Leserunde zu "Freiheitsgeld" von Andreas Eschbach

Wie frei können Menschen wirklich sein?
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Andreas Eschbach (Autor)

Freiheitsgeld

Roman

Europa in nicht allzu ferner Zukunft. Die Digitalisierung ist weit fortgeschritten, Maschinen erledigen die meiste Arbeit, während ein bedingungsloses Grundeinkommen, das sogenannte "Freiheitsgeld", dafür sorgt, dass jeder ein menschenwürdiges Leben führen kann. Als der Politiker, der das Freiheitsgeld eingeführt hat, tot aufgefunden wird, wirkt es zunächst wie ein Selbstmord. Doch dann wird der Journalist ermordet, der einst als sein größter Gegenspieler galt. Ahmad Müller, ein junger Polizist, ist in die Ermittlungen um beide Fälle involviert - und sieht sich mit übermächtigen Kräften konfrontiert, die im Geheimen operieren und vor nichts zurückschrecken, um eine Aufklärung zu vereiteln.

Timing der Leserunde

  1. Bewerben 15.08.2022 - 04.09.2022
  2. Lesen 12.09.2022 - 09.10.2022
  3. Rezensieren 10.10.2022 - 23.10.2022

Bereits beendet

Schlagworte

Bedingungsloses Grundeinkommen Klimawandel Automatisierung Roboter Externsteine Dystopie Utopie Verschwörungstheorien Bestsellerautor Spekulative Literatur Zukunftsporträt Politthriller Thriller

Teilnehmer

Diskussion und Eindrücke zur Leserunde

Abschnitt 2, KW 38, Seite 145 bis 258, inkl. Kapitel 20 "Freitag, 28. März 2064"

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kalligraphin

Mitglied seit 12.09.2016

Some say life is the thing, I prefer books.

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 10:34 Uhr

Seid ihr schon in den zweiten Leseabschnitt gestartet? Er beginnt recht heftig. Zumindest habe ich das so empfunden.

Die ausführliche Beschreibung von Valentins „neuem Fetisch“ hätte ich nicht gebraucht. Mir gefällt daran sowieso nicht, in welche Rolle Lina gedrängt wird. Das Heimchen, das den Luxus genießen soll, den ihr Mann ihr ermöglicht. Wodurch - das bleibt sein Geheimnis. Und dann droht natürlich auch wieder jede Menge Gefahr, die den Mann zur Untreue „zwingt“.

So bizarr die konkrete Situation von Valentin ist - das Bild, das uns hier verkauft wird, ist ein uraltes.

Der Mann verlässt das Haus als Brötchenverdiener und genießt das außereheliche Sexabenteuer (dass es hier nicht die unwiderstehliche sexy Sekretärin ist, sondern Zwang klingt nach einer schlechten Ausrede für diesen Erzählstrang - und den Mann).

Die Frau ist derweil ans Zuhause gebunden, darf selbiges und sich hübsch machen. Ist einsam. Ihr größter Wunsch: Ein Baby vom Liebsten.

Ich kotz im Strahl.
Das ist mir deutlich zu unreflektiert.

Die hormonellen „Umwelteinflüsse“, die zu Empfängnisproblemen und Schwangerschaftsabbrüchen führen, sind ein wichtiges Thema. Gut, dass es angesprochen wird.

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Yeirah

Mitglied seit 15.06.2017

Phantasie ist nicht Ausflucht. Sich etwas vorstellen heißt, eine Welt bauen, eine Welt erschaffen.

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 12:44 Uhr

Wie ich erwartet habe, geht es im zweiten Abschnitt jetzt richtig zur Sache: Die ethische wie gesetzliche Fragwürdigkeit der Oase nimmt zu. Es wundert mich kein bisschen, dass sich Lina in diesem neuen Leben einsam fühlt. Seit Valentin seinen (ebenfalls fragwürdigen) neuen Job angenommen hat, verbringen sie ihren Alltag getrennt. Dabei finde ich es ebenfalls erschreckend, wie süchtig Valentin nach der "Entnahme" wird; das Bild wäre für mich auch nicht nötig gewesen…

Nebst den Problemen in der Oase häufen sich auf ein Mal die Todesfälle. Der Journalist Günther Leventheim wird ermordet und wollte vor seinem Tod eine große Story über das Freiheitsgeld publizieren. Wahrscheinlich wurde er deshalb zum Schweigen gebracht. Zufälligerweise wird weniger später der Altpräsident tot aufgefunden. Wie Kilian finde ich den Freitod sehr unwahrscheinlich. Ich glaube eher, dass er durch den Tod seiner Enkelin Zoe begonnen hat, an der Einführung des Freiheitsgeldes zu zweifeln. Wahrscheinlich ist mit ihrer Waghalsigkeit so etwas wie eine "Sinnfrage" in ihm wach geworden: Welche Anreize können der Jugend geboten werden, wenn es ein Freiheitsgeld gibt?

Ist euch auch aufgefallen, dass im zweiten Abschnitt die kursiven Sichtweisen der anonymen Person fehlen? Das spricht sehr dafür, dass es sich bei der anonymen Person um Leventheim oder Havelock gehandelt haben könnte.

Sehr interessant finde ich die neue Partnerschaft von Ahmad und Pfenning. Ahmads Zwiespalt zwischen Bewunderung und Abscheu finde ich eine passende Ergänzung. An einer Stelle ist mir aufgefallen, dass Pfenning keine Medikamente nimmt. Dafür hat er drei Kinder. Das bestätigt ebenfalls die Theorie, dass in den individuellen Medikamenten etwas beigemischt ist. Sowohl Franka als auch Lina nehmen ihr Nasenspray… ein sehr großer Zufall.

Besonders erschreckend finde ich, wie autonom die Oase handeln darf. Sie haben ihre eigenen Leute, die den "Selbstmord" untersuchen und müssen sich nicht an die staatliche Obrigkeit wenden. Wie viel hier unter den Teppich gekehrt werden kann… ich bin gespannt, mit welchen Wahrheiten Ahmad im Rahmen seiner Ermittlungen noch konfrontiert wird. Jetzt heißt es wieder warten

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Yeirah

Mitglied seit 15.06.2017

Phantasie ist nicht Ausflucht. Sich etwas vorstellen heißt, eine Welt bauen, eine Welt erschaffen.

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 12:47 Uhr

Zitat von kalligraphin

Die ausführliche Beschreibung von Valentins „neuem Fetisch“ hätte ich nicht gebraucht. Mir gefällt daran sowieso nicht, in welche Rolle Lina gedrängt wird. Das Heimchen, das den Luxus genießen soll, den ihr Mann ihr ermöglicht. Wodurch - das bleibt sein Geheimnis. Und dann droht natürlich auch wieder jede Menge Gefahr, die den Mann zur Untreue „zwingt“.



Dieser Teil hat mir auch gar nicht gefallen. Mir gefällt Linas Charakter gut, aber ihre Naivität wird kontinuierlich ausgenutzt. Es scheint fast, als würde man bezüglich der Rollenbilder in dieser Gesellschaft wieder große Rückschritte machen... aber immerhin scheint Lina etwas aufzuwachen und ihre Rolle als "hübsches Liebchen am Herd" etwas zu verlassen. Ich würde es ihr wünschen, denn solche Klischees sind schmerzhaft und ermüdend.

(Ebenso Franka, die unbedingt Kinder von Ahmad möchte/wollte... zumindest in Abschnitt 1. Das Gespräch fand ich auch ein wenig seltsam)

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kalligraphin

Mitglied seit 12.09.2016

Some say life is the thing, I prefer books.

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 12:59 Uhr

Noch ein Nachsatz zu dem bisher Gelesenen des zweiten Abschnitts.

Kindergärtnerinnen (sind es weiterhin hauptsächlich Frauen?) werden weiterhin schlecht bezahlt. Auch der Stellenwert der privaten Pflege ist nicht gut. Sprich: Unbezahlte oder schlecht bezahlte Care-Arbeit ist weiterhin an der Tagesordnung?

Das Problem der Überbevölkerung wird angesprochen und scheint teilweise extrem unsozial gelöst worden zu sein. Ein Trend, der aber ja schon seit Jahren anhält. Dass manche Bevölkerungen dieser Erde ausgenutzt werden.

Gut, dass es erwähnt wird.

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carola1475

Mitglied seit 14.02.2021

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 13:21 Uhr

Die Krimihandlung nimmt Fahrt auf und Ahmad beweist gutes kriminalistisches Gespür. Valentin und auch Kilian nimmt Havelocks Tod mit und Kilian bezweifelt, dass er sich selbst getötet hat. Ich glaube das auch nicht.

In diesem Leseabschnitt bekommen wir all die Informationen über das Freiheitsgeld, auf die wir gewartet haben! Eschbach bedenkt alle möglichen Aspekte, zieht große Kreise, umrundet das Freiheitsgeld sozusagen, seine Begleiterscheinungen und seine Geschichte. Aufhänger sind Leventheims Aufzeichnungen und Berechnungen, mit denen sich die Kripo nach seiner Ermordung beschäftigt.
Sehr gut gemacht finde ich, wie Ahmad den neuen Kollegen von der Kripo Einzelheiten erklären kann, da er vorher bei der normalen Polizei/Steuerfahndung eingesetzt war. Er hat den steuertechnischen Hintergrund, um Leventheims Berechnungen verstehen zu können.
Nur ganz kurz erwähnt, aber wichtig, finde ich die nicht mehr gegebene Schulpflicht, wodurch es immer weniger Menschen mit ausreichender Bildung gibt.
Ahmad sagt, wenn es soweit kommt, dass sich die Roboter gegenseitig programmieren statt von Menschen programmiert zu werden, könnte den Robotern irgendwann auffallen, dass sie die Menschen nicht mehr brauchen... Das ist ja tatsächlich die heute beschriebene Gefahr einer selbstlernenden KI.


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carola1475

Mitglied seit 14.02.2021

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 13:30 Uhr

Zitat von Yeirah

Ich glaube eher, dass er durch den Tod seiner Enkelin Zoe begonnen hat, an der Einführung des Freiheitsgeldes zu zweifeln. Wahrscheinlich ist mit ihrer Waghalsigkeit so etwas wie eine "Sinnfrage" in ihm wach geworden: Welche Anreize können der Jugend geboten werden, wenn es ein Freiheitsgeld gibt?



Das ist ein guter Gedanke, das könnte sein.

Zitat von Yeirah

Dabei finde ich es ebenfalls erschreckend, wie süchtig Valentin nach der "Entnahme" wird; das Bild wäre für mich auch nicht nötig gewesen…



Das gefällt mir auch nicht.

Zitat von Yeirah

Das spricht sehr dafür, dass es sich bei der anonymen Person um Leventheim oder Havelock gehandelt haben könnte.



Ich glaube, das war der Messerstecher und er kommt in diesem Abschnitt nicht zu Wort, weil er mit den Morden beschäftigt war ;)

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ice_flower

Mitglied seit 03.08.2020

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 13:39 Uhr

Obwohl sich der Abschnitt schnell lesen lässt, fand ich ihn irgendwie künstlich in die Länge gezogen.

Das mit den Medikamenteneinnahmen und damit (vermutlich) Senkung der Fruchtbarkeit empfinde ich genauso wie ihr, bin ebenfalls sofort auf diesen Gedanken gekommen, da Pfenning Kinder hat.

Valentin dreht mir irgendwie zu sehr im Rad (mal ganz salopp ausgedrückt), jetzt steht er also total auf die Entnahme. Lina ist dagegen, habt ihr auch bereits richtig charakterisiert, nur das kleine Heimchen am Herd, aber auch ihre Reaktion finde ich teilweise unangemessen. In einer Beziehung sollte man über alles (auch über seinen Fetisch) reden können. Interessant ist ja aber auch, dass Linas Freundin ein Kind verloren hat und da wieder diese saloppen Argumente, ja Hormone in der Umwelt, kommen. Ich bin mir fast sicher, dass da mehr dahinter steckt.

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ice_flower

Mitglied seit 03.08.2020

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 13:41 Uhr

Zitat von carola1475

Nur ganz kurz erwähnt, aber wichtig, finde ich die nicht mehr gegebene Schulpflicht, wodurch es immer weniger Menschen mit ausreichender Bildung gibt.



Gruselig. Werden dort lauter folgsame Schafe heran gezogen?

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niensmagscifi

Mitglied seit 30.08.2022

In neue Welten eintauchen und die alte Welt neu sehen

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 19:48 Uhr

Zitat von carola1475

Nur ganz kurz erwähnt, aber wichtig, finde ich die nicht mehr gegebene Schulpflicht, wodurch es immer weniger Menschen mit ausreichender Bildung gibt.



Das ist mir gar nicht aufgefallen, aber stimmt, das ist wirklich ein interessanter Gedanke als Konsequenz von "zu viel" Fortschritt (aka Rückschritt).

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niensmagscifi

Mitglied seit 30.08.2022

In neue Welten eintauchen und die alte Welt neu sehen

Veröffentlicht am 19.09.2022 um 19:54 Uhr

Zitat von kalligraphin

Die ausführliche Beschreibung von Valentins „neuem Fetisch“ hätte ich nicht gebraucht. Mir gefällt daran sowieso nicht, in welche Rolle Lina gedrängt wird. Das Heimchen, das den Luxus genießen soll, den ihr Mann ihr ermöglicht. Wodurch - das bleibt sein Geheimnis. Und dann droht natürlich auch wieder jede Menge Gefahr, die den Mann zur Untreue „zwingt“.



Die Szene fand ich auch total unangenehm und sie hat den vorher kritisierten sexuellen Ton auf jeden Fall bei Weitem übertroffen.

Allerdings habe ich jetzt den Eindruck, dass das Unangenehme dieses Mal gewollt ist. Denn statt nur auf „Produktion“ abzuzielen scheint es schon so, als würde die Praktik noch eine andere Rolle spielen, die eher in die Richtung der Kontrolle geht - schließlich wird Valentin davon im Alltag abgelenkt und fokussiert sich total darauf.

Außerdem wird für ihn die „klinische/sterile“ Sexualpraktik reizvoller als der alltägliche/„normale“ Verkehr - darin steckt vielleicht auch eine Aussage, aber zu lesen fand ich es trotzdem total schwierig.