Ehedrama und Liebesleid
War Marie von Ebner-Eschenbach eigensinnig? Im Kontext des 19. Jahrhunderts war sie sicherlich eine Frau, die von ihren Zeitgenossen zumindest als eigenwillig, stur und vielleicht auch etwa störrisch wahrgenommen ...
War Marie von Ebner-Eschenbach eigensinnig? Im Kontext des 19. Jahrhunderts war sie sicherlich eine Frau, die von ihren Zeitgenossen zumindest als eigenwillig, stur und vielleicht auch etwa störrisch wahrgenommen wurde. Allein die Tatsache, dass sie sich als Adlige aus gutem Hause an der Literatur versuchte und für Fortschritt und Frauen engagierte, muss selbst aus heutiger Sicht zumindest als „unkonventionell“ gewertet werden. In „Die Eigensinnige“ widmet sich Lucca Müller dem Leben der bedeutenden Autorin und legt eine Romanbiographie vor, die sich durch eine sehr angenehme und einnehmende Lesbarkeit und ein ansprechendes Tempo auszeichnet und den Leser nie langweilt. Müller verfasst auch Drehbücher und das merkt man dem Text im positivsten Sinne an. Abwechslungsreich und mitunter schlaglichtartig beleuchtet er verschiedene Episoden aus von Ebner-Eschenbachs Leben, verliert dabei aber nie den roten Faden aus dem Blick, die Kapitel sind alle inhaltlich miteinander verbunden und bauen sinnvoll aufeinander auf.
Auch der Kontext kommt in Müllers Romanbiographie nicht zu kurz. Auf recht elegante Weise werden verschiedene Aspekte weiblichen Lebens im 19. Jahrhundert aufgegriffen: von ungewollten Schwangerschaften bis zu den Gefahren einer Abtreibung oder Geburt, von dem beabsichtigten Bildungsnachteil der Frauen bis zum gesellschaftlichen Skandal der durch weibliche Autorenschaft entsteht, von den Hygieneerkenntnissen durch Semmelweis bis zur Kritik am jungen österreichischen Kaiser widmet sich der Roman im Hintergrund den politischen und sozialen Einflüssen und Entwicklungen während der beschriebenen Lebensspanne von Ebner-Eschenbachs. Der Ansatz ist dabei ausdrücklich feministisch: immer wieder geht es um die Beschränkungen, die Frauen auferlegt werden, um die Grenzen, in die sie gezwungen werden – und sei es nur das Mieder. Dabei betrachtet Lucca Müller Frauen aus den verschiedensten sozialen Schichten und schafft so einen ganzen Katalog von Benachteiligungen unterschiedlichster Art. Die feministische Ausrichtung der Romanbiographie ist modern und zeitgemäß, sie wird allerdings zu sehr ausgereizt und ermüdet daher etwas. Sparsamer dosiert hätte sie wohl mehr Nachhall erzielt.
Die Handlung selbst ist mitreißend und spannend erzählt, allerdings verrutscht der Fokus der Romanbiographie mit zunehmendem Verlauf. Wer sich eine umfassende Auseinandersetzung mit der Schriftstellerin von Ebner-Eschenbach, ihren Werken, ihrer Motivation und ihrer Inspiration erhofft hat, wird eher enttäuscht werden. Zwar spielt das Schreiben immer wieder eine Rolle im Roman, allerdings ist dies eine eher randständige. Erst ganz am Ende, wortwörtlich auf den letzten Seiten der Geschichte, rücken die Autorin und ihr Durchbruch in den Mittelpunkt – das ist leider viel zu spät. Dafür gab es auf den 400 Seiten davor sehr viel Liebes- und Ehedrama, Liebeslust und Ehefrust, Leidenschaft und schlechtes Gewissen. Der Schwerpunkt – und das ist eigentlich fast widersinnig bei einem Roman, der sich so deutlich in den Dienst einer feministischen Interpretation des Lebens der Autorin stellt – liegt fast ausschließlich auf dem Beziehungsleben der Marie von Ebner-Eschenbach. Das liest sich zwar gut, aber es bekommt mit einigen zusätzlichen Wendungen und arg konstruierten Begegnungen (das Treffen mit Kaiserin Sisi allein beim Ausritt im Wald hinter einem Holzstapel) , die dazu noch sehr stark reine Fiktion vermuten lassen, einen leichten Herzkino-Schmonzetten-Touch. Nicht, dass ich das nicht gern gelesen hätte – im Gegenteil, aber ich hatte mir gerade bei Marie von Ebner-Eschenbach doch ein bisschen mehr Gehalt gewünscht.
Insgesamt ist Lucca Müllers Romanbiographie nicht nur ein echter Hingucker, sondern auch ein leichtes Lesevergnügen, das durchaus unterhaltsam ist und lehrreiche Aspekte beinhaltet, auch wenn es sich hier letztlich eher um einen historischen Liebes-/Eheroman als um eine Auseinandersetzung mit der Schriftstellerpersönlichkeit handelt.