Beeindruckende Geschichte mit beklemmend realem Hintergrund
Elsa ist gerade einmal 20 und schon so erschöpft, sie alle sind es: die Samen, ihr indigenes Volk, ganz oben am nördlichen Polarkreis. Müde all der grausamen Morde an ihren Rentieren, des Hasses, der ihnen ...
Elsa ist gerade einmal 20 und schon so erschöpft, sie alle sind es: die Samen, ihr indigenes Volk, ganz oben am nördlichen Polarkreis. Müde all der grausamen Morde an ihren Rentieren, des Hasses, der ihnen entgegenschlägt, und, was fast noch schlimmer ist, der kühlen Gleichgültigkeit der schwedischen Bevölkerung. Seit sie ein kleines Mädchen war, verfolgt Elsa das Bild des Mannes, der ihrem geliebten Renkalb Nástegallu das Leben genommen und ihr eigenes massiv bedroht hat. Wie eine Faust hält diese Warnung ihr Herz umklammert, das Wissen und ihr Schweigen darum lasten schwer auf der Seele der Heranwachsenden, die ihren Platz in dieser im Verschwinden begriffenen Welt erst noch finden muss. Viele Jugendliche ihres Volkes straucheln angesichts des Verlusts der altvertrauten Lebensweise, verlässlichen Rituale und eingetretenen Pfade; geraten auf Abwege, von denen manch einer nicht mehr zurückfindet. Doch Elsa ist stark und ehrgeizig, weiß, was sie will und was ihr vorbestimmt ist, welch seltene Gabe in ihr ruht - und sie ist bereit, den Kampf um ihr kulturelles Erbe und ihr Recht aufzunehmen.
Der Originaltitel von „Das Leuchten der Rentiere“ lautet „Stöld“, der Diebstahl, was in meinen Augen, wenn auch nicht so bildhaft, sehr viel treffender ist. Denn lediglich als einfacher Diebstahl wird die Tötung eines Rentiers eingestuft, als seien es Gegenstände und keine Lebewesen, als seien sie nicht Teil einer alten Kultur. Und gestohlen wird den Samen mit zunehmender Modernisierung und fehlender Akzeptanz auch alles, was ihnen wichtig ist, was ihre Existenz, ihr ganzes Sein bedeutet, ihren Stolz und ihre Würde ausmacht. Ann-Helen Laestadius’ Debütroman über ein Sámi-Mädchen mag fiktiv sein, basiert aber auf nur allzu realen Begebenheiten, hat mich fasziniert und begeistert und unglaublich wütend gemacht. Die einfühlsame Figurenzeichnung und ergreifenden, zwischenmenschlichen Töne eingebettet in diese atmosphärische Landschaft konnten mich komplett überzeugen - eine große Empfehlung von mir! Minikleiner Kritikpunkt ist die zum Teil etwas holprige Übersetzung von Dagmar Mißfeldt und Maike Barth, aber das ist Meckern auf hohem Niveau.