Veröffentlicht am 19.03.2023
Da der Name "R. F. Kuang" auf dem Cover steht, war mir direkt klar: Dieses Buch muss ich lesen! Die Autorin konnte mich bereits mit ihrer "Poppy War"-Trilogie begeistern. "Poppy War" war düster, brutal ...
Da der Name "R. F. Kuang" auf dem Cover steht, war mir direkt klar: Dieses Buch muss ich lesen! Die Autorin konnte mich bereits mit ihrer "Poppy War"-Trilogie begeistern. "Poppy War" war düster, brutal und grausam. Aufgrund der Einbettung mythologischer Kreaturen und göttlicher Gestalten hatte es jedoch auch stets etwas Entwurzeltes und Surreales. Nach den ersten Seiten ihres neuen Romans "Babel" wird schnell deutlich, dass "Babel" zwar ebenfalls düster ist, R. F. Kuang hier jedoch einen Schritt in ein für sie neues Genre wagt. Dark Academia - mit einem kleinen, doch einflussreichem magischen Element: Silberbarren, den Yínfúlù.
Schon auf den ersten Seiten gelingt es der Autorin das magische System in die "reale" Welt des frühen 19. Jahrhunderts zu integrieren, erst in Kanton der Qing-Dynastie, dann in London und später in Oxford. Es ist die Blütezeit des britischen Imperiums, ein klarer Indikator, dass Themen wie Kolonialismus und Rassismus vorder- oder hintergründig einen Platz in diesem Roman finden werden, insbesondere vor dem Hintergrund der einleitenden Worte der Autorin.
Ich bin somit mehr als gespannt, wie die Autorin inhaltlich all diese Elemente durch den Hauptaspekt der "Übersetzung" miteinander verknüpfen wird. Darüber hinaus habe ich großen Respekt vor den zwei Übersetzer*innen, die diesen Roman ins Deutsche übertragen haben: Eine Übersetzung zum Thema Übersetzen, oder wie die Autorin selbst einleitend zitiert: "Traduttore, traditore" - "Ein Akt der Übersetzung ist immer ein Akt des Verrats." Der fiktive Turm zu Babel in Oxford als Institut für Übersetzung dürfte somit zu einem äußerst spannenden, zwiegespaltenen Handlungsort werden; perfekt für Dark Academia!
Mit dem jungen Chinesen "Robin Swift", dessen Identität schon so früh durch die Annahme eines neuen, englischsprachigen Namens verloren geht, haben wir somit auch einen passenden Charakter, der langfristig sicherlich in einen Zwiespalt mit sich selbst und seiner Aufgabe geraten wird. Immerhin beutete das britische Imperium durch ungleiche Handelsverträge mit China das Land aus. Gleich zu Beginn kommt Robin an der Ablegestelle von Kanton in Richtung London in Berührung mit der Macht und Überlegenheit durch Wissen und Sprache; eine Szene, die bestimmt symbolträchtig für den weiteren Verlauf des Buches sein dürfte.
Der Charakter des Professors Lovell blieb auf den ersten Seiten (gewollt) mysteriös und undurchsichtig. Seine Motivation und Antriebsgründe sind aktuell noch unklar, werden jedoch sicherlich noch in einer Schlüsselszene aufgelöst werden.
Insgesamt lies sich die Leseprobe sehr flüssig und gut lesen. Ich kann mir vorstellen, dass aufgrund der Länge des Buches erst eine sehr gründliche Einführung in diese komplexe Welt des Übersetzens gegeben wird und dass dadurch die Handlung zunächst etwas langsamer voranschreitet. Für mich ist das keinerlei Minuspunkt, da ich den Schreibstil der Autorin aus ihrer "Poppy War"-Trilogie kenne und liebe. Meines Erachtens spricht es für den Roman, wenn genug Zeit und Platz gelassen wird, damit sich die Geschichte entfalten kann. Abschließend kann ich daher nur sagen, dass ich vermute, dass "Babel" eines meiner Jahreshighlights 2023 werden könnte und ich mich unglaublich auf die Lektüre freue!