An der Leseprobe hat mich der starke Beginn in Gestalt des Tagebucheintrags aus dem Jahr 1978 gefesselt. In diesem Tagebucheintrag wird in wissenschaftlicher, aber ebenso beklemmender, düsterer Weise der Tod durch Ertrinken - oder das "ins Watt gehen" wie man auf Juist sagen würde - behandelt. Denn die Verfasserin dieses Tagebucheintrags plant ihren Selbstmord. Zudem haben mir an der Leseprobe die Perspektivwechsel und Zeitsprünge, die die ersten Kapitel bieten würden, ausgesprochen gut gefallen. So werden die Ereignisse des Jahres 1934 aus Sicht von Johanne sowie des Jahres 2008 aus Sicht von Adda und Helen geschildert.
Auch wenn dies nach knapp fünfzig Seiten Leseprobe verfrüht erscheinen mag, so haben mir die bis dato gelungenen Charakterisierungen von Anne Prettin sehr zugesagt. Addas Ehemann Eduard "der Inselmacher" wird darin als etwa so flexibel wie das Holz der Dresdner Eiche beschrieben und sein sogenanntes "Beinbarometer" - d.h. wie auffällig er sein Kriegsbein nachziehen würde - würde treffsicher seine Stimmung angeben. Ebenso gelungen werden die Stufen der Verstimmtheit von Addas Tochter Frauke beschrieben, die mit Kostverweigerung beginnen.
Addas Mutter Johanne, die früher so selbstständig und stark gewesen ist, hat im Jahre 2008 nur manchmal gute, klare Tage. Aber in der Leseprobe erfahren wir auch einiges über Johannes Leben im Jahre 1934: wie schwer sie es hat, weil ihr Vater seinen ganzen Lohn vertrinkt, und wie hart sie arbeiten muss, da sie nicht nur ihrer Arbeit als Dienstmädchen im Hotel de Tiden nachzukommen hat, sondern oftmals zudem die Arbeit ihres Vaters übernehmen muss.
Und die adoptierte Helen, die Adda für ihre leibliche Mutter hält, wird treffend als eine, "die sich selbst viel zu sehr im Nacken sitzt" charakterisiert. Helen kündigt schon mal aus einer Laune heraus ihren Job oder verlässt ihren Freund.
Neben den Charakterisierungen haben mir die detaillierten Beschreibungen von Anne Prettin sehr zugesagt. Diese lassen den Festsaal des Hotels de Tiden in der Generalprobe für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes lebendig werden, bezaubern aber auch im Lichtspiel und den Mustern aus Sonnenlicht einer Tiffany-Leuchte im Wintergarten des Hotels de Tiden.
Vom weiteren Verlauf "der vier Gezeiten" würde ich mir erhoffen zu erfahren, wer Helens leibliche Eltern sind und warum Helen zur Adoption freigegeben wurde. Zudem würde ich gerne wissen, wer den düsteren Tagebucheintrag zu Beginn dieses Romans verfasst hat und welche Lüge die Verfasserin quält. Und auch wie die Geschichte mit Johanne und dem schönen Gustav aus gutem Hause, der Jude ist, im Jahre 1934 weitergehen würde, würde ich gerne erfahren dürfen.