sie das Gefühl der Einsamkeit vertreiben.
Das Hochhausspringen finde ich faszinierend. Es ist leicht vorstellbar - Hochhäuser kennt jeder - aber sehr gefährlich. Wenn man zuviel riskiert, stirbt man. Gleichzeitig hat es etwas Majäistätisches, wenn die Sonne über den Springern scheint und sie sich in die Tiefe stürzen. Man erfährt nur wenig über das Springen, aber es dient dazu, die Bevölkerung zu unterhalten und den Menschen in den Peripherien vorzugaukeln, sie hätten mit genügend Talent die Chance, in die Stadt zu ziehen, also aufzusteigen.
Dramaturgie und Schreibstil
Die Spannung steigt langsam, aber stetig, weil man sich fragt, ob Riva wieder springen wird und welche Persönlichkeit sich dahinter verbirgt. Parallel dazu sehen wir Hitomi. Der Höhepunkt hat mich überrascht, weil mich die Autorin erfolgreich in die Irre geführt hat Auch die Nebenhandlungen waren schön. Mich hat das Buch an "Unterm Rad" erinnert.
Den Schreibstil fanden einige Leser trocken, mir ist er wenig aufgefallen. Ich finde ihn etwas berichtend, aber erzählend. Die Erzählerstimme ist klar erkennbar. Dialoge sind mit einem Bindestrich angeführt, wirken aber erzählend. Für mich zu einfache Stilmittel waren das Trademark-Zeichen über Welt-spezifischen Begriffen (viele haben sich aus dem Zusammenhang erklärt) und die englischen/japanischen Namen.
Fazit
"Die Hochhausspringern" hat mir als Buch gut gefallen. Die Thematik ist aktuell, die Hauptfigur mit ihrer Mischung aus Leistung und Sehnsucht sympatisch und die Dramaturgie stimmt. Verglichen mit anderen Dystopien finde ich aber, dass es nix Neues ist: Eine grob geschilderte Welt, der Mensch als leistungsoptimiertes Wesen, eine Welt, die sich selbst entlarvt, der hilflose Held. Es ist ein starkes Buch. Aber für mich kein Muss.