Leserunde zu "NSA - Nationales Sicherheits-Amt" von Andreas Eschbach

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Andreas Eschbach (Autor)

NSA - Nationales Sicherheits-Amt

Roman

Weimar 1942: Die Programmiererin Helene arbeitet im Nationalen Sicherheits-Amt und entwickelt dort Programme, mit deren Hilfe alle Bürger des Reichs überwacht werden. Erst als die Liebe ihres Lebens Fahnenflucht begeht und untertauchen muss, regen sich Zweifel in ihr. Mit ihren Versuchen, ihm zu helfen, gerät sie nicht nur in Konflikt mit dem Regime, sondern wird auch in die Machtspiele ihres Vorgesetzten Lettke verwickelt, der die perfekte Überwachungstechnik des Staates für ganz eigene Zwecke benutzt und dabei zunehmend jede Grenze überschreitet ...

Was wäre, wenn es im Dritten Reich schon Computer gegeben hätte, das Internet, E-Mails, Mobiltelefone und soziale Medien - und deren totale Überwachung?


Timing der Leserunde

  1. Bewerben 01.08.2018 - 21.08.2018
  2. Lesen 05.09.2018 - 02.10.2018
  3. Rezensieren 03.10.2018 - 16.10.2018

Bereits beendet

Teilnehmer

Diskussion und Eindrücke zur Leserunde

Veröffentlicht am 12.10.2018

Zum Ende ziemlich kranker Horrorschocker, wenn auch der Plot zunächst genial daherkommt

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Nein, es geht nicht um die NSA aus den USA – es geht um das fiktive „Nationale Sicherheitsamt“ in Weimar, gegründet noch im Kaiserreich. Die Handlung des Buches ist angesiedelt in einer Zeit, die zugleich ...

Nein, es geht nicht um die NSA aus den USA – es geht um das fiktive „Nationale Sicherheitsamt“ in Weimar, gegründet noch im Kaiserreich. Die Handlung des Buches ist angesiedelt in einer Zeit, die zugleich historisch und fiktiv ist: die NS-Zeit, allerdings mit einigen klitzekleinen Änderungen. Es gibt bereits sehr funktionsfähige „Komputer“, Volkstelephone mit Bezahlfunktion, es gibt das Weltnetz (Internet). Damit wird aus einem historischen Roman flugs „alternative Geschichte“ (ein Subgenre von S/F, sozusagen „S/F praktisch ohne S/F“, ohne Aliens, Roboter und ähnliches). Der Gedanke ist hier nicht, wie in ähnlichen Büchern „wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“, sondern „wenn Hitler noch mehr Ressourcen zur Verfügung gehabt hätte“.

So etwas mochte ich bis vor kurzem absolut nie lesen, mir war das echte “Dritte Reich” schon gruselig genug – bis ich auf das grandiose „Die Stunde der Rotkehlchen“/”Farthing” von Jo Walton stieß und hier aus dem Beginn zitieren möchte: This novel is for everyone who has ever studied any monstrosity of history, with the serene satisfaction of being horrified while knowing exactly what was going to happen, ....
....rather like studying a dragon anatomized upon a table, and then turning around to find the dragon's present-day relations standing close by, alive and ready to bite."
bzw. (nicht so toll übersetzt)
„Dieser Roman ist für alle, die sich jemals mit den Monstrositäten der Geschichte beschäftigt haben, schaudernd eigentlich, doch jederzeit wissend, wie es weitergeht, als ginge es um die Autopsie eines toten Drachen, nur um im nächsten Augenblick den sehr lebendigen Nachkommen des Drachen gegenüberzustehen und ihnen ins offene Maul zu starren.“ (Hervorhebungen durch mich).

Mit anderen Worten: tröstet euch nicht damit, dass es überwunden sei. Wehret den Anfängen.

Autor Eschbach wechselt zwischen seinen zwei sehr unterschiedlichen Protagonisten Helene Bodenkamp, behütet aufgewachsene Tochter eines erfolgreichen Arztes, und Eugen Lettke, ärmlich, Halbwaise, die Mutter verbittert, aber von Stolz aufgrund des Heldentodes des Ehemannes durchdrungen. Die beiden jungen Leute teilen ihre Skepsis zur Ideologie der Nazis, und machen doch beide unabhängig Karriere bei der NSA, der Behörde, die sämtlichen elektronischen Spuren von Menschen im eigenen Land und weltweit verfolgt, um diese für die Zwecke der NSdAP auszunutzen. Helene stellt sich als Programmiergenie heraus, eine „Programmstrickerin“, die zunächst nur naiv von der Begeisterung für die Materie getrieben wird. Lettkes Begeisterung dient mehr ... Lettke, seine Vorlieben sind Macht, Demütigung, Herrschaft. Ganz wie damals laufen die historischen Ereignisse sonst ab, der Aufstieg Hitlers, der Einmarsch in Polen, in Frankreich, Pearl Harbour, die Weiße Rose - mit je kleinen "modernisierten" Anpassungen. Als Helene Zweifel kommen, ist sie in großer Gefahr.

Mir gefiel sehr, wie der Autor fantasievolle eingedeutschte Begriffe gefunden hat, Elektrobrief = Mail, Bauchrednerpuppen = Trolle, Parole = Passwort, oder, mein Favorit: Jemanden das Klo runterspülen = Shitstorm. Ja, so ein wenig sollte man sich mit den Dämonen der Jetzt-Zeit beschäftigt haben, die aus den modernisierten Formen der Dämonen von damals sprechen. Da wird zu Beginn das Tagebuch Anne Franks verraten, die dank der Programmierkünste von Helene sehr einfach aufgefunden werden konnte, da kommt es zu einer Vermischung mit den Gefahren des Heute: Metadaten, Trolle, Trojaner, Triangulation, Vorratsdatenspeicherung, Telefone mit „Alexa“ zur NSA. Den Anfang fand ich noch genial.

Dann grauste es mich zusehend. Ja, der Gedanke ist genial, ich brauche auch bestimmt nicht nur Bücher mit Happy End, nicht einmal mit geschlossenen Enden und mag keine Liebesschnulzen. Aber das hier ist mir deutlich zu viel.

Absolute Warnung für Empfindliche.

Ich habe ähnliche Albträume schon bekommen nach meiner ersten Stephen King – Verfilmung (ein Raucher-Entwöhnungsprogramm, bei dem dem Raucher gesagt wurde, seine Frau würde für jede Zigarette einen Finger verlieren. Nach irgendeinem Kameraschwenk sah man dann die Frau seines rauchentwöhnten Kumpels. Man sah ihre Hand, soweit ich das zusammen bekomme, „mit ohne Finger“. Ich habe das in den 80ern gesehen und mich gruselt es noch heute und ich habe nie wieder Stephen King angerührt – bevor Proteste kommen: das ist meine persönliche Freiheit!).

Ich habe getan, was ich sonst nie tue. Ich habe bei etwa Seite 759 gespickt. Nein nein nein. Geniale Idee, wenn man so etwas aushalten kann. Um einen „Drachen“ wie oben eingeleitet zu erkennen, muss man das aber nicht, das lenkt nach meiner Meinung nur ab von dem eigentlichen Bösen, es ist etwas zu viel. Nein danke zu Nazis, Diktatoren, Demagogie, Folter, Mord, Rassismus – das muss man nicht wirklich erläutern. Aber auch ein Nein von mir zu kranken Horrorschockern.

2 Sterne (ich bin enttäuschter, wenn ich ein Buch zuerst für genial hielt). Und bitte einen großen Teddybären.





Nachtrag, wegen Rückfragen, WAS ich genau nicht mochte: mit alternativer Geschichte kann ich umgehen (so viel S/F geht noch). Mit "echter" S/F / Fantasy kann und konnte ich nix anfangen, ich fand schon "Karlsson vom Dach" als Kind völlig sinnlosen Blödsinn, etwas, das nicht möglich ist Punkt. Das ist Geschmackssache.

Das Buch beginnt als alternative Geschichte, hat aber später Elemente von etwas, was hinausgeht über "was wäre gewesen wenn". Das ist für mich so etwas von völlig willkürlich ausgedacht ...

Ich mag Bücher, die Fiktion sind im Sinne, dass ich mir das im echten Leben vorstellen kann. Einiges von dem, was ich mir nicht vorstellen kann, MAG ich mir dann noch nicht einmal vorstellen können, das ist für mich der blanke Horror (natürlich könnte man jemandem, um mein Stephen King - Beispiel von oben zu zitieren, das Rauchen abgewöhnen, indem man dessen Frau ein Fingerchen nach dem anderen abhackt - ach ja, mit Grimms Märchen werde ich auch kein Freund Aber nee.
Und man kann auch argumentieren, dass Jules Vernes vieles vorwegnahm oder der Star Trek - Kommunikator jetzt als Smartphon herumläuft. Damit hört es dort aber schon auf, oder?
Und ich bleibe dabei: der ECHTE Horror der NS-Zeit reicht mir. Und die Leute, die sich durch Social Media "fernsteuern" lassen, reichen mir auch.

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